Schweitzer Fachinformationen
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Rums . rums . rums.
Dieses Wochenende verlief tatsächlich in vielerlei Hinsicht anders, als Kriminaloberkommissar Raffael Störtebecker es geplant hatte.
Da war am Samstagmorgen dieser Traum, den er gerne noch einige Zeit ausgekostet hätte. Aber nein, das fürchterliche Geräusch aus der Wohnung über ihm, das sich in kurzen Abständen mehrfach wiederholte, machte alles kaputt.
Oh, Mann, das darf doch nicht wahr sein!
Raffael hielt bewusst die Augen geschlossen, als könnte er damit erreichen, seinen angenehmen Traum zu verlängern.
Rums . rums-rums . rumms-rumms.
Die Erschütterungen über ihm hörten nicht auf, veränderten jedoch ihre Lautstärke und ihren Rhythmus. Raffael versuchte die letzten Bilder von eben zurückzuholen, aber sie zerbröselten langsam vor seinem geistigen Auge.
Ach Mensch!
Die konkreten Erinnerungen an den Traum verblassten.
Emil, du kleiner Mistkerl! Irgendwann dreh ich dir den Hals um.
Raffael blieb nur ein einziges Bild, das sich in sein Gedächtnis einbrannte. Das aufgeräumte Wohnzimmer, ohne irgendwelche Kartons, Kisten oder sonstige Verpackungen auf dem Fußboden. So etwas hatte er sich in den letzten Monaten - nach seinem Umzug von Hamburg nach Hannover - immer gewünscht: eine aufgeräumte Wohnung, in der er zu jeder Zeit Besuch empfangen konnte, ohne schamrot anzulaufen.
Der Traum war endgültig passé. Raffael schlug die Augen auf und starrte zur Schlafzimmerdecke.
Über das Chaos in meiner Wohnung hat noch nie jemand gemeckert. Na gut - ich habe ja bisher auch niemanden reingelassen.
Oben herrschte für einen Moment Stille. Raffael überlegte, ob er versuchen sollte, noch einmal einzuschlafen. Die Entscheidung wurde ihm in der nächsten Sekunde abgenommen.
Emil setzte erneut sein frühmorgendliches Hüpfen gnadenlos fort.
Raffael richtete sich mit einem Ruck im Bett auf. Der aufkommende Ärger wirkte wie ein Energydrink.
"Emil, Ruhe! Hör auf damit!", rief Raffael. Er stand inzwischen mit beiden Füßen auf der Matratze seines Bettes und klopfte mit der rechten Hand an die Decke.
Das wiederkehrende Rumsen endete erst, nachdem Raffael ein zweites Mal an die Decke geklopft und um Ruhe gebrüllt hatte.
Stattdessen wurde jetzt von oben auf den Fußboden geschlagen, in einer Weise, die Raffaels Klopfrhythmus nachahmte.
"Emil, jetzt reicht's!", blökte Raffael, ohne erneut an die Decke zu schlagen.
Und auf einmal endete das Spektakel. Kein Klopfen, kein Rumsen von oben. Raffael meinte, oben eine weibliche Stimme gehört zu haben.
Ist Frau Gerold aufgewacht? Bringt sie ihr Früchtchen jetzt endlich zur Räson?
Diese Ruhestörung am Samstagmorgen war leider kein Einzelfall. Bereits vor einer Woche hatte sich Emil am Samstag und Sonntag in ähnlicher Weise ausgetobt, wobei Raffael schon vor vierzehn Tagen zum ersten Mal den Krach aus der Wohnung über sich gehört hatte. Damals noch zögerlich und verhalten, aber seit letzter Woche hatte Emil sämtliche Zurückhaltung aufgegeben.
Und irgendwie bin ich sogar selbst schuld, dass mich dieses kleine Ungeheuer an den Wochenenden malträtiert. Ich hab beim Smalltalk mit Andrea nicht an die Konsequenzen gedacht und den Gedanken einfach so rausgehauen. Das Ergebnis ist jetzt leider unüberhörbar.
Seine Kollegin, Kriminaloberkommissarin Andrea Renner, hatte vor zwei Monaten erwähnt, dass ihre Schwester Katja kurzfristig eine neue Wohnung sucht. Über Raffael war tatsächlich gerade eine Wohnung frei geworden. Die bisherige Mieterin, eine ältere alleinstehende Frau, war plötzlich verstorben. Davon hatte Raffael seiner Kollegin erzählt, ohne zu ahnen, welche Folgen daraus für ihn erwachsen würden.
Katja Gerold war vor einem Monat mit ihrem Sohn Emil in das Mehrfamilienhaus eingezogen - in den zweiten Stock direkt über Raffael.
Letzten Sonntag hatte er bei Katja geklingelt und sie gebeten dafür zu sorgen, dass sich ihr Sohn zukünftig leiser verhält. Sie hatte geäußert, dass sie davon gar nichts mitbekommen hätte, sich aber kümmern würde.
Alles leere Worte!, fluchte Raffael innerlich. Die Dame hat heute wieder fernab des Geschehens in ihrem Schlafzimmer gepennt, während ihr Sohn im Kinderzimmer tobt. Das hört sich an, als wenn er vom Bett springt und auf dem Boden herumhopst. Sein Zimmer liegt auch noch direkt über meinem Schlafzimmer und ich höre alles viel lauter als die liebe Frau Nachbarin.
Auch wenn jetzt Ruhe herrschte, an Wiedereinschlafen war nicht zu denken.
