Schweitzer Fachinformationen
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Der Anruf kam um fünf Uhr am Mittwochmorgen.
»Die Nacht ist zu Ende«, begann Böhmer ohne Einleitung. »Ein Doppelmord in Gerresheim.«
Max richtete sich auf und schwang die Beine aus dem Bett. »Holst du mich ab?« Seine Stimme klang noch rau.
»Nein, ich bin schon unterwegs. Komm mit deinem eigenen Wagen, und beeil dich.« Böhmer nannte ihm die Adresse und legte auf, bevor Max Fragen stellen konnte. Schlaftrunken schwankte er ins Wohnzimmer zu seinem Schreibtisch, kramte einen Zettel und einen Kugelschreiber zwischen den Akten hervor, die die ganze Arbeitsfläche bedeckten, notierte die Adresse und ging dann ins Bad.
Eine knappe Viertelstunde später war er unterwegs. Mit eingeschaltetem Magnetblaulicht rauschte er mit neunzig Stundenkilometern über die Grafenberger Allee und erreichte nach etwa zwanzig Minuten die Adresse, die Böhmer ihm genannt hatte. Mehrere Einsatzfahrzeuge parkten am Straßenrand, direkt vor dem Grundstück stand ein Notarztwagen.
Max stellte sein Auto neben dem Audi seines Partners ab, stieg aus und betrachtete das anderthalbgeschossige Einfamilienhaus, das sich gegen den graublauen Himmel der Morgendämmerung abzeichnete. Ein Weg aus Steinplatten teilte den Rasen vor dem Haus in zwei Hälften und endete vor der offenstehenden Eingangstür. Jan, ein Kollege der Spurensicherung, der seine Herkunft aus dem hohen Norden weder verleugnen konnte noch wollte, kam vom Haus aus auf Max zu und begrüßte ihn. »Moin!«
Jan steckte in einem weißen Papieroverall und hatte Plastiküberschuhe an den Füßen. Max nickte ihm zu und ging schnell an ihm vorbei, bevor Jan dazu kam, zu einem seiner berüchtigten Monologe anzusetzen.
Er hatte schon die halbe Strecke zum Eingang zurückgelegt, als Jan hinter ihm herrief: »Ist nix für schwache Nerven da drin!«
Max hob die Hand und ging weiter, ohne sich umzudrehen. Erst als er die Eingangstür erreicht hatte, blieb er stehen. Im Inneren des Hauses waren gedämpfte Stimmen zu hören. Böhmers untersetzte Gestalt verdeckte im hinteren Teil des Flurs den Blick in das angrenzende Zimmer. Gleich neben der Eingangstür führte eine Treppe in die obere Etage.
Noch hatte sein Partner ihn nicht bemerkt.
Max atmete tief durch und versuchte, sich auf das vorzubereiten, was er gleich sehen würde, obwohl er wusste, dass man sich auf solche Szenarien kaum vorbereiten konnte.
Als er den Flur betrat, wandte Böhmer sich zu ihm um. »Ah, da bist du ja.« Er deutete ins Innere des Raumes. »Da muss ein vollkommen Irrer am Werk gewesen sein.« Böhmer versperrte noch immer die Tür in das Zimmer, aber da Max einen halben Kopf größer war, sah er über die Schultern seines Partners hinweg die Beine eines am Boden liegenden Körpers. Er wies an Böhmer vorbei. »Darf ich?«
Sein Partner nickte und drückte sich wortlos mit dem Rücken gegen die Flurwand, so dass Max an ihm vorbei den Raum betreten konnte. Es war das Wohnzimmer.
Der Tote trug Jeans und ein blaues Hemd und lag auf dem Bauch. Der Schädel war vollkommen zertrümmert und lag in einer riesigen Blutlache. Knochensplitter und Hirnmasse waren weiträumig um ihn herum auf dem Boden und an der Wand verteilt. Selbst das Bein des Tisches, der zwei Meter daneben stand, wies dunkle Spritzer auf.
Der Täter musste wie ein Besessener mit einem massiven Gegenstand auf den Kopf eingeschlagen haben. Doch so unappetitlich der Anblick auch war, er schockierte Max nicht annähernd so sehr wie das, was er in der dahinterliegenden, offenen Küche sah, als er von dem Toten aufblickte. Mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt, saß ein etwa dreizehnjähriger Junge auf dem Boden. Sein Shirt war von Blut durchtränkt, das aus einer Wunde am Hals stammte, in der, schräg nach oben gerichtet, bis zum Schaft ein Messer steckte.
Max spürte, wie eine Faust seinen Magen umschloss und erbarmungslos zudrückte.
»Der Tote mit dem eingeschlagenen Schädel ist Rolf Darius«, sagte Böhmer so nah an Max' Ohr, dass er erschrocken zusammenfuhr. »Der Junge ist sein Sohn Manuel. Er ist . er war zwölf Jahre alt.«
Max starrte das bleiche Gesicht des toten Jungen an, unfähig, auf Böhmers Information zu reagieren. Unfähig zu irgendeiner Reaktion. Und während sein Verstand krampfhaft versuchte, sich an der Realität des Tatorts festzuhalten, verschwammen die jungen Gesichtszüge, als müssten sie sich neu ordnen, und als sie wieder deutlicher wurden, hatten sie sich verändert. Aus dem Kindergesicht war das einer jungen, bildhübschen Frau geworden. Ein vertrautes Gesicht, dessen Augen sich öffneten und dessen Blick sich mit einem Ruck auf ihn richtete, so voller Angst und Entsetzen, so verzweifelt um Hilfe bettelnd, dass es Max schier das Herz zerriss.
»Max, was ist mit dir?« Böhmer.
