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Er wollte bis nach oben zur Turmspitze. Er wusste, dass es eine Ewigkeit dauern würde, aber er war wild entschlossen, es zu schaffen. Ein Soldat hatte angeboten, ihm zu helfen, doch den hatte er mit einem vernichtenden Blick gestraft.
Stufe für Stufe stemmte er sich mit seinen Stöcken hinauf. Das verlangte Kraft in den Armen - was ihm wahrlich nicht neu war. Er kam nur langsam vorwärts auf seinen dürren, schwächlichen Beinen. Mühsam stolperte er voran und presste Verwünschungen zwischen den Zähnen hervor, mit denen er sich selbst verfluchte und, mehr noch, seine Eltern, die ihn seit frühester Kindheit in diese Hölle aus Schmerz und Einschränkung gestoßen hatten.
Als er endlich die letzte Stufe erklommen hatte, war er schweißgebadet. Seine Arme zitterten fast von der schier übermenschlichen Anstrengung. Er stützte sich auf die Brüstung und ließ die Krücken fallen.
Groß und massig ragte der Eckturm empor und beherrschte den Ausblick. Der Himmel nahm die Farbe der Morgenröte an. Der kalte Winterwind blähte in Böen seinen Mantel. Filippo Maria zog ihn fest um die Schultern, der Wolfspelz am Kragen strich schmeichelnd über seine Wange.
Binasco. Etwa auf halber Strecke zwischen Mailand und Pavia. War dies nicht der perfekte Ort, um seinen Plan zur Ausführung zu bringen? Wo er doch diesen beiden Städten sein ganzes Leben geopfert hatte?
Er sah hinab in den tiefen Graben zu seinen Füßen. Jenseits davon standen kahle Bäume mit krummen Ästen, wie erstarrt vor Kälte. Etwas weiter entfernt ein paar halb verfallene Katen und Bauernhöfe. Er drehte sich um und richtete seinen Blick in den Hof der Burg, wo das Schafott auf sein Opfer wartete. Die Flammen der Fackeln leuchteten in der Morgenröte.
Er hasste Beatrice. Aus tiefster Seele. Er hatte sie heiraten müssen, weil Facino Cane ihn dazu gezwungen hatte. Der wollte Beatrice gut aufgehoben und in Sicherheit wissen. Den Mund voller Auswurf und Blut hatte er es auf dem Totenbett verlangt. Beatrice! Kein Leid sollte ihr widerfahren. Gewiss! Und er musste sie nun ertragen, seit sechs Jahren schon. Sechs endlose Jahre! Er hatte es hingenommen, dass sie ihn wie einen Diener behandelte, einen Untergebenen, einen Rotzlöffel, ihn, den zwanzig Jahre Jüngeren und einzigen legitimen Erben des Herzogtums Mailand. Er war ihr zu Diensten gewesen, hatte ihre Launen ertragen, die vielen Erniedrigungen. Und während er geduldig und lächelnd ihre Anweisungen entgegennahm, hatte sich in ihm ein Zorn eingenistet, der über die Jahre immer größer geworden war. Mit Billigung der Staatsmänner am Hofe, die der Überzeugung waren, dass er es zugunsten eines Gleichgewichtes der Kräfte, aus Vaterlandsliebe und Respekt vor den Toten täte. Beatrice, das miese Stück, war ihm von Nutzen gewesen: Sie hatte ihm vierhunderttausend Dukaten Mitgift eingebracht und Herrschaftsansprüche über Alessandria, Tortona, Casale, Novara, Vigevano, Biandrate, Varese und das gesamte Gebiet der Brianza. Er hatte sich von Kalkül und Opportunismus leiten lassen. So hatte er mit einem Schlag für das Herzogtum - sein Herzogtum - Ländereien, Männer und Ressourcen zurückgewonnen.
Doch nicht einen Augenblick lang hatte er vorgehabt, wirklich mit ihr zusammenzuleben. Sicher, trotz ihrer vierzig Jahre war sie noch schön. Und sie wusste, was einem Mann gefiel. Nur allzu gut! Allerdings war nicht er es, dem ihre Aufmerksamkeit galt. Nie. Er hatte immer gewusst, dass sie ihn betrog. Aber es war ihm nie gelungen, ihre Untreue zu beweisen. Die kleine Schlampe war schlau. Und deshalb verabscheute er sie. Doch im Verborgenen hatte er die Tage gezählt und verbittert auf seinen Moment gewartet.
Er war gewachsen in den sechs Jahren. Zwar war er nicht kräftiger und seine unnützen Beine nicht besser, sondern lediglich sein Bauch fetter geworden, und er hatte einsehen müssen, dass er hässlich und verkrüppelt war, doch eines war ihm gelungen, das Wichtigste überhaupt, das alle Zurücksetzung und Launen der Natur mit einem Mal wettmachte: Er war Herzog von Mailand geworden. Nicht der Bezeichnung nach. Aber faktisch. Er hatte seine Feinde ausgemacht, die erklärten ebenso wie die gefährlicheren, die hinter seinem Rücken Intrigen gegen ihn anzettelten, ihm aber lächelnd Honig ums Maul schmierten. Er hatte gelernt, ihnen allen zu misstrauen. Er hatte seinen Groll hinuntergeschluckt und so getan, als sei er ein vernünftiger und friedfertiger junger Mann, der bereitwillig die Beschlüsse des Consiglio di Provvisione zur Kenntnis nahm und wie ein braver Junge den Auffassungen der Hofpolitiker Folge leistete, als seien es Lebensweisheiten. Unterdessen nisteten sich Argwohn und Zorn in seinem schwarzen Herzen ein, das so hart war wie der dunkle Fels der Berge ringsum.
