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Kapitel 1
Berta fluchte über den Regen, die schlechte Sicht, die fehlenden Wegweiser und am meisten über sich selbst. Sie hatte vergessen, ihr Handy aufzuladen. Und das nur, weil dieser Döskopp von Briefträger am Morgen mit dem Fahrrad in eine Pfütze auf ihren Hof geschlittert, den Lenker verrissen und zusammen mit der Posttasche im Matsch gelandet war. Seine Uniform notdürftig zu säubern, die Post einzusammeln und abzuputzen, ihm einen heißen Kaffee vorzusetzen . das alles hatte ihren Zeitplan gehörig durcheinandergewirbelt. Rund zwei Stunden später als vorgesehen war sie endlich in ihr Auto gestiegen, losgefahren und hatte natürlich vergessen, das Handy aufzuladen. Nun war der Akku leer und sie saß hier irgendwo in der Schleswig-Holsteinischen Pampa fest, weil sie augenscheinlich ein Hinweisschild übersehen hatte.
"So 'n Schiet", schimpfte sie, "was mach' ich denn jetzt?" Sie blinzelte durch die beschlagenen Fensterscheiben, konnte jedoch aufgrund des Regens, der mit beständiger Gleichmäßigkeit daran herunterlief, kaum etwas erkennen. "Am Besten drehe ich wieder um." Sie betätigte den Zündschlüssel um den Motor zu starten, doch nichts rührte sich. Sie versuchte es ein zweites und ein drittes Mal. Nichts. "Das glaube ich jetzt nicht", murmelte sie entsetzt. "Ferdinand, du wirst mich doch nicht im Stich lassen, bitte, tu mir das nicht an."
Dass sie mit ihrem Auto sprach, war nichts ungewöhnliches, es gab noch mehr Gegenstände in ihrem Haushalt, die sie mit Namen bedacht hatte. Der Staubsauger, fand sie, war eindeutig weiblich und hörte auf den Namen Trulla. Wohingegen die Waschmaschine, jeder Logik zum Trotz, den Namen Hannibal bekam. Dass ihr langjähriger Weggefährte Ferdinand sie nun jedoch im Stich ließ, nahm sie persönlich. Sie würde sich eine gerechte Strafe für ihn ausdenken, doch erst einmal musste sie darüber nachdenken, wie sie hier wegkam. Es wurde allmählich dämmerig und der Regen war noch um einiges heftiger geworden. Alles in allem eine mehr als unangenehme Situation. So resolut Berta im Alltagsleben auch war, im Moment konnte sie sich eines mulmigen Gefühls nicht erwehren, das sich in ihrem Magen breitmachte.
Wieso hatte sie auch die Einladung ihrer alten Freundin Klara angenommen, sie zu ihrem Geburtstag zu besuchen. Allerdings hatte Klara schon so viele Einladungen an Berta ausgesprochen, dass sie ein permanent schlechtes Gewissen hatte, wenn sie wieder einmal unter Zuhilfenahme mehr oder weniger plausibler Ausreden absagte.
Klara lockte mit Strandwanderungen an der Ostsee, erstklassigen Fischrestaurants und gelb blühenden Rapsfeldern im Mai. Alles keine Argumente für Berta. "Hev ik allns för de Dör", pflegte sie zu sagen. Sie lebte in dem kleinen Dorf Klanxbüll in Nordfriesland, wo mehrmals am Tag der Zug nach Sylt haltmachte. Er nahm Pendler mit auf die Insel, die dort einen Arbeitsplatz gefunden hatten. Überwiegend waren es Saison Jobs, die meisten davon in der Gastronomie oder im Hotelgewerbe. Ein Zimmer oder sogar eine Wohnung auf der Insel konnten die Angestellten sich von dem Gehalt nicht leisten. Abgesehen davon war auf dem freien Wohnungsmarkt kaum etwas verfügbar, und wenn, dann zu horrenden Mietpreisen. Die Insulaner kämpften mit demselben Problem. Auch sie fanden auf ihrer Insel kaum bezahlbaren Wohnraum und so wanderten immer mehr Einheimische aufs Festland ab.