Raffael verließ langsam das Schlafzimmer, schlich auf dem Flur an einigen Kartons vorbei ins Badezimmer. Der Blick in den Spiegel zeigte einen Mann Mitte dreißig mit verstrubbelten lockigen schwarzen Haaren und einem mürrischen Gesichtsausdruck.
He, Raffael. Heute ist Wochenende. Du hast zwei Tage hintereinander frei und triffst dich abends mit deiner Kollegin Andrea, die sich wirklich bemüht, freundlich zu sein. Lass dir nicht die Stimmung durch ein hyperaktives Balg vermiesen.
Der Gang unter die Dusche wirkte Wunder. Erfrischt und deutlich besser gelaunt zog er sich an und schaute in der Küche nach Essbarem fürs Frühstück. Toast, Marmelade, etwas Käse, dazu einen Becher Kaffee. Er hatte es gestern nicht mehr geschafft einzukaufen. Das würde er heute Vormittag nachholen. Auf der Ablage türmte sich das benutzte Geschirr, das nicht mehr in die Spülmaschine gepasst hatte.
Ich muss das Ding mal anstellen. Aber wo sind die Geschirrspültabs?
Auch die beiden Pizzateller auf dem Tisch im Wohnzimmer hatten leider keinen Platz mehr im Geschirrspüler gefunden.
Es gab Tage, da hatte er sich an die Umzugskartons, die überall verteilt in der Wohnung ihren Platz gefunden hatten, gewöhnt. Einige von ihnen waren fast leer, andere wiederum noch vom Umzug original verpackt. Die nicht aufgehängten Bilder hatte er in gleichmäßigem Abstand im langen Flur aufgereiht.
Vor vier Monaten hatte er sich von Hamburg nach Hannover zur dortigen Polizeidirektion versetzen lassen. Weil er von der niedersächsischen Landeshauptstadt so angetan wäre, hatte er den hannoverschen Kollegen weismachen wollen. Innerlich war er hier noch immer nicht angekommen. Ihm fehlte der Schwung, die Kartons vollständig auszupacken und seine vier Wände endlich in eine gemütliche, vorzeigbare Wohnung zu verwandeln. Andrea hatte schon öfters durchblicken lassen, dass sie gerne einmal seine Wohnung sehen möchte.
Zum Glück ist mir immer eine plausible Erklärung eingefallen, warum es gerade nicht passt. Aber es fällt mir zunehmend schwerer, mich rauszureden. Sollte sie meine Wohnung im jetzigen Zustand sehen, rutsche ich in ihrer Achtung gleich ins Kellergeschoss.
Er verzog den Mund zu einem Grinsen.
Vielleicht sollte ich einfach mal auspacken und gründlich aufräumen.
Auf dem Weg zum Wohnzimmer kickte er mit dem Fuß einen Karton zur Seite.
Muss ja nicht dieses Wochenende sein.
Er ließ sich auf die Couch fallen und betrachtete die Sammlung seiner mehr oder minder ungelesenen Zeitungen und Musikzeitschriften in einer Ecke des Wohnzimmers. Während er begann, den Lennon-Song Cleanup Time anzustimmen, plante er sein weiteres Vorgehen.
Erst einkaufen und dann Frau Gerold und Emil die Meinung geigen oder umgekehrt?
Er entschied sich dafür, noch eine halbe Stunde abzuwarten und sich danach als Erstes die Nachbarin vorzuknöpfen. Mit Ärger im Bauch konnte er sich schlecht auf den Einkauf konzentrieren.
Fünfunddreißig Minuten später stand er vor der Wohnungstür mit dem Namensschild "Gerold" und klingelte.
Als nichts passierte, drückte er erneut - und diesmal etwas energischer - auf den Klingelknopf. Es dauerte eine Weile, bis die Tür endlich geöffnet wurde. Vor Raffael stand ein acht- oder neunjähriger Junge, braune Haare (vorne kurz, hinten lang), bekleidet mit halblanger Jeans und einem T-Shirt, auf dem die Film-Piratenfigur Jack Sparrow zu sehen war.
Emil hatte seine braunen Augen weit aufgerissen, legte den Kopf zur Seite und musterte Raffael, der schlecht einschätzen konnte, ob er die Geste des Jungen als verlegen oder dreist interpretieren sollte.
"Guten Morgen, Emil .", setzte Raffael an. Er wunderte sich, dass Katja Gerold nicht auf das Klingeln reagiert hatte.
"Hallo, Käpt'n Blaubär", antwortete sein Gegenüber in einem Tonfall, als wäre diese Titulierung eines Erwachsenen die selbstverständlichste Sache der Welt.
Respektloser Bengel!
"Sag mal, wie kommst du dazu, mich 'Käpt'n Blaubär' zu nennen?!"
"Meine Mama nennt dich so. Hat ihr Tante Andrea erzählt."
Raffael zuckte innerlich zusammen.
"Was hat Tante Andrea gesagt?", fragte er nach. Es interessierte ihn schon sehr, was seine Kollegin Andrea Renner ihrer Schwester über ihn erzählt hatte.
"Bei der Polizei heißt du 'Käpt'n Blaubär'. Weil du genauso redest."
Offenbar eine Anspielung auf Raffaels hanseatischen Akzent, bei dem er "s-t" und "s-p" getrennt sprach anstelle des sonst üblichen "Sch-t" oder "Sch-p" - wie der menschenähnliche Bär aus dem Kinderfernsehen. So wurde er also hinter seinem Rücken genannt. Das war ihm...
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