Und so hatte er in diesen sechs Jahren, in denen sie ihn alle mit gönnerhafter Herablassung und Bevormundung behandelt und seinen Zorn unterschätzt hatten, seine Waffen geschärft.
Dann hatte sich das Blatt erneut gewendet: Er hatte die Gesellschaftsdame von Beatrice kennengelernt, die viel schöner war als sie. Agnese del Maino hatte langes blondes Haar und Augen so blau wie der Himmel. Dieser Himmel, der soeben mit dem letzten Aufflammen der Morgenröte seine Farbe änderte. Wie hätte er einem Geschöpf so voller Feuer und Leidenschaft wie Agnese widerstehen sollen? Ihr bloßer Anblick brachte sein Blut in Wallung! Als ihm klar wurde, dass Agnese sich nicht vom äußeren Schein täuschen ließ und er ihre Bereitschaft und ihr Bestreben erkannte, Teil seines Lebens zu werden und eines Tages mit ihm gemeinsam zu herrschen, hatte er ihr alles geboten, was in seiner Macht stand. Sie hatte ihn fest zwischen ihre kräftigen, straffen Schenkel genommen und es wie wahnsinnig mit ihm getrieben. In diesen Nächten voll Sex und Raserei, voll Wonne und Qual, in denen er sie nahm und sich endlich wie ein Mann fühlte, flüsterte sie ihm Dinge ins Ohr, die nach und nach zu einem raffinierten und ruchlosen Plan heranreiften.
Zu guter Letzt hatte Filippo Maria ihn mit ihr gemeinsam umgesetzt. Er beschuldigte Beatrice des Ehebruchs mit einem seiner Dienstboten namens Michele Orombelli. Als sie das abstritt, bezichtigte er sie des Meineids und des Ehebruchs und beschuldigte sie, dass ihr der Erhalt der Abstammungslinie des Herzogtums nicht am Herzen liege. Daraufhin hatte er sie, ohne zu zögern, verurteilt. Orombelli hatte er in Ketten legen lassen. Nach einem Scheinprozess hatte er ihn vor Beatrices Augen von seinen Wachleuten in Stücke reißen lassen und den Hunden zum Fraß vorgeworfen. Danach hatte er befohlen, Beatrice zum Castello di Binasco bringen zu lassen, wo sie auf ihre Verurteilung warten sollte.
Und dort befanden sie sich nun.
Er schaute zum Horizont. Schließlich entschloss er sich mit unwilligem Blick auf die Treppe, wieder hinabzusteigen. Unter Mühen bückte er sich und hob die beiden Stöcke auf. Er spuckte aus. Dann machte er sich an den qualvollen Abstieg.
Als sie Beatrice hinausbrachten, regte sich kein Hauch. Es gab keine wartende Menge, nur den leeren Hof, gescheckt mit Flecken aus schmutzigem Schnee und Schlamm. Seine Bewaffneten hatten auf einer kleinen Bühne das Schafott aufgebaut. Der Henker wartete mit einer großen Axt in den Händen. Francesco Bussone, genannt Carmagnola, Hauptmann der mailändischen Truppen, überwachte, dass alles reibungslos vonstattenging. Er war groß, hatte lange braune Haare und einen dünnen Schnauzbart. Erbarmungslos und treu ergeben, war er bereit alles zu tun, um die Ländereien zurückzuerobern, die dem Herzogtum verloren gegangen waren.
Filippo Maria betrachtete Beatrice, überheblich wie eh und je, selbst im Angesicht des Todes, mit diesem hochmütigen, stolzen Blick, hart wie die Klinge eines Messers. Er sah ihr in die Augen, und es war ihm eine Genugtuung, den Blick nicht abzuwenden. Er lächelte. Sie würdigte ihn keines Wortes. Sie versuchte nicht, sich zu befreien, und protestierte nicht einmal ansatzweise, als die beiden Soldaten sie an den Armen ergriffen und sie dem Henker vor die Füße warfen.
Der packte sie rücksichtslos und fixierte ihren Kopf mit ein paar Seilwindungen auf einem Fass.
Die Sonne durchbrach die Wolken.
Die blassen winterlichen Strahlen tauchten den gesamten Hof in ein milchiges Licht. Beatrice sah weiter ihren Gemahl an - ohne ein Wort von sich zu geben und ohne den Blick von ihm zu wenden, im Gegenteil, sie heftete ihn auf ihn.
Der Henker hob die riesige Axt über den Kopf.
Nicht einmal die Ehre des Schwertes hatte er ihr gegönnt. Filippo Maria hatte dem Scharfrichter befohlen, ein Beil zu verwenden, das sonst den Schweinen und den räudigen Hunden vorbehalten war.
Der Herzog von Mailand klammerte sich an seine beiden Stöcke, die er in den Boden des Hofes bohrte.
Er verfolgte die Szene mit Genuss.
Nachdem er so lange darauf gewartete hatte, wollte er jetzt keinen einzigen Augenblick der Hinrichtung verpassen.
Der Scharfrichter ließ die gewaltige Axt herabsausen. Sauber durchtrennte die Klinge den Hals. Ein Strahl dunklen Blutes schoss als roter Regen heraus. Der vom Rumpf getrennte Kopf sprang beinahe davon und rollte unter die Streben der Bühne, um schließlich im schmutzigen Schnee und Matsch des Hofes zum Stillstand zu kommen.
Filippo Maria trat zum Kopf Beatrices. Er sah die hervorgetretenen Augen und die bläuliche Zunge. Dann warf er einen seiner beiden Stöcke zu Boden und packte den abgetrennten Kopf mit der freien Hand bei den Haaren. Das Blut troff aus ihm heraus, und so zog er eine scharlachrote Spur hinter sich her,...
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