Schweitzer Fachinformationen
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Der Verkehr durch die Wachau ist stockend, und die Straße ist von parkenden Autos gesäumt. Die sommerlichen Abendtemperaturen locken Menschen aus ganz Niederösterreich und Wien zu den Sonnwendfeiern und in die umliegenden Heurigenlokale.
»Können wir nicht einfach zum Pulker-Heurigen gehen, uns eine Jause gönnen und wieder heimfahren?«, grantelt der Horvath, während er anhält und zwei Paare über die Straße winkt, die vom Ausg'steckt-Schild angezogen werden wie die Motten vom Licht. »Außerdem hab ich keine Lust, mitten in der Nacht im Stau zu stehen.«
Die Mimi schaut von ihrem Handy hoch. »Der Shaman hat gesagt, dass wir bei der Maria und ihm schlafen können. Dann kann dich der Shaman nach der Feier auf dem Moped zu ihnen bringen, wenn's dir zu weit ist, und die Maria und ich gehen die anderthalb Kilometer zu Fuß.«
Erneut muss der Horvath scharf abbremsen. Ungläubig deutet er auf den Bus, der mitten auf der Straße hält und aus dessen Innerem eine Schar von Senioren strömt.
»Sind die deppert?«, schimpft er und schüttelt den Kopf. »Ich werd ganz sicher nicht bei der Maria und eurem Guru schlafen, und auf ein Moped setz ich mich auch nie wieder mit ihm«, fügt der Horvath noch hinzu und spürt, wie sein Grant so richtig in Fahrt kommt.
»Schau, wie viele Autos da vorne parken«, erwidert die Mimi im denkbar schlechtesten Moment.
Der Horvath hat das längst selbst gesehen und wirft der Mimi einen fragenden Seitenblick zu. Früher hätte sie so was nicht gesagt. Da hätte sie eine Bestellung ans Universum gemurmelt oder ihn mit einem Spruch wie »Wenn du aufhörst, danach zu suchen, kommt alles ganz von selbst - sogar ein Parkplatz« um den Verstand gebracht. Wann ist sie so weltlich geworden?
»Ich hab doch gesagt, wir müssen früher wegfahren. Am Nachmittag wär weniger los g'wesen«, setzt sie noch eins drauf.
»Entschuldige, dass ich das Kapitel fertig schreiben wollt. Ich hab im August Abgabetermin, und der Krüger hat noch nicht einmal die Leiche g'sehen.«
»Dass du alles auf den letzten Drücker machst, liegt daran, dass du überhaupt nicht mehr in deiner Mitte bist. Du chantest nicht mehr mit mir und boykottierst unsere Seelenreisen. Kein Wunder, dass du so bist.«
»Wir haben unseren Hauptwohnsitz in Krems, nicht in Fantasia, da muss zumindest einer von uns richtig arbeiten. Ich beug mich seit einem Jahr deinem spirituellen Regime, aber lass mich wenigstens meine Bücher auf die Weise schreiben, die ich für richtig erachte.«
Aus den Augenwinkeln sieht der Horvath, wie sich die Mimi Kopfhörer in die Ohren steckt und den Blick demonstrativ von ihm abwendet. Irgendwas läuft komplett falsch, denkt er und grübelt vor sich hin. Nicht einmal die Aussichtslosigkeit, einen Abstellplatz für das Auto zu finden, regt ihn jetzt noch auf. Stattdessen ruft er sich die letzten Jahre mit der Helga in Erinnerung. Hat der Anfang vom Ende mit ihr nicht ähnlich ausgesehen?
Nach zwanzig Minuten hat der Horvath eine Parkmöglichkeit nahe den Feierlichkeiten gefunden, dafür ist die Mimi, die er zuvor aussteigen hat lassen, im Sonnwendchaos verloren gegangen.
