Schweitzer Fachinformationen
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Ich kann es nicht leiden, wenn sich jemand aufdrängt. Etwas von mir will. Einen Haufen Fragen stellt.
Ich hasse es.
Wie heute. Schon als es an der Tür klingelt, spüre ich, dass etwas nicht stimmt. (Es klingelt nie jemand an meiner Tür. So gut wie nie.)
Als ich in den Flur gehe und durch den Türspion gucke, sehe ich eine dunkelhaarige, etwa fünfunddreißigjährige Frau im Treppenhaus. Ich erkenne sie wieder. Es ist die Frau, die am Dienstag, als ich entlassen wurde, draußen vor dem Haus stand und mir nachgesehen hat.
Ich weiß, warum sie hier ist. Ich habe solche Besuche schon häufiger bekommen.
Es fing vor acht Jahren an, nachdem ich den Fehler gemacht hatte, im Fernsehen aufzutreten (in einer seriösen Talkshow auf SVT). Die Vereinbarung war, dass ich die Gelegenheit bekommen sollte, etwas über mich selbst zu sagen, eine Stellungnahme abzugeben, mein Leben zu schildern (oder besser gesagt: den Mangel an Leben). Der Moderator (den Namen habe ich vergessen) hatte mir im Vorfeld lauter großartige Worte um die Ohren geschleudert: einmalige Gelegenheit, Rede und Antwort stehen, zu Wort kommen, von öffentlichem Interesse, bla, bla, bla .
Aber als die Sendung dann ausgestrahlt wurde, stellten sie mich als Psychopathen und Mörder dar.
«Bereuen Sie, was Sie getan haben?», fragte der Moderator.
Zoom auf mein Gesicht, meinen unsicher flackernden Blick: «Nein.»
Nach diesem Nein habe ich noch viel mehr gesagt. Dass ich mich nicht an den Mord erinnern und deshalb keine wirkliche Reue empfinden könnte. Doch all das hatten sie weggeschnitten.
«Hat man Sie bestraft?»
Neue Großaufnahme. Mein schiefes, unsicheres Lächeln, das auf dem Fernsehbildschirm einfach nur böse wirkte. «Nein.»
Und ein neuer Schnitt.
«Was für eine Art Beziehung hatten Sie zu Max?» Diese Frage stellte mir der Moderator während der Sendungsaufzeichnung immer wieder, und am Ende habe ich mit mechanischer Stimme geantwortet: «Er war mein Spielkamerad, mein Freund .»
«Trotzdem haben Sie ihn erschlagen?»
«Ja.»
Schnitt.
Nach jeder Frage.
Ich wurde Der böse Junge. Das Monster.
Seit dieser Ausstrahlung ist mein Fall (der in der Presse den Namen «Betonmord» erhielt) in diversen Fernsehsendungen und Zeitungsartikeln aufgetaucht. Meistens in Infokästchen mit wichtigen Eckdaten zu anderen Kindermorden. Und jedes Mal hat irgendein Oberschlauer anschließend meinen Namen gegoogelt und beschlossen, etwas zu unternehmen.
Meistens bekomme ich Briefe. «Für solche wie dich sollte man die Todesstrafe wieder einführen!» Krakelige Buchstaben, billiges Papier. Manche schneiden auch Buchstaben aus Zeitungen aus wie in anonymen Erpressungsschreiben.
Es hat mir auch schon mal jemand Fäkalien in den Briefkasten gesteckt (einmal) oder «Kindermörder» an meine Wohnungstür geschmiert (auch mit Fäkalien, zweimal). Als ich nach dem zweiten Mal gerade dabei war, die Schmiererei von meiner Tür zu entfernen, kam der Vorsitzende der Wohnungsgenossenschaft - ein etwa fünfunddreißig Jahre alter Schlipsträger mit weißem Hemd - und ermahnte mich, auf Sauberkeit zu achten und meinen Dreck zu beseitigen, sonst sähen sie sich gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen. Während er das sagte, hielt er sich demonstrativ die Nase zu und sah mich verächtlich an.
Deshalb stelle ich mich jetzt in die Mitte des Flurs und warte darauf, dass die Frau wieder verschwindet, damit ich ihren «Dreck» schnell beseitigen kann. Aber stattdessen öffnet sie die Briefklappe in der Tür und ruft durch den Schlitz:
«Ich höre die Musik. Ich weiß, dass Sie da sind. Machen Sie auf!»
Ich habe tatsächlich vergessen, die Stereoanlage auszustellen.
«Ich möchte nur mit Ihnen reden!»
Ich erkenne die Stimme wieder. Es ist diese Journalistin, die mich vor ein paar Tagen angerufen hat.
«Machen Sie auf! Oder ich schreie durch den Briefschlitz.»
Ich mache auf. Aus Angst, glaube ich. Davor, dass die Nachbarn etwas mitbekommen oder der Lackaffe von Vorstandsvorsitzendem zufällig vorbeiläuft.
«Was soll das?», fragt die Frau jetzt. «Warum haben Sie nicht aufgemacht?»
