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Es regnete, aber Regen sollte Glück bringen.
Nicht dass Jayne es nötig hatte. Sie heiratete den schönsten, größten Mann der Insel, einen Mann, bei dem sie Schmetterlinge im Bauch hatte, wenn sie ihn ansah. Seine Augen hatten die Farbe des Junihimmels, und sein glänzend schwarzes Haar trug er ein wenig länger als üblich - »zottig«, hatte Mad Annie es einmal genannt, »wie ein Schaf in der Mauser«. Er hatte breite, kräftige Schultern und lange Arme und Beine und war zwei Köpfe größer als alle anderen Männer, abgesehen von Angus MacKinnon.
Niemand bestritt, dass Norman der schönste Mann auf der Insel war, und Jayne erinnerte sich noch daran, wie sie vor Überraschung kaum hatte antworten können, als er sie im Sommer nach der Kirche angesprochen und gefragt hatte, ob sie einen Spaziergang mit ihm machen wolle. Sie war sich so sicher gewesen, dass er die neue Krankenschwester fragen würde, denn die Frauen redeten beim Wäschewaschen am Bach über keine andere. »Frisches Blut!«, hatte Ma Peg erfreut ausgerufen, und »eine Frau von Welt!«, hatte Mad Annie mit seltener Bewunderung gesagt, als Lorna vor Kurzem auf die Insel gezogen war. Die Krankenschwester war sechsundzwanzig und damit vier Jahre älter als Norman, gebildet und klug und hübsch in ihrer Ernsthaftigkeit. Sie konnte den Menschen auf so viele Arten helfen, die Jayne - die gerade achtzehn geworden war und sich in nichts besonders hervortat - nicht zur Verfügung standen. Allen war klar, dass Lorna für den beliebtesten Junggesellen aus dem Dorf die bessere Partie war . Und dennoch hatte er Jayne gewählt!
Ihr erster gemeinsamer Spaziergang war von Verlegenheit geprägt gewesen, das ließ sich nicht leugnen. Jayne hatte die erstaunten Blicke von Rachel MacKinnon und Christina MacQueen sehr wohl bemerkt, als sie und Norman sich von den anderen abgesondert und in Richtung Klippen gegangen waren. Keiner von beiden hatte etwas zu sagen gewusst, und entweder hatten sie gleichzeitig das Wort ergriffen oder waren beide in Schweigen verfallen. Aber er hatte darauf geachtet, dass sie in Sichtweite des Dorfes blieben. Die Leute würden reden, und er wollte Jaynes Ruf nicht gefährden - auch wenn sie keine Familie mehr hatte, die das kümmerte.
Nach dem Tod ihrer Mutter war ihr Vater nach Australien gegangen und hatte ihre beiden jüngeren Brüder mitgenommen. Er hatte Jayne nicht geglaubt, als sie ihm gesagt hatte, dass sie nicht mitkommen wolle, und selbst als er an Bord des Walfängers gestiegen war, der ihn zum Festland brachte, hatte er noch erwartet, sie würde von diesem »Unsinn« ablassen und ihm folgen. Aber schließlich hatte er auch seine Frau nie verstanden und welche Bürde Mutter und Tochter an ihrer Gabe zu tragen hatten: Hinaus in die Welt zu gehen und in einer größeren Gemeinschaft zu leben, hätte das Risiko bedeutet, dass ihre Visionen zunahmen, und die waren in einem Dorf mit weniger als vierzig Einwohnern schon schwer genug zu ertragen. Also hatte er Jayne nur mit sprachloser Bestürzung angestarrt, als sie mit bleichem Gesicht zwischen den anderen an der Küste stehen geblieben war und ihm nachgewinkt hatte.
Als das Schiff die Landzunge umrundete, waren alle in kleinen Gruppen zurück zu ihren Cottages gegangen und hatten die Lücke, die nun in ihrer Mitte klaffte, schon fast vergessen. Doch Ma Peg hatte Jayne in ihrer selbstgewählten Verlassenheit zitternd an der Küste stehen sehen, ihr die Hand gereicht und sie zum Abendessen mit zu sich genommen - und dort war Jayne geblieben. Zwei Jahre später - diesen Sommer - war Lorna gekommen und in Jaynes ehemaliges Zuhause gezogen, und so hatte sich das Rad des Insellebens weitergedreht, ein bisschen anders als zuvor und doch gleich.
Aber heute würde Jayne ausziehen. In einer Stunde würde sie Mrs Norman Ferguson sein, und heute Nacht würde sie neben ihrem Ehemann im Cottage Nummer zwei schlafen. Er lebte dort mit seiner jüngeren Schwester Molly; die beiden waren zu Waisen geworden, als er fünfzehn Jahre alt gewesen war und Molly gerade neun, und er passte gut auf sie auf. Keiner der Jungen aus dem Dorf hätte es je gewagt, Molly an den Haaren zu ziehen oder ihr einen Kuhfladen vor die Tür zu legen!
In den letzten Monaten waren die beiden Mädchen einander nähergekommen, trotz ihres Altersunterschieds. Molly hatte Jayne gefragt, ob sie noch einmal mit Norman spazieren gehen würde, auch wenn er kein gefühlvoller Mensch sei. Sie hatte ihr erzählt, was ihn interessierte, damit sie beim nächsten Mal ein Gesprächsthema hatten - und das hatte funktioniert, hatte die Förmlichkeit zwischen ihnen abgemildert, sodass ihre Spaziergänge häufiger geworden waren.
