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Kinder waren die idealen Opfer. Tobias Landauer legte das Buch auf den Schreibtisch. Er war zufrieden. Der ausgewählte Textausschnitt war ein guter Einstieg für die heutige Premieren-Lesung. Die Zuhörerinnen und Zuhörer würden aufgewühlt sein und ihm danach an den Lippen hängen. Er wusste um die Wirkung der getöteten Kinder von seinen zahlreichen bisherigen Lesetourneen. Und vor allem würden die Besucherinnen und Besucher am Schluss der Veranstaltung seine Bücher kaufen. Signierte Bücher. Wie warme Semmeln würden sie über den Ladentisch gehen.
Morde an Kindern verkauften sich am besten, hatte sein Lektor gesagt. Und tatsächlich hatten sie ihm über all die Jahre ein stattliches Einkommen beschert. Reich geworden war er damit zwar nicht. Aber er konnte sich seinen Lebensunterhalt finanzieren und musste sich nicht mit Teenagern oder Studenten herumschlagen. Wäre es nach seinen Eltern gegangen, würde er sich heute am Gymnasium Kirchenfeld abrackern, um irgendwelchen unbegabten und ungezogenen Teenagern, die sich über ihn lustig machen würden, Deutsch beizubringen. Nicht auszudenken, wie er darunter leiden würde. Nein, das war schlicht unvorstellbar. Er hatte trotz der elterlichen Widerstände den richtigen Beruf gewählt.
Tobias Landauer hatte sich schon früh in seiner schriftstellerischen Laufbahn spezialisiert. In seinen Krimis waren ausschließlich Kinder die Opfer grausamer Verbrechen. Sie wurden missbraucht, umgebracht, entführt, eingesperrt, angekettet. Ihre Peiniger waren in der Mehrzahl Männer, die ihre sexuelle Befriedigung suchten, Lösegeld erpressten, Macht auslebten, Rache ausübten oder Unfälle mit Todesfolge verschuldeten. Tobias Landauer hatte erkannt, dass Verbrechen an Kindern bei Leserinnen und Lesern die intensivsten Emotionen auslösten. Darum hatte er sich fortan literarisch dem Morden der Jüngsten unter uns verschrieben. Leserinnen und Leser wurden berührt, empfanden Abscheu und Angst vor dem geschilderten Grauen, wurden gleichzeitig süchtig nach dem Triumph der Gerechtigkeit, der am Schluss die Opfer zwar nicht wieder lebendig machte, aber doch die Beklemmung von der eigenen Brust nahm. Mit diesen Romanen hatte er sich eine treue und stetig wachsende Fangemeinde geschaffen. Seine Bücher wurden in mehrere Sprachen verlegt. Sogar über die Vergabe der Filmrechte wurde derzeit mit einer dänisch-schwedischen Gesellschaft verhandelt.
Natürlich gab es auch Leute, die ihn wegen seiner brutalen Geschichten scharf kritisierten, aber das war ihm egal. Er hatte im Übrigen auch in der realen Welt - das allerdings durfte er nie laut aussprechen - nicht viel für Kinder übrig. Sie waren laut, vorwitzig und ungezogen. Tobias Landauer ließ sich wegen ein paar selbsterklärten Kinderschützern und Sozialromantikern nicht von seinem erfolgreichen literarischen Strickmuster abbringen.
Er schaute auf die Uhr und stellte fest, dass es schon fast halb acht Uhr war. Höchste Zeit also für den Espresso im Quartier-Bistro Royal. Er verließ das Haus und schloss sorgfältig ab. Heutzutage trieb sich weiß Gott allerlei Gesindel herum. Sogar im noblen Kirchenfeldquartier konnte man nicht mehr sicher sein. Vor allem nachts fürchtete er sich in letzter Zeit öfters, wenn er von einer Lesung spät nach Hause kam und von der Bushaltestelle zu Fuß durch die einsamen Straßen zu seinem Haus gehen musste. Vielleicht lag es ja auch an den furchterregenden Geschichten, die er selber schrieb. Ab und zu war das Angstgefühl so präsent, dass er sich vom Hauptbahnhof aus ein Taxi leistete, das ihn dann direkt vor seiner Haustüre absetzte. Aber selbst die fremdländischen Taxifahrer waren ihm nicht geheuer. Die hatten bestimmt alle ihre Familienclans mit kriminellen Brüdern und Vettern, die sie per Handy mit Informationen versorgten: Hallo Ibrahim, ich habe soeben einen wohlhabenden Mann an der Schillingstrasse abgesetzt. Der wohnt da ganz allein.
Tobias Landauer machte wie jeden Morgen seine Runde. Er ging die Schillingstrasse entlang Richtung Dälhölzli und schritt dann zügig die Jubiläumsstrasse hoch bis zur Kapelle, die wahrscheinlich von irgendeiner freikirchlichen Gemeinschaft betrieben wurde. Dann überquerte er die Kirchenfeldstrasse und ging entlang der Luisenstrasse zur Kreuzung Thunstrasse, wo sich sein geliebtes Bistro Royal mit integriertem Bioladen befand. Er genoss diesen Weg bei jedem Wetter. Im Frühling, wenn die Bäume in hellem Grün erblühten, im Sommer, wenn ihm bereits am Morgen die Hitze die Schweißtropfen auf die Stirn trieb. Im Herbst, wenn die Blätter auf den Gehsteigen diesen eigentümlichen fauligen Duft verströmten und der Wind einem den Regen ins Gesicht peitschte. Und im Winter, wenn die bissige Kälte in die Kleider kroch und die ausgeatmete Luft wie Rauch verdampfte. Der Morgen war die beste Zeit, einfach seinen Gedanken nachzuhängen. Ein leerer Magen, Kaffeedurst, offene Sinne, aber noch keine Energie zum Arbeiten. Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie, von der Tobias Landauer zufällig in der Zeitung gelesen hatte, war der Mensch morgens zwischen sieben und neun Uhr am wenigsten leistungsfähig. Also war das genau die richtige Zeit für einen Spaziergang, einen Bistrobesuch und ein bisschen Small Talk.
