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Erika und Klaus Manns extravagante Freundschaften Was um 1920 hoffnungsvoll begann, endete ab 1933 in Exil und Untergang. Der Kreis um Erika und Klaus Mann bestand im Kern aus fünf Freunden, deren Kreativität sich gegenseitig beflügelte. Klaus Mann brach in seinen Romanen die Tabus um Homosexualität und freie Liebe, Mopsa Sternheim entwarf das Bühnenbild für seine Theaterfassungen, Erika Mann und Pamela Wedekind erarbeiteten Bühnenstücke, während Annemarie Schwarzenbach aus aller Welt berichtete. Die erotisch aufgeladene Freundschaft der fünf und deren Umkreis gewährt Einblick in radikale literarische und politische Umbrüche jener Zeit.
Prolog: Klaus Mann und Pamela Wedekind verloben sich. 1924
Romantischer könnte das Ambiente für einen jungen, angehenden Literaten nicht sein: Das Frühjahr 1924 verbringt der gerade einmal siebzehnjährige Klaus Mann als Gast des Dichters, Schattenspielprinzipals, Bibliophilen und Alchemisten Alexander von Bernus auf dessen Anwesen Stift Neuburg bei Heidelberg. Der Blick von dem ehemaligen Benediktinerkloster geht hinunter auf den Neckar und die altehrwürdige Universitätsstadt. Die Familie Bernus hat das säkularisierte Kloster einst erworben und hier selbst Geistesgeschichte geschrieben: Im Jahre 1909 waren Stefan George und sein Kreis zu Gast. Damals trug der »Meister« den »Jüngern« aus seinen hermetischen Versen vor, und abends führte der noch junge Baron Alexander von Bernus, der in München-Schwabing erfolgreich ein Schattentheater betrieb, hinter einer Leinwand stehend und mit beweglichen Figuren hantierend, seinen illustren Gästen selbstverfasste Stücke vor. Nachts erging man sich - plaudernd, trinkend und schwärmerisch dem Freundschaftskult huldigend - in dem mit alten Bäumen bestandenen und mit Rosenbuketten geschmückten Park. Doch die Zeiten ließen den Freundeskreis nicht unberührt, Eifersüchteleien und Animositäten kamen auf. Der Zirkel zerbrach, nicht zuletzt an des hochbegabten Barons Weigerung, sich dem »Meister« und seinen autokratischen Allüren zu unterwerfen. Er wolle ihm ja gern sein Königreich lassen, schleuderte Bernus George entgegen, aber er, Bernus, lasse sich sein Herzogtum nicht nehmen! Damit war das geistige Einverständnis zwischen den beiden zerrüttet.
Wenige Jahre später fegte der Erste Weltkrieg über Europa hinweg. Das Kaiserreich ging unter, die Republik erstand, gebeutelt von politischen und wirtschaftlichen Krisen, nicht zuletzt von der Inflation des Jahres 1923, in deren Folge man für die Beförderung eines Standardbriefes zehn Milliarden Mark hinblättern musste, Kinder auf den Straßen mit dicken Bündeln wertlosen Papiergeldes wie mit Bauklötzen spielten und weite Teile der Bevölkerung verelendeten. Auch Alexander von Bernus' Vermögen schmolz dahin, übrig blieben seine bedeutende Bibliothek mit wertvollen Erstausgaben der deutschen Klassiker und Romantiker und zahlreichen Widmungsexemplaren der literarischen Größen der Gegenwart, das klösterliche Anwesen mit seinen nun verödeten Kreuzgängen, Fluren und Sälen, und ein exzellenter Ruf, den Bernus, mittlerweile ein Mann von Mitte vierzig, nach wie vor in der deutschen Geisteswelt genoss.
