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Insel Upolu, Samoa, 4. Dezember 2018
Die Morgensonne war nichts als eine Verheißung am Horizont, das Meer schwappte mit einem trägen Geräusch wie ein großes schlummerndes Tier hinter ihnen an die Felsen. Das Tosen in der Nacht, das sie erregt, geängstigt und wach gehalten, das sie barfuß von der Veranda aus beobachtet hatte, hatte sich glücklicherweise wieder gelegt. Die See hatte sich beruhigt, war wieder zahm, wenn auch nicht zähmbar geworden.
Die Wellen brachen sich nicht länger mit brüllender Gewalt an den Felsen. Nur gelegentlich spritzte ein wenig Gischt an ihre Beine, sodass sie eine Gänsehaut bekam, und eine kühle Morgenbrise strich um ihren Körper. Mit einem Schaudern fasste sie ihr langes Haar zusammen und band es mit einem Gummi zu einem Pferdeschwanz, dann zog sie den Riemen ihrer Taucherbrille fest. Neben ihr auf dem Felsen saß Zac und überprüfte noch einmal den Fotoapparat. Seine Muskeln wirkten im grauen Morgenlicht wie aus Marmor gemeißelt. Man konnte seine Erregung, seine nervöse Anspannung spüren, man sah es in seinen ruckartigen, hellwachen Bewegungen. Er hatte wie immer tief und selig geschlafen, hatte nichts mitbekommen von der Sinfonie aus zuckenden Blitzen und krachendem Donner, die sie wach hielt.
Bo unterdrückte ein Gähnen. Was gäbe sie nicht darum, jetzt noch im Bett liegen zu dürfen, unter dem sich träge drehenden Deckenventilator, zusammen mit Zac in ihrem breiten Mahagonibett, eingehüllt in das Moskitonetz wie in einen romantischen Kokon, der nicht nur die Insekten fernhielt, sondern auch die Welt da draußen. Die Müdigkeit steckte ihr noch in den Knochen, ihre Glieder waren bleischwer. Sie hätte alles gegeben, was sie besaß - den ganzen Rucksack voll -, wenn sie nur noch ein paar Stündchen zwischen den Baumwolllaken hätte verbringen dürfen.
Der Sprung ins kalte Wasser würde hart werden, das wusste sie schon jetzt, auch wenn ihr die Routine mittlerweile fast wie im Schlaf vertraut war - das Aufkeuchen, wenn das Wasser über ihr zusammenschlug, das Zusammenziehen der Muskeln und dann der Endorphinrausch, das Hochgefühl. Sie würde sich wacher, lebendiger fühlen als je zuvor. Und darum ging es schließlich, um diesen Rausch. Immer ging es darum.
»Bist du bereit?« Zac blickte sie an; die Taucherbrille mit Schnorchel hatte er auf die Stirn geschoben, die Flossen bereits an. Die Kamera hielt er, an den Selfie-Stick montiert, in der rechten Hand.
Bo grinste mit mehr Begeisterung, als sie tatsächlich fühlte. Sie nickte. »Let's do this.« Das war ihr Motto, das Letzte, was sie immer zueinander sagten, ehe sie den Atem anhielten und sprangen, sich fallen ließen oder losrannten.
Sie erhob sich vorsichtig, zog ihr Bikinihöschen am Po zurecht - sie trug den roten, der kam bei Videoaufnahmen unter Wasser am besten zur Geltung - und starrte hinab. Das Wasser der Lagune schwappte mit kleinen weißen Schaumkrönchen an die Felsen, ansonsten war alles ruhig. Sie holte ein paarmal tief Luft und machte sich mit dem Rhythmus der Wellen vertraut. Sie durfte weder zu früh noch zu spät abspringen - zu früh, und die Wellen würden sie gegen die Felsen schmettern, zu spät, und das abebbende Wasser wäre zu seicht und sie würde am Grund aufprallen.
Mit einem letzten tiefen Atemzug hob sie die Arme über den Kopf und sprang, begleitet vom hektischen Klicken der Kamera, kopfüber ins Meer. Sie tauchte ins Wasser, und das Platschen füllte ihre Ohren, ihre Muskeln krampften sich jäh zusammen, Luftblasen schwebten an ihr vorbei, während sie sank. Und dann stieg sie wieder nach oben, die Luft in ihrer Lunge wirkte wie eine Boje, ihr Kopf durchbrach die Oberfläche. Und da fühlte sie es wieder - diese Euphorie. Die grenzenlose Freiheit. Das absolute Glück, am Leben zu sein.
Zac tauchte nur wenige Sekunden später neben ihr ein - er konnte nie lange warten. Zusammen traten sie mit kräftigen Flossenstößen das Wasser, denn hier herrschte, wie man sie vorgewarnt hatte, eine starke Unterströmung. Sie setzten ihre Brillen auf.
»Kannslosgehen?«, nuschelte Zac mit dem Schnorchel im Mund. Sie nickte und gab ihm das verabredete Zeichen, das sie auch unter Wasser benutzten, wenn sie einander das Okay gaben. Sie holte tief Luft, und dann tauchten sie ab.
