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Die achte Schulklasse einer Freien Waldorfschule hat sich vorgenommen, Ferdinand Raimunds "Original-Zaubermärchen" Der Verschwender zu spielen. Das Erarbeiten, Einstudieren, Ausstatten und Aufführen eines Theaterstücks gehört zum Lehrplan einer achten Klasse; es stellt eine wesentliche pädagogische Maßnahme dar.
Wenn im folgenden im Besonderen über das Problem der Musik für eine solche Aufführung zu reden ist, dann deshalb, weil der Autor nur an ihr originär beteiligt war. Denn Einstudierung, Inszenierung und Leitung des Spiels lagen in den Händen der Klassenlehrerin, Karin Fintelmann. Doch zur Ausstattung trugen - wie in Waldorfschulen selbstverständlich - auch viele Eltern bei, unter ihnen eben der Autor dieses Textes zum Bereich Musik. Und diesen motivierte die Arbeit des Beschaffens, Bearbeitens, Einstudierens und des Realisierens der Musik eben auch dazu, im Nachgang den Gesamtzusammenhang als ein musikpädagogisches Projekt zu überdenken. Dazu ist freilich auch über Raimunds Stück zu sprechen.
Wer Raimunds (oder Nestroys) Werke je aufgeschlagen hat, der weiß, dass deren Stücke und Zauberpossen vielfach mit Musik verbunden sind. Auch in diesem Fall ist uns eine Originalmusik überliefert, wenn auch nicht gedruckt greifbar. Sie stammt von Conradin Kreutzer. Eine Schauspielmusik des 19. Jahrhunderts mit einem (mehrheitlich) Schüler- und Elternensemble verwirklichen, - steht man hier nicht vor der Wahl zwischen zwei Unmöglichkeiten?
Denn: Eine solche Partitur - mir lag sie als bühnenübliche Abschrift aus dem 19. Jahrhundert in zwei handgeschriebenen Bänden von zusammen ca. 350 Seiten vor - flößt erst einmal Angst ein. Sie umfasst neben einer Ouvertüre achtzehn Stücke sowie eine mehrmals eingeschobene Hornfanfare (als Musik auf der Bühne). Und sie sieht ein recht stattlich ausgebautes Orchester des frühen 19. Jahrhunderts vor: fünfstimmigen Streicherchor, je doppeltes "Holz" (Flöten, Oboen, Klarinetten, Fagotte), 2 bis 4 Hörner, 2 Trompeten, 3 Posaunen, Pauken, kleine Trommel, Becken und Harfe. Dazu kommen ein Theaterchor (teils als Gemischter Chor, teils als Männerchor) und drei Solostimmen (Azur/Bettler = Bass, Valentin = Tenor, Rosa = Sopran). Im Rahmen einer Schüleraufführung ist eine solche Partitur keinesfalls zu realisieren.
Bliebe nur: die Musik ganz zu streichen? Sicher "kann" man das Stück auch ohne Musik spielen, zumal als Schüleraufführung, in der die Zuhörer/-schauer wohlwollender und von sich aus Fehlendes ergänzend teilhaben. Doch wird man ohne verändernde Striche nicht auskommen: Wer in den Text des Stückes hineinschaut, dem werden Liedtexte auffallen, die, wenn auch ironisch vom Gang der Handlung abgehoben, untrennbar mit der Aussage des Stückes und - wir werden das noch zu erörtern haben - mit der besonderen Art des Raimundschen Theaters verbunden sind. Und es werden ihm Szenen auffallen, die explizit von der Vorstellung Raimunds auf Musik verweisen. Eine Entscheidung "ohne Musik" bedeutete naheliegend eine Entscheidung gegen das "eigentlich" mit dem Text von Raimund gemeinte Stück.
Hier ist Erfahrung wichtig, vor allem die mit dem Spielen dieses Stückes und mit dem Bearbeiten der Musik von Kreutzer. Die Aufführungen haben mir (und anderen), ohne dass wir dies vorher kalkulieren konnten, klargemacht, dass gerade die (= diese) Musik maßgeblich daran beteiligt war, eine Aufführung über das Ereignis einer Nur-Schülerveranstaltung hinaus in eine eigene Ebene des Sich-Abspielens zu heben. Das lag nicht daran, dass die Musik besser gespielt worden wäre als die Rollen; beide wurden von den gleichen Schülern vergegenwärtigt. Und gerade für die Musik gab es die wahrscheinlich typische Bedingung, sich um sie ein wenig zu spät zu kümmern.1 Doch selbst die in vielem recht unvollkommen realisierte Musik verlieh dem Theater-Spielen spezifischen Zauber und machte es im Sinne eines möglicherweise zeitgenössisch Gemeinten erst zu einem in sich abgerundeten stimmigen Theater.
