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Schottland war lange Zeit ein Ort des Mangels. Aber mit der Reformation verlagerte sich die intellektuelle und ökonomische Macht Europas allmählich vom Mittelmeerraum an die Atlantikküste. Ausschlaggebend für diese Entwicklung war die Allgemeinbildung. Im Gegensatz zu Katholiken ist nämlich für Reformierte nicht der Papst, sondern das Wort Gottes die letzte Autorität. Um die Bibel selbst befragen zu können, mussten Gläubige jedoch über Lese- und Schreibkenntnisse verfügen. Nicht zuletzt dank dieser Zivilisationsleistung wurden die von der Reformation geprägten Länder zu geistigen und wirtschaftlichen Zentren.
Noch heftiger als in den meisten anderen Ländern vollzog sich in Schottland die Reformation der alten Kirche. Auf der einen Seite stand Königin Mary Stuart als Symbol für Feudalismus und Katholizismus. Aufgewachsen im Prunk und Pomp des französischen Königshofes, regierte sie Schottland im Bewusstsein, Herrscherin von Gottes Gnaden und damit über alle weltlichen Gesetze erhaben zu sein. Ihr großer Gegenspieler war der «unbarmherzigste aller Kirchengründer», der seinen Lehrer Jean Calvin an «Unerbittlichkeit und Unduldsamkeit» noch übertraf: der 1514 im Süden Schottlands geborene John Knox.[1] Sonntag für Sonntag schleuderte dieser kaledonische Jehova von der Kanzel in St. Giles, Edinburghs Hauptkirche, seine Flüche gegen die Königin, von der er eine Unterwerfung unter sein theokratisches Gebot forderte; gegen die Gemeinde Verführter, die den Bischof von Rom, die Mutter Jesu und die Reliquien Verstorbener anstelle Gottes verehrten; gegen die spirituelle Despotie des katholischen Klerus, der nicht wahrhaben will, dass Christus dem mit ihm Gekreuzigten ohne Sakramente seine Sünden erlassen hatte. Unter Knox' geistiger Führung vertrieben die Schotten ihre Königin. Mary Stuart wurde 1587 nahe London enthauptet, nachdem sie eine Verschwörung gegen die nicht-katholische Halbschwester Elizabeth I. unterstützt hatte. Einige Jahre zuvor war die englische Königin vom Papst exkommuniziert und somit praktisch für vogelfrei erklärt worden.
Nach Elizabeths Tod bestieg 1603 James, der Sohn Mary Stuarts, den englischen Königsthron. Schotten und Engländer wurden fortan von einem Königshaus, also in Personalunion regiert. James hatte in seiner schottischen Heimat den Rigorismus und die Engstirnigkeit der calvinistischen Kirche kennen- und verabscheuen gelernt. Die von Knox geforderte demokratische Wahl des Pastors - jede Gemeinde sollte ihr geistIiches Oberhaupt selbst wählen -, empfand er zu Recht als Bedrohung für die Monarchie. Nach dem Vorbild der hierarchisch geordneten anglikanischen Bischofskirche sollte die , die calvinistische Kirche Schottlands, neu organisiert werden. Als sein Sohn Charles I. diese episkopalen Bestrebungen fortsetzte und die Pastoren wieder von oben, also von Bischöfen und damit letztlich vom König eingesetzt wurden, kam es zum erbitterten Widerstand. Calvinisten verteidigten das demokratische Recht auf freie Wahl des Pastors. Sie wollten in spirituellen Dingen ihrem von Gott verliehenen Gewissen folgen und von keiner staatlichen Autorität bevormundet werden. Mehrere Rebellionen wurden blutig niedergeschlagen. Diese Aufstände schufen in Schottland ab 1650 einen der katholischen Inquisition nicht unähnlichen Priesterterror.[2]
Während in England in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts aufgeklärteres, liberaleres Gedankengut an Einfluss gewann, versanken weite Teile Schottlands im finstersten Mittelalter. So galt es als besonderes Zeichen von Gottesfürchtigkeit, einer am Sonntag in Seenot geratenen Schiffsbesatzung nicht zu helfen, also durch kein belangloses irdisches Zeug sich von der Verehrung des Schöpfers des Himmels und der Erde abbringen zu lassen.
In der Glorreichen Revolution von 1688/89 wurde der katholische und absolut regierende letzte Stuart-König vom Thron vertrieben. An seiner Stelle berief das englische Parlament ein protestantisches Herrscherhaus aus den Niederlanden. Die vom Parlament verabschiedete Gesetzgebung garantierte der zwar relative Eigenständigkeit - so wurde die episkopale Kirchenordnung, die 1662 in Schottland eingeführt worden war, wieder abgeschafft. Aber wirtschaftlich änderte sich gar nichts, denn weiterhin war es Schotten untersagt, mit England und dessen Kolonien auf legale Weise Handel zu treiben. Als Schottland in den Jahren 1696 bis 1703 außerdem von Missernten heimgesucht worden war, die etwa ein Zehntel der Bevölkerung das Leben kosteten, war nach sieben mageren Jahren allen klar, dass die ökonomische Lage von Grund auf geändert werden musste.
