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Detective Sergeant Cross war gerade im Begriff, sein Fahrrad im Unterstand vor der Major Crime Unit in Bristol loszuschließen, da hörte er ein Geräusch. Als er sich in der Erwartung, eine streunende Katze oder einen Hund zu entdecken, umdrehte, sah er stattdessen eine Frau, die in der Ecke hinter den Fahrradständern kauerte und ein Sandwich verspeiste. Diese Frau hatte er schon früher gesehen. Während der vergangenen drei Tage hatte sie dauernd im Eingangsbereich der MCU gesessen. Einmal hatt<e er sie mit dem diensthabenden Sergeant der Wache reden gesehen. Sie hatte recht ruhig gewirkt, leise gesprochen, als würde sich bereits um was immer sie hergeführt hatte gekümmert. Die Frau war gut gekleidet, ganz im Stil einer relativ wohlhabenden Mittelständlerin, und schien weder Theater zu veranstalten noch auf andere Art zur Last zu fallen.
Nachdem er drei Tage an ihr vorbeigegangen war, hatte Cross beschlossen, mit ihr zu reden, um herauszufinden, was sie herführte. Aber als er an diesem Tag gegangen war, war sie nicht im Eingangsbereich gewesen, also hatte er geschlussfolgert, dass sich bereits jemand ihrer angenommen haben musste. Dass sie nun jedoch im Fahrradunterstand hockte, widersprach natürlich seiner Mutmaßung. Sie hatte das Gebäude verlassen, ja, aber sie war nicht gegangen. Und seine schon zuvor geweckte Neugier wurde von ihrer offensichtlich hartnäckigen Entschlossenheit, nicht zu gehen, nur weiter angestachelt. Derzeit sah sie nicht gerade gepflegt aus, Haar und Kleidung waren nass von dem unablässigen Regen dieses Nachmittags. »Nasser Regen«, so hatte seine Partnerin DS Josie Ottey das einmal beschrieben. Als er sie gefragt hatte, ob Regen nicht naturgemäß immer nass sei, erklärte sie, sie meine die Art Regen, der in großen, voluminösen Tropfen fiele. Tropfen, so groß, dass man ihnen kaum entkommen konnte, als hinge ein riesiger, leckender Wasserhahn am Himmel.
Das ramponierte Erscheinungsbild der Frau wurde durch die Tatsache, dass sie sich die Plastiktüte, in der sie ihr Mittagessen hergebracht hatte, als provisorischen Regenschutz um den Kopf gewickelt hatte, nicht gerade verbessert. Während der letzten paar Tage war sie an jedem einzelnen hergekommen und hatte ihr Mittagessen mitgebracht. Ihre Besuche waren geplant und gut vorbereitet; er erinnerte sich, gedacht zu haben, dass sie offenbar mit längeren Wartezeiten gerechnet hatte. Ihm war auch aufgefallen, dass die Frau, die dem Aussehen nach Ende sechzig sein musste, für ihre Sandwiches Baguette benutzte, keine Weißbrotscheiben. Das verbuchte er als weiteren Hinweis darauf, dass sie dem Mittelstand angehörte, auch wenn er überzeugt war, Ottey würde ihn wegen dieser Betrachtungsweise als Snob bezeichnen.
Er ließ das Schloss Schloss sein, nachdem er sie gesehen hatte. Sie sagte nichts, und er auch nicht. Er war von jeher nicht sonderlich gut darin, ein Gespräch zu beginnen; es sei denn, er führte eine Befragung durch, dann war ihm stets bewusst, dass das eine grundlegende Voraussetzung war, der er sich zu stellen hatte. Doch nun ging ihm auf, dass er, da er so oder so beabsichtigt hatte, mit dieser Frau zu sprechen, als er sie im Gebäude gesehen hatte, vielleicht nicht darauf warten sollte, dass sie zuerst das Wort ergriff.
»Was machen Sie hier?«, fragte er.
»Ich habe Schutz vor dem Regen gesucht«, sagte sie leise.
»Wäre es dann nicht nützlicher gewesen, einfach drin zu bleiben?« Das war, wie er dachte, eine durchaus vernünftige Frage.
»Man hat mich aufgefordert zu gehen«, erklärte sie.
»Warum?«
»Weil die mich offensichtlich für eine Nervensäge halten und sich nicht mit mir befassen wollen.«
»Das könnte daran liegen, dass dies kein Polizeirevier ist. Auf einem Polizeirevier hat man sich um jeden zu kümmern. Ich kann ihnen sagen, wo Sie das nächste Revier finden«, antwortete er.
»Da war ich schon. Ich war bei allen örtlichen Revieren, und die haben mich hierhergeschickt. Und nun werde ich hier auch fortgeschickt.«
»Warum?«, fragte er.
»Warum was?«
»Warum waren sie bei allen Revieren der Umgebung?«
»Wer genau sind Sie eigentlich?«
Eine absolut berechtigte Frage, wie Cross dachte. »Ich bin DS George Cross von der Major Crime Unit«, erwiderte er.
»Oh, gut. Dann sind Sie genau die Person, mit der ich reden muss. Mein Name ist Sandra Wilson, und meine Tochter wurde ermordet«, stellte sie vollkommen sachlich fest.
Und die Frage, warum das bei sämtlichen Diensthabenden der Umgebung nicht auf Interesse gestoßen war, war exakt das, was Cross' Neugier weckte und ihn veranlasste, sie in sein Büro einzuladen. Natürlich war es möglich, dass sie psychische Probleme hatte, überlegte er; aber wenn sie die hatte, dann wusste sie sie gut zu verbergen.
