Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Blut. Noch nie hat er darüber nachgedacht, wie rot es ist.
Und wie viel davon ein Frauenkörper enthält.
Genug, um eine ganze Küche, eine ganze Diele und die ganze Treppe vom dritten Stock bis zur Haustür rot zu färben. Und dennoch bleibt ihr genug, um die Flucht fortzusetzen, weg von hier.
Der Putzlappen in seiner Hand wird immer dunkler. Er drückt den Rücken durch, stellt seine Füße fest auf den Boden und stemmt sich mit seinem vollen Gewicht gegen den PVC-Boden der Küche, um auch noch den letzten Fleck zu beseitigen. Dann wäscht er den Lappen im warmen Wasser des Eimers aus und rutscht auf Knien auf die Schwelle und die klebrigen Ritzen zu.
Was geschehen ist, geht niemanden etwas an. So läuft das nun einmal in einer Familie.
Mama hat wie ein verwundetes Tier gejammert, als sie nach draußen rannte, ohne sich noch einmal umzudrehen, gejagt von den Blutspuren, an denen er immer weiter herumschrubbt, bis nichts mehr zu sehen ist.
Leo erhebt sich wieder und streckt die Beine aus, nachdem er lange in ein und derselben Stellung verharrt ist. Seltsam. Eigentlich müsste er erschöpft sein, doch er fühlt sich irgendwie aufgekratzt und ruhig zugleich. Und stärker denn je. Jeder seiner Gedanken ist klar. Er weiß genau, was er zu tun hat. Ein unvergleichliches Gefühl, vielleicht wie damals, als er zum ersten Mal etwas getrunken hat, jener Augenblick, kurz bevor er zu betrunken war. Nur dass das Gefühl jetzt viel besser ist.
Das Küchenfenster mit den gestreiften Vorhängen geht auf die Straße. Leo schaut hinaus, sucht mit dem Blick nach Mama, die nicht mehr da ist. Nur die Flecken sind geblieben.
Und Papa?
Ist er wirklich noch da? Warum sitzt er da unten im Auto, als wäre nichts geschehen? Worauf wartet er eigentlich? Die Polizei kann doch jeden Moment hier auftauchen, verdammt.
Papa ist vom Gefängnis in der Nähe von Stockholm direkt hierhergefahren und hat die Wohnung gestürmt, um Mama zu töten. Aber er, sein ältester Sohn, ist auf seinen Rücken gesprungen, hat ihm den Arm fest um den Hals gelegt und so lange gekämpft, bis Papa aufgeben musste.
Die Küche ist fertig, keine Spur mehr vom Blut, alles riecht sauber.
In der Diele ist es schwieriger. Dort ist sie mehrere Male ausgerutscht, und die Flecken sind größer, fast wie Pfützen. Nachdem er lange geschrubbt und sich bis ins Treppenhaus vorgearbeitet hat, werden sie endlich kleiner. Das Putzwasser ist eher rötlich trüb als durchsichtig.
Dann schleicht er sich wieder zur Gardine.
Der gelbe VW-Bus steht immer noch dort unten. Papa sitzt am Steuer, die Tür ist geöffnet, und sein linkes Bein ragt heraus. Seine graue, weite Anzughose flattert im Wind, und er schlägt mit seinem braunen Lederschuh auf den Asphalt.
Papa scheint auf jemanden zu warten, was sonst hätte er dort zu tun?
Glaubt er etwa, dass Mama zurückkommt?
Oder ist Papa wütend und enttäuscht, denkt Leo, weil ich mich eingemischt habe, als er gerade Mamas Kopf erwischt hatte und ihr immer wieder das Knie ins Gesicht rammte? Hat er etwa vor, ins Treppenhaus und in die Wohnung im dritten Stock zurückzukehren? Bin jetzt ich an der Reihe? Schließlich habe ich dafür gesorgt, dass sie entkommen konnte, dass sie lebt.
Aber das Wilde, Lebendige und beinahe Glückliche in seinem Innern verdrängt die Angst. Er hat keine Angst, nicht einmal vor Papa.
Auf dem Frotteeteppich im Badezimmer liegt Mamas grüner Erste-Hilfe-Kasten mit dem Verbandszeug. Der Deckel mit dem weißen Kreuz steht offen. Jemand hat darin herumgewühlt. Er lässt ihn liegen, denn er muss erst den Putzlappen in die Mülltonne werfen und sich dann Mamas Blut vom Körper waschen.
Das warme Wasser spült die blutige Schicht von seiner Haut und bildet einen hübschen hellroten Wirbel, bevor es im Abfluss verschwindet.
Felix machte sich Sorgen. Das ist seine Art, aber dieses Mal war deutlicher als sonst zu erkennen, dass es ihm nicht gut ging. Vincent, sein jüngster kleiner Bruder, sagte kein Wort, sondern schloss nur seine Zimmertür hinter sich und kam nicht mehr zum Vorschein.
Ein dritter Kontrollblick durch das Küchenfenster. Jetzt. Jetzt kommt die Polizei. Und Papa, dieser Idiot, bleibt einfach sitzen! Geholt haben sie ihn schon früher einmal. Vor vier Jahren. Das war, als Papa mit Molotowcocktails das Haus von Leos Großeltern angezündet hatte, weil Mama sich dort versteckte. Aber damals war es umgekehrt - damals hatte die Polizei auf Papa gewartet, jetzt wartete Papa auf die Polizei.
Wenig später steht einer von denen im Treppenhaus und klingelt an der Wohnungstür. Er ist groß und noch ziemlich jung, das sieht Leo durch den Spion. Der Polizist betritt die Diele und merkt rein gar nichts. Das Blut ist weggewischt.
