Schweitzer Fachinformationen
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Kriminalkommissarin Antje Servatius hat als alleinerziehende Mutter einer körperlich behinderten Tochter genug Probleme: Kira ist hochintelligent, aber findet nur schwer Kontakt, und nach einem Schulwechsel scheint die Vierzehnjährige ihrer Mutter etwas zu verschweigen. Während sich die Situation zu Hause zuspitzt, bekommt Antje einen neuen Fall: Zwei Männer wurden ermordet, die Leichen auf gleiche Weise inszeniert. Die Spuren führen in einen Sommer, der weit zurückliegt, aber längst nicht bei allen vergessen scheint ...
Diesmal hatte Rudi Seidel keine Lust, sich - weil es >dauert< - von der Sprechstundenhilfe ins Wartezimmer abschieben zu lassen; obwohl es interessant gewesen wäre, abzuschätzen, wie viele >o. K.<-Patienten dort wohl gerade saßen. Also hielt er der Dame mit den Haaren auf den mutmaßlich ukrainischen Zähnen einfach seinen Dienstausweis vor die Nase und marschierte geradewegs zum ärztlichen Sprechzimmer, wo er nur knapp klopfte, ohne sich groß Gedanken zu machen, mit welchen Worten er einen möglichen Patienten hinauskomplimentieren wollte. Er hatte keine Lust auf weiteres Taktieren.
Aber Petruk war allein. Er hatte gerade die Sprechstundenhilfe in der Gegensprechanlage, die ihn wahrscheinlich alarmieren wollte. Als der Arzt den unangekündigten Besucher erblickte, schnitt er ihren wortreichen Sermon mit einem kurzen Satz ab, der dem Tonfall nach so etwas wie »Ist schon gut« bedeuten mochte. Seidel setzte sich ohne weitere Aufforderung.
»Alles okay bei Ihnen, Herr Doktor?«
Der Arzt blickte ihn fragend an.
»Entschuldigung.« Seidel griff sich einen Zettel vom Schreibtisch und setzte ein >o. K.< in großen Lettern darauf. »Ich meinte natürlich o. K. wie >ohne Krankenschein<. Wie im Fall Arsen Rychkov.«
Ein Schatten der Angst zuckte über Petruks Gesicht. Das Gespräch nahm eine Richtung, die er nicht erwartet hatte. »Woher kennen Sie Herrn Rychkov?«
»Sagen wir mal, richtig kennengelernt habe ich ihn im Zuge einer Razzia. Aber gesehen hatte ich ihn vorher schon einmal, hier, bei Ihnen in der Praxis.«
»Ja, das stimmt.« Petruk nickte zögernd. »Ich habe ihn behandelt.«
»Ohne Krankenschein.«
»Er hatte keinen Krankenschein, weil er keine Krankenversicherung hat.«
»Und warum hat er die nicht? Weil er illegal hier ist. Ein illegaler Schwarzarbeiter.«
»Es ist mir egal, was er ist und was nicht.« Die Stimme des Arztes wurde wieder fester. »Arsen brauchte ärztliche Hilfe. Und da habe ich eine Ausnahme gemacht.«
»Hm«, brummte Seidel und beobachtete, wie Petruk den Zettel mit dem verräterischen Kürzel wieder und wieder zusammenfaltete, als wolle er ihn verschwinden machen. »Ist es nicht eher so, dass die Ausnahme die Regel war?«
»Ich verstehe nicht. Was meinen Sie?«
»Ich meine, dass es viele Rychkovs gab«, erwiderte Seidel mit plötzlicher Schärfe. Er verspürte wenig Neigung, auf Bedarfsbegriffsstutzigkeiten Rücksicht zu nehmen. »Oder gibt. Wie oft behandeln Sie Leute - Landsleute oder nicht -, die illegal hier arbeiten? Ohne Krankenschein, ohne Krankenversicherung.«
