Schweitzer Fachinformationen
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Beim Öffnen des amtlichen Schreibens hielt ich für einen Moment den Atem an. Da war es nun: das Decree Absolute, das endgültige Scheidungsurteil, das Greg und mich voneinander trennte, als hätte es unsere zehnjährige Ehe nie gegeben.
Etwas benommen legte ich den Brief beiseite und wankte in die Küche, um mir ein Glas Wasser einzuschenken.
Für Anfang Juni war es in diesem Jahr in London besonders heiß. Ich konnte mich nicht daran erinnern, wann es in der Stadt das letzte Mal zu dieser Jahreszeit so warm gewesen war.
Greg und ich waren an den besonders heißen Sommertagen gerne in den schattigen Hyde Park gegangen, um uns dort unter eine der üppigen Ahornblättrigen Platanen, Holländischen Linden, Esskastanien oder Stieleichen zu setzen und ein Picknick zu machen. Er hatte mir von seinen Studenten aus der Uni erzählt, und ich hatte ihm von meinen Recherchen für die nächste brandheiße Story berichtet. Um als freie Journalistin überleben zu können, galt es, gerade dort eine Story zu wittern, wo noch kein anderer aus der Zunft gegraben hatte. Meist gelang mir das ganz gut.
Beim Gedanken an unsere schöne gemeinsame Zeit schnürte es mir die Kehle zu. Zehn Jahre waren wir verheiratet und fast fünfzehn Jahre ein Paar gewesen. Greg kannte mich besser als jeder andere Mensch auf diesem Planeten. Und trotz der Verbundenheit und Liebe, die wir in all den Jahren füreinander empfunden hatten, hatte es am Ende einfach nicht mehr gereicht, um das ewige Bangen und das Leid der ungewollten Kinderlosigkeit auszuhalten.
Nach der vierten erfolglosen Insemination war unser Traum von einer üppigen Kinderschar wie eine Seifenblase zerplatzt. Lange hatten wir beide uns vorgegaukelt, dass wir uns auch allein genug wären, aber seit dem großen Streit, bei dem alles auf den Tisch gekommen war, was viele Jahre unter der Oberfläche geschwelt hatte, wussten wir beide, dass es vorbei war.
Mit zitternden Händen führte ich das Wasserglas an meine Lippen, während ich den abendlichen Berufsverkehr vor meinem Fenster beobachtete. Meine Wohnung befand sich unweit der London Bridge im Stadtteil Southwark auf der Südseite Londons. Leider nicht die Südseite meines Lebens, wie sich nun nach der Scheidung von Greg herausgestellt hatte.
Seufzend beobachtete ich die roten Doppeldeckerbusse, die schwarzen Limousinen-Taxis und die vielen privaten Fahrzeuge, die sich durch die Straßen drängten. Die Menschen beeilten sich, um endlich wieder bei ihren Liebsten zu Hause zu sein, mit ihnen zu Abend zu essen und später gemeinsam gemütlich auf der Couch einen Film anzusehen.
Einen Fernseher hatte ich mir nach der Trennung und dem Umzug in die kleinere Wohnung nicht besorgt. Ohnehin wirkten die Räume, als wollte ich nur vorübergehend hierbleiben. Dabei waren diese zwei Zimmer nun alles, was ich noch hatte.
Während ich mich an den noch immer verpackten Umzugskartons vorbei durch den Flur ins Wohnzimmer begab, schielte ich auf das Handy, das ich auf der Kommode liegengelassen hatte. Ob Greg mir wohl eine Nachricht geschickt hatte? Zuletzt hatte er sich vor Wochen bei mir gemeldet. Und nun, da alles geklärt war, gab es keinen Grund mehr, sich weiterhin Textnachrichten zu schicken, um nach dem Befinden des anderen zu fragen. Wir waren geschiedene Leute. Ein Fakt, den ich dringend akzeptieren musste, wenn ich nicht weiter über die Schulter zurück in die Vergangenheit schauen, sondern meinen Blick in die Zukunft richten wollte. Eine Zukunft ohne Greg.
Denn sosehr wir uns auch einmal geliebt hatten, das Leben hatte uns entzweit. Unsere Träume hatten sich nicht erfüllt. Und Greg hatte sich in der Zwischenzeit mit einer jungen Studentin getröstet, die ihm schon bald ein eigenes Kind schenken würde.
»Was ist nur aus dir geworden?«, entgegnete ich meinem Spiegelbild, das mich aus dem Wandspiegel anstarrte, den ich erst vor wenigen Tagen gegenüber der Tür zum Wohnzimmer im Flur angebracht hatte.
Die beigefarbene Tapete war an einigen Stellen rissig. Mir fehlte die Kraft, mich hier häuslich einzurichten. Es fühlte sich einfach nicht nach meinem Zuhause an. Und das nicht nur, weil Greg nicht hier war. Es gab nichts Schönes, was ich bisher in diesen vier Wänden erlebt hatte. Rein gar nichts. Und ich wagte zu bezweifeln, dass ich in diesen Räumlichkeiten noch für schöne Erinnerungen sorgen würde.
»Du musst hier raus«, hörte ich mein Spiegelbild sagen.
»Aber wohin?«
Als freie Journalistin hatte ich kein regelmäßiges Einkommen wie Greg als Professor für Applied Environmental Economics an der University of London. Geld war bis zu unserer Trennung nie ein Thema gewesen. Und wenn ich es vor Gericht erwähnt hätte, wäre mir sicher ein Unterhalt zugesprochen worden. Greg hatte regelrecht darauf gedrängt. Aber das wollte mein Ego nicht mitmachen. Nicht nachdem er mit seiner neuen Flamme noch mal ganz von vorne beginnen würde, während meine Eizellen sich dem Ende zuneigten. Meine Zukunft endete in einer Sackgasse, während Greg mit voller Fahrt voraus neue Ufer ansteuerte.
