Schweitzer Fachinformationen
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Nach reiflicher Überlegung hatte sich Katharina Schofeld dazu entschlossen, ihren kleinen Buchladen am Markt in Heiligenhafen zum Jahresbeginn erst ab elf Uhr zu öffnen. Zumindest für die erste Zeit des neuen Jahres. Sie war zwar auf jeden Cent angewiesen, den das kleine Geschäft abwarf, aber ihre familiäre Situation ließ zurzeit einfach keine andere Möglichkeit zu.
Eine spätere Öffnung des Geschäfts würde Katharina die Gelegenheit geben, sich intensiver um ihren Vater zu kümmern. Konrad Schofeld lebte seit dem Tod von Katharinas Mutter vor sechs Jahren allein in dem großen Haus am Ortsrand von Heiligenhafen und war vor einem Jahr an Demenz erkrankt. In den vergangenen Monaten hatte sich sein Zustand verschlechtert, woraufhin Katharina vor einigen Wochen beschlossen hatte, fürs Erste zu ihm zu ziehen. Aber auch ihre Anwesenheit hatte nicht verhindern können, dass ihr Vater in den letzten vier Wochen zweimal ausgebüxt war. Stets in der Nacht, wenn sie bereits im Bett gelegen hatte. Das erste Mal hatte sie im Halbschlaf das Geräusch der ins Schloss fallenden Haustür vernommen und es gerade noch geschafft, Konrad von dem Betreten der Hauptverkehrsstraße abzuhalten, die hinter dem Nachbarhaus verlief. Als Folge dieser nächtlichen Aktion hatte sie an Eingangs- und Terrassentür Sicherheitsketten anbringen lassen, in der Hoffnung, dass Konrad diese in verwirrtem Zustand nicht aufbekam. Allerdings hatte sie an einem Abend in der vergangenen Woche vergessen, die Kette an der Terrassentür einzuhaken, woraufhin ihr Vater prompt zu einem weiteren nächtlichen Ausflug aufgebrochen war. Dieses Mal hatte Katharina tief und fest geschlafen und Konrads Abwesenheit erst am nächsten Morgen bemerkt. Nachdem ihre panische Suche in der näheren Umgebung erfolglos geblieben war, hatte sie die Polizei alarmiert. Diese hatte ihr Konrad, der auf dem Friedhof am Grab seiner Frau aufgefunden worden war, zwar wohlbehalten zurückgebracht, aber seit diesem Vorfall fand Katharina nur schwer in den Schlaf und schreckte zwischendurch immer wieder hoch aus Angst, dass es Konrad doch gelang, die Sicherheitsketten aufzubekommen, und er womöglich zu weiteren nächtlichen Exkursionen aufbrechen würde. Sie konnte ihn ja schließlich nicht am Bett festbinden, und seine Zimmertür abschließen ging auch nicht, falls er nachts einmal zur Toilette musste oder Hunger bekam und sich etwas aus der Küche holen wollte.
Wenigstens tagsüber musste sie sich nicht allzu sehr beunruhigen, denn da war für Konrad gesorgt, woran der Pflegedienst, der dreimal am Tag für maximal eine halbe Stunde kam, allerdings den geringsten Anteil hatte. Zum Glück gab es Amelie, eine verwitwete Nachbarin und langjährige Freundin ihrer Eltern, die schon immer im Haus ein und aus gegangen war und jetzt mehrere Male am Tag vorbeikam, um nach Konrad zu sehen. Wenn Katharina keine Zeit gehabt hatte, etwas vorzukochen, brachte Amelie Essen mit oder animierte Konrad, mit ihr zusammen zu kochen. Sie sprang auch dann ein, wenn Katharina am Abend einmal etwas vorhatte, was allerdings nicht häufig der Fall war. Sie hatte zeit ihres Lebens nur wenige Freunde gehabt, und im Moment war es ihr einfach wichtig, so viel Zeit wie möglich mit ihrem Vater zu verbringen. Im vergangenen Jahr war er achtzig geworden, wer konnte sagen, wie lange sie ihn noch bei sich haben würde. Der Gedanke daran schmerzte sie, denn wenn Konrad nicht mehr war, hatte sie keine Familie mehr.
Im Augenblick war eine Verkürzung der Öffnungszeiten natürlich noch nicht möglich. Die Weihnachtszeit hatte begonnen, und häufig erschienen die ersten Kunden schon kurz nach Öffnung des Geschäfts um neun Uhr, um nicht nur nach Büchern Ausschau zu halten, sondern sich auch in dem angegliederten kleinen Café bei handgefertigten Leckereien aus einer kleinen Schokoladenmanufaktur und einem Kaffee oder Tee auf einen Plausch mit der Inhaberin niederzulassen. In solchen Momenten war Katharina froh, dass sie das Geschäft ihrer Eltern nach der Übernahme im vergangenen Jahr über den reinen Verkauf von Büchern hinaus erweitert hatte und ihren Kunden zusätzlich zu dem Lesecafé auch noch eine Reihe von Accessoires anbieten konnte, die für sie unweigerlich zu einer gemütlichen Lesestunde dazugehörten. Flauschige Plaids, um sich bei der Lektüre gemütlich darin einzumummeln, Lampen für das richtige Licht oder eine Anzahl unterschiedlichster Lesekissen, die vor unbequemen Positionen und Nackenschmerzen bewahrten.
Katharina liebte es, sich mit schönen Dingen zu umgeben, und konnte endlose Stunden mit dem Aufstöbern geschmackvoller Accessoires verbringen, die sie mit viel Liebe in ihrem Laden arrangierte. Zu ihrer eigenen Erbauung und der ihrer Kunden, die ihr immer wieder versicherten, dass Buch und Mee(h)r ein Schmuckstück geworden sei und wie gerne sie bei ihr einkaufen würden. Ein Geschenk in Zeiten des Internets.
