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Wohl keine andere Familie der deutschen Geistesgeschichte in der Moderne hat durch ihr Leben und ihre Öffentlichkeitswirksamkeit so sehr die Fantasie des Publikums angeregt wie die Manns - auch außerhalb des eigentlichen literarischen Interesses. Und andererseits haben die Manns, die der englische Schriftsteller Harold Nicolson 1939 treffend als »amazing family«[14] apostrophierte, selbst viel und gern zu dieser Stilisierung und Eigenmythologisierung beigetragen - nicht immer ganz ernst, meist mit spöttisch-ironischem Unterton, aber doch stets von der eigenen Bedeutung überzeugt. Auch das »Märchenhafte« gehört zu diesem Image. Und märchenhaft erscheint es auch, wie ein pubertierender Jüngling, Schüler des Realgymnasiums Katharineum in seiner Vaterstadt Lübeck, um das Jahr 1890 herum auf das Bildnis seiner zukünftigen Braut stößt. Die Reproduktion eines Gemäldes aus dem Jahre 1888 des Münchner Malerfürsten Friedrich August Kaulbach zeigt fünf Kinder, Geschwister, die im Fasching als Pierrots verkleidet posieren. Es sind die Sprösslinge - vier Knaben und ein Mädchen - des angesehenen Münchner Universitätsprofessors Alfred Pringsheim und seiner Frau Hedwig, geborene Dohm (Tochter der Berliner Frauenrechtlerin Hedwig Dohm). Das Gemälde der fünf Kinder trifft den Geschmack der Zeit, wirkt auf die Betrachter »allerliebst« und wird daher alsbald in zahlreichen Reproduktionen, als Postkarte und in Zeitschriften, verbreitet. Der Lübecker Jüngling ist besonders von dem etwa fünfjährigen Mädchen am linken Bildrand angetan. Er kennt weder ihren Vornamen noch den der Geschwister, weiß auch nicht, dass der hübsche Knabe direkt daneben ihr Zwillingsbruder ist. Jedenfalls ist der Schüler von der Aura der Darstellung und von der kindlichen Anmut und Koketterie des Mädchens verzaubert. Der Name des Schülers: Thomas Mann. Er selbst erinnert sich viel später: »Jedermann war entzückt, und so war ich, ein Schuljunge damals im alten Lübeck, hoch oben am Baltischen Meer. Ich schnitt das Bild, dessen persönliche Hintergründe mir ebenso unbekannt waren wie der großen Mehrzahl seiner Liebhaber und Bewunderer, aus einem Journal heraus und befestigte es mit Reißnägeln über dem Arbeitstisch meines Schülerzimmers, so gut gefiel es mir. München war fern, und unbekannt die Zukunft. Wenn ich aber aufblickte von meiner Ovid-Präparation [.], so hatte ich - meine zukünftige Frau vor Augen.«[15]
Wie auch immer der Pennäler Thomas Mann sich seine Zukunft damals ausmalt: Er sieht sie sicherlich an den Gestaden des »Baltischen Meers«, ist er doch ein Sprössling aus einer alten hanseatischen Kaufmannsfamilie. Doch das Schicksal greift unerwartet und zunächst grausam ein und erweist sich dann doch - zumindest für den jungen Thomas Mann - als Glücksgöttin: Im Mai 1890 kann die Firma Mann noch ihr hundertjähriges Jubiläum begehen, und Vater Thomas Johann Heinrich Mann, der Unternehmenschef, wird in Lübeck und Travemünde von seinen Angestellten und Arbeitern, aber auch von der Bürgerschaft gefeiert. Dem jugendlichen Thomas ist recht bang zumute: »Ich sah den Reigen der Gratulanten, der Deputationen, [.] sah den bewunderten, mit furchtsamer Zärtlichkeit geliebten Mann des Tages, meinen Vater, [.] und mein Herz war beklommen [.]. So wußte ich damals, daß ich nicht der Nachfolger meines Vaters und meiner Väter sein, wenigstens nicht in der Form, wie man es stillschweigend von mir verlangte, und daß ich die alte Firma nicht weiter in die Zukunft führen würde.«[16] Als wäre der Wunsch Vater der Bestimmung, überstürzen sich wenige Monate später die Ereignisse: Am 15. Oktober 1891 stirbt Firmenchef und Senator Thomas Johann Heinrich Mann im Alter von nur einundfünfzig Jahren an einer Blutvergiftung. Keines der fünf Kinder, so des Senators Einsicht zu Lebzeiten, würde willens und fähig sein, die Firma weiterzuführen: Sein ältester Sohn, der zwanzigjährige Heinrich, ist ein angehender Literat, der zweitjüngste, Thomas, versucht sich ebenfalls mit ersten Prosastücken, ist ein rechter Träumer und tut sich in der Schule schwer, der jüngste Sohn, das Nesthäkchen Viktor, kam erst im April 1890 zur Welt, und die beiden Töchter Julia und Carla sind erst im Mädchenalter und scheiden nach damaliger Konvention für die Leitung einer Firma ohnehin aus.