Es ist still geworden in Stift Neuburg: Bernus, in erster Ehe mit der Literatin Adelheid von Sybel verheiratet, hatte einen Sohn namens Alexander Walter, der sich 1912 mit acht Jahren beim Spielen im Garten unglücklich selbst erdrosselte. Ein Schicksalsschlag, über den der feinsinnige Baron lange nicht hinwegkam, obgleich er noch im selben Jahr die baltische Künstlerin Imogen von Glasenapp heiratete und im Jahr darauf ihre gemeinsame Tochter Ursula Pia geboren wurde. Umso willkommener erscheint Bernus im Frühjahr 1924 die Anfrage seines Freundes und Schriftstellerkollegen Thomas Mann aus München (der Baron hat Thomas Mann einst bei der Darstellung des höfischen Zeremoniells im Roman Königliche Hoheit beraten), ob dessen Sprössling Klaus, selbst ein angehender Literat, nicht für ein paar Wochen als Logiergast nach Stift Neuburg kommen könne? Der junge Mann sei ein Schulabbrecher, habe allerlei Flausen im Kopf und sei derzeit auf der Suche nach einem eigenen Weg, da könne eine Auszeit in der Klausur eines Klosters, selbst eines säkularisierten, nur guttun, man erwarte von der Stille und Abgeschiedenheit Stift Neuburgs und nicht zuletzt von des Barons väterlicher Menschenkenntnis eine wohltuende und klärende Wirkung auf die verworrenen Ansichten des frühreifen Burschen.
Der Koffer ist rasch gepackt, und mit der Eisenbahn trifft der siebzehnjährige Schriftstellersohn im Frühjahr 1924 in Heidelberg ein. Er bezieht ein Zimmer in dem ehemaligen Kloster, das er in den kommenden Wochen selten verlässt. Von der heimeligen Landschaft am Neckar und dem quirligen Studentenleben der Stadt bekommt der junge Mann kaum etwas mit, denn seine Welt ist die Literatur, und hier sind es vor allem die Abseitigen, Gebrochenen, Kranken, die er verehrt und denen er nacheifert: Baudelaire, Rimbaud, Verlaine, Wilde, Bang . Ursula Pia von Bernus erinnert sich als ältere Frau an den seltsamen Logiergast jener Wochen: »Er schrieb und ging sehr wenig heraus aus dem Zimmer, das immer voll Rauch und dicken Parfümwolken war . Einmal machte meine Mutter gerade die Blumenbeete unter dem Fenster von Klaus Mann zurecht und rief ihm hinauf, da der Gärtner einen Haufen Mist zum Ausstreuen auf das Blumenbeet da hingelegt hatte, >Klaus, machen Sie mal das Fenster auf, daß es hier schönere Düfte gibt!< Darauf öffnete er das Fenster und lachte . Er verbreitete einen unendlichen Duft von Parfüm. [.] Was mir an ihm auffiel, war, daß er immer eine leichte Bindehautentzündung hatte, also immer leicht gerötete Augen. Wahrscheinlich stammte das davon, daß er immer bei geschlossenen Fenstern und zugezogenen Vorhängen im dichten Rauch von Zigaretten saß.«[1]
Zigaretten und Parfüm sind mehr als nur berauschende, inspirationsfördernde Ingredienzen: Vielmehr sind sie Ausdruck einer Lebenshaltung. Der junge Mann will einerseits erwachsener wirken, als er ist, andererseits sollen diese Stoffe ein Image versinnbildlichen, das er sich als Dichter zulegt: das eines unangepassten Dandys und Bürgerschrecks, eines dekadenten Außenseiters und betont effeminierten Homosexuellen. Klaus Manns Liebe zu den französischen und englischen Dichtern des L'art pour l'art ist mehr als nur Imitation. Er will ihnen in seinem Schreiben, aber auch in seiner Lebensweise nacheifern und sich von seinem bürgerlichen Elternhaus abgrenzen. Vieles an diesem jugendlichen Aufbegehren ist verzweifelte Provokation, mehr kunstvolle Sublimierung als offene Revolte. Es ist Ausdruck eines hochintelligenten, dabei aber noch nicht gereiften und im Innersten unsicheren Individuums, dem es an tatsächlichen Vorbildern im