Schweitzer Fachinformationen
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Als ich 23 Jahre alt war und ein bisschen Geld übrig hatte, machte ich meinen Führerschein und kaufte mir eine kleine Klapperkiste. Ich liebte mein Auto und fuhr oft in der Stadt herum, einfach so zum Spaß. Dazu müssen Sie wissen, dass ich komplett ohne Auto aufgewachsen bin. Mein Vater besaß nie eines und hatte deshalb auch keinen Führerschein. Meine Mutter war über vierzig, als sie endlich mit den Fahrstunden begann, rasselte aber siebenmal durch die Prüfung. Wir lebten an abgelegenen Orten, wo öffentliche Verkehrsmittel bestenfalls unzuverlässig und schlimmstenfalls gar nicht existent waren. Wenn wir irgendetwas brauchten, gingen wir zu Fuß - oft kilometerweit. Das mag auch der Grund gewesen sein, weshalb ich meinen kleinen Fiat so mochte.
Zeitgleich mit meinem neuen Leben als motorisierter Mensch begann ich einen Schreibtischjob. Und zeitgleich mit beidem kam es zu einer seltsamen Veränderung meines Körpers (runder, schlaffer, empfindlicher, steifer) und meines Geistes (angespannt, unruhig, unzufrieden). Und dann las ich etwas, das mich sprachlos machte: In Bill Brysons Picknick mit Bären stand, dass der amerikanische Durchschnittsbürger pro Woche nur 2,25 Kilometer zu Fuß geht.
In diesem Moment erkannte ich, wie dramatisch sich mein Leben verändert hatte. Denn ich war nicht besser, sprang ich doch bei jeder Gelegenheit in mein Auto, hockte den ganzen Tag am Schreibtisch und hing Abend für Abend auf dem Sofa. Mit einem Mal wünschte ich mir mit aller Macht das Leben zurück, das ich verloren hatte: die einfachen Freuden des Gehens, die zahlreichen Abenteuer auf meinen Wanderungen, die stürmischen Brisen, die es mit sich gebracht hatte. Ich beschloss daher, einen Gang zuzulegen und frischen Wind durch mein Leben wehen zu lassen.
Dazu erlegte ich mir selbst eine Regel auf: Ich wollte mein Auto nur dann benutzen, wenn es unbedingt nötig war, und ansonsten zu Fuß gehen. In den folgenden Monaten stellte ich fest, dass viele der Strecken, für die ich zuvor das Auto genommen hatte, lächerlich kurz waren. Warum war ich zum Supermarkt gefahren, obwohl er zu Fuß nur zwanzig Minuten entfernt war? Oder zum Zahnarzt - ein gemütlicher Spaziergang von einer Viertelstunde? Oder noch bizarrer: Warum um alles in der Welt war ich mit dem Auto zum Fitnessstudio gefahren, um dort auf dem Laufband zu gehen oder mich aufs Rad zu setzen?
Mir fiel auch noch etwas anderes auf: Beim ersten Anzeichen für Regen, Wind, Dunkelheit, Hitze, Hunger, Langeweile oder bei fehlender Begleitung - und das war nur ein Bruchteil meiner vielen Ausflüchte - wurde mein kleines Auto zu einer unwiderstehlichen Verlockung. Ich legte mir daher einen Hund und wetterfeste Kleidung zu, denn Kälte, Regen und Dunkelheit sollten mich nie wieder vom Spazierengehen abhalten. Schon bald liebte ich es, nächtens nach draußen zu gehen, bei Regen meine Runden zu drehen oder durch den Matsch zu marschieren, nach dem Abendessen einen Verdauungsspaziergang zu machen und an windigen Wochenenden eine Wanderung zu unternehmen. Nie zuvor war das Gehen für mich reizvoller und spannender gewesen.
Eine Weile später - als ich aufgrund meiner Schreibtischarbeit mit lähmenden Rückenschmerzen zu kämpfen hatte - stellte ich eine zweite Regel auf: Ich wollte nun möglichst viele der bislang im Sitzen ausgeübten Tätigkeiten zu Fuß machen. So würde ich künftig meine Arbeit im Gehen erledigen, im Urlaub wandern, die wöchentlichen Einkäufe als Gepäckmarsch[1] bewältigen, aus dem Kaffeetrinken bei der Freundin einen Kaffee to go machen . Doch von meinen Bekannten hörte ich dieselben Ausreden, die ich zuvor verwendet hatte. Meine Kolleginnen schlugen meine Einladungen zu Meetings auf dem Drahtesel aus: zu windig/heiß/kalt/früh/spät. Von (manchen) Freunden und (vor allem der) Familie war Ähnliches zu hören: zu weit/steil/matschig/anstrengend/langweilig . besonders langweilig.
