Martha Bull
Frau Friese
und der Tiermörder
Kriminalroman
Band 5 der
Frau-Friese-Reihe
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Impressum
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Lektorat: Bernd Raatz, Klaus Kellner
Satz: Merle Schiebeck
Umschlag: Designbüro Möhlenkamp & Schuldt, Bremen
ISBN 978-3-95651-159-2
Die Autorin Martha Bull wurde 1949 in Bonn geboren, hat dort auch ihr Abitur gemacht. Nach dem Studium der Fächer Geschichte, Politik und Deutsch für das Lehramt in Bonn und Marburg schloss sie in Berlin ihr Referendariat ab. Seit 1979 lebt sie in Bremen. Hier hat sie lange in der Erwachsenen-bildung gearbeitet, unter anderem in einer freien Modellschule. Seit 1997 ist sie in der Kinderbibliothek im Viertel beschäftigt. Dort arbeitet sie auch über ihren Renteneintritt 2015 hinaus.
Veröffentlichungen:
Hanseatisch cool - Beitrag in: Witte, Katharina (Hg.): Jetzt kommse übern Deich -
20 Jahre Bremer Karneval, Edition Temmen 2005
Die Videobotschaft, Langlhofer Verlag 2007
ISBN 978-3-938487-24-2
Frau Friese und der Fenstersturz
Edition Temmen 2013
Frau Friese und das Bunkergrab
Edition Temmen 2014
Frau Friese und die tödliche Einladung
KellnerVerlag 2015
Frau Friese und die finstere Verwandtschaft
KellnerVerlag 2016
Frau Friese und der Tiermörder
KellnerVerlag 2017
1.
Puh, es wird wieder heiß heute, da muss der Müll aus dem Haus, sonst verpestet er die Küche. Gut, dass gleich geleert wird. Ächzend bücke ich mich nach dem Beutel mit meinem Abfall. Aua! Der Rücken wird auch nicht jünger. Am besten wickle ich noch eine Zeitung herum. Da stutze ich.
»Giftige Hundeköder ausgelegt«, springt mich eine Überschrift im Kurier an. Das habe ich gestern ganz überblättert. Wer macht denn so etwas? Erschrocken sehe ich zu Teufel hinüber, der schon an der Tür aufs Gassigehen wartet. Wo sind diese Köder? Ach, in Hamburg. Erleichtert atme ich auf. Hamburg ist weit, tröste ich mich.
Verrückte gibt es überall, schießt es in meinen Kopf.
Ich lege Teufel die Leine an, knuffele den schwarzen Kobold liebevoll, bis er mir mit der Zunge über die Nase fährt. »Du Guter«, murmel ich gerührt. »Hauptsache, dir passiert nichts. Du bist mir der Liebste!« Fröhlich trete ich hinaus.
Da plötzlich zerrt Teufel an der Leine, reißt mich fast die drei Stufen hinunter, jault die Mülltonnen an. Was hat er? Oh, jetzt rieche ich es auch. Es stinkt. Wie faules Fleisch. Igitt, wie eklig.
Oh nee aber auch! Was ist denn jetzt wieder los? Muss ich immer in irgendwelche Machenschaften verwickelt werden? Kann ich nicht mal ein paar friedliche Monate verbringen?
Waltraud, spinn nicht rum, was denkst du nur? Wird schon keine Leiche in deiner Tonne sein. Ich will lachen, aber so ganz gelingt es mir nicht.
Ich bitte dich! Sicherlich ist das der Bio-Müll. Wahrscheinlich hat Frau Ahrens aus dem dritten Stock mal wieder das vergammelte Katzenfutter einfach so weggeworfen. Kein Wunder, dass Teufel wild geworden ist. Hunde fressen ja alles, während Miezi viel pingeliger ist. Die frisst nur vom Feinsten, deshalb hat die olle Ahrens zu viel Müll. Muss sie denn alles direkt in die Tonne schütten? Kann sie nicht die Stinkerei in 'nen Büdel verpacken? Zumindest jetzt im Sommer, wenn alles so schnell verdirbt? Das zieht bloß die Ratten an, wie oft habe ich ihr das schon gesagt. Es kann doch nicht so schwer sein, etwas Papier herum zu wickeln - das dauert keine Ewigkeit.
Aber nein, ich bin die senile Alte, die nicht versteht, dass Frau Ahrens soo beschäftigt ist.
Schade, denn als sie oben einzog, mochte ich sie. Inzwischen grüßen wir uns nur noch sehr knapp, wenn wir uns gelegentlich begegnen.
»Dat du min Leevsten büst, dat du woll weeß .«
Nanu, wer singt so schön am frühen Morgen? Neugierig sehe ich mich um. Aha, Frau Baumann von nebenan! Was für eine klare Stimme sie hat - ist doch schon weit über 80 Jahre alt. »Kumm bi de Nacht«, singt sie weiter. Sie steht am offenen Fenster und spielt dabei mit ihrem goldenen Medaillon. Dass sie den Text auswendig kennt! Ich wäre über die erste Zeile nicht rausgekommen. Dabei ist Frau Baumann dement oder verwirrt oder so. Manchmal wirkt sie allerdings völlig normal. So wie jetzt. Als sie mich sieht, winkt sie sogar vergnügt.
