Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Kaum hatte sich die Tür der Gerichtsmedizin hinter mir geschlossen, versengte mir die Sonne brutal das Gesicht. Eigentlich wollte ich mir auf dem Nachhauseweg die nächsten Schritte zurechtlegen, aber die Hitze erschwerte nicht nur das Atmen, sie kochte auch meine Gedanken zu Brei.
Marlies hatte mir nahegelegt, in meinem Zustand ein Taxi zu nehmen. Um sie zu beruhigen, hatte ich genickt, aber eine derartige Ausgabe war bei meinem Gehalt nicht machbar.
Bereits nach hundert Schritten quoll mir der Schweiß aus allen Poren. Ich seufzte tief, zog dabei ein ebenso leidgeprüftes Gesicht wie Maria Stuart, als sie ihren Kopf auf den Richtblock legte, und trottete zur Haltestelle. Damit man mich nicht wegen Geruchsbelästigung aus der Bahn warf, presste ich die Arme fest an den Körper, suchte mir ein abgelegenes Plätzchen und schaute gelangweilt aus dem Fenster. Müdigkeit überkam mich, immer mehr sackte ich im Sitz zusammen. Mehrmals gähnte ich so heftig, dass ich mir beinah den Unterkiefer ausrenkte. Bevor ich wegdämmerte, holte mich ein Gedanke mit Wucht in die Welt der Wachen zurück. Mist, heute war Montag. Ein Arbeitstag. Folglich musste ich meinem Job nachgehen. Ich richtete mich kerzengerade auf, wühlte hektisch das Smartphone aus meiner Tasche, öffnete die App, die meine Dienstpläne verwaltete, und seufzte vor Erleichterung laut auf, als ich las, dass ich heute Spätschicht hatte. Im Homeoffice.
Abgekämpft und klatschnass erreichte ich meine Mietwohnung in Dresden Striesen. Mir blieb noch eine reichliche Stunde bis zum Arbeitsbeginn.
In Windeseile duschte ich und fühlte mich danach halbwegs wieder als Mensch. Anschließend huschte ich nackt in die Küche und schmiss meinen MACCHIAVALLEY Kaffeevollautomat an. Liebevoll sah ich dem Teil einen kurzen Moment bei der Zubereitung meiner Lieblingsdroge zu. Die MACCHIAVALLEY weckte Erinnerungen an ein besseres Leben in mir. Sie war ein Relikt aus jener Zeit, als ich mir derart sündhaft teure Luxusgegenstände leisten konnte. Bei meinem jetzigen Einkommen war das ausgeschlossen. Die Hälfte meines mageren Gehaltes ging für die Miete drauf, die andere ermöglichte es mir, mich durchs Existenzminimum zu hungern.
Gleich als ich die Wohnung betreten hatte, war der vertraute Begrüßungslärm in meinem Wohnzimmer losgebrochen. Natürlich hatte mein kleiner blaugefiederter Freund das Einrasten des Türschlosses registriert und sich augenblicklich in einen Freudenrausch hineingesteigert. Dementsprechend herzlich fiel die Begrüßung aus. Er machte einen Satz von seiner Stange, klammerte sich an der Tür seines Bauers fest und schaute mich auffordernd an.
»Ich freue mich auch riesig dich zu sehen, Whisky. Leider kann ich dich noch nicht rauslassen. Ich muss noch ein wenig für uns beide den Lebensunterhalt verdienen, heute Abend darfst du flattern.«
Es zerriss mir das Herz, dass ich ihn nicht fliegen lassen konnte. Doch dummerweise wurde meine Schicht stets von einem Teammeeting eingeläutet. Ich hegte die leise Befürchtung, dass mein ständig griesgrämiger Chef wenig Verständnis dafür aufbringen würde, wenn Whisky während der Besprechung auf meiner Schulter hockte, fröhlich ins Mikro krähte und mir auf die Schulter schiss.
