Schweitzer Fachinformationen
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Es war schon lange dunkel, als Medeot die Tür zu dem etwas außerhalb von Görz gelegenen Einfamilienhaus aufschloss. Im Flur brannte Licht, doch es war still. Er wusste, dass Claudia immer eine der Lampen im Erdgeschoss anließ, wenn er nicht zu Hause war. Bei allem, was sie durch seinen Beruf zwangsläufig mitbekam - vieles erzählte er ihr gar nicht, und dennoch -, konnte er diese Angewohnheit durchaus nachvollziehen. Sein Gedanke bestätigte sich, als er die Tür zum Wohnzimmer öffnete. Dort war es nämlich dunkel. Claudia und der dreizehnjährige Elias schliefen bestimmt schon, Gabriella hingegen hing mit Sicherheit noch im Internet, das kleine Kästchen im Vorzimmer blinkte munter. Die Hausregel der Medeots, dass der Internetzugang nachts abgeschaltet wurde, war in dem Moment ad acta gelegt worden, als Gabriella kurzerhand ihr Handy benutzt hatte, um sich Filme anzusehen. Medeot wurde heute noch schwindlig bei dem Gedanken an die Handyrechnung. Claudia beschwerte sich zwar hin und wieder über das ständige Geblinke im Vorzimmer - sie behauptete, die Strahlung würde dafür sorgen, dass sie schlechter schlief -, doch meist nahm sie es einfach hin.
Wie gern hätte er sich jetzt neben seiner Frau auf das federweiche Kissen sinken lassen. Ein paar Stunden hätten gereicht, um seine Reserven wieder aufzufüllen. Doch daraus wurde nichts, in seinem Kopf ging es immer noch rund wie auf dem Jahrmarkt. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, sämtliche Gedanken zeitgleich zur Ruhe zu bringen.
Er verzichtete darauf, die große Deckenleuchte im Wohnzimmer einzuschalten, die Helligkeit des Flurs breitete sich weit genug in den Raum aus. Er ging zur Küchenzeile, öffnete den Kühlschrank und schnappte sich die erstbeste Tupperdose. Crespelle ricotta e spinaci, mit Butter und Käse im Ofen überbacken. Offenbar die Reste des Mittagessens. Es duftete einfach himmlisch und brachte Medeots Magen prompt dazu, ein lautes Knurren von sich zu geben - kein Wunder, hatte er doch seit dem Frühstück nichts mehr zwischen die Zähne bekommen.
Er nahm sich eine Gabel und wollte es sich gerade auf dem einladenden Sofa bequem machen, als er es hörte. Etwas schlich draußen vor der Terrasse durch die Dunkelheit. Schemenhaft zeichneten sich im Garten die Bäume ab, Oleander und Sommerflieder, von denen er jeden einzelnen kannte und von denen jeder an seinem Platz war. Er schüttelte energisch den Kopf und wandte sich wieder seiner Mahlzeit zu. Das Umland von Görz war eine ländliche Gegend, voll von weiten Äckern und Weingärten, Wiesen und Wäldern, und die Ufergegend des Isonzo, der unweit des Grundstücks südwärts floss, beherbergte beinahe unberührte Naturjuwelen. Es kam durchaus vor, dass wilde Tiere abseits ihrer eigentlichen Territorien auf Nahrungssuche gingen. Hauptsächlich waren es Wildschweine; Medeot hatte bereits einmal einem ausgewachsenen und äußerst kampflustigen Exemplar gegenübergestanden. Eine erneute Begegnung dieser Art wollte er tunlichst vermeiden, selbst wenn er dabei riskierte, den Ärger von Claudia auf sich zu ziehen, wenn sie bemerkte, dass jemand ihren Gemüsegarten vorzeitig abgeerntet hatte. Den Zorn seiner Frau zog er dem eines voll entwickelten Keilers definitiv vor.
Genüsslich schob er sich einen Bissen nach dem anderen in den Mund. Selbst kalt waren die Crespelle einfach unbeschreiblich köstlich. Er hatte fast aufgegessen, als er einen neuerlichen Blick nach draußen warf. Beinahe wäre ihm das Essen im Hals stecken geblieben. Da war ein Baum, ein schmaler, menschlich geformter, der dort definitiv nicht hingehörte.
Mit einem Satz war er zurück am Küchentresen, wo er seine Dienstwaffe abgelegt hatte. Er ergriff die Beretta, würgte den Rest Crespelle hinunter und schlich in Deckung der Möbel zur Rückseite des Wohnzimmers. Er war fast am Fenster angekommen, als etwas gegen die Scheibe klopfte. Beinahe wäre ihm die Waffe aus der Hand gerutscht, so sehr erschrak er über das unerwartete Geräusch. Es klopfte wieder. Leise, aber ungeduldig - an die Scheibe der Terrassentür. Mit vorgehaltener Pistole starrte er ungläubig auf den Mann, der da im Dunkeln vor seiner Tür stand.
»Cherubini«, keuchte er ungläubig und entsicherte seine Waffe.
»Nicht schießen, Commissario«, tönte Angelos Stimme dumpf durch die Scheibe, »bitte. Ich brauche Ihre Hilfe.«
Er hob demütig beide Hände in die Luft.
»Ich sollte Sie auf der Stelle erschießen, Sie verdammter .« Medeots Stimme bebte, und er spürte, wie sein Gesicht vom Hals aufwärts rot anlief. »Nach allem, was Sie sich geleistet haben, wagen Sie es, in meinem Zuhause aufzutauchen, noch dazu mitten in der Nacht? Während meine Familie oben schläft! Und was haben Sie mit Alexandra gemacht, Sie Bastard, wo ist sie? Haben Sie ihr etwas angetan?«
Er musste sich bemühen, nicht vollends loszubrüllen. Das Letzte, was er brauchen konnte, war, seine Familie in Gefahr zu bringen. Er griff zum Handy, um Verstärkung anzufordern. Bei jemandem wie Cherubini konnte man nicht vorsichtig genug sein.