Schick sieht sie immer aus. Nicht aufgedonnert, oh nein - hanseatisch bescheiden, wie wir es in Bremen gern mögen. Gediegen gekleidet, alle Achtung!
Plötzlich fällt mir dieser Spruch ein: Vögel, die morgens singen, holt abends die Katz'! Wie boshaft, Waltraud. Gönn der Frau doch, dass sie fröhlich ist. Schlimm genug, wenn man allmählich abdriftet ins Unbestimmte.
Davor fürchte mich am Meisten, dass ich langsam dement werde. Wenn ich mal wieder vergesse, wo meine Lesebrille ist. Oder wenn ich losgehe, um etwas zu besorgen, um dann neben der Tür zu stehen und mich zu fragen, warum ich eigentlich aufgestanden bin. Vielleicht ist es nicht schlimm, wenn man es endgültig ist, aber zu merken, wie einem zunehmend alles entgleitet - huh.
Warum grübelst du schon am frühen Morgen, Waltraud, die Sonne scheint. Gleich treffe ich wieder Rita mit Hexe am Osterdeich und kann Dönekens erzählen. Noch funktioniert mein Gedächtnis schließlich bestens.
Teufel reißt mich aus meinen Gedanken. Er tanzt auf den Hinterbeinen und bellt, will unbedingt an die Mülltonnen ran. Aber he, jetzt stemmt er seine Vorderpfoten gegen meine Tonne. Ist da etwas drin, was er haben möchte? Kann eigentlich nicht angehen. Misstrauisch hebe ich den Deckel hoch.
Huch! Die Tonne ist randvoll! Wie kann das denn sein? Dieser graue Müllsack ist garantiert nicht von mir. Nein, ganz bestimmt nicht. Solch einen Plastikverschluss mache ich nie oben drum. Besitze ich gar nicht, so ein Zeug, nehme immer Säcke mit einem Zugband.
Frechheit. Da schmeißen irgendwelche Leute ihren Abfall bei mir hinein. Kostet doch alles mein Geld. Muss ich jetzt etwa anfangen, meine Tonne abzuschließen? Irgendwann laufen wir alle mit Ritterrüstungen herum, damit man uns nicht das letzte Hemd stiehlt. Fürchterlich.
Ach, Waltraud, lass man gut sein, deshalb verhungerst du nicht. Natürlich nicht, darum geht es gar nicht, es geht um die Dreistigkeit dieser Leute, die würden genauso wenig verhungern wegen einer zusätzlichen Leerung. Passt meine Tüte da noch drauf? Ich ruckele an dem grauen Beutel, versuche, ihn in die Tonne zu drücken, um Platz für meinen eigenen zu bekommen. Dabei reißt das Plastik auf, etwas großes Weißes bricht durch die Folie. Ein widerlicher Gestank strömt mir entgegen. Entsetzt lasse ich den Deckel zufallen. Teufel heult jetzt zum Steinerweichen.
»Halt dein Maul«, schreie ich ihn an, eigentlich deshalb, weil ich so erschrocken bin. Der Hund hört sowieso nicht auf mich. Ich stolpere zwei Schritte zurück. Mein Magen rebelliert. Ich würge. Oh, bitte nicht, ich kann mich doch hier nicht übergeben, in aller Öffentlichkeit. Mühsam unterdrücke ich den Brechreiz, kneife mir die Nase zu. Lieber Gott, was ist da bloß drin in dem Sack?
Hühnerknochen vielleicht? Nein, die alleine können nicht so stinken, da muss das halbe Huhn mit drangehangen haben.
Wieder nein, Waltraud, für ein Huhn war dieses weiße Etwas zu groß. Das muss . das muss ein Knochen gewesen sein.
Unwillkürlich fällt mir der tote Junge ein, den Hund Gottfried vor einem Jahr in der Baugrube des Bunkers gefunden hatte, zuerst auch nur einen Knochen. Ich ziehe schaudernd die Schultern hoch wegen der entsetzlichen Erinnerung.
Waltraud, der Knochen war viel größer, versuche ich mich zu beruhigen. Der menschliche Körper hat aber auch kleinere, murmelt es in meinem Kopf. Lass das! Wieder würgt es mich.
Mach dich nicht lächerlich, Waltraud, wie kommst du nur auf so etwas? Wie schrecklich!
Hilft nix, ich muss meinen eigenen Müll wegwerfen. Ob ich ihn ausnahmsweise bei Karin Groote dazulegen darf?
Was du nicht willst . Waltraud. Stell dich nun nicht so an. Ich atme tief ein, halte die Luft an und wende das Gesicht ab. Also schnell: Tonne auf, Beutel fallen lassen, Deckel zu. Puh!
Ich atme lange wieder aus. So, das war's.
Hoffentlich, murmelt es in meinem Kopf. Sei still! Lass die Spökenkiekerei! Nichts ist passiert.
»Bäh, Waltraud, haben Sie ein Schwein geschlachtet?«, klingt Karin Grootes Stimme hinter mir. Erst jetzt merke ich, dass ich auch die Augen zugekniffen habe. So ein Unsinn, Waltraud. Ich drehe mich um. Karin lehnt an der Pforte. Müde sieht sie aus, hatte sicherlich Nachtdienst in der Klinik.
»Nein, Karin, das kommt von diesem fremden Müllsack in meiner Tonne. Irgendwelche Leute haben ihren Abfall bei mir abgeladen. Unverschämt. Es stinkt...