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»Entschuldigung, wie lange dauert es noch, bis meine Männer wieder an die Arbeit gehen können?«
Cross antwortete nicht. Stattdessen wandte er den Blick ab und betrachtete das grünliche, aufgequollene Gesicht des jungen Mannes in der Schaufel des JCB-Baggers. Eingewickelt in Baufolie hatte man ihn in einer Garagenreihe verstaut, die abgerissen werden sollte. Blut und Körperflüssigkeiten, die post mortem freigesetzt worden waren, sammelten sich in den Falten der Polyethylenfolie. Der Anblick erinnerte vage an vakuumverpacktes Fleisch im Kühlregal eines Supermarkts. Die Augen des Mannes starrten stumpf und blicklos wie die eines Fisches, der zu lange beim Händler auf Eis gelegen hatte. Die Garagen befanden sich hinter einer Gruppe von Hochhäusern mit Sozialwohnungen, die in den Fünfzigern in Barton Hill errichtet worden waren. Doch was damals ein besseres Leben versprochen hatte, war nun nur noch ein deprimierender Schandfleck in der Landschaft.
Cross drehte sich wieder zu dem Bauunternehmer um und studierte ihn einige Sekunden lang. Der rotgesichtige Mann in der Barbour-Wachsjacke sah aus, als würde er viel Zeit unter freiem Himmel verbringen, wenn er sich nicht gerade den Hosenboden im örtlichen Pub glänzend rieb. Cross ging durch den Kopf, dass die Wortwahl »meine Männer« dazu angetan war, dem Unternehmer einen erhabenen Status zu verleihen.
»Da drüben liegt ein Toter. Ein junger Mann. Die Schlussfolgerung, dass er ermordet wurde, wäre selbst in diesem frühen Stadium nicht zu weit hergeholt«, sagte Cross.
»Das weiß ich und es tut mir leid, aber ich muss vorwärtskommen«, entgegnete der Mann.
»Wir brauchen eine Aussage von Ihnen und allen Arbeitern, die heute Morgen vor Ort waren. Danach können sie nach Hause gehen«, konstatierte Cross.
»Nach Hause gehen? Was soll das heißen?«, stotterte der Mann.
»Es ist ein Mord geschehen. Das, was Ihre Baustelle war, ist durch die Gegenwart einer in Polyethylenfolie gewickelten Leiche zu einem Tatort geworden. Sofern Ihre Arbeiter also kein besonderes Interesse an polizeilichen Ermittlungsmethoden und Forensik hegen, wäre ich dankbar, wenn sie den Tatort verlassen würden, sobald sie ihre Aussage gemacht haben. Sollten sie interessiert sein, können sie hinter dem Absperrband bleiben und zusehen«, klärte Cross ihn auf.
George Cross - Detective Sergeant Cross von der Avon and Somerset Police, um den vollständigen Titel zu nennen - war nicht im Mindesten überrascht über die offenkundige Gefühllosigkeit des Unternehmers hinsichtlich des Ablebens dieses jungen Mannes. Seine bizarre Idee, die Arbeit könne weitergehen wie immer, ganz so, als sei nichts Außergewöhnliches vorgefallen, war für Leute in solchen Situationen nicht überraschend.
Für den Unternehmer musste es verwirrend sein, dass das Angebot des Polizisten, die Leute könnten hinter dem Absperrband bleiben und zusehen, nicht ansatzweise ironisch geklungen hatte. Das war, als würde er tatsächlich glauben, einige seiner Arbeiter wären insgeheim fasziniert von der Ermittlungsarbeit in einem Mordfall. Was er nicht wissen konnte, war, dass Cross das in der Tat glaubte. Cross bemühte sich einfach, sich diesem Mann gegenüber höflich und normal zu geben, sich an die Regeln zu halten, die seine Partnerin DS Ottey ihm beizubringen versucht hatte. Zu Ironie oder Sarkasmus war Cross gar nicht imstande. Der Unternehmer drehte sich hilfesuchend zu DS Ottey um, die gleich neben ihnen stand.
»Fangen wir doch einfach mit Ihrer Aussage an«, sagte die zu ihm und kam damit allem, was der Mann selbst noch hätte äußern können, zuvor.
Cross kehrte zu der Leiche zurück. Allerdings war er mehr an der direkten Umgebung des Toten interessiert als an ihm selbst. Den Verstorbenen würde er sich später in der Leichenhalle genauer ansehen.
»Mr .«, Ottey überprüfte ihre Notizen. ». Morgan, richtig? Wie lange stehen diese Garagen schon leer?«
»Offiziell etwas mehr als ein Jahr. Aber die Leute haben sie widerrechtlich weiter genutzt; einige als Lagerraum, einige als Müllabladeplatz. In einer hat sogar ein Junkiepärchen gewohnt. Verdammte Nervensägen. Kein Respekt vor Privateigentum«, jammerte Morgan.
»Sie haben das Abrissdatum vorverlegt«, bemerkte Cross.
»Ja, die Genehmigung ist fünf Tage früher als erwartet erteilt worden. Woher wissen Sie das?«, fragte Morgan.
»Ich habe mir die öffentlichen Bekanntmachungen des Planungsbüros angesehen, ehe ich hergekommen bin. Gibt es irgendeinen speziellen Grund für die Terminänderung?«
»Ich wollte einfach nur weiterkommen, das ist alles«, entgegnete Morgan.