Der Verstorbene hat resignativ, aber letztlich klug vorgesorgt: Testamentarisch verfügt er die Liquidation der traditionsreichen Firma. Witwe Julia verkauft das große Haus in der Beckergrube und bezieht mit ihren Kindern eine kleinere Villa vor den Toren der Altstadt. Sohn Heinrich beginnt eine Buchhändlerlehre (was freilich seine literarischen Ambitionen nur befeuert), die Übrigen (Nachzügler Viktor ausgenommen) besuchen einstweilen weiterhin die Schule. Doch bereits an Ostern 1892 zieht die Witwe mit den drei jüngsten Kindern nach München: Dort hat sie Freunde, zudem ist ihr, die mütterlicherseits brasilianisches Blut in sich trägt, das südlich-barocke Flair der bayerischen Residenzstadt mit ihrem regen kulturellen Leben sympathischer als das norddeutsch-protestantische Ambiente Lübecks. Die beiden ältesten Söhne bleiben in der Stadt an der Trave, Heinrich soll seine Lehre beenden, Thomas die Schule.
Doch bereits im März 1894 bricht der achtzehnjährige Thomas die Schule ab, ohne das Abitur abgelegt zu haben, und zieht zur Mutter nach München. Hier versucht er sich als Volontär einer Feuerversicherungsgesellschaft, belegt als Gasthörer ein paar Vorlesungen an der Technischen Hochschule, will Journalist werden, schreibt erste Prosastücke und Novellen, versucht, an das quirlige literarische Leben der Stadt anzuknüpfen, die einer ganzen Richtung, der »Münchner Moderne«, ihren Namen und ihren Stempel aufgedrückt hat. Das Erbe aus der Liquidation der väterlichen Firma ermöglicht es der gesamten Familie, zwar nicht in Reichtum, wohl aber in bürgerlichem Wohlstand leben zu können, ohne sich um materielle Forderungen des Tages und existenzielle Notwendigkeiten sorgen zu müssen.
Thomas Mann hat recht bald Erfolg: Erste Erzählungen erscheinen in literarischen Zeitschriften, werden von namhaften Kollegen beachtet und finden Anklang beim Publikum. Der eigentliche Durchbruch gelingt ihm mehrere Jahre später. Der Jungautor gönnt sich eine Auszeit von den bürgerlichen Belangen: Im Oktober 1896 reist er über Venedig und Ancona nach Rom und Neapel, ab Dezember lebt er mit seinem Bruder Heinrich in einer gemeinsamen Wohnung beim Pantheon in Rom und im nahen Palestrina. Hier beginnt er mit der Niederschrift seines Romans Buddenbrooks. In dem breit angelegten Zeit- und Sittengemälde erzählt er vom »Verfall einer Familie« - es ist die stark autobiografisch grundierte Geschichte der eigenen Ahnen und des Niedergangs der väterlichen Firma unter den sich ändernden ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Ende April 1898 kehrt Thomas Mann nach München zurück, bezieht eine eigene Wohnung und arbeitet als Redakteur beim Münchner Simplicissimus. Zugleich schreibt er Erzählungen und weiter an der umfänglichen Geschichte der Buddenbrooks. Der Roman erscheint (wie schon zuvor einige seiner kleinen Novellen) 1901 in zwei Bänden im Berliner S. Fischer Verlag und macht den Autor über Nacht zu einem der höchstgehandelten Schriftsteller Deutschlands - zumindest ideell. Denn rein ökonomisch betrachtet läuft der Verkauf der dicken Bände trotz guter Kritiken und begeisterter Lesermeinungen zunächst schleppend an. Erst einige Jahre später wird sich das Buch auf dem Markt als Bestseller durchsetzen.
In jenem Sommer 1901 unterhält Thomas Mann eine enge Freundschaft zu den Brüdern Paul und Carl Ehrenberg: Paul ist Maler, Carl Musiker und Komponist. Die drei musizieren gemeinsam (Thomas Mann spielt die Violine), machen Ausflüge, begeben sich ins Schwabinger Künstler- und Bohemeleben. Besonders mit Paul verbindet Thomas Mann bald eine schwärmerische, homoerotisch gefärbte Beziehung, was sich in Gedichten, Briefen und Widmungen niederschlägt, vor der Um- und Nachwelt freilich verborgen gehalten wird. Es entstehen leidenschaftliche, wenn auch etwas ungelenke Verse, die der Literat seinem Notizbuch anvertraut: »Dies ...
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