Was aber sollte dieses in vielerlei Hinsicht rückständige, an einen vergleichsweise reichen Nachbarn grenzende kleine Schottland tun? Zwei Denkansätze bildeten sich heraus. Eine Gruppe, allen voran Andrew Fletcher, sah die Lösung der Probleme in der Förderung des Inlandsmarktes. Orientiert am Beispiel Spartas, sollte das Land selbstverwaltet und die Gesellschaft vollständig durchorganisiert werden. Fletchers Idee einer strikten Wirtschaftsplanung fand Gefallen bei Calvinisten. Denn diese waren überzeugt, dass ökonomisches Wachstum und folglich Luxus unweigerlich zu moralischem Verfall führen müssen, sollten Menschen von keiner vom wahren Glauben inspirierten Behörde kontrolliert werden.
Die andere Gruppe sah die Lösung in der Belebung des Exporthandels, konkret: in der Aufhebung aller Handelsschranken mit England und dessen Kolonien. Die von Engländern für den freien Handel geforderte Gegenleistung war allerdings gewaltig, nämlich die Vereinigung der Parlamente in London. Nach langwierigen Debatten willigten die schottischen Verantwortlichen ein. Ihr Land verlor 1707 seine Unabhängigkeit, und Großbritannien entstand.
Der Verlust der Eigenstaatlichkeit war in der schottischen Gesellschaft zum Teil äußerst unpopulär: So waren an Befürworter der Union hohe Schmiergelder geflossen, Sonderrechte waren abgeschafft und die anglikanische Liturgie erneut eingeführt worden. Und in London sahen sich Schotten mit großen Ungerechtigkeiten konfrontiert. Denn sowohl im House of Lords als auch im Unterhaus wurden ihnen viel weniger Plätze zugestanden. als es der Bevölkerungszahl entsprochen hätte. Trotz dieser offenkundigen Misstöne hießen die späteren Aufklärer die Union willkommen, da ihrer Ansicht nach die Vorteile die Nachteile bei Weitem überwogen. Eines ihrer Hauptargumente war die Betonung der Gleichheit aller Menschen jenseits nationaler Schranken. Diese kosmopolitische Perspektive hatte Fletcher ausdrücklich abgelehnt: «Niemand kann ein guter Bürger eines bestimmten Gemeinwesens und ein Weltbürger, niemand kann ein wahrer Freund seines Landes und der Menschheit zugleich sein.»[3] Zu dieser Frage nach nationaler oder internationaler Solidarität bezog Adam Smith eindeutig Stellung und gab seiner berühmten Schrift den Titel Der Wohlstand DER NATIONEN.
Die Öffnung der Grenzen hatte für Schottland zwei weitreichende Folgen:
Zum einen kam es zum intensiveren kulturellen Austausch mit England. Liberaleres Gedankengut aus dem Süden durchbrach alsbald einige der insbesondere in Edinburgh ohnedies bereits brüchig gewordenen Festungsmauern der calvinistischen Orthodoxie. Der englische Deismus mit seinem positiven Gottesbild wurde zur Religion der meisten schottischen Aufklärer. Alle Deisten, gerade auch Smith, standen unter dem Eindruck der Naturphilosophie Isaac Newtons, der in intersubjektiv nachprüfbarer Weise mithilfe der Annahme einer Anziehungskraft der Massen zahlreiche Naturphänomene zu erklären vermocht hatte. In der ordnungsstiftenden Macht der Gravitation glaubte Newton, das Wirken einer wohlwollenden Gottheit erkennen zu können, und Deisten zogen daraus zwei folgenreiche Schlüsse:
1. Das Höchste Wesen zeigt seinen Willen nicht in Wundern, also in Abweichungen von Naturgesetzen, sondern gerade umgekehrt: in der harmonischen Ordnung des Universums. Da diese mittels unserer natürlichen Fähigkeiten, also mit den Sinnen und dem Verstand zu erkennen ist, bedarf es keiner Offenbarung Einzelner, wie von christlicher Seite behauptet wird. Zudem ist das Wort Gottes vieldeutig, und diese Unklarheit war eine der Ursachen der fürchterlichen Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts unter Christen. Aber Gottes Schöpfung ist eindeutig, weshalb wir aus dem Buch der Natur - und eben nicht aus dem Buch der Bücher - seine wahren Eigenschaften erkennen können.
Der Deismus bedeutet nicht zuletzt eine fundamentale Aufwertung der Natur, sowohl der belebten und unbelebten, als auch der menschlichen. Denn die Menschennatur wurde nicht mehr wie im Calvinismus als verderbt und ohne die Gnade Gottes als unfähig zur Moralität behauptet, sondern sie galt als befähigt, die Werke Gottes zu schauen, zu verstehen und selbstständig das Richtige zu tun.[4]
Eine zweite Folge der Öffnung der Grenzen war Schottlands wirtschaftlicher Aufschwung. Bald überlagerten Gespräche übers Geschäft fruchtlose theologische Debatten. Zwei gesellschaftliche Gruppen gewannen gegenüber Adeligen und Priestern durch die Union mit England an Einfluss: Unternehmer und Intellektuelle. Der Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft hatte auf breiter...
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