Ich schnappte mir seinen Wasserspender, spülte ihn gründlich und füllte frisches Wasser ein. »Du hast bestimmt Durst, bei dieser Hitze.« Aber Whisky hatte inzwischen geschnallt, dass die Tür geschlossen bleiben würde, und zeigte mir die kalte Schulter.
Sein Körnervorrat war ausreichend, das verschaffte mir eine Gnadenfrist, um für meine Bedürfnisse zu sorgen.
Mir blieben zehn Minuten. Zeit, Gas zu geben. Ich schaltete den Rechner an, raste ins Badezimmer, kämmte schnell durch meine Haare, schaute in den Spiegel und zuckte erschrocken zurück. Jede einzelne Minute dieses furchtbaren Vormittags war mir deutlich anzusehen.
Schaudernd wandte ich mich ab, zog mir frische Sachen an, trug einen Pott Kaffee und eine Flasche Wasser an den Arbeitsplatz, stellte die Verbindung her und sank geschafft auf den Stuhl. Noch einmal kurz durchgeschnauft, das Headset auf den Scheitel gesetzt, ein motiviertes Lächeln ins Gesicht gezaubert und auf die Sekunde genau grinste ich in die Kamera.
Marco, der Teamleiter, begann die Show mit seinem gewohnten Gesülze. Betonte die Kundenzufriedenheit bei Beratungsgesprächen und wies darauf hin, dass alle die Gelegenheit nutzen sollten, den Leuten am anderen Ende der Leitung neue - natürlich preisintensivere - Verträge aufzuschwatzen. Kurz überlegte ich, ob es sinnvoll wäre, ihn darauf hinzuweisen, dass seine Vorgaben blödsinnig waren. Kann ein Kunde zufrieden sein, nachdem man ihn übers Ohr gehauen hatte? Doch da ich diesen Job brauchte, hielt ich die Klappe.
Danach wurde jeder gezwungen einen Spruch von sich zu geben, um seine Motivation für den bevorstehenden Einsatz in Worte zu fassen. Na ja, auch diese Prüfung ging einmal zu Ende und ich wurde zu den Kunden durchgestellt, beantwortete Fragen zu Rechnungen, Kündigungsfristen, nahm Änderungswünsche entgegen und dergleichen mehr.
Nach zwei Stunden ging ich in die erste gewerkschaftlich verordnete Pause. Eine Stippvisite auf der Toilette, neuen Kaffee brühen und zwei Scheiben Knäckebrot mit Käse belegen - das alles musste flott gehen, in zehn Minuten würde ich wieder online sein.
Mein Appetit hatte sich zurückgemeldet, kauend schaute ich zu Whisky, der neugierig zu mir herübersah. Ich winkte ihm und er sah das als Aufforderung zu lärmen.
Der kleine Kerl war mir im späten Frühjahr zugeflogen. Das Bild stand so leibhaftig vor mir, als sei es gestern gewesen. Völlig verängstigt, zerzaust und verdreckt hatte er kläglich piepsend in einer Ecke meines Balkons gehockt. Ich hatte für ihn eine Übergangsbleibe aus einem Schuhkarton gebastelt, ihn hochgepäppelt und Aushänge an sämtlichen Hauseingängen des Viertels angebracht. Als sich nach einer Woche keiner gemeldet hatte, spazierte ich in eine Tierhandlung und erfragte, auf welchem Weg ich den Besitzer ausfindig machen könnte. Eventuell anhand der Daten auf dem Ring, war mir erklärt worden. Da Whisky einen derartigen Schmuck nicht trug, hatte ich ihn kurzerhand adoptiert. Hatte mein Konto geplündert und den schönsten Vogelbauer gekauft, den ich kriegen konnte. Seitdem sind wir dicke Freunde und ich war dabei ihn sprechen zu lehren. Ein paar Worte konnte er bereits, natürlich seinen Namen, schlau wie er ist, hatte er den als erstes beherrscht. Nur gute Zoe wollte er partout nicht sagen. Aber als ich einmal, wütend auf meine Unordnung, das Wort Schlampe in den Mund genommen hatte, speicherte er es auf der Stelle in seinem Sittich-Gehirn ab.