Die Frage, wie weit Der Verschwender mit Musik und ob er mit dieser Musik aufzuführen sei, stellt sich deshalb (für mich) als Bestandteil der umfassenderen Frage nach dem Spielen als Vorstellung, die der Text meint resp. die man als eine eigene und zeitgenössische "hinter" dem Text zu finden willens und in der Lage ist. Und die Antwort, die man sich erarbeitet, stellt die zentrale Vorgabe dar, der sich Musik einzufügen hat, entweder jene Originalmusik von Kreutzer oder eine neu zu schaffende.
Deutlich soll damit werden, dass es hier nicht allein um die Bearbeitung der Musik von Kreutzer und um deren Ausführung gehen kann - dies allein wäre eine Aufgabe eher für einen erfahrenen Kapellmeister. Vielmehr stellen die Vorbereitung des Raimundschen Spiels und seine Aufführung durch die Klasse für den Musiklehrer einer Schule eine wichtige und chancenreiche schulische Situation dar, die als eine musikpädagogische zu entdecken und zu interpretieren ist: in ihr geht es darum, die Schüler in ihrem Vorhaben des Theater-Spielens (musikalisch) spielen und singen zu machen, in einer Weise, die ihre Bedingungen mit denen dieses Stückes tendenziell zur Deckung bringt und die damit ein praktisches Musiklernen initiiert, das dem Interesse von Schülern in allen Ebenen entspricht: es integriert Musik als eigenen Vollzug, als vor allem instrumentales Spielen und als Singen, in einen Abschnitt eigenen Lebens.
Die technische Bewältigung, bestehend aus dem Auffinden und Studieren der Originalmusik, dem Auswählen der in das Spiel zu übernehmenden Stücke, deren Bearbeitung für ein kleines Ensemble unter Beteiligung von Schülern und weiteren Eltern sowie unter Berücksichtigung ihrer (musikalischen) Spielmöglichkeiten (wobei man sich von einem erfahrenen Kapellmeister helfen lassen könnte) sowie dem Einstudieren und Leiten während der Aufführungen, evtl. unter eigener instrumentaler Beteiligung, kann eine zentrale Phase des musik- und theatergeschichtlchen "Nachdenkens über" aus pädagogischer Sorge in sich aufnehmen, um Entscheidungen über das künstlerisch Notwendige vom pädagogisch und sachlich Gebotenen her zu erarbeiten. Ein solches Nachdenken soll im folgenden skizziert werden. Es beginnt bei der Selbstaneignung und folgend beim gedanklichen Vergegenwärtigen des Stückes, stellt dann die Frage nach dem Theater Raimunds, das der uns heute vorliegende Text meint, sowie nach der Rolle der Musik in ihm. Ein zweiter Anlauf beschreibt und begründet schließlich das Vorgehen bei der vorliegenden Bearbeitung von sechzehn der original achtzehn Musikentwürfe.
Der folgende Text belegt somit einen Ausschnitt aus dem Arbeitsprozess eines Musikpädagogen. Dieser erweitert hier nicht nur die in der Musikpädagogik heute übliche sog. Wissenschaftsorientierung um eine solche künstlerischer Art, sondern er deutet auch seine prinzipiell gegenläufige Organisation an. Statt - einfach gesagt - von einer wissenschaftlichen Bearbeitung von Musik über das ("praktische") Hören zum sog. Verstehen von Musik zu führen, will er bei der praktischen Verstrickung und Erfahrung des Musiklehrers mit Musik, bei dessen notwendiger alltäglicher ästhetischer Praxis ansetzen und von dieser über das "Nachdenken über" aus pädagogischer Sorge zu einem Singen und Spielen und Hören der pädagogisch Betroffenen führen. ("Verstehen" ist solcher Musikpädagogik kein Ziel sui generis sondern eine Dimension des eigenen musikalischen Tätigseins, des eigenen Lebens mit Musik.) Dabei ist u. a. davon auszugehen, dass die pädagogische Sorge die eigene künstlerische Praxis des Musiklehrers nicht unbeeinflusst lässt: Erarbeiten und Bearbeiten einer solchen Partitur sind ja durchaus Akte kunstorientierter Tätigkeit, die als solche den Musiklehrer als "Musiker" fordern und faszinieren können, und sie sind anderseits Vorbereitung bereits pädagogischer Vermittlung, angelegt, andere singen, spielen und hören zu machen.
Aber: den hier aufscheinenden (und an manchen Schulen noch fraglos üblichen) musischen Kurzschluss inform vorschneller Verklärung des eigenen Interesses des Musiklehrers zum angeblich pädagogisch Relevanten verhindert das "Nachdenken über" in einer hiermit immerhin angedeuteten konzeptionellen Ebene (in der die Entscheidungen zur eigenen ästhetischen Praxis sich zu legitimieren haben) und in einer jeweils sach- und situationsbezogenen Ebene. Um die Darstellung (nur) letzterer geht es im folgenden.
1 Die Fahndung nach einer solchen Bühnenmusik kann einige Wochen in Anspruch nehmen. Hat man ein Partiturexemplar auf dem Tisch, benötigt man ein bis zwei Wochen, um einige Stücke, nach Wichtigkeit gestaffelt, zu bearbeiten; und für deren Einstudierung (und evtl. Umarbeitung)...
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