Nach einiger Zeit drängte sich mir eine Frage auf: Was, wenn all diese Ausreden paradoxerweise gute Gründe für das Gehen waren? Damals hatte ich begonnen, regelmäßig zu den Themen Gehen und Gesundheit zu recherchieren und darüber zu schreiben. In meinem E-Mail-Postfach stapelten sich Studien über die erstaunlichen Kräfte der Bewegung und der Natur - Sonnenlicht, Erde, Schnee, Stille, Gerüche - und bestätigten einige meiner neuen Vermutungen. Schließlich begann ich meine eigenen Gehexperimente zu unternehmen: Wandern in der Höhe, in Wäldern, barfuß und rückwärts; Spaziergänge im Mondenschein, an Flüssen entlang und auf Pilgerrouten; Streifzüge zum Pilze- und Kräutersammeln, auf der Suche nach Fraktalen oder einfach der Nase nach; Touren mit Tanzen und Singen; Müllsammeln, achtsames Gehen, Power Walking, Schweigemärsche . Das Gehen war einmal mehr zum großen Abenteuer meines Lebens geworden - nur dass ich mir diesmal mithilfe der Wissenschaft das Wie und Warum erklären konnte.
Die Forschungsberichte über die gesundheitsfördernde Wirkung des Gehens schienen unwiderlegbar: Regelmäßiges Gehen half Millionen von Menschen, Diabetes zu heilen, Herz-Kreislauf-Krankheiten abzuwenden, Krebs aufzuhalten, den Blutdruck zu senken, abzunehmen, Depressionen und Angstzuständen entgegenzuwirken und noch vieles mehr. Eine Studie kam sogar zu dem Schluss, dass sich mithilfe von Bewegung fast vier Millionen vorzeitige Todesfälle pro Jahr verhindern ließen[2] - eine eher vorsichtige Schätzung aus Sicht mancher Epidemiologen, die der Meinung sind, dass Gehen jährlich bis zu acht Millionen Menschen das Leben retten könnte.[3] Einer anderen Studie zufolge ist es möglich, durch Bewegung 35 verschiedenen chronischen Erkrankungen vorzubeugen.[4]
Denn eines steht fest: Wenn wir uns bewegen, finden in unserem Körper Hunderte komplexer Veränderungen statt. Ein Spaziergang von zwölf Minuten wandelt in unserem Blut 522 Stoffwechselprodukte um - Moleküle, die sich auf den Herzschlag, die Atemluft in den Lungen, die Neuronen im Gehirn auswirken. Beim Gehen gelangt Sauerstoff in den Kreislauf, und das wiederum hat einen Einfluss auf unsere lebenswichtigen Organe, das Gedächtnis, die Kreativität, die Stimmung und die geistige Leistung. Wenn wir gehen, bewegen sich Hunderte von Muskeln, Gelenken, Knochen und Sehnen in einem komplexen, mühelosen Zusammenspiel. Sie erlauben uns nicht nur, uns fortzubewegen, sondern regulieren zudem eine Vielzahl molekularer Signalwege, erweitern die Herzkranzgefäße, stärken die Muskeln und glätten die Arterienwände. Sie entfernen den Zucker aus unserem Blut und aktivieren oder deaktivieren unsere Gene in einem unglaublich raffinierten, als epigenetische Modifikation bekannten Prozess. Gehen kommt jedoch nicht nur unserer eigenen Gesundheit zugute, sondern auch der künftiger Generationen. Inzwischen weiß man, dass sportliche Betätigung während der fruchtbaren Jahre unsere Kinder später besser vor Krankheiten schützt[5], und dass die Muttermilch von Frauen, die während der Schwangerschaft aktiv waren, einen Bestandteil enthält, der beim Baby das Risiko von Diabetes, Herzerkrankungen oder Fettsucht für den Rest seines Lebens senkt.[6]
Außerdem leisten wir jedes Mal, wenn wir eine Strecke zu Fuß zurücklegen, einen kleinen Beitrag zur Vermeidung von Luftverschmutzung und Lärmbelastung. Wir verhindern, dass noch mehr Natur in asphaltierte Parkplätze und Einkaufszentren umgewandelt wird. Mit jeder Petition an die Regierung oder Stadtverwaltung, in der wir Fußgängerwege und Parks fordern oder zum Erhalt von Wäldern und Auen aufrufen, schaffen wir eine bessere Welt für alle, jetzt und in der Zukunft. In der Natur unterwegs zu sein bringt uns unserer Umwelt näher, steigert unsere Wertschätzung für sie - für winzige Insekten und Flechten ebenso wie für prächtige Berge und Bäume. Erst wenn wir etwas schätzen, ist uns auch daran gelegen, es zu bewahren - und genau das hat unsere wunderbare Welt dringend nötig.
Natürlich verdienen auch unsere Städte es, zu Fuß erkundet zu werden. Ihre Besonderheiten offenbaren sich umso deutlicher, wenn wir, anstatt hindurchzufahren, durch die Straßen schlendern - was noch dazu umweltfreundlicher, unterhaltsamer, leiser und sicherer ist.
Wir haben das Gehen aus unserem Leben verdrängt, obwohl wir eigentlich zum Gehen geschaffen sind - und zwar nicht nur für ein paar Minuten an einem herrlich sonnigen Tag, wenn wir in Turnschuhen mit gepolsterter Sohle einen Google-Pin anpeilen, sondern in strömendem Regen, bei...
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