Max' Verstand klammerte sich an der rauen Stimme seines Partners fest und zog sich daran zurück in die Gegenwart, weg aus der Vergangenheit, aus dem düsteren Keller, weg von .
»Max!« Eine Hand legte sich auf seine Schulter, schüttelte ihn. Dann war Böhmers Gesicht vor ihm. »Alles okay, Partner?«
»Ja . ja. Alles okay.« Max drehte sich so, dass er das tote Kind nicht mehr sehen musste, und rieb sich über die Augen.
»Was ist mit der Mutter des Jungen?«
»Ist mit der Ärztin oben in der ersten Etage. Sie musste alles mitansehen und steht unter Schock.«
»Okay. Ich schau mal, ob ich mit ihr reden kann.«
Max wandte sich ab und vermied es, den toten Jungen noch mal anzusehen.
Als er, gefolgt von Böhmer, den oberen Treppenabsatz erreichte, entdeckte er die Mutter des Jungen durch die offene Schlafzimmertür. Sie lag reglos mit geöffneten Augen auf dem Bett und starrte an die Zimmerdecke. Strähnen ihrer langen, dunklen Haare klebten ihr an der Stirn. Auf der Bettkante saß die Ärztin und kontrollierte den Puls der Frau. Sie sah auf, als sie Max' und Böhmers Schritte hörte.
»Guten Morgen«, begrüßte Max die Ärztin, die ihm unbekannt war, und blieb in der Tür stehen. »Bischoff ist mein Name, Kripo Düsseldorf. Das ist mein Kollege Böhmer. Können wir uns kurz mit Frau Darius unterhalten?«
»Das ist im Moment ungünstig. Sie hat einen Schock und muss in stationäre Behandlung. Gleich werden .«
»Es ist wichtig«, fiel Böhmer ihr ins Wort und schob sich an Max vorbei in den Raum. »Frau Darius hat gesehen, was passiert ist, und kann uns vielleicht entscheidende Hinweise geben. Also bitte .«
Mit einem prüfenden Blick auf die Frau nickte die Notärztin schließlich und stand auf. »Also gut. Aber ich weiß nicht, ob sie ihnen antworten kann.«
Böhmer ging auf das Bett zu. Die Frau zeigte keinerlei Reaktion.
»Frau Darius, es tut uns sehr leid, was passiert ist. Wir wissen, dass Sie Furchtbares mitgemacht haben, aber wir brauchen dringend Ihre Hilfe.« Er machte eine Pause, doch die Frau ließ nicht erkennen, dass sie ihn gehört hatte.
»Können Sie uns bitte sagen, was heute Nacht hier passiert ist?«
»Er war so hässlich.« Die Antwort kam überraschend schnell, aber so leise, dass Max die Worte kaum verstehen konnte.
»Was?«, hakte Böhmer sofort nach. »Wer war hässlich? Der Täter? Wie sah er aus?«
»Eine Fliege. Er . er hat .« Eine Träne löste sich aus dem Augenwinkel der Frau, rann über die Schläfe und versickerte neben ihrem Kopf im Kissen.
»Er hat meinen Jungen .« Die Stimme versagte ihr.
Böhmer tauschte schnell einen Blick mit Max, bevor er sich wieder an die Frau wandte. »Können Sie uns beschreiben, wie der Mann aussah?«
»Eine Fliege. Eine hässliche Fliege.«
»Was? Was ist mit der Fliege?«
»Ich bin schuld.«
»Frau Darius .«
Ihr Kopf flog herum, die Augen waren weit aufgerissen. »Er hat gesagt, ich bin schuld«, schrie sie. »Ich bin schuld. Ich .« Sie schlug die Hände vors Gesicht, ihr schlanker Körper begann immer stärker zu zucken, bis er von einem heftigen Weinkrampf geschüttelt wurde.
»Aufhören!«, sagte die Ärztin bestimmt, als Böhmer der Frau die Hand auf den Arm legte und Anstalten machte, weiterzufragen. Mit zwei schnellen Schritten stand sie am Bett. »Keine Fragen mehr. Sie sehen doch, in welchem Zustand die Frau ist. Ich werde sie jetzt ins Krankenhaus schaffen lassen.«
»Okay.« Böhmer erhob sich. »Wir kommen später nach. Wo bringen Sie sie hin?«
»Ins Uniklinikum.«
Böhmer nickte Max zu und ging an ihm vorbei aus dem Raum. Max warf noch einen langen Blick auf die zuckenden Schultern der Frau, die sich wieder abgewendet und den Kopf tief im Kissen vergraben hatte, dann folgte er seinem Partner nach unten.
Sie sprachen noch mit Kollegen der Spurensicherung und mit dem Rechtsmediziner, der zwischenzeitlich die erste Begutachtung der beiden Opfer durchgeführt hatte. Rolf Darius' Schädel war mit einem Hammer zertrümmert worden, der wenige Meter entfernt neben dem Opfer auf dem Boden lag. Das Messer, das im Hals seines Sohnes steckte, gehörte offensichtlich zu einem Sortiment Küchenmesser, das man in einer der Schubladen gefunden hatte.
»Was könnte sie mit dieser Fliege gemeint haben?«, dachte Max laut nach, als sie nach einer halben Stunde ins Freie traten.
»Keine Ahnung. Die Frau ist schwer traumatisiert. Vielleicht hat sie irgendwo eine Fliege gesehen, während ihr Junge ermordet wurde.«
Diese Erklärung klang zwar nicht sehr plausibel, aber eine bessere fiel auch Max nicht ein. Nach ein paar Schritten blieb er stehen und atmete tief durch. Er fühlte sich schrecklich. »Was geht nur in den kranken Hirnen dieser abartigen Arschlöcher vor sich?«,...
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