»Nein, bitte, Medeot. Lassen Sie das und hören Sie mir einen Moment zu, bitte. Wegen Alexandra bin ich doch hier.« Er trat noch näher an das Glas heran und fasste in seine Hosentasche.
Jeder Muskel in Medeots Körper spannte sich. Wenn Cherubini jetzt eine Waffe zog, würde er ihn erschießen, da gab es keine Diskussion. Doch Angelo zückte ein Blatt Papier und hielt es an die Scheibe. Es war ein DIN-A5-groß ausgedrucktes Foto von Alexandra Hüttenstätter, die benommen an der Kamera vorbei ins Leere starrte. Vor ihr lag auf einem Tisch die heutige Ausgabe des »Il Piccolo«, er erkannte die Regierungschefin Serracchiani auf der Titelseite.
»Das habe ich heute Nachmittag bekommen«, erklärte Angelo, und er klang beunruhigt. »Lassen Sie uns bitte kurz reden, ich mache mir Sorgen um sie.«
Medeot überlegte, musterte den attraktiven Mann mit den undurchschaubaren blauen Augen. Er sah hilflos aus. Medeot hielt nicht viel von ihm, dennoch war er sich sicher, dass Angelo Cherubini es nicht darauf abgesehen hatte, einen hochrangigen Polizisten in seinem eigenen Haus zu überfallen. Das war erstens nicht sein Stil, und ein Gewalttäter war der Mann obendrein nie gewesen. Er öffnete und ließ ihn eintreten, senkte die Pistole aber keinen Millimeter.
»Sie haben vielleicht Nerven«, knurrte Medeot.
»Es tut mir leid. Ich hätte vermutlich nicht herkommen dürfen, aber ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte.«
Medeot starrte ihn an. Er bekam gerade eine einmalige Gelegenheit auf dem Silbertablett präsentiert, einen Dieb, Betrüger und Kunstfälscher dingfest zu machen. Es gab nach wie vor einen Haftbefehl gegen Angelo Cherubini. Zwar nur wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt und Unterschlagung, denn der Beihilfe zu den Morden seines damaligen Komplizen war er nie überführt worden, doch für Medeot wäre es persönlich eine Genugtuung, diesem professionellen Lügner den Garaus zu machen.
»Commissario, Sie sind einer von den Guten. Deshalb komme ich zu Ihnen. Ich werde mich stellen.«
Medeot ließ die Waffe sinken und runzelte die Stirn. Er sollte ihn einfach in seinen Wagen verfrachten und auf das Präsidium schleifen, vorsichtshalber in Handschellen, um Cherubini zumindest ein Stück weit für seine Taten im vergangenen Jahr büßen zu lassen.
Doch er entschied sich anders. »Wie soll es Alexandra retten, wenn Sie sich stellen?«, wollte er wissen und legte seine Waffe zur Seite.
Angelo reichte ihm den Ausdruck. Am unteren Rand stand in gedruckten Buchstaben etwas, das Medeot auf den ersten Blick nicht aufgefallen war.
»Deine Freiheit für ihre«, las er.
»Deshalb bin ich hier«, sagte Cherubini ruhig. Entweder hatte er sich außergewöhnlich gut unter Kontrolle, oder er hatte sich seine Schritte vorab gut überlegt und bereits eine Entscheidung getroffen. »Ich will, dass Sie mich verhaften und es an die ganz große Glocke hängen.«
Es war also Letzteres der Fall.
»So wichtig, wie Sie glauben, sind Sie auch wieder nicht«, warf Medeot ein.
Cherubini verzog keine Miene. Es schien ihm ernst zu sein. »Es geht nicht darum, wie wichtig ich bin, sondern darum, dass eine möglichst breite Masse davon erfährt, dass ich meine Freiheit aufgegeben habe. Und damit hoffentlich auch derjenige, der hinter Alexandras Entführung steckt.«
»Haben Sie eine Idee, wer das sein könnte?«
Angelo Cherubini verneinte.
Medeot zögerte mit einer Entscheidung. Es wäre möglich, dass Cherubini seine beste Chance war, Alexandras Leben zu retten. Sie hatten nicht gerade eine heiße Spur zu den Tätern oder ihrem Aufenthaltsort, und mit jeder Stunde, die verstrich, sank die Wahrscheinlichkeit, sie lebend zu finden.
Er zog einen der beigefarbenen Ordner, die er in Erwartung einer schlaflosen Nacht inoffiziell aus dem Büro mitgenommen hatte, aus seiner Aktentasche und blätterte zum Foto von Nicolo Zaghet. »Schon mal gesehen?«
Angelo Cherubini schüttelte den Kopf. Der sonst so charmante und in Medeots Augen gleichermaßen schmierige Schwerenöter war heute äußerst still.
»Sind Sie sicher? Sehen Sie genau hin.«
»Nein, Medeot, ich kenne diesen Mann nicht. Wer ist das?«
Medeot ignorierte seine Frage. Sie hatten den Verkäufer mit der zweifelhaften Vergangenheit an dessen offizieller Adresse nicht mehr angetroffen und ihn auch telefonisch nicht auftreiben können. Sein Handy war ausgeschaltet und er wie vom Erdboden verschluckt. Der nächste Name auf der immer länger werdenden Liste von Leuten, die er besser heute als morgen finden sollte. Was für eine Ironie, dass ihm dafür genau die Person, die er gerade nicht auf der Liste hatte, quasi frei Haus...
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