Schweitzer Fachinformationen
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»Also ich finde die P-90 besser.« Jürgen Goss hob die Hände, als hielte er die belgische Maschinenpistole tatsächlich im Anschlag. Er richtete seine imaginäre Waffe quer durch das viel zu kleine und viel zu schlecht beleuchtete Büro auf einen ebenfalls imaginären Gegner. »Zack, zack! Direkt nebeneinander!« Er ließ sich gegen die Lehne sinken, sodass der Schreibtischstuhl bedenklich knarrte, und kicherte leise. »Und dann noch dieses coole, durchsichtige Magazin. Da siehst du genau, wie die Patronen eine nach der anderen .«
»Für den Nahkampf völlig in Ordnung, zugegeben.« Marc Dane hockte auf der Kante von Goss' ziemlich unordentlichem Schreibtisch und zuckte mit den Schultern. »Aber mir wäre etwas mit mehr Durchschlagskraft lieber.«
»Ein Sturmgewehr?«
Dane nickte. »Eine SCAR-L mit 5,56-Millimeter-NATO-Geschossen und extra großem Magazin. Dazu die ACOG-Zieloptik und ein Lasermarkierer. Ich steh auf Laser.«
»Lässt sich aber nicht so schnell nachladen«, bemerkte Goss und rutschte ein Stückchen nach vorne. Der Österreicher war ziemlich dick und versuchte zu ignorieren, dass er sich in dem viel zu schmalen Schreibtischstuhl fühlte, als hätte er einen Schwimmring um die Hüften. Aber er hatte auch keine Lust mehr, bei der Beschaffungsstelle ständig neue Möbel zu beantragen.
»Wenn du das Ziel gleich beim ersten Mal triffst, musst du auch nicht nachladen, oder?«, erwiderte Dane. »Weißt du, wo dein Problem liegt?«
»Du sagst es mir bestimmt gleich.« Goss seufzte.
Der Engländer tat so, als würde er mit einem Gartenschlauch seinen Rasen sprengen. »Viel zu viel Aufwand für viel zu wenig Ertrag.«
»Wenn genügend Blei in der Luft ist, muss irgendjemand dran glauben.«
»Ja, genau!«, erwiderte Dane. »Deine Teamkameraden, wenn wir so blöd sind und uns in deine Schusslinie verirren.«
Goss verdrehte die Augen. »Das musst du mir jedes Mal wieder aufs Butterbrot schmieren, stimmt's?« Anfang des Monats hatten sie bei einem Onlineturnier eine schmachvolle Niederlage gegen vier ziemlich unverschämte Schüler aus Texas hinnehmen müssen, nachdem Jürgens mangelhafte Disziplin an der Waffe zu einem klassischen Fall von Eigenfeuer geführt und das Match beendet hatte. »Mit einer richtigen Waffe könnte ich bestimmt viel besser umgehen.«
Da legte sich ein Schatten auf Danes Miene. »Das ist bloß viel weniger spaßig, als du denkst.«
Goss ging nicht weiter darauf ein. Der Engländer benahm sich manchmal ziemlich eigenartig. In der Regel war er ein gutmütiger und fleißiger Kerl, sogar was diesen ganzen nervtötenden Bürokram anging, und eigentlich immer zu einem Späßchen bereit - nur manchmal eben nicht. Dann schlug seine Stimmung um, als würde eine Wolke sich vor die Sonne schieben, und er wurde düster und unzugänglich.
Dane war, genau wie sein Kollege, Mitte dreißig, aber damit war auch schon das Ende der Gemeinsamkeiten erreicht. Goss hatte einen zerzausten Schopf aus fettigen schwarzen Haaren über einer hohen Stirn und dazu ein Gesicht, das besser zu einem Schuljungen als zu einem erwachsenen Mann gepasst hätte. Danes kurzes schmutzig-blondes Haar und seine Bartstoppeln hingegen bildeten den Rahmen für verwegene Gesichtszüge mit einem viel zu ernsten Ausdruck. Goss saß, wenn er ehrlich zu sich selber war, viel zu lange am Schreibtisch und machte viel zu wenig Sport, sodass sein Körper immer mehr Speck ansetzte. Dane hingegen wirkte hager und bestand überwiegend aus Sehnen und Muskeln.
Goss wusste nicht viel über den Mann, der erst vor Kurzem zu der Untersuchungskommission der Vereinten Nationen in Kroatien gestoßen war, aber er hatte ein paar Gerüchte gehört. Angeblich hatte er den britischen Geheimdienst unter eher unglücklichen Umständen verlassen. Allerdings hatte Goss nie nachgefragt. Nach seiner Erfahrung galten persönliche Fragen bei Engländern allgemein als sehr unhöflich.
Er beschloss, das Thema zu wechseln. »Kommst du nach der Arbeit noch mit auf ein Bier?«
»Nööh. Heute spielen die Weißen gegen Dynamo Zagreb.« Die Weißen, das war der Spitzname des Teams von Hajduk Split. »Dann sind die Kneipen voll mit Fußballfans, und du weißt ja, was das bedeutet.«
»Aber die Kroaten verwüsten nicht jedes Mal das Lokal, wenn ihre Mannschaft verliert, anders als eure Hooligans«, erwiderte Goss und wies mit einer Handbewegung auf die umgebenden Wände. »Wir sind hier in Split, nicht in London. Schon vergessen? Das ist eine kultivierte Stadt.«
»Halt bloß die Klappe.« Dane quittierte die sanfte Spitze seines Kollegen mit einem kurzen Lächeln. Goss hatte schnell herausgefunden, dass der Engländer Heimweh hatte, und zog ihn immer wieder gerne damit auf.