»Hallo, ich heiße Peter Eriksson und bin Polizist. Gleich kommt eine Sozialarbeiterin. Du musst dir also keine Sorgen machen.«
»Ich mache mir keine Sorgen. Warum sollte ich mir Sorgen machen?«
»Wie heißt du denn?«
»Leo.«
»Und wie alt bist du?«
»Alt genug.«
»Wie alt?«
»Vierzehn.«
Jetzt schaut sich der Bulle in der Diele um und beugt sich vor, um einen Blick in die Küche zu werfen. Aber dort ist nichts zu sehen, alles ist wie vorher, der Tisch steht wieder an seinem Platz, die beiden Stühle hat er aufgerichtet und unter den Tisch geschoben. Sogar der Flickenteppich, den er umgedreht hat, um die Blutflecken verschwinden zu lassen, liegt glatt zwischen den Tischbeinen.
»Ist es hier passiert?«
»Was?«
»Dein Vater hat es schon zugegeben. Ich weiß also, was passiert ist. Ich bin hier, um mir den Tatort anzusehen.«
»Hier ist es passiert.«
»Wo?«
»In der Diele hat es angefangen, und in der Küche war es dann zu Ende.«
Der Bulle lässt seinen Blick durch die Wohnung schweifen - über den Fußboden in der Diele und dann über die Schwelle in die Küche.
»Ich sehe, dass du geputzt hast. Es riecht sogar noch nach Reinigungsmittel. Aber das ist jetzt nicht so wichtig. Dafür hätte ich gerne gewusst, ob dein Vater früher schon mal hier war.«
»Er wohnt seit Jahren nicht mehr bei uns.«
»Also war er noch nie in dieser Wohnung?«
»Nein. Wir sind vor vier Jahren aus Stockholm hierhergezogen. Als Papa ins Gefängnis kam.«
Die Hand des Bullen auf der Türklinke. Offenbar will er gehen. Keine weiteren Fragen von jemandem, den das alles nichts angeht.
»Da ist noch was.«
»Ja?«
»Die Sozialarbeiterin vom Jugendamt heißt Anna-Lena. Sie wird dir und deinen Brüdern helfen.«
»Wir brauchen keine Hilfe.«
»Alle brauchen irgendwann einmal Hilfe.«
Dann geht er wieder. Kein Wort darüber, was aus Mama geworden ist. Papa hat aufgegeben. Vielleicht ist es ja deswegen.
Felix versteckt sich noch immer hinter der Couch im Wohnzimmer, kriecht aber hervor, sobald Leo ihm ein Zeichen gibt.
»Ist sie . tot? Leo, ist sie tot? Sag schon.«
»Natürlich ist sie nicht tot.«
»Und wo ist sie dann? Wo, Leo? Sie muss schwer verletzt sein.«
»Sie ist Krankenschwester. Sie weiß, was sie zu tun hat. Wo sie hingehen muss.«
»Wo soll sie denn hin? Findet er sie denn nicht überall?«
»Nein. Die Polizei hat Papa festgenommen.«
»Ich kapier es einfach nicht.«
»Was kapierst du nicht?«
»Warum er hier aufgetaucht ist und sie totschlagen wollte.«
»Weil Mama die Familie auseinandergerissen hat.«
»Du wiederholst doch nur, was Papa gesagt hat.«
»Stimmt überhaupt nicht. Aber ich kenne Papa eben besser als du. So ist er eben.«
»Aber wenn sie .«
Leo fängt die aufgeregt rudernden, fuchtelnden Arme seines kleinen Bruders ein, um ihn zu beruhigen.
»Felix. Ich verstehe, dass du dir Sorgen machst und Angst hast.«
»Ich .«
»Aber ich weiß, dass sie es geschafft hat. Ich habe es selbst gesehen. Und jetzt musst du mir mit Vincent helfen, Felix. Okay?«
Leo lässt die beiden Arme, die ihn zu verstehen scheinen, los. Sie haben aufgehört zu fuchteln.
»Okay.«
Gemeinsam nähern sie sich der geschlossenen Tür.
»Vincent?«
Ihr kleiner Bruder antwortet nicht. Vorsichtig drückt Leo die Türklinke nach unten. Abgeschlossen. Er späht durch das Schlüsselloch, sieht nichts, der Schlüssel ist im Weg.
»Vincent, mach auf.«
Beide legen ein Ohr an die Tür und hören ihn dort drinnen schwer atmen.
»Der Verbandskasten.«
»Ist mir auch aufgefallen. Auf dem Badfußboden. Wenn er sich etwas angetan hat, Leo, wenn er .«
»Ich kümmere mich drum.«
Leo ist schon unterwegs. Irgendwohin. Durch die Diele, Richtung Treppe.
»Wo willst du hin?«
»Zum Fallrohr.«
Felix ist nicht gern allein, wenn er sich nicht selbst fürs Alleinsein entschieden hat. Er betrachtet Vincents verschlossene Tür, die Farbe, die am unteren Rand der Tür abgeblättert ist, und die Klinke - als könne er sie durch reine Willenskraft öffnen. Er weiß genau, was Leo vorhat. Er wird hinunter auf den Hof hinter dem Mietshaus rennen. Von dort klettern sie, wenn sie den Wohnungsschlüssel vergessen haben, das Fallrohr hoch und auf den Balkon. Aber jetzt bringt das nichts, denn es geht ja um Vincents Tür. Also muss er am anderen Fallrohr hochklettern, das zwischen Mamas Schlafzimmer und Vincents Zimmer in den Himmel steigt. Es verläuft direkt...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.