Inzwischen dämmert es, und im Westen zucken die ersten Blitze einzelner Raketen am Himmel. Dafür interessiert sich am Donauradweg, der an Sonnwenden zur Partymeile umfunktioniert wird, noch niemand. Hier brutzeln Bratwürste auf dem Grill, während Neunziger-Jahre-Radiohits aus einem blinkenden Lautsprecher dröhnen.
Der Horvath hat seit einem halben Jahr keinen Schluck Alkohol getrunken und spürt, wie ihm der Wein zügig in den Kopf steigt. Er schiebt sich durch die Menschenmassen, grüßt die Leute mit einem regelmäßigen Nicken in alle Richtungen und hält nach der Mimi Ausschau. Wahrscheinlich sitzt sie mit dem Shaman in einer verdrehten Meditationspose am Donauufer und singt ein Mantra. Der Shaman hat Glück. Er bekommt die Mimi in ihrer Werkseinstellung als freundliche schamanische Hohepriesterin, während sie in seiner Gegenwart zunehmend zum Hausdrachen mutiert.
Eine Hand klatscht auf Horvaths Rücken. Er zuckt zusammen und lässt beinahe seinen Getränkebecher fallen.
»Bei uns ist es halt am schönsten, gell?« Stögers Grinsen entblößt zwei falsche glänzende Zahnreihen. »Ich wett, im Nibelungengau haben s' kommende Woche Regen.«
»Gehören Süffisanz und Egozentrik zum Parteiprogramm?«
»Du würdest dich wundern, was intern alles dazug'hört.« Der Stöger verpasst dem Horvath einen Schlag auf die Schulter, der schmerzhafter ist, als er ausschaut, und lacht schallend.
»Und wenn ich mir nicht selber der Nächste wär, wär ich nicht Bürgermeister.«
»Im Wein liegt die Wahrheit«, murmelt der Horvath, dem das Stück Langos, das er zuvor gegessen hat, ebenso unangenehm aufstößt wie die gesamte Situation.
»Können wir kurz allein reden?«, fragt der Stöger dann ernst und drängt sich vor dem Horvath durch die schmale Schleuse neben dem Getränkestand. Widerwillig folgt der Horvath ihm. Ach ja, es geht um die vermisste Eva Bergmann und um Benny Stahl, fällt ihm wieder ein. Da ihm Sonnwenden sowieso schon von der schlechten Stimmung zwischen der Mimi und ihm verdorben wurde, kann er sich auch das Palaver vom Bürgermeister anhören. Vielleicht schöpft er aus dem Gespräch eine Idee für den Kommissar-Krüger-Band, an dem er gerade arbeitet. Das Schreiben geht nur zähflüssig voran. Irgendwie fehlt ihm die zündende Idee, die den Plot zu etwas Besonderem macht. Der Druck auf ihn ist erhöht, seit er offiziell als der neue Krimi-Bestsellerautor Österreichs gilt, ohne dafür selbst Tausende Bücher kaufen zu müssen. Der große Reichtum blieb bisher dennoch aus, und wenn er daran denkt, dass er von seinen Tantiemen vielleicht bald eine Familie durchfüttern muss, wird ihm ganz flau. Das sind die Hormone, durchfährt es den Horvath, während er mit dem Stöger auf ein verlassenes Stück Donauufer zusteuert, wo er in seiner Jugend heimlich geraucht und seine ersten Petting-Erfahrungen gesammelt hat. Vielleicht ist die Mimi schwanger, und ihre seltsame Stimmung rührt daher? Der Horvath spürt das dümmlich-glückliche Lachen, das auf seinen Lippen liegt, während er dem Stöger ins Gesicht schaut, in dem er in diesem Moment nur die Mimi sieht.
»Kein Gegrapsche unter der Gürtellinie und Schmusen nur ohne Zunge«, erwidert der Stöger und hebt abwehrend seine Hände.
Der Horvath streicht sich mit der Hand über den Kopf. Sofort nach dem Gespräch wird er die Mimi suchen und mit ihr reden.
