Schweitzer Fachinformationen
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Sollen sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler öffentlich engagieren? Die Frage in dieser höchst allgemeinen Form zu stellen heißt, sie zu bejahen. Dass es die Wissenschaften nicht um ihrer selbst willen gebe, sondern zum Besten der Gesellschaft, dies gehört zu jenen modernen Gewissheiten, die man schwerlich in Abrede stellen kann. Denn das Wissen, die Daten und Informationen, Entdeckungen und Erkenntnisse, Interpretationen oder Prognosen der Wissenschaften sind in praktisch jeder Hinsicht eine der wichtigsten Ressourcen moderner Gesellschaften und für die wissenschaftlich-technische Zivilisation konstitutiv. Wissensökonomien gewinnen für ihre Prosperität in wachsendem Maße an Bedeutung. Gesellschaftliche Reproduktion beruht überhaupt auf wissenschaftlicher Welt- und Selbstbeschreibung und den daraus entwickelten Interventionsmöglichkeiten. Auch staatliches Handeln nimmt unentwegt die epistemischen Funktionen wie das symbolische und legitimatorische Kapital von Wissenschaft für sich in Anspruch.
Moderne Gesellschaften sind auf die Wissenschaften angewiesen, ja von ihnen abhängig. Auch die Bildungs- und Wissenschaftspolitik, die Wirtschafts-, Innovations- oder Umwelt- und Energiepolitik bringen dies mit großem Nachdruck öffentlich zum Ausdruck. Sie betonen Bildung als Bindemittel gesellschaftlicher Kohäsion und Wissen als den wichtigsten eines an natürlichen Ressourcen vergleichsweise armen Landes. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten suchen sie daher auch die Wissenschaften auf ökonomischen und gesellschaftlichen Nutzen zu programmieren.[1] Zudem wird das vor allem quantitativ-empirische Wissen von Natur- und Sozialwissenschaften als direkte Entscheidungsgrundlage einer modernen Politik reklamiert, die ihre Rechtfertigung zumal in einem effektiven Output sieht.
Angesichts der umfassenden Wissenschaftsabhängigkeit der modernen Welt ist es nicht erstaunlich, dass diejenigen vielfältig gefragt sind, die Wissenschaft als Beruf betreiben. Gesellschaft und Wirtschaft, Öffentlichkeit und Politik bedürfen im Allgemeinen des Engagements von Wissenschaftlern, so dass sich diesen verschiedenste Möglichkeiten eröffnen, ihr Wissen zu vermitteln. Wissenschaftsextern treten Professorinnen und Forscher, akademische Lehrerinnen oder Gelehrte etwa als Ratgeber, Expertinnen, Gutachter, öffentliche Intellektuelle oder Fachbeiräte auf. Sie kommunizieren jene und Beschreibungen von Weltausschnitten samt den daraus sich ergebenden Möglichkeiten der technischen Weltgestaltung, welche in der Forschung produziert und in der akademischen Lehre reproduziert werden. Damit bedienen sie die nicht selten von ihnen auch selbst induzierte Nachfrage der Öffentlichkeit und ihrer Medien nach wissenschaftlicher Deutung und Erklärung ebenso wie den enormen Bedarf an spezialisierter Information und Sachkunde, der Politik praktisch jederzeit zu eigen ist. Die staatlichen Gewalten ebenso wie die öffentliche Verwaltung, wie politische Parteien oder Interessenvertretungen in sämtlichen Politikfeldern und Gesellschaftsbereichen befragen Sachverständige und beauftragen Gutachten, sie richten Expertenrunden, wissenschaftliche Beiräte, Kommissionen und Think Tanks ein oder suchen informell, zuweilen persönlich, wissenschaftlichen Rat. Und auch die Medien nehmen nach Maßgabe ihrer spezifischen Systemlogik Funktionen und Personal der Wissenschaften in Dienst - als Informationsquelle, Expertin, Unterhaltungskünstler (wie der Arzt und Entertainer Eckhart von Hirschhausen) oder Volkspädagogin (von Bernhard Grzimek über Harald Lesch bis Maja Göpel).[2] So spannt sich ein vielschichtiges Kommunikationsnetz zwischen den Wissenschaften einerseits, Gesellschaft, Medien und Politik andererseits, das keineswegs stets übersichtlich, klar strukturiert und scharf abgegrenzt ist.