Berta setzte sich im Frühjahr, nicht im Sommer, wenn Touristen die Insel überschwemmten, gerne hin und wieder in den Zug und machte einen Tagesausflug auf die Insel. Dann wanderte sie an der Nordsee entlang, mit den nackten Füßen im Sand, holte sich ein Fischbrötchen von einem der Kioske und atmete die frische Luft, die nach Salz und Meer schmeckte. Wo konnte es schöner sein? Und Rapsfelder hatten sie auf dem Festland auch in Hülle und Fülle. Wieso sollte sie freiwillig ihr kleines mit Reet gedecktes Häuschen verlassen, wo sie mit drei Hühnern, der Katze Mohrle und dem zahmen Bussard Klaus friedlich in den Tag lebte?
Sie hatte die Nachbarin bitten müssen, die Tiere zu füttern während ihrer Abwesenheit, welch ein Umstand. Berta seufzte. Als ehemalige Altenpflegerin, nun im Ruhestand, war sie durchaus vertraut mit plötzlich auftretenden, unvorhergesehenen Situationen. Im Moment versagte ihr jedoch ihr angeborener Optimismus. Mit dem Ärmel ihres Pullovers wischte sie ein Sichtloch von der beschlagenen Scheibe und ließ den Blick schweifen. Ringsum nur Felder, die von halbhohen Hecken umgeben waren. Der Feldweg, in den sie irrtümlicherweise abgebogen war, wies tiefe, mit Wasser gefüllte Furchen auf. Ihr Magen knurrte und Durst hatte sie auch. In keinem Fall konnte sie die Nacht im Auto verbringen. Dann wäre sie am nächsten Morgen verhungert oder verdurstet, oder beides. Vielleicht auch erfroren.
Berta kicherte nervös. Sie musste sich jetzt umgehend auf die Socken machen. Sie hangelte nach ihrer Jacke und wand sich umständlich in die Ärmel. Der Regenschirm lag im Kofferraum, ebenso ihr Wachshut und die Gummistiefel. Diese Utensilien hatte sie glücklicherweise immer dabei, da man in Nordfriesland vor wetterbedingten Überraschungen nicht gefeit war. Allerdings hätte Berta die Sachen im Moment lieber auf der Rückbank des Autos gehabt, denn als sie die Tür öffnete und die Beine nach draußen schwang, versanken ihre Füße augenblicklich in knöcheltiefem Schlamm.
"Mist, Mist, Mist", schrie sie und schlug wütend mit der Faust gegen das Autodach.
"Das nützt auch nichts." Hinter ihr erklang eine tiefe Stimme und Berta blieb fast das Herz stehen vor Schreck. Ihr Kopf fuhr herum und sie gewahrte einen älteren Mann in der Uniform eines Försters, das Gewehr geschultert, an der kurzen Leine einen Jagdhund, der aufgeregt hechelte.
"Wer sind Sie denn, verdammt", blaffte Berta ihn an. "Was fällt Ihnen ein, mich so zu erschrecken?" Dann betrachtete sie seine Uniform und brach in lautes Lachen aus. "Sind Sie einem Heimatfilm entsprungen? Weit und breit kein Baum, geschweige denn Wald, und Sie stolzieren umher wie der Förster vom Silberwald."
Der Mann konnte sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Er lüftete seinen Hut, den eine stolze Fasanenfeder zierte und stellte sich vor: "Gestatten, Herbert Klausnitzer mein Name. Ich bin der Revierförster des Schlosses Birkenstein. Sie befinden sich bereits auf dem Grund und Boden der Familie von Birkenstein. Haben Sie die Schilder nicht gesehen, die Unbefugten den Zutritt verbieten?"