Sie sieht mich wütend an, als hätte ich ihr etwas getan. Im nächsten Moment schlüpft sie geschickt an mir vorbei in den Flur. Während ich noch phlegmatisch im Türrahmen stehe, dreht sie sich schon wieder zu mir um. Ihre dunkle Pagenfrisur (seit wann ist dieser Schnitt wieder modern?) schwingt dabei wie ein Kettenkarussell um ihr Gesicht.
«Ich heiße Lexa, Lexa Andersson. Die meisten nennen mich Lex. Ich bin Journalistin», feuert sie mir entgegen.
Als ich keine Antwort gebe, fährt sie fort:
«Sie sind doch Robert Lindström, oder?»
Sie spricht so schnell, dass ich kaum verstehe, was sie sagt. Sie rattert die Silben herunter wie ein Fernschreiber in einem alten Film. Trotzdem nicke ich, murmele ein «Ja».
Sie lächelt. Triumphierend. Ich sehe sie unfreundlich an.
«Was wollen Sie? Ich will nicht, dass Sie .»
«Ich möchte mit Ihnen reden.» Sie marschiert ins Wohnzimmer, bleibt mit einer Hand in die Hüfte gestemmt stehen und inspiziert den Raum.
Vielleicht sollte ich erwähnen, dass - obwohl ich seit fast zehn Jahren in dieser Wohnung lebe - die einzigen Möbelstücke, die ein wenig Wohnlichkeit verbreiten, drei zusammengewürfelte, randvolle Bücherregale an der Stirnseite des Wohnzimmers sind. Taschenbücher, Folianten, Unterhaltungsromane, Fachbücher - in einer chaotischen Unordnung über- und nebeneinandergestapelt.
Der Rest der Wohnung vermittelt einen kalten oder besser: spartanischen Eindruck. Als hätte jemand nur eine Handvoll ausgedienter Möbel in den Zimmern verteilt. Willkürlich. Ohne nachzudenken. Ein durchgesessenes grünes Vierziger-Jahre-Sofa (vom Flohmarkt), ein zerkratzter Glastisch, der vorne etwas schief ist (auch vom Flohmarkt) und eine weiße Blumensäule in der Ecke (ein Erbstück meiner Eltern, meiner leiblichen).
Das ist alles. Der Rest ist leere Fläche.
Ich weiß auch nicht, warum. Ich habe mir Mühe gegeben.
Ehe ich sie davon abhalten kann (eine linkische Hand auf ihrem Arm, die sie nicht zu bemerken scheint), geht sie zum Sofa. Zwei der drei Sitzplätze sind unter Bergen von Papieren verschwunden. Überwiegend «wichtige Papiere»: Ungeöffnete Schreiben von der Bank, Jahresabrechnungen, Broschüren vom Finanzamt . Sachen, die ich hasse, die ich mich aber nicht wegzuwerfen traue. Doch dazwischen stecken auch ausgerissene Zeitungsseiten, deren malträtierte Ränder aus dem Wust hervorragen.
Sie zieht eine der Zeitungsseiten heraus und beginnt zu lesen. Dann sieht sie mich verblüfft an.
«Heben Sie die auf? Artikel über Kindermörder?»
Ich nicke verlegen, als hätte sie mich bei etwas Unanständigem ertappt.
Ich bin nicht die Nummer eins der «Kinder, die getötet haben»-Liste - es gibt einen Jungen, der erst fünf war, als er gemeinsam mit seinem Bruder einen Spielkameraden erwürgt hat. Meistens liege ich auf dem dritten oder vierten Platz, je nachdem, welche Fälle noch berücksichtigt werden.
Falls ihr euch fragt: Ich bin kein Messie. In meiner Wohnung gibt es keine Zeitungsstapel, die bis zur Decke reichen, keine schmalen, von Müll gesäumten Durchgänge, nichts in der Art.
Lexa geht weiter ins Schlafzimmer (ungemachtes Bett, Schmutzwäsche auf dem Boden). Ihre Schritte wirbeln eine Wollmaus auf, die im Luftzug über den Boden gleitet, als würde sie ihr neugierig folgen.
Als sie am Ende ihrer Wohnungsinspektion die Küche erreicht, dreht sie sich zu mir um.
«Sie sind verrückter, als ich dachte», sagt sie.
Einfach so. Kein ironischer Tonfall, kein freundliches Lächeln. Sie mustert mich. Irgendetwas in ihr spannt sich an, ihr Kiefer verkrampft sich. Ich sehe deutlich, wie sie zum Zeichen ihrer unumstößlichen Entschlossenheit die Halsmuskeln anspannt, als wolle sie ein störrisches, beschwerliches Hindernis in Angriff nehmen (mich).
Sie: Elegante schwarze Kleidung, die auf diese frisch gewaschene, saubere Art raschelt, eine Silberkette mit Anhänger, der leise klirrt, als sie zerstreut meine Küchenschränke öffnet und die Regale in Augenschein nimmt.
Ich: Ein schlabbriges T-Shirt mit einem Ketchupfleck auf der Brust (sehe ich jetzt erst), eine verwaschene, schmuddelige Jeans. Mehr nicht. Nicht mal Socken. Wahrscheinlich rieche ich nach Schweiß.
«Wo haben Sie den Kaffee?», fragt...
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