»Hier, wusste ich's doch, dass ich es noch irgendwo habe.« Ma Peg richtete sich langsam von der Truhe auf, in der sie gewühlt hatte, eine Hand auf dem Rücken, in der anderen ein dünnes Nachthemd, zerknittert und vergilbt. Soweit Jayne erkennen konnte, waren seine einzigen Vorzüge, dass es aus feinerer Baumwolle bestand als ihre üblichen Kleidungsstücke - die Sommerhemden eingeschlossen -, und dass es ein schwach fliederfarbenes Blumenmuster aufwies. »Das habe ich in meiner Hochzeitsnacht getragen.« Ma Peg drückte sich das Nachthemd gegen den kräftigen Körper. »Natürlich war ich damals noch wesentlich schlanker«, bemerkte sie kichernd. »Damals hat es mir wie angegossen gepasst. Ich weiß noch genau, wie Hamish mich angesehen hat .« Ihre Miene wurde weich bei der Erinnerung.
Jayne wartete angespannt. Sie brauchte mehr. Heute Nacht würde Molly hier bei Ma Peg schlafen, sodass Jayne und Norman ihre erste gemeinsame Nacht allein verbringen konnten, und Jayne hatte keine Ahnung, was auf sie zukam. Sie hatte versucht, Ma Peg zu fragen, was sie tun sollte, und ihre Antwort hatte gelautet, sie solle den Dingen einfach ihren natürlichen Lauf lassen - aber wenn sich zwischen ihr und Norman noch nicht einmal ein Gespräch auf natürliche Weise entspann, wusste sie nicht, wie das funktionieren sollte.
Ihr Gesicht musste ihre Unsicherheit verraten und die alte Frau dazu veranlasst haben, auf alle viere zu gehen und die Truhe zu durchsuchen.
»Achte nur darauf, dass du im Feuerschein stehst, Lassie.« Ma Peg sah sie mit einem wissenden Lächeln an. »Dann kommt er direkt zu dir.«
Jayne war verwirrt. »Im Feuerschein?«
»Du wirst schon sehen.« Ma Peg nickte und drückte Jayne das Nachthemd in die Hand, gerade als die Tür aufging und Mhairi MacKinnon hereinschaute.
»Molly und er sind gerade losgegangen«, berichtete sie aufgeregt. Zusammen mit Flora hatte sie in den letzten vierzig Minuten Wache gehalten und das Cottage des Bräutigams genau beobachtet, als müssten sie dafür sorgen, dass er nicht davonlief (auch wenn Jayne sich fragte, wie man das auf einer zwei Meilen langen Insel inmitten des Atlantiks bewerkstelligen sollte), und Effie Gillies war bei der Kirchentür »stationiert«, um sicherzugehen, dass er auch wirklich hineinging. Armer Norman! Jayne lächelte. Die Mädchen würden schon dafür sorgen, dass er sie heiratete, ob er nun wollte oder nicht.
»O Jayne! Du siehst so hübsch aus wie eine Fee!«, stieß Mhairi hervor.
Wirklich? Ma Peg hatte ihr das hellbraune Haar mit hundert Strichen gebürstet, damit es glänzte, und ihr dann Butterblumen und Gänseblümchen hineingeflochten. Auf den Inseln gab es keine Bäume, deshalb war eine Blütenkrone noch nie eine Option gewesen, aber jetzt war auch nicht die Jahreszeit für Wildblumen. Butterblumen und Gänseblümchen waren das Einzige, was ihnen zur Verfügung stand, und die Mädchen hatten den ganzen Vormittag damit zugebracht, welche zu pflücken.
»Lass mich mal!« Flora drängte sich an Mhairi vorbei, darauf erpicht, Jayne zu betrachten. »Oh! Du bist die schönste Braut, die ich je gesehen habe!«
Jayne wollte nicht darauf hinweisen, dass sie die einzige Braut war, die Flora je gesehen hatte, denn das Mädchen hatte verzückt die Hände vor der Brust verschränkt, und ihre grünen Augen leuchteten vor Aufregung. Mit ihren fünfzehn Jahren war Flora schon eine erstaunliche Schönheit, und sicher war ihr ein leichteres Leben bestimmt als das, was St. Kilda ihr bieten konnte. Jayne hatte das Gefühl, dass Floras Hochzeit weit spektakulärer sein würde als alles, was diese kleine Insel je gesehen hatte.
»Danke«, sagte sie ruhig. Sie musste dem Wort der Mädchen vertrauen, dass sie . vorzeigbar war. Manchmal fand sie die Aussicht, einen so gutaussehenden Mann zu heiraten, beängstigend, und sie musste sich daran erinnern, dass er derjenige war, der sie gewählt hatte; dass er etwas in ihr gesehen hatte, das ihm gefiel. »Du bist ein feines junges Mädchen«, sagte Ma Peg immer, wenn sie abends am Feuer saßen, strickten und über die Ereignisse des Tages plauderten, aber Jayne fiel es schwer, das zu glauben, nachdem sie ihr Leben lang übersehen worden war. Die Leute hielten Abstand zu ihr, genauso wie sie es bei ihrer Mutter getan hatten. Sie haben einen bestimmten Blick, wenn sie uns anschauen, Kind. Sie lächeln, aber sie sind immer misstrauisch, haben Angst vor dem, was wir gesehen haben könnten.
Jayne hatte immer das Gefühl, als würde sie einen Schleier tragen. Das, was die Menschen als Erstes von ihr sahen, war ihre »Gabe« des Zweiten Gesichts, die ihr immer einen Schritt vorauszueilen schien, sodass sie sich stets in ihrem Schatten bewegte. Sie wusste nicht, wie es sich anfühlte, wenn einem die Sonne ins...
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