Das Verhängnis war in Gestalt meiner Eltern über mich hereingebrochen. Sie waren zu Besuch gekommen, Whisky hatte auf seiner Stange gesessen, schöngetan und seinen Namen gesäuselt. Begeistert hatte Mutter in den Käfig geschaut und nach den üblichen Lockrufen »Du bist aber ein lieber Vogel« gesagt.
Whisky hatte das Kompliment erwidert indem er ihr ein freundliches »Schlampe« entgegenkrähte. Seitdem ignoriert sie ihn.
Ein Blick zur Uhr riss mich aus meiner Tagträumerei und bis zum Schichtende widmete ich mich erneut den Problemen von Telefonkunden.
Endlich, nachdem ich mir den Mund stundenlang fusselig gequatscht hatte, war Feierabend. Erleichtert riss ich mir das Headset vom Kopf, schlüpfte in Windeseile in meine Hausklamotten und öffnete die Tür zum Vogelbauer. Völlig außer Rand und Band schoss Whisky wie ein Düsenjäger auf mich zu, landete auf meiner Schulter und knabberte an meinem Ohrläppchen.
Da ich unbedingt Ablenkung brauchte, legte ich eine CD von Chris Knight in den Player und summte mit.
Whisky war das überhaupt nicht recht. Er forderte meine gesamte Aufmerksamkeit und schimpfte so laut, dass er Chris locker übertönte. Was blieb mir, als nachzugeben? Ich schaltete den Player aus und fläzte mich in meinen bequemen Lese- und Fernsehsessel. Das Teil hatte ich in einem Möbel An- und Verkauf aufgetrieben und nachdem ich die Polster gründlich geschrubbt hatte, sah es bis auf zwei kleine Brandflecke ganz manierlich aus. Die Farbe des Bezugsstoffes war eine verwegene Komposition aus Rot- und Brauntönen. Da ich beim Lesen gern naschte und Rotwein trank, fand ich das ganz praktisch. Ein Schauder durchfuhr mich, als mir die weiße Ledergarnitur in Glücks Wohnung in den Sinn kam. Bei meinem Talent zum Kleckern würde das Teil nach wenigen Tagen wie ein altes Fensterleder aussehen.
Das Bild der Ledergarnitur spülte die Ereignisse des Tages zurück an die Oberfläche meiner Gedankenwelt. Ich rieb meine müden Augen und erzählte Whisky alles, was mir an diesem schrecklichen Tag widerfahren war. Die Erinnerung an den toten Mann im Bett färbte meine Stimme dunkel vor Verzweiflung. Mein feinfühliger kleiner Sittich spürte, dass etwas nicht in Ordnung war und rieb sein Köpfchen an meiner Wange. Die Streicheleinheiten taten mir gut und beruhigten meine geschundenen Nerven. Es gelang mir, klarer zu denken und mich dem Problem zu widmen, dass ich vor mir hergeschoben hatte, seit Marlies das Foto auf meinem Smartphone entdeckt hatte. Das Bild zeigte mich in schönster Aktion beim Hoppe-Hoppe-Reiter-Spiel mit dem unbekannten Mann, als er zu so einer Performance noch in der Lage gewesen war. Erneut überlief es mich kalt, als mir aufging, was das bedeutete: Jemand hatte uns beim Sex beobachtet, dieser Jemand hatte mit meinem Smartphone ein Foto geschossen und sowohl mein Liebhaber als auch ich mussten dermaßen...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: ohne DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet – also für „glatten” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Ein Kopierschutz bzw. Digital Rights Management wird bei diesem E-Book nicht eingesetzt.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.