Auch nach der Razzia hatte Arsen Rychkov nicht verraten wollen, wo sein Zuhause war. Aber man hatte bei ihm einen Zettel mit einer Adresse gefunden. Die Angabe führte zu einem ebenfalls ziemlich abbruchreifen, einzeln stehenden 50er-Jahre-Bau mitten im Gewerbegebiet, der gar nicht so leer stand, wie es den Anschein haben sollte. Aber das wusste nur der Mann in der Stehbierhalle eine Ecke weiter, und der hatte tunlichst nichts verraten, um nicht die südosteuropäischen Käufer zu verlieren, die sich bei ihm allabendlich mit Bier eindeckten. In dem Abbruchhaus war bei Eintreffen der Zollfahnder ein weiterer Handlanger, von Clemens Fuchs noch alarmiert, gerade damit beschäftigt, Wohnspuren zu beseitigen. Auch einige Bewohner irrten noch in den nur schwach beleuchteten Räumen umher, die lediglich von kleinen Elektrogeräten geheizt und mit dem Notwendigsten möbliert waren: fleckige, feuchte Matratzen, wacklige Klappstühle, Obstkisten als Tische, Kochplatten und ein Kühlschrank im Gemeinschaftsraum. Sie kramten letzte Habseligkeiten zusammen. Dazu kamen ein paar alkoholisierte Spätheimkehrer von der Stehbierhalle. Und weitere vier Ukrainer, die in einem Wohnwagen eingepfercht waren, der immer mal wieder seinen Standort wechselte, bevor er auffiel. Machte zwölf Illegale. Plus diejenigen, die rechtzeitig abgehauen waren und jetzt wahrscheinlich sonst wo saßen, bei Freunden oder Verwandten, und darüber nachgrübelten, wohin die Reise für sie nun wohl gehen würde. Plus diejenigen, die Clemens Fuchs auf anderen Abrissbaustellen beschäftigte oder beschäftigt hatte - Illegale arbeiteten, wie Seidel von Jana Frei erfuhr, immer beim Abriss, für andere Arbeiten fehlte ihnen die Qualifikation. Plus diejenigen, die von anderen Abrissunternehmen zu Petruk geschickt wurden. Ergab zusammen 12 plus x plus x plus x plus x.
Wieder knarrte die Stimme der Sprechstundenhilfe aus dem Kunststoffgehäuse der Gegensprechanlage. Petruk fertigte sie diesmal mit sehr unwilligen Worten ab, dann schaute er auf das Zettelorigami in seinen Händen und legte es beiseite. »Ist es nicht meine Sache, wenn ich jemanden kostenlos behandle? Wissen Sie, wie viel Geld diese Leute haben?«
»Ich habe eine ungefähre Vorstellung.«
»Weniger als nichts«, präzisierte der Arzt überflüssigerweise.
»Ihre medizinische Opferbereitschaft ehrt Sie ja, Doktor Petruk. Nur nehme ich Ihnen den guten Menschen von der Remscheider Straße nicht ab. Wenn Sie das tatsächlich wären, dann sähe Ihre Praxis noch schlimmer aus.« Petruk wollte zu einer Erwiderung ansetzen. Seidel hob abwehrend die Hand. »Diese Leute mögen kein Geld haben, ihre Chefs schon. Chefs wie Clemens Fuchs. Die gern ein paar Euro dafür lockermachen, dass ihre Arbeiter versorgt sind, wenn einem mal was auf den Fuß fällt oder sich einer verkühlt. Das sparen sie dann bei den Sozialabgaben ein. Sie müssen nur noch einen Arzt finden, der mitspielt - und auch ein bisschen unter der Hand mitkassiert. Eine Win-win-win-Situation sozusagen.«
Petruk schwieg.
»Sie wissen, dass Sie das die Zulassung kosten kann.«
Der Ukrainer verzog keine Miene. »Sie wissen, dass das nicht stimmt.«
Seidel seufzte innerlich. Natürlich stimmte das nicht. Ein Arzt musste schon einiges mehr anstellen, um seine Approbation zu verlieren. Aber es war einen Versuch wert gewesen.