»Was haben Sie da gerade gesagt?« Die raue Stimme und der gebieterische Tonfall ließen beide Männer aufblicken. Sie drehten sich um und starrten zu der Nische hinüber, in der Goss' über alles geliebte Espressomaschine stand.
Die Stimmung des Österreichers sackte schlagartig in den Keller. Gedrungen und quadratschädelig spielte dort der Polizeiinspektor Franko Horvat mit einer schalenförmigen Kaffeetasse herum. Dabei starrte er die beiden anderen Männer durchdringend an.
Horvat hatte die unangenehme Eigenschaft, sich jedes Mal still und heimlich anzuschleichen. Er trug ein graues Sportsakko und eine Hose, die seit zwei Jahrzehnten aus der Mode war. Außerdem schien er ununterbrochen gereizt zu sein und einen Streit vom Zaun brechen zu wollen. Was ihm für gewöhnlich auch gelang.
Jetzt schwenkte er seine Tasse in Goss' Richtung. »Was war das gerade? Ich stamme aus Split! Wollen Sie mich etwa beleidigen?« Der Atem des Polizeibeamten roch nach kaltem Rauch.
»Er hat einen Witz gemacht«, erwiderte Dane. »Das ist österreichischer Humor, ned wooaa?!« Die letzten Worte waren eine miserable Imitation von Goss' Akzent und erzielten genau die gewünschte ablenkende Wirkung.
Goss blinzelte und war erleichtert, dass sein Kollege ihm zur Seite gesprungen war. Er empfand Horvat und die meisten anderen kroatischen Polizisten als bedrohlich, und es ärgerte ihn immer wieder aufs Neue, dass sie im selben Gebäude wie sie untergebracht waren. Als Jürgen Goss sich bei den Vereinten Nationen beworben hatte, hatte er auf ein glitzerndes Gebäude aus Glas und Stahl in Wien oder New York gehofft. Stattdessen musste er seine Arbeit jetzt in einer trostlosen Polizeiwache in Split verrichten.
»Wie funktioniert das gleich noch mal?« Horvat hantierte an der Espressomaschine herum und drückte sinnlos auf alle möglichen Tasten. Goss sprang auf, weil er Angst hatte, dass Horvat gleich etwas kaputt machen könnte.
»Lassen Sie mich das machen«, sagte er.
Horvat drückte ihm seine Tasse in die Hand und lächelte siegessicher. »Gern. Sie können das. Wie eine gute Hausfrau.«
Dane wies mit dem Zeigefinger nach oben. »Sie haben in Ihrem Stock doch auch eine Kaffeemaschine. Und trotzdem kommen Sie ständig hier runter. Wieso eigentlich?«
»Sie ist kaputt.« Horvat gab sich nicht einmal die Mühe, seine Lüge einigermaßen glaubhaft zu verpacken. Goss vermutete, dass der Polizist einerseits zu geizig war, um für seinen Kaffee zu bezahlen, und zum anderen die UN-Untersuchungskommission immer wieder daran erinnern wollte, in wessen Zuständigkeitsbereich sie sich eigentlich befanden. Er musterte Dane mit spöttischem Blick. »Na? Heute schon ein paar Bomben entdeckt?«
»Und Sie? Heute schon ein paar Kumpels verhaftet?«, gab Dane zurück. Es wurde viel darüber spekuliert, dass Horvat seine Dauerstellung bei der Policija eher seinen Beziehungen ins kriminelle Milieu als denen in die Strafverfolgungsbehörden zu verdanken hatte. Er war einfach so aalglatt, dass absolut nichts Verwertbares an ihm hängen zu bleiben schien. Aber er verstand, was die Bemerkung des Engländers zu bedeuten hatte, und sein breites Grinsen verschwand augenblicklich.
»Mislite da ste pametni.« Ganz egal, was Horvat gerade gesagt hatte, Goss war sich sicher, dass es eine Beleidigung gewesen war. »Sie müssten mal nach oben kommen«, fügte Horvat dann unter leisem Schnauben hinzu, während seine kleinen Augen sich zu Schlitzen verengten. »Da würden Sie zur Abwechslung mal richtige Polizeiarbeit zu sehen bekommen.« Er klopfte sich auf die Brust. »Dort, wo ein wichtiger Mann seinen Dienst verrichtet.« Er zeigte mit seinem nikotingelben Zeigefinger auf die Wand mit der großen Karte des Adriatischen Meeres und der umgebenden Länder. Die Karte war übersät mit Stecknadeln und angeklebten Datenblättern. »Nicht das da.«
Auf dem Rahmen über der Karte war die genaue Bezeichnung der Untersuchungskommission zu lesen: Abteilung für Nukleare Sicherheit (NSNS, Operative Einheit Nr. 7) - Internationale Atomenergiebehörde. Darunter war ein Logo zu erkennen, das einen Atomkern mit Elektronenkreisbahnen zeigte, der von zwei Olivenzweigen umschlossen wurde.
Horvats verächtlicher Kommentar über ihre Arbeit machte Goss stinkwütend, aber was sollte man von diesem Typen anderes erwarten? Horvats Vorstellung von Polizeiarbeit bestand darin, Verdächtige die Treppe hinunterzuschubsen, Bestechungsgelder anzunehmen und alle möglichen Verbrechen irgendwelchen Einwanderern in die Schuhe zu schieben. Die Vorstellung, dass es auch um akute Bedrohungen für die ganze Welt gehen konnte, überstieg seinen Horizont.
Goss hatte einmal versucht, ihm zu erklären, was die Abteilung für...
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