Schweitzer Fachinformationen
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Aus seinen Gedanken riss Fabian das Deutsch der Frau, die neben ihm Platz nahm. Verstohlen sah er sie an. Sein Blick glitt über ihr blondes Haar und verharrte auf dem jungen Gesicht des bei ihr stehenden Mannes, zu dem sie sprach. Langsam drehte er sich zurück zum Fenster, sah wieder hinaus. Er hörte oft die deutsche Sprache, mitunter sogar das vertraute Wienerisch, doch auf eine Unterhaltung ließ er sich selten ein.
Als der Zug in die nächste U-Bahn-Station einfuhr, machte er sich zum Aussteigen bereit. Die Frau sah ihn an und lächelte, nahm die Hand des Mannes und stand auf. Der sei kein Italiener, sagte sie mit gedämpfter Stimme, bevor sie dem Mann zur Tür folgte.
Das Abendlicht war sanft, manche Häuser lagen schon im Schatten, doch die Straßen im Zentrum pulsierten vom Leben, sie waren bunt und laut, eine Vielfalt von Sprachen und Stimmen. Auf der Piazza Navona traten Straßenkünstler auf, und auf dem Campo de' Fiori waren alle Tische besetzt. Immer wieder übertönte Gelächter die Melodien der Musiker, durch die Gassen wehte der Geruch nach Essen. Von allen Seiten stachen die Lichter aus Fenstern und Laternen in den Abend, Kinder spielten vor ihren Haustüren. Es war der bislang wärmste Tag in diesem Jahr, und die Stimmung ließ erahnen, dass die Nacht lang werden würde.
Es dämmerte, als er über den Tiber schlenderte. Die Uferwege waren menschenleer, unter den dicht belaubten Bäumen kaum erkennbar. Seltsam bedrückend wirkte hier der Abend, so nahe schien der Himmel zu sein, verlassen und trüb die Stadt. Doch schon die erste Straße nach der Brücke, zwischen Häuserreihen gebettet, strahlte in Lichtern; als hätte der Tag gerade erst begonnen, herrschte ein reges Treiben in Trastevere.
Auch diesmal hockten die beiden Obdachlosen an der Ecke der Straße, und wieder lagen vor ihren Füßen zwei große Hunde mit zwei Welpen. Niemand beachtete sie; einander zugewandt lächelten die Männer und murmelten, eine Flasche Wein stand griffbereit zwischen ihren Schlafsäcken. Laut war die Straße, und wie immer hatten sich in dem Gastgarten auf dem nächsten Platz die Jugendlichen getroffen, ihre Stimmen klangen aufgeregt, auf dem Boden glänzten Tropfen von Getränken und Eis. Schon vor dem Platz verdoppelte Fabian seine Schritte, er bog in die Seitengasse ein, öffnete die Haustür und sah noch einmal zu dem Gastgarten. Silvio und Chiara lächelten einander in die Augen, im Gespräch vertieft, ihre Gläser standen leer.
Erst in der Küche machte er Licht, denn das Küchenfenster öffnete sich auf einen kleinen Hinterhof. Später ließ er nur die Tischlampe im Schlafzimmer an. Eine Weile lag er still, schließlich griff er nach dem Buch auf dem Nachtkästchen. Dann wanderte sein Blick zum Nachtkästchen auf der anderen Bettseite. Eine feine Staubschicht überzog das Buch, das darauf lag. Er drehte den Kopf zum Fenster, und in die Dunkelheit des Hofes starrend legte er das Buch auf seine Brust. Seine Hand glitt auf die leere Hälfte des Bettes, und er schloss die Augen.
Das Zimmer lag im klaren Tageslicht. Er öffnete das Fenster und ging auf den Balkon. Er hatte diese lauwarmen und lichtvollen Morgen von Anfang an geliebt, nun aber wusste er, er würde sie nicht mehr länger ertragen. Er kehrte zurück ins Wohnzimmer, setzte sich und nahm sein Handy.
»Endlich!«, sagte sein Onkel. »Ich kann dich nicht erreichen.«
»Ich weiß«, murmelte er, den Blick auf den großen Schrank gerichtet, der im Vorzimmer, gegenüber der Wohnzimmertür, stand.
»Warst du schon bei den Rinaldis?«
»Ich war gestern bei ihnen.«
»Möchten sie das Internetcafé wirklich nicht verkaufen?«
»Nein, Mattia hat es übernommen«, antwortete er, und die Erinnerung daran kam ihm, wie er zum ersten Mal dieses Zimmer betreten hatte; wie Lucilla seine Hand losgelassen hatte und zurück in das Vorzimmer gelaufen war, um das neue Kleid aus dem Schrank zu nehmen.
»Sie sollten es lieber verkaufen«, sagte der Onkel.