»Vielleicht nicht die Zulassung. Ärger kriegen Sie trotzdem. Zum Beispiel mit der Steuer. Deutsche Finanzämter mögen es ja gar nicht, wenn man an ihnen vorbei verdient. Ich könnte dafür sorgen, dass man mal Ihre Konten ein bisschen unter die Lupe nimmt.«
Im Fall von Experta-Bau hatten Jana Frei und ihre Leute genau das getan und in den letzten Tagen weitgehend geklärt, wie das schwarze Geld gewaschen wurde. Clemens Fuchs war auch ein Experte im Vertuschen und Verschleiern. Da, wo er nicht abriss, sondern aufbaute, beschäftigte er Unternehmen mit gut dotierten Spezialaufgaben. Allerdings stellte sich schließlich heraus, dass es drei dieser Unternehmen gar nicht gab. Es handelte sich um Strohfirmen. Das Geld floss trotzdem - und kam bar zu Fuchs zurück, als Schwarzgeld, mit dem dann die Ukrainer - und Albaner und so weiter - bezahlt wurden.
»Wenn ich sie nicht behandele, wer dann?« Bohdan Petruk zog sich auf das letzte Stück sicheren Boden zurück, das ihm noch blieb, eine scheinmoralische Rettungsinsel.
Seidel ließ die Frage unbeantwortet, für ihn kam sie einem Eingeständnis gleich. Stattdessen fragte er unvermittelt: »Warum war Jack Trosien bei Ihnen? Hat der bei der Sache mitgemacht?«
Petruk brauchte ein paar Sekunden, um bei dem Richtungswechsel die Orientierung wiederzufinden, dann stieß er die Luft aus. »Mitgemacht, der? Ich kannte den Mann überhaupt nicht.«
»Wirklich nicht? Oder ist er vielleicht bei Ihnen gewesen, um die Behandlungskosten herunterzuhandeln?
»Nein. Er tauchte hier völlig überraschend auf. Er hat mich zur Rede gestellt.«
»Warum? Wollte er Sie erpressen?«
»Ich weiß es nicht. Er . er war sehr wütend.«
»Und Sie?«
»Ich habe nicht mit ihm geredet. Schließlich ist er gegangen. Aber er sagte, er würde wiederkommen.«
»Und?«
»Nichts. Er ist nicht wiedergekommen.«
Damit war klar, dass Jack Trosien vom Gesundheitssystem Experta-Bau wusste. Seidel stand auf, unter Petruks fragendem Blick. »Sie müssen wissen, was Sie tun.«
Der Arzt hatte natürlich recht: Wenn er sich nicht um die Illegalen von der Baustelle kümmerte, dann jemand anders - und das womöglich schlechter. Es würde immer einen Clemens Fuchs geben, der einen Bohdan Petruk suchte. Das konnte man als unausweichliche Tatsache akzeptieren. Man konnte Petruks Verhalten sogar gutheißen, der kümmerte sich immerhin um die Illegalen. Oder aber man rechnete den Arzt zu den Tätern, zu jenen, die das System mittrugen. Der Architekt hatte offenbar den letzteren Standpunkt eingenommen.
Seidel war schon halb aus der Tür, da ließ sich der Arzt noch einmal vernehmen. »Übrigens, Arsen Rychkov . er hatte keinen Arbeitsunfall.«
»Woher wollen Sie das wissen?«
»Arsen hat behauptet, er hätte sich mit dem Hammer selbst erwischt.«
»Das soll bei den besten Handlangern vorkommen. Was hat Sie daran stutzig gemacht?«
»Dass er die Verletzung an der linken Hand hat. Aber Arsen ist Linkshänder. Würden Sie den Hammer in die rechte Hand nehmen, wenn Sie Linkshänder sind? Und würden Sie so fest zuschlagen, dass Sie sich fast den Daumen brechen?«
***
Der Dolmetscher war noch jung, maximal Mitte 30. Er hatte sich in sein bestes, möglicherweise auch einziges Jackett geworfen. Die lockigen Haare kräuselten sich über dem leicht speckigen Kragen, wenn er sprach, wippte seine noch im Wachstum begriffene, südosteuropäische Version eines Hipster-Bärtchens fröhlich mit.
Und Ilya Kulyakin war...
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