Neben wissenschaftlicher Politik- und Gesellschaftsberatung, Wissenschaftskommunikation oder auch Lobbying zeichnet sich in der Bundesrepublik, wie anderweit auch, für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in jüngerer Zeit indes noch eine weitere Möglichkeit öffentlichen Hervortretens ab. Ich spreche davon, dass sie ihre Arbeit niederlegen, jedoch nicht, um als Angestellte für bessere Gehälter oder Arbeitsbedingungen zu streiten, sondern um gegen politische Verhältnisse und Verantwortliche zu rebellieren, denen sie vorwerfen, Wissenschaft zu ignorieren. Demonstranten gehen in Laborkitteln oder mit umgehängtem Stethoskop auf die Straße, um die gesellschaftliche Autorität ihrer Erkenntnisse einzuklagen. Professorinnen und ihre Mitarbeiter blockieren das Gebäude eines Ministeriums, indem sie sich selbst im Eingangsbereich mit Sekundenkleber fixieren, rote Farbe vergießen und klimawissenschaftliche Fachartikel an die Fassade pinnen.[3]
Für diese Formen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung hat sich scholarly oder science activism als Kennzeichnung eingebürgert. Um ihn geht es in diesem Kapitel. Am Beispiel der Scientists for Future und ihrer Interventionen in die jüngsten Kämpfe um den Braunkohleabbau in Nordwestdeutschland beschreibe ich, wie solche Protestgruppen Wissenschaft und Politik ins Verhältnis setzen. Dabei wird zu beobachten sein, wie dieser wissenschaftliche Aktivismus die Komplexität ökologischer, ökonomischer, rechtlicher, soziokultureller oder politischer Interdependenzen, die sich in solchen Kämpfen verdichten, unter Berufung auf wissenschaftliches Spezialwissen deutlich reduziert. Dies führt dann zu der These, dass er eine politische Strategie der Entpolitisierung verfolge. Demokratischer Kompromisspraxis werde ein vorpolitischer Wahrheitsanspruch entgegengestellt, der seinerseits freilich weniger diskursiv als aktivistisch performativ geltend gemacht wird. Doch der Reihe nach.
Die Formel science activism bedient sich eines vieldeutigen Ausdrucks von schwacher Bezeichnungskraft. Ganz allgemein, soviel wird sich immerhin sagen lassen, zeigt jedenfalls eine gewisse Abwertung diskursiven Verhaltens als Wissen und Reden sowie eine Umorientierung auf kollektives Handeln an.[4] Der Ausdruck steht so im Horizont des alten topischen Sinnbildungsschemas: Acta, non verba![5] Er spannt in der Wortgeschichte vom Expressionismus des frühen 20. Jahrhunderts über die heldenhaften Aktivisten der sozialistischen Arbeitswelt bis hin zum AIDS-Aktivismus seit den achtziger Jahren sowie zur Frauen-, Friedens-, Tierschutz- und Umweltbewegung ein beachtliches semantisches Spektrum auf. Es ist so breit, dass man unterdessen den Ausdruck sowohl zur positiven Selbstbezeichnung benützen mag, wie im Gegenteil - und im Übergangsbereich zum bloßen Aktionismus - auch zur Kritik oder Abwertung beispielweise von Protestaktionen.
Im wissenschaftlichen Kontext hat der activism zumal dort neues Profil erlangt, wo man, ausgehend vom transatlantischen College- und Universitätssystem, akademische Machtstrukturen im Zeichen einer spezifischen diversity-Politik (race, class, sex/gender) neu zu formatieren sucht.[6] Weltweite Öffentlichkeit fand er im Jahr 2017 mit den Marches for Science, zu denen sich Forscherinnen und Aktivisten durch die Politik des damals neu ins Amt gekommenen US-Präsidenten Donald Trump herausgefordert sahen und die man geradezu als ein Ausloten der Möglichkeiten von science activism interpretieren kann.[7] Heutzutage sind es Gruppen wie Scientists for Future oder Scientist Rebellion, die als Wissenschaftsaktivismus Aufmerksamkeit finden. In vor allem über digitale Medien lose organisierten Zusammenschlüssen[8] setzen Bürger die öffentliche Zurschaustellung ihrer spezifischen Berufsrolle als Wissenschaftlerinnen dazu ein, epistemische direkt mit politischen Ansprüchen und gesellschaftlichem Protest zu verknüpfen. Dabei schließen sie an die Demonstrationspraxis der Jugendklimabewegung von Fridays for Future über Extinction Rebellion und Ende Gelände bis zum Aufstand der letzten Generation an, als deren Unterstützer sie auftreten.[9]
Ganz anders als vor Jahrzehnten bei den sogenannten Neuen Sozialen Bewegungen geschieht diese wissenschaftliche Unterstützung von gesellschaftlichem Protest derzeit allerdings nicht durch den Aufbau einer kritischen...
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