Während ich mich im Selbstmitleid suhlte, klingelte mein Handy. Mein dummes Herz machte vor Freude einen Luftsprung, weil es nach wie vor glaubte, es wäre Greg und alles würde doch noch gut werden.
»Hey, Mum. Schön, von dir zu hören. Wie geht es dir?«
Ich bemühte mich um einen freudigen Tonfall, doch es gelang mir nicht so recht. Schauspielern zählte noch nie zu meinen Talenten.
Meine Mutter war nach dem Tod meines Vaters vor ein paar Jahren an die südlichste Spitze Englands, auf die Halbinsel The Lizard in Cornwall, gezogen. Ein traumhaft schöner Flecken Erde, an dem unter anderem die Cornwall-Heide, wilder Spargel und Brachsenkräuter sowie unzählige anderweitig bereits ausgestorbene Wildblumen und Kräuter zu finden waren.
Die kleinen versteckten Buchten, in die sich kaum ein Tourist verirrte, waren das Gegenteil des regen Treibens in London. Allerdings war The Lizard so weit ab vom Schuss, dass ich Mum bisher nur selten besucht hatte. Das wollte ich in Zukunft ändern.
»Danke, mein Schatz. Mir geht es so weit ganz gut. Dein Bruder hat sich für die kommenden Wochen angekündigt, mitsamt seiner ganzen Familie. Du weißt, wie sehr ich es liebe, euch alle um mich zu haben. Da wollte ich fragen, ob du nicht auch Zeit und Lust hast vorbeizukommen. Ich backe dir auch deine Lieblingsingwerkekse, und Elsie könnte ich fragen, ob sie in ihrem B&B ein Zimmer für dich frei hat. Dort hättest du deine Ruhe vor der verrückten Meute.«
Mum lachte, doch ich hörte auch die Anspannung in ihren Worten. Sie wusste, wie es um mich stand, weil sie mich kannte, wie nur eine Mutter ihr Kind kennen konnte.
Spätestens seit wir uns vor knapp fünf Jahren dazu durchgerungen hatten, den mühsamen Prozess der künstlichen Befruchtung in Kauf zu nehmen, hatte sie immer dafür gesorgt, dass ich positiv blieb und frohen Mutes an die ganze Sache heranging. Sie war nach der ersten Insemination sogar eigens aus Cornwall angereist, um mir beizustehen, für mich zu kochen und mir jeden Wunsch von den Augen abzulesen.
Doch als die Hoffnung schwand und Greg und ich schließlich unsere Scheidung bekannt gaben, hatte ich mich nicht von meiner Mutter trösten lassen wollen. Denn damit hätte ich mir selbst eingestanden, dass alles, woraus mein Leben in den letzten fünfzehn Jahren bestanden hatte, ein für alle Mal vorbei war.
Mein Verstand wusste es. Nur mein Herz brauchte noch Zeit, um den neuen Takt mitzugehen, den es nicht vorgab, dem es allerdings Folge leisten musste.
»In nächster Zeit steht ziemlich viel Arbeit an. Ich muss für eine Reportage nach . Wiltshire«, fasste ich einen Entschluss.
Denn eigentlich hatte ich das Angebot, eine Reportage über Sehenswürdigkeiten, Schlösser und Herrenhäuser in der Region zu machen, bereits mehr oder minder abgelehnt, da ich als Journalistin nicht in die harmlose Touristen- und Reiseführerschublade gesteckt werden wollte. Vielmehr sah ich mich als investigative Journalistin. Vielleicht sollte ich in diesem Fall mal eine Ausnahme machen.
»Nach Wiltshire, sagst du?«, hörte ich Mum nachdenklich erwidern.
»Ja, warum?«
Mum seufzte.
»Das alte Cottage deiner Urgroßmutter, ich habe es nicht übers Herz gebracht, es zu verkaufen, als dein Dad starb. Ich weiß, Archie und du, ihr hattet mir dazu geraten. Aber meine Großmutter Emily war so eine starke Persönlichkeit. Sie hat meine Mum ganz allein durchgebracht, nachdem ihr Mann im Schützengraben in Frankreich starb. Das Haus ist voller Geschichte. Familiengeschichte. Ich habe es schlichtweg nicht über mich gebracht, Emily zu verraten. So, jetzt ist es raus.«
Ein erleichtertes Aufatmen war durch den Hörer zu vernehmen, während ich noch einen Moment brauchte, um die neuen Informationen zu verarbeiten.
»Dann steht es immer noch leer?«, hakte ich nach, als mir bei dem Blick auf die verschlossenen Umzugskartons im Flur ein Gedanke kam.
Mum seufzte abermals.
»Es gab ein paar Interessenten, die das Haus in ein reines Wohnhaus umbauen wollten. Aber damit wäre das Tea-Room-Flair für immer verloren gewesen. Ich weiß ja, wie schwierig es heutzutage ist, mit einem Tea Room Geld zu verdienen. Vor allem, wenn die Fläche so winzig ist wie in dem alten Weber-Cottage meiner Großmutter, aber .«
»Ich mach's«, hörte ich mich plötzlich laut und deutlich sagen.
»Wie bitte? Was machst du?«, fragte Mum ein wenig irritiert nach.
»Da ich für meine Recherchen ohnehin nach Wiltshire muss, könnte ich doch in der Zeit in dem alten Cottage meiner Urgroßmutter unterkommen....
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