eigenen Leben mangelt. Klaus Mann schreibt in jenen Monaten Gedichte und Prosaskizzen, die von Selbstfindung, Abgrenzung von der satten Generation der Väter und vor allem von aufkeimenden gleichgeschlechtlichen Gefühlen handeln. Bereits an der reformorientierten Odenwaldschule, wo er das Schuljahr 1922/23 verbrachte, hat er sich heftig in einen Mitschüler verliebt: Uto Gartmann aus Wimpfen. Noch in seinem Lebensrückblick Der Wendepunkt schwärmt der bereits über vierzigjährige Autor: »Er hatte das Gesicht, das ich liebe. Man mag für mancherlei Gesichter Zärtlichkeit empfinden, wenn man lange genug lebt und ein empfindendes Herz hat. Aber es gibt nur ein Gesicht, das man liebt. Es ist immer dasselbe, man erkennt es unter Tausenden. Uto hatte dies Gesicht. [.] Er war ein guter Junge, bescheiden und sanft, ohne Bosheit; eitel genug, um sich meiner Huldigung zu freuen, doch zu naiv, um den wahren Charakter meiner Leidenschaft zu erkennen.«[2] Nun, in Klaus Manns parfümgeschwängertem Zimmer in Stift Neuburg, steht eine gerahmte Fotografie Utos auf dem Schreibtisch, umwunden von einem Rosenkranz - denn die Sinnlichkeit und Irrationalität des Katholizismus ist ebenfalls ein Mittel, sich vom nüchternen, protestantisch-hanseatischen Elternhaus abzugrenzen.
Doch mehr als Uto vermisst Klaus Mann seine um ein Jahr ältere Schwester Erika. Die beiden ergänzen sich wie Yin und Yang, sie sind zusammen alles, und getrennt nur unvollkommen. Klaus Mann weiß das von früher Jugend an. Die geschwisterliche Liebe zu Erika beglückt ihn und fügt ihm zugleich eine Wunde zu, an der er zeitlebens tragen wird. Äußere Trennungen werden als herbe Schicksalsschläge verbucht, gemeinsame Erlebnisse als höchste Vollendung und Seligkeit, Liebesbeziehungen Erikas als Verrat an der eingeschworenen Geschwisterlichkeit.
Doch eben jetzt, in den Wochen bei Alexander von Bernus, ist Klaus Mann von seiner geliebten Schwester getrennt. Die nämlich hat in jenem Frühjahr 1924 an einem Münchner Gymnasium das Abitur mit Ach und Krach bestanden, das sagenhaft schlechte Zeugnis gerahmt und an die Wand gehängt (mehr zur Erheiterung denn aus Stolz) und kurz darauf das Elternhaus und die Vaterstadt verlassen und ist nach Berlin gezogen, wo sie sich im Schauspielermilieu umtut. Klaus leidet unter der Trennung. Und er ist neidisch und ein wenig eifersüchtig. Neidisch auf Erikas Freiheit, sich in der Weltstadt selbstständig tummeln zu dürfen, eifersüchtig auf eine Liebe, die in Erika aufflammt. Das Objekt der Begierde: Pamela Wedekind.
Pamela, geboren am 12. Dezember 1906, ist die älteste Tochter des Dichters Frank Wedekind und der Schauspielerin Tilly Wedekind. Die Geschwister Mann haben die beeindruckende junge Frau mit dem »Haupt eines Renaissance-Jünglings«[3] einige Zeit zuvor bei einem Tee kennengelernt, den Mimi Mann, die Frau des Onkels Heinrich, in München gegeben hat. Pamela Wedekind sieht ihrem legendären Vater, der bereits 1918 verstorben ist, frappant ähnlich: Das scharf geschnittene Gesicht, die Hände, selbst die metallene Stimme gemahnen an den großen Dichter und Bänkelsänger. Und wenn Pamela zur Gitarre die mal frechen, mal melancholischen Chansons ihres Vaters singt, glaubt man eine weibliche Reinkarnation vor sich zu haben. »Ihr Liedvortrag«, so Klaus Mann in seiner ersten Autobiografie Kind dieser Zeit aus dem Jahre 1932, »war eine künstlerische Darbietung großen Stils, das Konzentrierteste, Reinste und Originalste, was sie zu geben hatte. Sie sang mit einem erschütternden Ernst und mit einer exakten, gleichsam...
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