»Wie ist denn das Wetter in Wien?«
»Es regnet.«
»Geht es dir besser?«
»Nein.«
»Hast du schon mit deiner Bekannten gesprochen?«
»Deswegen habe ich versucht, dich zu erreichen. Kerstin wird bald alle Wohnungen fertig haben, du kannst dann schon einziehen.«
Während sein Onkel über Ligurien erzählte, starrte Fabian auf die geöffnete Balkontür. Er fühlte sich daran erinnert, wie Lucilla in dem neuen Kleid auf seinen Schoß gefallen war, ihre Arme um seinen Hals gelegt und Fragen über Wien gestellt hatte; wie ihre Stimme schwach geworden war, als sie gefragt hatte, ob er wirklich bei ihr in Rom bleiben wolle.
»Ich komme dich noch besuchen, bevor ich nach Ligurien ziehe«, sagte er, und es läutete an der Haustür. Schnell verabschiedete er sich, legte das Handy auf den Tisch und lief zur Tür. Nicht der Briefträger, wie er geglaubt hatte, sondern Silvio antwortete in die Sprechanlage. An der Wohnungstür grüßte dann Silvio noch einmal, ehe er loslegte:
»Dein Handy ist entweder ausgeschaltet oder besetzt. Ich möchte dich zu einem Picknick einladen.«
»Zu einem Picknick?«
»Ich habe alles mit«, sagte Silvio und deutete auf seinen Rucksack.
Unterwegs fragte Silvio behutsam, ob es bei den Rinaldis lange gedauert habe. Nein, antwortete Fabian, und sogleich entschuldigte er sich, dass er nicht angerufen hatte. Silvio meinte, er verstehe das, und dann erzählte er, dass er seinem Bruder beim Kauf eines Gebrauchtwagens hatte helfen müssen. Als er einen grotesken Zwischenfall schilderte, zu dem es während der Probefahrt gekommen war, lachte Fabian und sagte, er habe Ähnliches mit seinem Onkel erlebt.
Im Park der Villa Borghese wurde Fabian still. Als er zuletzt hier gewesen war, hatten die Bäume geschwiegen, ihre Kronen waren gelichtet und starr. Nun aber war der baldige Einzug des Sommers allgegenwärtig, die grünen Blätter bewegten sich in sanfter Brise, und das Gras war lauwarm, Vögel sangen. Silvio wählte einen Platz, wo es zugleich Schatten und Sonne gab, dann wurde auch er still. Doch wirkte sein Schweigen seltsam unruhig. Als er zwei Plastikbehälter und kleine Flaschen Mineralwasser aus dem Rucksack nahm, fragte Fabian:
»Was würdest du damit machen, wenn ich nicht zuhause gewesen wäre oder keine Lust gehabt hätte mitzukommen?«
»Ich hätte mir bestimmt etwas einfallen lassen«, gab Silvio zur Antwort und öffnete die Behälter.
»Das ist aber lieb von Chiara.«
Silvio lächelte, reichte ihm einen Behälter und sagte, er werde morgen seiner Oma in ihrem Garten helfen müssen. Eine Weile erzählte er über seine Großmutter und die alljährlichen Probleme mit dem Garten, und als sein Behälter leer war und er sich auf den Rücken legte, wurde er wieder still. Dann aber sagte er in die Baumkrone über sich:
»Wir werden dich vermissen.«
»Ich euch auch.«
»Du brauchst Zeit. Du würdest auch hier darüber hinwegkommen.«
»In Rom nicht. Ich schaffe es nicht einmal, auf den Friedhof zu schauen. Am schlimmsten ist es zuhause.«
»Wie viele Wohnungen wirst du eigentlich betreuen?«, fragte Silvio rasch und fuhr sich mit der Hand durchs Haar, das schwarz war und so dicht, dass seine Finger darin verschwanden.
»Fünf.«
»Du kennst wirklich niemanden dort?«
»Nein. Es wird alles neu für mich sein. Aber das ist gut so.«
»Wie ist denn dein Onkel dazu gekommen, in Ligurien Ferienwohnungen zu vermieten?«
»Er wollte schon immer nach Italien.«
»Wie geht es ihm? Kann er schon aufstehen?«
»Nein. Es geht ihm schlecht.«
»Diese verdammten Schlaganfälle«, knurrte Silvio und setzte sich auf. Er trank den Rest Mineralwasser und steckte die leere Flasche samt dem Behälter in den Rucksack. Auch Fabian stopfte Behälter und Flasche in den Rucksack, dann fragte er lächelnd, ob Chiara zuhause lerne. Silvio sah ihn an, auch er musste lächeln. Er schloss den Rucksack und antwortete, dass Chiara sich diesmal vorgenommen habe, das Studium fertig zu machen.
»Lass uns noch ein bisschen spazieren«, sagte er und stand auf.
»Gut.«
»Ich bin wieder arbeitslos«, bemerkte er, nachdem Fabian sich aufgerichtet hatte. »Angeblich kann sich die Firma kein Lagerpersonal mehr leisten.«
Er sparte nicht mit Spot und Ironie, als er über die Firma sprach, und seine Augen...
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