»Also«, fährt der Stöger fort, »die Eva ist weg, und keiner weiß, wo sie ist.«
»So weit waren wir schon am Telefon«, erklärt der Horvath und spürt Ungeduld in sich aufsteigen. Die Schiffe haben angelegt, was bedeutet, dass an beiden Donauufern bald die Feuerwerke abgeschossen werden. Er vernimmt den Drang, seine Mimi im Arm zu halten, wenn es losgeht. »Was heißt das, sie ist weg?«
»Sie ist gestern in der Früh nicht zur Arbeit erschienen. Der Bugl-Wirt ist rauf in ihr Zimmer, aber da war sie nicht. Ihr Auto parkt vor dem Haus, und auch sonst fehlt nix. Einen spontanen Urlaub kann man somit ausschließen.«
»Hat die nicht einmal ein Gspusi mit dem Freilich g'habt? Vielleicht weiß der was.«
»Das ist schon ein Weilerl her. Außerdem - mit wem hat die Eva kein Gspusi g'habt?«
Näher kommendes Stimmengewirr macht es dem Horvath schwer, zu verstehen, was der Stöger von sich gibt. Er denkt an Eva Bergmann, diese große, dürre Frau, die ihm beim letzten Besuch beim Bugl-Wirt leidenschaftslos das Bier vor die Nase gestellt hat. Wie der Dorfvamp ist sie ihm nicht erschienen mit ihrem gleichgültigen Blick und dem verhuschten Gehabe.
»Schau, gleich brennt die böse Hexe«, ruft eine Frau ihrem Sohn zu, der unbehelligt Steine ins Wasser schleudert und dabei »Fortnite, Fortnite, Fortnite« brüllt.
»Achtung, die Herren!«, tönt die Stimme eines Mannes in Feuerwehruniform. »Leg ma los?«
»Wir reden nachher weiter, Horvath«, schreit der Stöger, als unmittelbar neben ihnen das Feuer entzündet wird. Goldgelbe Flammen züngeln gierig um den Holzhaufen, als könnten sie es nicht erwarten, die Strohhexe zu verschlingen. Menschen drängeln sich bis an die Absperrung, und Handykameras werden - begleitet von »Ohs« und »Ahs« - auf das Geschehen gerichtet. Der Horvath spürt Hitze in seinem Gesicht und geht ein paar Schritte zurück.
Die plötzliche Stille ist die berüchtigte Ruhe vor dem Sturm. Als das Kreischen der Menschen einsetzt, hält der Horvath den Atem an. Aus dem aufgetürmten brennenden Holzhaufen ragt das Gesicht einer Frau, die ihm bekannt vorkommt. Die schulterlangen aschblonden Haare, das kantige, schmallippige Gesicht. Ist das Eva Bergmann? Nein, es ist Christel Hulatsch, wird ihm klar.
Die Sirenen ertönen so rasch, als hätte die Polizei um die Ecke auf diesen spektakulären Einsatz gewartet.
»Herrgott im Himmel, warum ausgerechnet jetzt?«, klagt der Stöger und zieht einen Flachmann aus der Innenseite seines olivgrünen Sakkos.
»Eine Frechheit von der Hulatsch, sich ausgerechnet in deiner Amtszeit umbringen zu lassen«, erwidert der Horvath, doch sein Sarkasmus prallt am Bürgermeister ab. Dieser nickt und nimmt einen Schluck Schnaps, dessen scharfes Aroma dem Horvath entgegenströmt.
»Halt, halt, halt!«, lallt der Stöger. »Wir wissen gar nicht, ob das Mord war. Die Wasserleiche letztes Jahr, wegen der dich der Altbürgermeister herzitiert hat, hat sich auch als Kajakunfall herausg'stellt.«
»Na, hineingestolpert in den Haufen und zufällig verbrannt wird die Hulatsch nicht sein.«
Der Stöger gibt ein verächtliches Schnaufen von sich. »Die...
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