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Ich hatte einen schrecklichen Fehler begangen.
Okay, zwei schreckliche Fehler.
Der erste war, dass ich mich überhaupt auf das Mittagessen eingelassen hatte. Der zweite, dass ich nicht darauf bestanden hatte, mit Harriet gemeinsam einzutreffen. Wir hätten uns verspätet, weil Harriet immer zu spät kam, aber das wäre besser gewesen, als zu früh zu sein. Und das war ich, weil ich immer zu früh war.
Cal anscheinend auch.
Er saß bereits am Tisch, als die Kellnerin mich nach hinten begleitete. Als ich auf ihn zukam, sah er auf.
Dritter Fehler.
Das grobkörnige Foto, das in der Branche immer dann verwendet wurde, wenn von ihm die Rede war, war mindestens fünf Jahre alt. Als er mir jetzt in die Augen sah, war klar, dass dieses Foto ihm kaum gerecht wurde.
Er stand auf und schien immer größer zu werden. War er schon immer so groß gewesen? Seine Kleidung stand ihm gut. Er hatte einen Bartschatten in genau der richtigen Länge. Sein Haar war kunstvoll zerzaust. Ich stellte mir vor, wie er mit einer verspiegelten Sonnenbrille in einem Cabrio durch Brooklyn fuhr und alle stehen blieben und ihn anstarrten.
»Kathleen Rosenberg«, sagte er.
Und dann war da noch seine Stimme. Ich hatte vergessen - ich hatte hart daran gearbeitet, es zu vergessen -, wie verdammt gut sie war. Wie tief und klangvoll.
Gott. Ich spürte es bis in die Zehen und Fingerspitzen.
»Also«, sagte ich, »wenn das nicht Calvin Tyler Kirby ist.«
Seine Wange zuckte, doch sein höfliches - wenn auch falsches - Lächeln wich nicht aus seinem Gesicht. Er hasste es, mit allen drei Namen angesprochen zu werden. Und genau darum tat ich es.
Cal konnte sich glücklich schätzen, dass ich nicht seinen Spitznamen benutzte, den er noch mehr verabscheute. Eigentlich konnte er sich glücklich schätzen, dass ich überhaupt hier erschienen war. Bei unserer letzten Begegnung hatte er mich als »Fehler« bezeichnet und ich ihm gesagt, er solle sich aus meinem Leben verpissen. Was er getan hatte.
Meine Gefühle für ihn hatten sich nicht geändert, die Umstände allerdings schon. Und ich hatte Harriet versprochen, ihn anzuhören.
»Schön, dich zu sehen«, log er und hielt mir die Hand hin.
»Ach, komm«, sagte ich.
Ich legte meine Hände auf seine Schultern, beugte mich vor und gab ihm zwei laute, widerliche Luftküsse. Seine Muskeln spannten sich unter meinen Handflächen. Sein Parfüm - er roch wie ein Orangenhain - umhüllte mich. Ich ignorierte, wie gut sich das alles anfühlte, ließ ihn los und trat einen Schritt zurück.
»Sollen wir?« Er wies mit einer Geste auf den Tisch.
Wir setzten uns. Es war, als wären wir in einer Dampfsauna voller Peinlichkeit. Sie drang tief in meine Poren ein.
»Es ist eine Weile her«, sagte ich. Das war die Untertreibung des Jahrhunderts.
Cal hob eine Augenbraue, schwieg jedoch. Seine Speisekarte war offenbar faszinierend. Trotz seines gelassenen Auftretens war ich mir ziemlich sicher, dass Cal sich genau wie ich an das letzte Mal erinnerte, als wir zusammen in einem Raum gewesen waren und uns fertiggemacht hatten. Wir hatten beide wenig Nettes gesagt.
Wie lange war das her? Zehn Jahre? Fünfzehn?
Das spielte eigentlich keine Rolle. Ich konnte mich immer noch an den Abscheu und die Enttäuschung in seinen Augen erinnern. Wie er sich abgewandt hatte, ohne sich noch einmal umzudrehen, und mich mit den Folgen unseres gemeinsamen Handelns allein ließ.
Ich fragte mich, ob ihn deshalb heute ein schlechtes Gewissen plagte oder ob er immer noch der Meinung war, dass ich verdient hatte, was passiert war. Da er keinerlei Anstalten machte, sich zu entschuldigen, schien er keine Reue zu empfinden.
Gut, das war okay. Verdammt okay.
Denn schließlich würde ich keine Entschuldigung annehmen, auch wenn er sie mir anböte. Eine Entschuldigung reichte nicht aus, um zu heilen, was zerstört worden war. Meine Karriere. Meine Seele. Okay, das war etwas dramatisch, aber ich war mir ziemlich sicher, dass Calvin Tyler Kirby nichts anderes von mir erwartete.
»Harriet ist immer zu spät«, sagte ich, obwohl er das bestimmt wusste.
»Ich habe es nicht eilig«, erwiderte er und studierte weiter die Speisekarte.
Am liebsten hätte ich sie ihm aus den Händen gerissen, sie in eine Million winziger Stücke zerrissen und ihn gezwungen, mich anzusehen.
»Fantastisch«, knurrte ich.
Ich hätte mich auf meine eigene Speisekarte konzentrieren sollen, doch stattdessen starrte ich ihn an und überlegte, wie die Zeit ihn verändert hatte. Ich versuchte, mir sein jüngeres Ich in Erinnerung zu rufen, und verglich den Mann mit grau meliertem Haar und Lachfältchen um die Augen mit der Version, die sich das Haar mit Gel stylte und Eyeliner trug.
