Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Es war nach sechs Uhr abends, als ich meinen ersten Bericht auf Lieutenant Fraisers Schreibtisch legen konnte und zum Parkplatz des Präsidiums trottete. Ich stieg in mein grünes Monster, drehte den Zündschlüssel um und fand Trost in dem machtvollen Geblubber seiner 7½-Liter-Maschine.
Es war etwas Wind aufgekommen, und als ich auf der Auffahrt zum Freeway 163, der sich durch einen steilwandigen Canyon schlängelt, Gas gab, war der Asphalt bereits trocken. Ich ließ das Seitenfenster herunter und drückte auf die Tube. Die vierhundert Pferdestärken der alten Corvette pressten mich in die Schalenledersitze, und kühle Abendluft peitschte mir ins Gesicht und verwirbelte das schreckliche Bild von Morgan Cook und der blutigen Botschaft, die der Killer auf dem Spiegel hinterlassen hatte.
Die Corvette hatte ich gekauft, nachdem ich am Ende meines zweiten Studienjahres in Stanford bei den Boston Red Sox unterschrieben hatte. Die anderen Jungs hatten sich für ihre Einstiegsprämie meist einen brandneuen Porsche oder BMW zugelegt. Aber in der Straße von Roslindale, wo ich aufgewachsen war, damals ein Arbeiterviertel vor den Toren von Boston, gab es einen Installateur, der eine wunderbar gepflegte schwarz glänzende 67er Corvette mit chromblitzenden Seitenauspuffrohren fuhr. Von hinten sah sie aus wie der Kopf einer Libelle. Von vorne wirkte sie eckig und bedrohlich - nicht umsonst nannte man sie auch »Stingray«, Stachelrochen. An Sommertagen fuhr ich oft mit dem Fahrrad die Straße hinunter, nur um einen Blick auf die 67er zu werfen, wenn der Installateur sie aus der Garage holte, um an ihr herumzuschrauben oder Lackpflege zu betreiben. Nichts wünschte ich mir so sehnlich wie, einmal mitfahren zu dürfen, aber ich traute mich nie zu fragen.
Eines Tages jedoch fuhr der Installateur einfach so bei uns vor, klopfte und fragte meine Mutter, ob er mich zu einer Spazierfahrt mitnehmen könne. Ich nehme an, er hatte gehört, dass mein Vater am Abend zuvor getötet worden war, auch wenn er es mit keinem Wort erwähnte. Ehrfürchtig ließ ich mich auf dem Beifahrersitz nieder. Er fuhr raus auf die I-93, nach Süden entlang der Küste durch Dorchester Richtung Quincy. Die Seitenfenster waren heruntergelassen, und wir brausten mit neunzig Meilen die Stunde dahin. Die salzige Luft des Atlantik peitschte mein Gesicht und stach mir in die Augen. Sie blies das bedrückende Bild meiner Mutter hinweg, die sich am Küchentisch die Seele aus dem Leib weinte.
Selbst jetzt noch, fast achtundzwanzig Jahre später, kann mir eine Fahrt in meiner 67er über das hinweghelfen, was ich als Bulle zu sehen bekomme. Als ich die Interstate 8 erreichte, die wichtigste Ost-West-Verbindung von San Diego, ging es mir schon wieder etwas besser.
An einem normalen Samstagabend wäre ich Richtung Norden nach Del Mar gebraust, wo es eine tolle kleine Bar gibt, in der Rock-'n'-Roll-Bands auftreten, was jede Menge interessante und hübsche Frauen anzieht. Aber irgendwie hatte mir dieser trübe Tag jede Lust auf menschliche Gesellschaft verdorben, ich wollte einfach nur noch ein bisschen durch die Gegend brettern. Ich machte einen Abstecher durch Mission Valley und zurück ins Zentrum und fuhr dann auf den lang gezogenen Bogen der Brücke, die das Festland mit Coronado Island verbindet. Über Seitenstraßen gelangte ich auf die Westseite der Insel.
Vor dreißig Jahren war Coronado eine verschlafene, konservative Gegend, in der hauptsächlich Offiziere der U.S. Navy wohnten. Heute ist die Insel ein piekfeiner Vorort von San Diego. Die Preise der Anwesen dort können sich mit allem messen, was in Kalifornien gut und teuer ist. Die Neureichen und Kurzzeit-Berühmtheiten blättern selbst für Bruchbuden locker eine Million hin, um sie dann abzureißen und sich stattdessen Retortenschlösser hinzusetzen.
Sechs Blocks nördlich vom Hotel Del Coronado fand ich die gesuchte Seitenstraße und parkte die Corvette unter Palmen, die sich vor einer weiß getünchten Mauer erhoben. Darüber zeigten sich im Licht der Straßenlaterne die verwitterten Holzschindeln und der Giebel des Hauses. Ein rotes Holztor war von einem Bogen wilder Rosen umrankt. Eine ganze Weile blieb ich sitzen und schaute mir das an, als würde es mein halbes Leben bedeuten.
Ich stieg aus und öffnete das Tor. Den größten Teil des Gartens nahm der Pool ein, den Fay im Jahr zuvor hatte anlegen lassen. Dahinter erhob sich ein kleines Treibhaus. Es schien noch mehr Orchideen zu geben, bestimmt waren es schon dreihundert verschiedene, etliche blühten in Töpfen rund um den Pool. Durch die gläserne Schwebetür konnte ich Jimmy sehen, immer noch in seiner Baseballhose. Er saß auf dem Fußboden vor dem Fernseher und schaute sich Zeichentrickfilme an. Fay war in der Küche und spülte Geschirr. Sie trug einen Overall und sah darin noch umwerfender aus als sonst.