"Da waren keine Schilder", maulte Berta. "Meine Augen sind nämlich in Ordnung."
Die rechte Augenbraue Klausnitzers hob sich in einem spitzen Bogen nach oben, was seine Skepsis eindrucksvoll ausdrückte. "Wo wollten Sie denn hin?"
"Ihren Worten entnehme ich, dass ich fast angekommen bin", triumphierte Berta. "Ich möchte nämlich zum Schloss." Und bevor erneut die buschige Augenbraue betätigt werden konnte, fügte sie hinzu: "Meine Freundin arbeitet dort als Köchin. Klara Drenske, kennen Sie die?" Erstaunt sah sie, wie sich eine feine Röte über das kantige Gesicht ihres Gegenübers ausbreitete. Er nickte wortlos und polterte los: "Mein Jeep steht da hinten." Sein Arm wies ziellos in die Gegend. "Sie können hinter mir herfahren."
Berta schüttelte den Kopf. "Nö, kann ich nicht. Ferdinand hat keine Lust. Nehmen Sie mich mit?"
Herbert Klausnitzer blickte sich suchend um und bückte sich dann, um in das Auto hinein zu schauen. "Wo ist Ferdinand denn?"
Berta grinste. "Sie sehen ihm gerade in sein Innerstes."
Klausnitzer sah nicht so aus, als ob er diese humorige Auskunft guthieß und richtete sich auf. "Dann kommen Sie, ich nehme Sie mit zum Schloss. Um Ihren Wagen kümmern wir uns morgen." Er wollte losstapfen, doch Bertas Stimme hielt ihn zurück. "Halt, mein Koffer." Sie ging um das Auto herum und öffnete den Kofferraum, entnahm ihm Schirm, Gummistiefel, Hut und Koffer und drückte Letzteren dem erstaunten Förster in die Hand. Dann schlüpfte sie aus den durchweichten Schuhen, steckte sie in eine Plastiktüte, von denen sie stets einige dabei hatte, und zog die Gummistiefel an. Anschließend stülpte sie sich den karierten Wachshut auf den Kopf, schnappte sich die große, prall gefüllte Einkaufstasche vom Beifahrersitz und stolperte hinter dem Förster her. "Tschüss, Ferdinand", rief sie, "mach' keinen Unsinn heute Nacht. Morgen sehen wir uns wieder."
Klausnitzer, der ihre Worte gehört hatte, schüttelte den Kopf. "Verrückte Alte", murmelte er. Fünf Minuten später hatten sie den Jeep erreicht und kletterten hinein. Der Hund sprang in den Kofferraum und legte den Kopf auf die Pfoten. Nach kurzer Fahrt erreichten sie den gräflichen Forst und Berta staunte über die Dichte des Waldes.
"Hätte ich nicht gedacht", bemerkte sie kleinlaut, "dass hier tatsächlich so viele Bäume stehen." Ihr Chauffeur sah sie von der Seite an und enthielt sich eines Kommentars.
Über eine lange, gewundene Auffahrt erreichten sie das Torhaus, fuhren hindurch und hielten vor dem Schloss, das recht imposant in die Höhe ragte. Berta war froh, den Jeep verlassen zu können, denn die Ausdünstungen des Jagdhundes waren ihr unangenehm in die Nase gestiegen. Sie streckte sich und atmete tief die regenfeuchte Luft ein. Eine Tür seitlich der geschwungenen Freitreppe wurde geöffnet und ihre Freundin Klara erschien auf der Bildfläche.
"Berta, altes Haus", dröhnte sie lauthals über den Schlosshof. "Wo bleibst du denn? Ich komme schon fast um vor Sorge. Und wieso lässt du dich von Herbert fahren?" Sie stürmte auf Berta zu, die einen guten Kopf kleiner war als die hochgewachsene Klara, und umarmte sie fest.
Berta, deren Gesicht in Klaras...
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