»Guten Morgen, Maria«, sagte Tobias Landauer gut gelaunt, als er den Laden betrat.
»Guten Morgen, Herr Landauer, schon so früh auf den Beinen?«, fragte Maria, obwohl er jeden Morgen um diese Zeit erschien. Es war ein Ritual zwischen ihnen beiden, wie auch Landauers Antwort: »Ihr Anblick erfreut mein müdes Herz, also fällt es mir leicht, aufzustehen. Ich kriege heute einen schwarzen Kaffee, einen Salat mit italienischer Sauce und ein Glas Cranberry-Saft. Dazu eines meiner Brote. Sie wissen ja Bescheid.«
»Aber sicher, Herr Landauer. Das macht dann siebzehn Franken fünfzig.«
Während Tobias Landauer das Geld aus dem Portmonee klaubte, fragte sie: »Wo möchten Sie sitzen? Ich werde Ihnen die Bestellung an den Tisch bringen.«
»Bei dem schönen Wetter setze ich mich draußen hin. Ich kann ein bisschen Farbe vertragen«, sagte er. »Im Gegensatz zu mir sind Sie schon richtig braun gebrannt.«
Maria lächelte freundlich, obschon sie dieser Spruch nervte. Ihre Mutter war Dominikanerin. Sie war also nicht braun gebrannt, sondern war von Natur aus dunkler als Landauer.
Tobias Landauer setzte sich zufrieden in das kleine Gärtchen an der Straßenecke. Er genoss den täglichen Flirt mit Maria. Nicht, dass er ein Frauenheld war. Im Gegenteil. Nur zweimal in seinem bisherigen Leben war es zu körperlicher Nähe zwischen ihm und einer Frau gekommen. Und er hatte sich beide Male dabei nicht besonders wohl gefühlt. Überhaupt war ihm Körperkontakt grundsätzlich unangenehm. So vermied er es zum Beispiel, öffentliche Verkehrsmittel in den Stoßzeiten zu besteigen, weil er das Gedränge Körper an Körper mit all den Gerüchen eklig und unerträglich fand.
Tobias Landauer wäre eigentlich lieber eine Frau gewesen. Das hieß nicht, dass er sich zu Männern hingezogen fühlte. Nein, er kannte keine Begehren in diese Richtung. Er konnte einfach viel besser mit Frauen. Die meisten seiner Bekannten waren weiblich. Er schätzte ihre Zurückhaltung, die Umgangsformen, die emotionale Denkweise. Er war nun einmal nicht der sexbesessene Mann, der dauernd auf Partnersuche war und der um jeden Preis seinen genetischen Stempel hinterlassen musste, so wie es viele der Protagonisten in seinen Büchern taten. Trotzdem war Tobias Landauer durchaus sexuell aktiv, denn er war zumindest ein leidenschaftlicher Onanist. Nach jeder Lesetournee, manchmal auch mittendrin, gönnte er sich zudem als kleine Ausschweifung eine teure Tantra-Massage. Berührt zu werden, ohne selber aktiv werden zu müssen, das konnte sogar er genießen.
Ohne Geschwister als Einzelkind aufgewachsen, blieb er Zeit seines Lebens ein Einzelgänger. Auch während der Schulzeit hatte er nie viele Freundschaften geschlossen. Wenn doch, waren es meistens Mädchen und später Frauen gewesen. Jungs dagegen hatten sich ihm gegenüber distanziert. Für sie war er das ideale Opfer übler Sprüche und Beleidigungen gewesen. Tobias war ihnen zu schöngeistig, zu fleißig, zu angepasst gewesen. Das hatte ihnen Angst gemacht. Also hatten sie mit Aggression reagiert. Tobias Landauer hatte jedoch kaum darunter gelitten. Er führte damals wie heute ein zurückgezogenes Leben. Exzesse waren ihm fremd.
Maria trat mit der Bestellung an seinen Tisch. »So, hier haben wir Ihren Kaffee, den Saft, den Salat und das milchfrei produzierte Brot. Ich wünsche Ihnen guten Appetit und einen schönen Tag.«
»Danke, gleichfalls, Maria. Ich werde den heutigen Tag in der Tat ganz besonders genießen.«
»Gibt es denn einen besonderen Anlass dazu?«, fragte Maria.
»Das kann man wohl sagen. Denn heute Abend startet die Lesetournee zu meinem neuen Buch Schwarzer Herbst. Ich lasse Sie gerne auf die Gästeliste setzen, wenn Sie möchten.«
Maria war sichtlich überrascht. »Leider habe ich heute Abend schon etwas vor«, log sie. »Mein Freund führt mich zum Essen aus.«
Das war eine Vorstellung, bei der es Maria warm ums Herz wurde. Aber leider hatte sie keinen Freund, der so etwas tun würde. Sie war befreundet mit einem Mann, der sie nur dann besuchte, wenn er gerade Lust dazu hatte. Trotzdem stellten sich ihr die Nackenhaare nur schon beim Gedanken auf, eine Lesung als Gast von diesem verschrobenen und angegrauten Landauer zu besuchen. Am Ende regte sich in ihm die Hoffnung, sie würde mit ihm ins Bett steigen.
»Schade, obwohl ich Ihnen natürlich den Abend mit dem...
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