Als sie den Eingangsbereich der MCU betraten, war die zivile Angestellte Alice Mackenzie gerade im Begriff, ihren Arbeitstag zu beenden und nach Hause zu gehen. »Angenehmen Abend, DS Cross«, sagte sie höflich.
»Handtuch«, antwortete er.
Mackenzie blieb ruckartig stehen, wirbelte um die eigene Achse und sagte zu seiner davonstrebenden Kehrseite: »Was?«
»Handtuch«, wiederholte Cross.
Sie sah die Frau an, die mit Cross die Stufen hinaufging, und erkannte nun, dass sie klatschnass war. Seufzend kehrte sie ins Gebäude zurück und machte sich auf die Suche nach einem Handtuch. Sie hatte sich inzwischen daran gewöhnt, dass er seine Anweisungen oft in einem arg knappen Befehlston erteilte, und nahm es nicht krumm - meistens jedenfalls. Sie konnte sich aber ein Lächeln nicht verkneifen, als sie den Diensthabenden sinnlos hinter Cross herrufen hörte. Vermutlich fragte der sich, warum Cross diese Frau, die drei Tage lang im Eingangsbereich gesessen und die er persönlich am Mittag hinauseskortiert hatte, wieder hereinbrachte. Das war typisch für Cross. Für die meisten seiner Kollegen bei der MCU war er wie Austern. Sie mochten ihn, oder sie verabscheuten ihn. Dazwischen gab es nichts. Er wirkte oft rüde, schwierig oder schlicht begriffsstutzig, aber das war nicht seine Absicht. George Cross hatte eine Autismus-Spektrum-Störung, wodurch es manchmal nicht ganz einfach war, mit ihm zu arbeiten. Aber zugleich war es eine Gabe. Das war es, was ihn zu einem so außergewöhnlichen Detective machte.
Cross nahm sich die Zeit, um den dünnen Dokumentenordner durchzusehen, den Sandra Wilson ihm überlassen hatte. Mackenzie wiederum hatte beschlossen, sich selbst zu dieser Besprechung einzuladen, sofern es sich um eine handelte, denn, so erklärte sie, das könnte dazu beitragen, es Sandra »angenehmer zu machen«.
Cross war nicht ganz sicher, warum das so sein sollte, aber auch zu müde, sich deswegen mit ihr anzulegen.
Mackenzie hatte sich im Stillen selbst dazu beglückwünscht, dass es ihr gelungen war, Cross gegenüber in jüngster Zeit etwas forscher aufzutreten und ihm im gleichen Zug zu demonstrieren, dass sie etwas zu bieten hatte. Sie war vor einem Jahr zur Truppe gestoßen und liebte den Job trotz anfänglicher Bedenken mit jedem Tag mehr. Und allmählich erkannte sie auch, wann sie Cross von Nutzen sein konnte, was durchaus hilfreich war; beispielsweise hatte sie gelernt, dass sie ihn unterstützen konnte, indem sie sich darum bemühte, anderen Menschen zu helfen, sich in seiner Gegenwart nicht unwohl zu fühlen - es sei denn, natürlich, sie kam zu dem Schluss, dass ein gewisses Maß an Unbehagen genau das war, was Cross bei seinem Gesprächspartner erzeugen wollte. Derzeit plauderte sie ein wenig mit Sandra, während Cross sich auf die Akte konzentrierte. Irgendwann blickte er auf und platzte in ihr Gespräch, als fände es gar nicht statt.
»Der Gerichtsmediziner hat festgestellt, dass Ihre Tochter am siebzehnten Juni dieses Jahres durch eine versehentliche Überdosierung zu Tode gekommen ist. Es hat eine Obduktion stattgefunden, und der toxikologische Bericht bestätigt diesen Befund. Ihre Tochter Felicity .«
»Flick«, unterbrach ihn Sandra. »Wir nannten sie Flick.«
»Ihre Tochter Flick hat eine lange und problematische Vorgeschichte mit Drogenmissbrauch. Mehrere erfolglose Entziehungskuren. Da ist ein detaillierter Bericht ihres Psychologen .«
»Doktor Sutton«, warf Sandra ein.
». der besagt, dass sie in der Vergangenheit suizidgefährdet war. Das alles deutet auf einen tragischen Todesfall hin, Mrs Wilson - selbstverursacht, ob nun mit Absicht oder nicht. Jeder, der diesen Bericht liest, würde unausweichlich zu diesem Schluss kommen. Was, wie ich annehme, die Reaktion erklärt, die sie in den diversen Polizeirevieren, in denen Sie waren, erhalten haben.«
»Sie hat sich nicht umgebracht, weder absichtlich noch unabsichtlich«, erwiderte Sandra.
»Manche Dinge sind schwer zu akzeptieren, besonders für eine Mutter«, warf Mackenzie ein.
»Ich sage Ihnen, sie hat sich nicht umgebracht. Sie wurde ermordet«, wiederholte Sandra.
Für einen Moment gab die Unbeirrbarkeit der Frau Cross zu denken. Sie war offensichtlich fest überzeugt, was ihre Anwesenheit im Eingangsbereich über ganze drei Tage anschaulich demonstrierte, ebenso wie ihre klare Weigerung, das Urteil des Gerichtsmediziners und die daraus folgenden Reaktionen der Polizisten als endgültig hinzunehmen. »Warum sollte jemand Ihre Tochter ermordet haben?«, fragte er.
»Ich habe keine Ahnung«, entgegnete sie.
Cross nahm sich erneut die Akte vor und blätterte langsam Seite um Seite um.
»Es wurde nichts entwendet; es gab keinerlei Hinweise auf einen Einbruch. Tatsächlich gibt es überhaupt keinen...
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