DCI Carson, der direkte Vorgesetzte von Cross und Ottey, hatte die inzwischen schon gewohnt minimierten Ressourcen für die Ermittlungen bereitgestellt. Der Mangel beruhte nicht so sehr darauf, dass Mord nicht mehr als ernstes Verbrechen galt. Der Grund war vielmehr, dass dank ständiger Kürzungen nicht mehr genug Leute verfügbar waren, um ein angemessen großes Team für eine Morduntersuchung zusammenzustellen. Cross konnte nicht verstehen, warum Ottey Carson deswegen jedes Mal aufs Neue Vorhaltungen machte. Ihm kam das sinnlos vor. Insgeheim hätte er es sowieso vorgezogen, die Ermittlungen allein durchzuführen, auch wenn ihm klar war, dass das absolut nicht machbar war. Es war nützlich, Leute zu haben, die sämtlichen Fragen nachgehen konnten, die ihm in den Sinn kamen. Aber im Grunde arbeitete er lieber allein. Wenn er niemanden um sich hatte, musste er nicht ständig sein Verhalten anderen Menschen gegenüber unter Kontrolle haben.
Was man ihm jedoch auf keinen Fall anvertrauen konnte, das war die Leitung eines Teams. Einmal hatte man es versucht - mit katastrophalem Ergebnis. Es hätte beinahe zu seiner Kündigung geführt, so schlimm hatte er auf den Druck reagiert, mit Leuten umgehen zu müssen, die sich ihm gegenüber zu verantworten hatten. Seine Spezialität war es, Pläne zu entwickeln, denen alle anderen folgen konnten. Seine Partnerin Josie Ottey, eine alleinstehende Schwarze, Mutter zweier Kinder, kümmerte sich um die Leitung des Teams und die Umsetzung des jeweiligen Plans. Exakt und buchstabengetreu war die einzige Art, auf die es funktionieren konnte. Das hatte sie schon früh erkannt. Sie war ihm trotz ihrer umfangreichen Proteste als Partnerin zugeteilt worden und hatte sich bald in der Rolle der Person wiedergefunden, die sich ständig in seinem Namen entschuldigen musste und als Schnittstelle zwischen ihm und dem Rest des Departments fungierte. Übersetzerin für Cross zu sein, war nicht der Grund, warum sie zur Polizei gegangen war. Cross war im besten Fall unbeholfen im Umgang mit anderen Menschen, im schlimmsten verdammt unhöflich. Aber der springende Punkt war, dass er auch ein außerordentlich guter Ermittler war. So besessen von jedem einzelnen Detail jedes einzelnen Falles, von Dingen, die andere - sie selbst eingeschlossen - häufig ignorierten. Seine Präzision und seine manische Hingabe an Logik, Routine und Verhaltensmuster und die Aufmerksamkeit, die er jeglichen Anomalien innerhalb selbiger entgegenbrachte, war enorm. Das alles war der Grund dafür, dass er die beste Verurteilungsrate in der ganzen Umgebung hatte. Seine Unbeholfenheit im Umgang mit Menschen und sein Mangel an Empathie hatten sich im Verhörraum sogar als besonders nützliche Werkzeuge erwiesen. Dazu kam die Tatsache, dass dies eine Umgebung war, in der er sich absolut wohlzufühlen schien. Verdächtige hingegen reagierten verunsichert auf sein Verhalten und ließen sich häufig verleiten, ihn zu unterschätzen. Ein Fehler, den sie später ausnahmslos bereuten.
Im Großraumbüro wandte sich Carson an das, wie er es nannte, »Garagenmord«-Team. Er hatte eine Vorliebe dafür, den aktuellen Fällen einen umgangssprachlichen Namen zu verpassen, als würde ihnen das mehr Gewicht geben, ihnen gewissermaßen einen Hauch von Ruhm verleihen.
»Also, als Erstes müssen wir das Opfer identifizieren«, sagte er - unnötigerweise, wie Ottey dachte. »Er hatte keine Papiere bei sich, keine Brieftasche, kein Telefon, keinen Führerschein, keine Uhr mit Namensgravur. Absolut nada. Natürlich werden wir Fingerabdrücke und DNA überprüfen, aber wenn er nicht im System ist oder beim Militär war, wird uns das vermutlich nirgendwohin führen.«
Ottey empfand diese Besprechungen als ärgerliche Gängelei. Abgesehen davon, dass er mit Binsenweisheiten um sich warf, als müsste er nicht nur seine Mitarbeiter, sondern auch sich selbst überzeugen, dass er federführend und von Nutzen für die Ermittlungen war. Aber er wiederholte nur Informationen gegenüber genau den Leuten, die ihm die Informationen zuvor geliefert hatten. Cross kümmerte das weniger. Er hielt es für sinnvoll, das Team an seine Aufgaben und die Grundlagen zu erinnern, die notwendig waren, um einen Mord aufzuklären. Ihn störte nicht, wie banal das alles war. Außerdem bekam er, wenn die Fakten verbal vor ihm ausgebreitet wurden, Zeit, um nachzudenken.
»Josie, was denkt George?«
Carson fragte, als wäre Cross gar nicht anwesend. Auf Alice Mackenzie, eine junge Frau, die eine Ausbildung zum Police Staff Investigator absolvierte, hatte dergleichen äußerst sonderbar gewirkt, als sie sich der Einheit vor sechs Monaten angeschlossen hatte. Aber sie hatte auch gesehen, dass alle anderen völlig locker damit umgingen, und bald gelernt, dass Cross nicht gern vor mehreren Leuten sprach, wenn er nicht unbedingt musste. Das war auch einer der Gründe, warum Ottey seine Gedanken allen anderen übermitteln musste; dazu brauchte sie keine...
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