Leise klopfte ich auf der Höhe von Jimmy an die Glasscheibe. Seine Mutter entdeckte mich gleich und zog ein finsteres Gesicht. Jimmy blickte auf, zögerte einen Augenblick, strahlte dann übers ganze Gesicht und lief zur Tür. »Hallo, Dad«, begrüßte er mich.
»Hallo, Jimbo«, sagte ich und umarmte ihn. »Wie ist das Spiel gelaufen?«
»Im vierten Inning wegen Regen abgebrochen», antwortete er. »Hast du für morgen schon die Angelruten gerichtet? Wie ist dein neuer Fall?«
Ich seufzte. »Scheußlich ist er, mein neuer Fall, Sportsfreund. Und Angeln fällt morgen leider ins Wasser.«
»Wie bitte?«, fragte er spürbar enttäuscht.
»Wir sind knapp mit Leuten im Moment, und das ist wirklich eine der übelsten Geschichten, die ich je gesehen habe.«
Jimmy nickte zwar, doch er wandte die Augen von mir ab, und sein Gesicht nahm einen Ausdruck an, den ich bisher nur bei Fay gesehen hatte: Verstört und voller Zweifel. »Und nächsten Sonntag?«, fragte er. »Falls du bis dahin den Fall gelöst hast, meine ich.«
»Nächsten Sonntag ganz bestimmt«, versprach ich.
Hinter mir räusperte sich meine Ex. »Kann ich mal draußen mit dir sprechen, bitte?«
Ich klopfte Jimmy auf die Schulter. »Wir sehen uns die ganze Woche beim Training.«
»Klar«, sagte Jimmy und rang sich ein Lächeln ab, bevor er sich wieder seinen Zeichentrickfilmen zuwandte. Fay ging mit mir nach draußen und schloss die Glastür. Der Duft der Orchideen hing schwer in der Luft. Sie rieb sich die Stirn mit dem Handrücken, ein sicheres Zeichen, dass sie mir eine Gardinenpredigt halten wollte.
»Es wäre mir recht, wenn du in Zukunft vorher anrufen würdest, wenn du vorbeikommst«, begann sie. »Ich könnte auch zickig werden und die Besuchsregelung wortwörtlich auslegen. Aber daran liegt mir nichts, deshalb erwarte ich von dir, dass du die Höflichkeit aufbringst, anzurufen, bevor du hier reinschneist. Du weißt, wie man ein Handy bedient, Shay.«
»Hast Recht. Tut mir Leid. Ist Walter da?«
»Das geht dich nichts an. Und außerdem ist es schon das zweite Mal, dass du einen Angelausflug mit deinem Sohn absagst.«
Bedauern und Schuldgefühle erstickten meinen Zorn, der schon in mir aufzuwallen begann.
»Nichts zu machen. Das ist ein Mord wie in einem Horrorfilm. Das Opfer war ungefähr in meinem Alter. Es geht mir nahe.«
Fay sah mich mit ihren alles durchdringenden rauchigen Opalaugen an. »Du hast wirklich ein inniges Verhältnis zu Leichen, Shay. Woher kommt es bloß, dass du mit den Lebenden so wenig anfangen kannst? Siehst du den Jungen da drinnen? Er ist dein Fleisch und Blut, aber trotzdem kommt er bei dir immer erst an zweiter Stelle. Du merkst gar nicht, wie er zu dir aufschaut. Es dauert nicht mehr lange, und er sieht an dir vorbei.«
»So wie du?«
Über Fays Gesicht huschte ein gequältes ironisches Lächeln. »Nein, so wie du es mit mir gemacht hast.«
Wir sahen uns wortlos an. Die gemeinsam verbrachten Jahre standen zwischen uns wie eine Mauer. Ich fühlte mich mit einem Mal sehr müde.
»Hör zu, können wir das auf ein andermal verschieben? Ich habe eine medizinische Frage. An Walter.«
»Ich reiche dir wohl nicht?«
»Ich brauche keine Säuglingsspezialistin. Ich benötige seine Spezialkenntnisse.«
Fay sah mich forschend an. »Und du benimmst dich auch?«
»Tue ich das nicht immer?«
»Nein«, sagte sie, zuckte mit den Schultern und wandte sich zum Haus. »Warte hier.«
Gleich darauf kam sie zurück, einen drahtigen, bärtigen Mann in dunklem Trainingsanzug und Birkenstock-Sandalen im Schlepptau. Bei meinem Anblick ballte er kurz die Hände zu Fäusten, öffnete sie wieder und ballte sie erneut. »Fay meint, Sie bräuchten meine Hilfe?«
»Ja, Walt. Sie haben doch schon öfter mit Schlangenbissen zu tun gehabt? In der Notaufnahme, meine ich.«
Walter wusste genau, dass ich weiß, wie sehr er es hasst, Walt genannt zu werden. Er verzog das Gesicht, antwortete aber höflich: »Kommt vor. Leute, die sich in den Canyons rumtreiben, hauptsächlich im Osten des County. Gelegentlich auch Touristen und Saisonarbeiter. Wieso?«
»Ich arbeite an einem Fall, wo jemand durch einen Schlangenbiss zu Tode gekommen ist. Wie oft kriegen Sie dergleichen im Jahr zu Gesicht?«
»Fünfzehn-, vielleicht zwanzigmal. Wenn es die Leute innerhalb der ersten beiden Stunden zu uns schaffen, geht es selten tödlich aus. Die Seren wirken sehr gut. Wir verwenden CroFab, das ist das allerneueste.«
»Und es stirbt sich ziemlich hässlich, wenn man kein Serum bekommt?«
»Kann man denn auch schön sterben?«, meinte Walter süffisant.
»Wahrscheinlich nicht«, antwortete ich. »Aber das ist keine Antwort auf meine Frage.«
Walter hörte auf, seine Hände...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.