Sofort wurde das Geräusch der Brandung durch ein dumpfes Wogen ersetzt. Es war nicht vollkommen still, dafür gab es hier unten zu viel Energie und Aktivität. Sie stieß sich ab und tauchte unter der tonnenschweren Last der Felsen hindurch. Dabei spürte sie deutlich die Vergänglichkeit des Lebens, ihre Verwundbarkeit in dieser Unterwasserwelt: Ihr Überleben hing buchstäblich am seidenen Faden, ein Atemzug, und es wäre vorbei, vierzig Sekunden waren alles, was sie vom Tod trennten - vierzig Sekunden Luftvorrat in der Lunge. Die Sauerstoffmoleküle, die sie vor dem Abtauchen eingesogen hatte, waren alles, was sie jetzt noch am Leben hielt, und mit ihnen sämtliche Erinnerungen und Erfahrungen eines Lebens: der Anblick ihrer Mutter, die sie lächelnd am Schultor erwartete; ihre kleine Hand in der großen warmen ihres Vaters, wenn sie im Winter einen Spaziergang unternahmen; ihr Bruder, der mit diebisch funkelnden Augen beim Kartenspielen zu schummeln versuchte und überzeugt war, damit durchzukommen; wie das Leben allmählich aus seinen kälter werdenden Fingern wich .
Aber das Wasser glitt seidig an ihr ab. Sie war trotz des Sogs, der sie zurück ins Meer ziehen wollte, eine gute Schwimmerin, sie wusste, dass das Unterwasserstück bald zu Ende sein und sich der Tunnel ein wenig öffnen würde. Sie hatten sich zuvor gründlich informiert, sie wussten, was zu erwarten, was zu tun war. Wie Zac immer sagte: Sie waren zwar abenteuerlustig, aber deswegen noch lange nicht leichtsinnig. Und wirklich, schon wurde das Wasser ein wenig heller und seichter, und die Felsendecke öffnete sich. Den Arm vorsichtig nach oben streckend, tauchte sie auf und blies das Wasser aus ihrem Schnorchel, ehe sie ein paar dankbare Atemzüge tat.
Zac war dicht hinter ihr, das rote Licht an der Kamera blinkte noch immer.
»Nett hier«, meinte er und blickte sich mit einem anerkennenden Grinsen um. Sie befanden sich in einem schlauchartigen Tunnel. Er war etwa fünfzehn Meter lang, und die Decke wölbte sich nur dreißig Zentimeter über ihnen. Man musste den Kopf ein wenig schief halten, bekam aber ausreichend Luft.
Bo legte sich auf den Rücken und ließ sich von den Wellen schaukeln. Sie breitete Arme und Beine aus, um nicht an die Wände zu stoßen.
»Hallo!«, rief Zac und musste lächeln, als das Echo durch den Tunnel hallte wie eine Flipperkugel. . allo . llo . lo . o .
»Ich liebe dich!«, rief Bo. . Liebe dich . be dich . dich .
»Ich dich noch mehr!«, antwortete Zac. . ich noch mehr . noch mehr . mehr .
»Das glaub ich gern«, neckte sie ihn. Er startete eine Kitzelattacke, und sie wand sich quiekend.
»Ich werde dich immer lieben.«
»Freut mich sehr, das zu hören«, erwiderte sie grinsend.
»Du musst es jetzt auch sagen.«
»Ach ja?«, meinte sie spöttisch und wand sich dann unter einer erneuten Kitzelattacke. Ihr Gelächter hallte durch den Schlauchtunnel. »Bild dir bloß nichts ein!« Sie zog ihre sommersprossige Stupsnase kraus. »Dich sollte man besser kurzhalten.«
Zac musterte sie einen Moment lang, dann hob er jäh die Arme und stemmte sie gegen die Decke, wie Atlas, der die Weltkugel trägt. Sein Bizeps wölbte sich nass und glänzend in der Düsternis, während er Wasser trat. »Willst du mich heiraten?«, rief er.
. ich heiraten . heiraten . eiraten .
Bo klappte der Unterkiefer herunter. »Was hast du gesagt?«, keuchte sie, aber so leise, dass es kein Echo gab.
Zac grinste sie an, die Arme hoch an der Decke. »Ich sagte: WILLST DU MICH HEIRATEN, BO LOXLEY?«
. heiraten, Bo Loxley . raten, Bo Loxley . Bo Loxley . Loxley . ley .
Bo rang nach Luft, sie lachte auf, rang wieder nach Luft. Machte er Witze? Oder hatte er sich spontan hinreißen lassen? Heftig wassertretend versuchte sie sich einen Reim auf die Situation zu machen. »Du willst mich heiraten? Im Ernst?« Ihre Stimme war zu leise für ein Echo, nur ein Windhauch in diesem wässrigen Kanal.
»Ja, klar, was glaubst du denn?« Seine Augen hinter der Taucherbrille bohrten sich förmlich in die ihren, dann stieß er mit zugeschnürter Kehle hervor: »Du bist meine Seelenverwandte. Wir beide, wir gehören zusammen, Baby. Für immer. Du bist meine Familie.«
»Ach, Zac.«
Seine Augen leuchteten auf, ein freches kleines Grinsen umspielte seine Lippen. ». soll das >Ja< heißen?«
»Na klar soll das >Ja< heißen!« Sie lachte und schluchzte gleichzeitig. »JA!«
. Ja . Ja . aa .
»Juhuu!«, jauchzte er und ließ sich rücklings ins Wasser fallen, dass es spritzte. Dann schwamm er zu ihr und packte sie um die Taille. Er versuchte sie zu küssen, aber ihre Taucherbrillen standen zu weit vor, sodass ihre gespitzten Lippen sich kaum berührten.
»Los, raus hier. Ich möchte dich richtig küssen.«
»Ja«, stimmte sie zu und schaute sich um. An beiden Enden des...
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