»Ich hab Angst, dass ich Papa doch irgendwann in ein Heim geben muss«, sagte Katharina deprimiert, nachdem sie ihre Freundin Uta begrüßt und auf dem Beifahrersitz von deren Ford Mondeo Platz genommen hatte. Uta hatte angeboten, sie in die Werkstatt zu fahren, wo Katharina ihren Wagen abholen wollte, der nach einer zweitägigen Reparatur endlich fertig geworden war. »Er ist so verwirrt in den letzten Tagen, dass ich ihn schon gar nicht mehr allein lassen mag.«
»Aber ich denke, dass eure Nachbarin häufiger nach ihm schaut.«
»Ja, aber sie kann nicht ständig bei ihm sein. Und wenn er so tüdelig ist wie in den letzten Tagen, braucht er eine Rundumbetreuung.«
»Deshalb wolltest du doch den Laden später öffnen, damit du tagsüber auch noch einen Teil übernehmen kannst.«
»Ja, das will ich auch immer noch. Aber ich frage mich manchmal, ob diese zwei zusätzlichen Stunden nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein sind.«
»Ich würde das erst mal ausprobieren, Kathi. Mach dich nicht jetzt schon verrückt.« Uta startete den Motor und lenkte den Wagen auf die K42, an der auf halber Höhe zwischen Großenbrode und Heiligenhafen das Haus von Konrad Schofeld in einer kleinen Wohnsiedlung lag. »Und wenn du feststellst, dass die Zeit nicht ausreicht und das alles zu viel für dich wird, überlegst du noch mal neu. Vielleicht bringt es was, eine ausländische Pflegekraft einzustellen. Da hört man doch viel Gutes.«
»Ich weiß nicht«, sagte Katharina nachdenklich. »Papa hat Angst vor fremden Menschen, wenn er in seinen verwirrten Zustand gerät. Das wäre für ihn ein zusätzlicher Stressfaktor.«
»Es wird aber auch Zeit, dass du mal wieder an dich denkst, denn du bist doch schon lange nur noch ein Nervenbündel. Erst die Sache mit diesem verdammten Fenske und jetzt auch noch die Sorge um deinen Vater . Wann hast du das letzte Mal eine Nacht durchgeschlafen, ohne ständig hochzuschrecken?«
Katharina seufzte. Das kam wirklich nur noch selten vor.
»Siehst du!«, sagte Uta, als hätte sie die unausgesprochene Antwort vernommen.
»Ich hatte gehofft, dass ich bei Papa ein bisschen zur Ruhe komme und diese ständige Angst verschwindet, wenn ich weiß, dass jemand in meiner Nähe ist.«
»Aber dein Vater kann dir nicht helfen, wenn Fenske irgendwann vor der Tür stehen sollte.«
»Dann glaubst du also nicht, dass er sich an das Kontaktverbot halten wird?«
»Ach, Süße, ich weiß es nicht. Ich würde so gerne Ja sagen, allein schon, um dich zu beruhigen, aber du hast mir doch erzählt, wozu dieser Mann fähig ist.«
Katharina schluckte bei dem Gedanken, wie schön es seinerzeit begonnen hatte und in welchem Albtraum sie schließlich gelandet war.
»Kannst du bitte noch kurz beim Laden vorbeifahren«, bat sie Uta. »Ich will ein Schild an die Tür hängen, dass ich etwas später komme. Das hab ich gestern Abend total vergessen.«
»Kein Problem.«
»Danke.« Katharina bedachte Uta mit einem Lächeln. Sie war so dankbar für ihre Freundschaft, die zwar erst seit einem knappen Jahr bestand, sich aber so anfühlte, als würden Uta und sie sich bereits seit Ewigkeiten kennen. Uta wusste, warum Katharina Eutin verlassen hatte, kannte deren nie versiegende Angst, dass Fenske irgendwann in Heiligenhafen auftauchen würde. Uta hatte ihr stets Mut gemacht und versprochen, dass sie gemeinsam gegen ihn vorgehen würden, sollte er dieses tatsächlich wagen.
»Wann kommt denn eigentlich dieser Reporter, der den Artikel über den NABU schreiben will?«, fragte Uta.
»Am 16. Dezember.«
Katharina hatte schon immer ein großes Interesse für den Naturschutz gehabt und engagierte sich seit ihrem Umzug nach Heiligenhafen in der NABU-Station auf dem Graswarder. Für Mitte des Monats hatte sich nun ein Redakteur des Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlags angekündigt, der einen Artikel über die Station schreiben wollte.
»Es wäre ja eigentlich Sache eures Chefs gewesen, diesem Typen ein Interview zu geben. Mir gefällt der Gedanke überhaupt nicht, dass jetzt etwas über dich in der Zeitung steht, womöglich noch mit Foto. Das bringt Fenske unter Umständen doch wieder auf den Plan«, meinte Uta und blickte sie kurz von der Seite an.
Katharina wiegelte ab. »Der Artikel soll nur im Regionalteil erscheinen.« Insgeheim hegte sie ähnliche Befürchtungen wie ihre Freundin, denn wer konnte sagen, wo Fenske sich gerade herumtrieb und ob er die Zeitung womöglich in die Hände bekam. Andererseits wusste er, dass ihr Vater in Heiligenhafen lebte, und dürfte deshalb sowieso davon ausgehen, dass sie hierher geflüchtet war. »Es gab leider keine andere Möglichkeit. Heiko ist in Urlaub, und die Sache konnte nicht verschoben werden.«
Uta schnalzte missbilligend, erwiderte aber nichts, sondern bog in Richtung Markt ein, wo sie...
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