Schweitzer Fachinformationen
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Ein Mitarbeiter sackt plötzlich am Schreibtisch zusammen: Herzinfarkt. Jede Hilfe kommt zu spät. Die Kollegin, die vor einiger Zeit mit vielen Glückwünschen in den Mutterschutz verabschiedet wurde, kommt als Trauernde zurück an den Arbeitsplatz: Ihr Kind starb kurz nach der Geburt. Der ansonsten zuverlässige und immer freundliche Projektleiter wirkt zunehmend unkonzentriert und cholerisch: Die Trauer um seine vor einigen Wochen verstorbene Frau nimmt ihn mehr mit, als er es wahrhaben will.
Und dann erlebe ich Reaktionen wie die einer Personalreferentin, die sagte: »Trauerthemen gibt es bei uns im Unternehmen nicht. Das machen die Leute mit sich selbst aus. Das ist ja auch Privatsache.« Der Gründer eines Start-up-Unternehmens mit vielen jungen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zwischen 20 und 30 meinte einmal lachend zu mir: »Frau Sutor, bei uns stirbt doch keiner!« Ein Jahr später verunglückte eine Mitarbeiterin bei einem Autounfall tödlich. Alle waren hilflos und zutiefst geschockt. Arbeiten war unmöglich, zumal die jungen Kolleginnen und Kollegen auch die Freizeit überwiegend miteinander verbracht hatten und deshalb persönlich eng mit der Verstorbenen verbunden waren. Der Gesprächsbedarf war extrem hoch, gerade weil viele dieser jungen Menschen bisher noch kaum oder überhaupt nicht mit dem Tod konfrontiert worden sind.
Sterben, Tod und Trauer nehmen sich in solchen Fällen plötzlich Raum im Unternehmensalltag und der vorher gut organisierte Ablauf hat auf einmal eine »Schwachstelle«, denn Trauernde können oft nicht mehr wie gewohnt weiterarbeiten. Kolleginnen, Kollegen und Vorgesetzte haben häufig Schwierigkeiten, mit der Situation angemessen umzugehen, und eine interne, professionelle Anlaufstelle fehlt meistens. Aber der Arbeitsalltag muss ja irgendwie weitergehen, weil sich Unternehmen langfristige Ausfälle in der Regel weder leisten können noch wollen.
Angesichts der Tatsache, dass in Deutschland durchschnittlich jährlich etwa 900.000 Menschen sterben, davon ca. 140.000 im berufsfähigen Alter, wäre es für Arbeitgeber und Vorgesetzte fatal, das Thema Trauer am Arbeitsplatz zu ignorieren. In dieser Zahl nicht enthalten ist übrigens die große Anzahl an Fehlgeburten. Auf jede Geburt kommt etwa eine Fehlgeburt, das sind somit ungefähr 180.000 bis 200.000 Fehl- und Totgeburten pro Jahr. Alle diese Paare sind auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die einen Verlust erleiden und um ihr Kind trauern.
Dass der Tod auch zu Ihrem Unternehmensalltag gehört ist also höchst wahrscheinlich und gleichzeitig - auf emotionaler und individueller Ebene - eine völlige Ausnahmesituation. Fragen wie zum Beispiel »Wie gehe ich mit dem trauernden Kollegen in meinem Team um?« oder »Darf ich überhaupt fragen, wie es ihr geht?« und »Wie lange dauert die Trauer eigentlich?« stellen sich fast immer.
Stirbt ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin während der Arbeitszeit oder nimmt sich selbst das Leben, sind die Auswirkungen auf das ganze Team besonders einschneidend. Die Kolleginnen und Kollegen sind meist sprachlos und tief betroffen, möglicherweise stehen sogar Schuldfragen im Raum. Vorgesetzte sind in Situationen wie diesen gefordert, schnell zu reagieren und angemessene Kriseninterventionen einzuleiten. Ein normaler Arbeitsalltag ist in der ersten Zeit kaum möglich und viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tragen auch noch nach Feierabend schwer an der Situation.
Wenn wir den Blick auf diejenigen werfen, die einen privaten Todesfall betrauern, sieht es selbstverständlich nicht besser aus: Regelmäßig höre ich von trauernden Menschen, wie sehr sie sich gerade im beruflichen Kontext im Stich gelassen fühlen. Hier zählen Produktivität, Ergebnisse, Zahlen - genau das Gegenteil dessen also, was bei Trauernden im Fokus steht. Denn diese befinden sich sowohl psychisch als auch physisch im Ausnahmezustand. Es gilt, sich darüber bewusst zu sein, dass in dem Moment, in dem belastete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter das Unternehmen betreten, die Fürsorgepflicht eines jeden Arbeitgebers greifen sollte. Und es ist für die Beschäftigten entlastend zu wissen, dass im Krisenfall die Organisation einer Personalabteilung funktioniert und es jemanden gibt, der weiß, was zu tun ist.
Wenn jemand aus dem Unternehmen oder nahe Angehörige eines Mitarbeiters sterben, beobachten die Kolleginnen und Kollegen sehr genau, was passiert: ob das Thema unterstützend und verständnisvoll aufgegriffen wird oder ob das Unternehmen direkt wieder zur Tagesordnung übergeht. Die Frage »Was würde passieren, wenn ich morgen sterbe?«, schwingt unterbewusst immer mit. Wie menschlich ist mein Unternehmen? Bin ich hier nur eine Nummer oder werde ich wertgeschätzt? Werde ich mit meiner Trauer gesehen?