Hatte er dasselbe mit mir gemacht, als ich hereinkam? Ich würde es niemals zugeben, aber ich hatte mir heute besondere Mühe mit meinem Aussehen gegeben. Mein Haar war seit meiner Zeit als Katee Rose nicht mehr blond, aber ich hatte mir die Zeit genommen, es zu bändigen und zu stylen. Der Versuchung, mir die auch bei mir immer zahlreicher werdenden grauen Strähnen zu färben, hatte ich gerade noch widerstehen können.
Das Wetter war entsprechend der Übergangszeit zwischen Winter und Frühjahr recht wechselhaft - manchmal sonnig und frühlingshaft, manchmal noch trübe und kalt. Beim Verlassen der Wohnung war es zwar schön gewesen, aber es gab keine Garantie, dass das so bleiben würde. Ich hatte Jeans und einen leichten Pullover angezogen und wusste genau, dass Cal den Sitz von beidem bemerkt hatte, da sein Blick bei meiner Ankunft - nur für einen Moment - nach unten gezuckt war. Es war erfreulich zu wissen, dass meine Brüste, die mir in der Klatschpresse einst den Spitznamen »Titty Rose« eingebracht hatten, noch immer Aufmerksamkeit auf sich zogen.
»Hab ich was im Gesicht?«, fragte Cal. Er hatte nicht einmal aufgeschaut.
»Nur Augen, eine Nase und einen Mund«, antwortete ich süßlich.
Wenn er mich aus dem Konzept bringen wollte, musste er sich schon etwas mehr anstrengen. Ich war bereit. Geduckt und mit zuckendem Schwanz wartete ich nur auf eine Gelegenheit zum Angriff. Ich mochte weicher und runder geworden sein, seit er mich das letzte Mal gesehen hatte, aber ich hatte meine Krallen geschärft und eine Rüstung angelegt. Wenn er glaubte, er hätte es mit der Person von damals zu tun, hatte er sich geschnitten. Katee hatte ihm vertraut. Kathleen wusste es besser.
»Ich hab gehört, der gegrillte Oktopus soll gut sein«, sagte er.
»Stimmt«, bestätigte ich.
Schließlich hob er den Blick und sah mir in die Augen. »Wie gut?«, fragte er. Er fragte nach dem Oktopus und irgendwie auch nicht.
»Der beste, den du je gegessen hast.«
Daraufhin lächelte er. Ich hatte seine verdammten Grübchen vergessen.
»Tut mir leid, dass ich zu spät bin«, sagte Harriet und ließ uns beide aufschrecken. Ich hatte Harriet gar nicht kommen gehört. Einen Moment lang hatte ich sogar ganz vergessen, dass ich ihretwegen überhaupt nur hier war. Gern hätte ich den Grübchen die Schuld dafür gegeben.
Cal stand auf, um Harriet zu begrüßen und sie zu umarmen. Ich tat das Gleiche.
»Gib ihm eine Chance«, raunte sie mir zu.
Ich ließ mich wieder auf meinem Stuhl nieder und setzte ein strahlendes, haifischartiges Lächeln auf.
»Kathleen hat mir gerade erzählt, wie toll der gegrillte Oktopus ist«, sagte Cal.
»Lebensverändernd«, bestätigte ich.
Daraufhin erhielt ich von Harriet unter dem Tisch einen heftigen Tritt. Das tat weh, aber nicht so sehr wie die Erkenntnis, dass meine beste Freundin seit Monaten hinter meinem Rücken mit meinem Erzfeind herumscharwenzelte.
Okay. Herumscharwenzeln war nicht ganz das richtige Wort. Pläne ausheckte. Kollaborierte. Intrigierte.
Wir bestellten - Cal nahm den Oktopus -, und als der Kellner gegangen war, sprang Harriets Blick zwischen uns beiden hin und her, als würde sie erwarten, dass ein Gong ertönte und einer von uns den ersten Schlag ausführte.
Nicht ich.
»Ich weiß es zu schätzen, dass du dir die Zeit genommen hast, dich mit mir zu treffen«, sagte Cal. »Danke.«
Seine Höflichkeit nervte mich. Es war unangenehm genug, ihn wiederzusehen, nach allem, was wir durchgemacht hatten, aber hier zu sitzen und so zu tun, als wäre das alles gar nicht passiert, war irgendwie noch schlimmer. So zu tun, als wären wir Fremde. Professionelle Fremde.
Nun ja. Wenn er so tun wollte.
»O nein«, sagte ich. »Ich danke dir.«
Es folgte eine Pause, und Cal räusperte sich.
»Workingwomen ist ein ganz besonderes Musical«, sagte er.
Seit Harriet sich letzte Woche mit mir zum Abendessen hatte treffen wollen, war ich auf das Schlimmste gefasst gewesen. Sie hielt seit Monaten Abstand, hatte Verabredungen in letzter Minute abgesagt und so lächerliche Ausreden erfunden, wie dass sie keine Zeit habe, weil sie für einen Marathon trainiere. Das Einzige, wofür Harriet jemals gelaufen war, waren Karten für Shakespeare im Park.
Wir waren in unserem Lieblingslokal gewesen, dem »Erdferkel and Artischocke«, und ich hatte mich auf meinen Drink konzentriert, während ich im Geiste die schlimmsten Szenarien durchging, warum sie mir aus dem Weg gegangen war. Sie war krank. Sie wollte umziehen. Sie war wieder mit der Ex-Freundin zusammen, die ich am...
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