Häufig wird ein ganz grundlegender Aspekt vergessen: Wenn Sie sich als Führungskraft gut um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kümmern, die sich in einer schwierigen Lebensphase befinden, verstärkt sich die Bindung zu Ihnen als Arbeitgeber in der Regel um ein Vielfaches und es wächst langfristig die Bereitschaft, umgekehrt genauso für das Unternehmen einzustehen. Wenn Sie sich überhaupt nicht kümmern, kann genau das Gegenteil eintreten und Sie verlieren möglicherweise Ihren Mitarbeiter, weil dieser - zu Recht - ein Mindestmaß an Empathie von Ihnen und dem Team erwartet, dies aber nicht erfahren hat.
Werden Menschen mit dem Tod und der Trauer anderer konfrontiert, triggert dies in irgendeiner Form immer auch die eigenen Trauererfahrungen an. Bei manchen mehr, bei anderen weniger, je nachdem, wie gut die eigene, alte Trauer verarbeitet ist. Sehr häufig erlebe ich, dass Menschen emotional schwer belastet sind, obwohl sie mit dem verstorbenen Kollegen gar nicht im direkten Kontakt standen. Es werden Trauerreaktionen sichtbar, die auf den ersten Blick überhaupt nicht zu erklären sind. Die Erklärung ist: eigene, vielleicht schon vergessene oder verdrängte Trauererfahrungen werden berührt und kommen wieder zum Vorschein. Wenn Sie sich als Führungskraft oder Personalverantwortliche mit dem Thema Trauer beschäftigen, ist es deshalb ausgesprochen hilfreich, zunächst zu verstehen, welche Haltung Sie selbst gegenüber den Themen Sterben und Tod einnehmen, welche Erfahrungen Sie in Ihrem Leben mit Trauer gemacht und wie diese Sie geprägt haben.
Menschen verbringen oft mehr Zeit in der Firma als zu Hause mit dem Partner, der Partnerin, den Kindern oder im Freundeskreis. Manchmal arbeiten Kolleginnen und Kollegen Jahrzehnte im gleichen Büro zusammen. In Beratungsunternehmen zum Beispiel, wo kleine Teams oft die ganze Woche über beim Kunden vor Ort sind, entstehen enge und persönliche Beziehungen. Genauso in der Hotellerie und in sozialen Einrichtungen, wo Kolleginnen und Kollegen auch Feiertage und Nachtschichten zusammen verbringen. Wenn hier eine nahe Angehörige oder ein Kollege stirbt, ist das ganze Team massiv belastet und man tut gut daran, für Gesprächsangebote und organisatorische Unterstützung zu sorgen.
Der Arbeitgeber hat selbstverständlich ein Interesse daran, die Abläufe und Arbeitsergebnisse so schnell wie möglich wieder in gewohnte Bahnen zu lenken. Doch trauernde Menschen sind oft nicht mehr in der Lage, ihre Arbeit wie gewohnt zu erledigen. Hier kommt die Leitungs- und Steuerungsfunktion der Führungskräfte ins Spiel, die dafür Sorge tragen müssen, das gesamte System zu entlasten. Denn Kolleginnen und Kollegen können die Aufgaben des Trauernden nur eine gewisse Zeit und in gewissem Umfang übernehmen, wenn dessen Leistungsfähigkeit für kurze oder längere Zeit massiv eingeschränkt ist, er große Konzentrationsschwierigkeiten hat und eventuell auch für längere Zeit krankgeschrieben wird oder immer wieder ausfällt. Und genau deshalb ist Trauer eben keine Privatsache, sondern beeinflusst maßgeblich alle weiteren Lebens- und Arbeitsbereiche.
Dennoch fragen Sie sich vielleicht: Müsste Trauerarbeit nicht in der Familie und im Freundeskreis stattfinden? Ja und nein: Noch vor wenigen Jahrzehnten waren Familien relativ stabile Systeme: Eltern, Großeltern und Geschwister wohnten an einem Ort oder in einer Region. Starb ein Familienmitglied, rückte die Familie zusammen. Rituale gaben Halt und man unterstützte sich so gut es ging gegenseitig. Heute wohnen Familienmitglieder, nicht zuletzt aus beruflichen Gründen, oft weit voneinander entfernt, Familienstrukturen werden instabiler und verändern sich schneller. Im Trauerfall treten deshalb oft Freundinnen und Freunde an die Stelle der Familie, doch auch diese sind beruflich und familiär stark eingespannt. Dies führt dazu, dass Trauernde sich nach wenigen Wochen, wenn für Außenstehende die akute Phase der Trauer vorbei ist, oft einsam und zu wenig aufgefangen fühlen. Manchmal werden durch diese Einsamkeit Trauerprozesse deutlich erschwert. Und damit schließt sich der Kreis, denn, wie schon gesagt, beeinflusst die Trauer oft massiv die Arbeitsleistung des einzelnen Mitarbeiters.
Wir tun also gut daran, uns zu fragen, wie Trauernde auch von Unternehmensseite im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten unterstützt werden können. Zum einen, um die Menschen mit ihrer Trauer zu sehen und der eigenen Fürsorgepflicht nachzukommen, und zum anderen, um den Trauerprozess nicht unnötig zu erschweren und damit möglicherweise einen noch längeren Arbeitsausfall in Kauf nehmen zu müssen, der am Ende betriebswirtschaftliche Folgen für das Unternehmen hat. Die Kosten der durch Trauer hervorgerufenen Produktivitätsausfälle für Unternehmen schätzt man in den USA beispielsweise auf jährlich 75 Millionen Dollar.1
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