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Das mit dem Geld. Das hatten die Stimmen nicht aufgetragen gehabt. Das war ihre Idee gewesen. Nach dem allem. Sie hatte gesagt, sie bräuchte das Geld für das Kind.
Da hatte der Mann sich umgesehen. Nach dem Kind. Suchend. Er hatte die Schultern hochgezogen und den Kopf zur Seite gedreht. Er hatte den Kopf so weit nach hinten gedreht. Sie hatte sich erschreckt. Der verdrehte Kopf. Wie eine Eule. Einen Augenblick. Sie hatte gedacht, der Mann würde den Kopf ganz rundherum drehen können und dann das Kind doch noch entdecken.
Das Kind. Sie hatte das Kind versteckt gehabt. Sie war auf das Zimmer gegangen und hatte schnell die Kleider vom Vortag über das Kind geworfen. Das Kind war auf dem Sofa gelegen und hatte geschlafen.
Der Mann hatte ihr dann noch einmal 50 Euro hingehalten. »Mehr ist es nicht.«, hatte er gesagt. Er hatte noch einmal seine Geldbörse aus der Gesäßtasche seiner Jeans herausgefischt gehabt und die 50 Euro herausgenommen. »Mehr ist es nicht.« Das waren dann 150 Euro. Das war dreimal 50, und das hatte sie dann nehmen können.
Sie hatte das Geld kleingefaltet in der Hand behalten und war zur Tür gegangen. Der Mann hatte so schnell wie möglich aus dem Zimmer sein müssen. Der Mann hatte ihr nicht einmal seinen Namen gesagt. »Ich bin der Josef.«, hatte er gesagt, und sie hätte nicht gewusst, wie sie ihn rufen hätte sollen.
Sie wollte ihn aber ohnehin nicht wiedersehen. Unter keinen Umständen hätte sie das alles wiederholen können. Das war dieser Nachmittag gewesen, und das sollte darin bleiben. Er hatte schon so fragend geschaut. An der Tür. Mit der Klinke in der Hand. Er hatte die Klinke in der Hand gehalten und war so seitlich gestanden. Zwischen Bleiben und Weggehen. Über die Schulter hatte er sie angeschaut. Prüfend. Sie dachte, das wäre prüfend gewesen. Abschätzend. Und schon deshalb hätte sie ihn nicht mehr. Sie hatte sich nicht bewegt. Auch im Gesicht nicht. Sie war in der Mitte des Zimmers stehen geblieben und hatte das Geld festgehalten. Sie würde es brauchen, hatte sie geflüstert.
Den Sex. Den hatten ihr die Stimmen aufgetragen. Das mit dem Geld war ihre Idee gewesen. Die Stimmen. Sie wusste nicht einmal, ob es Stimmen in der Mehrzahl waren oder doch nur eine einzige. Das Buch. Das war von zwei Männern geschrieben worden, und deshalb dachte sie zuerst einmal an die Mehrzahl. Zweizahl. Zumindest. Und das Buch war so geschrieben, dass es auch alle Männerstimmen meinen hätte können. Eine Meistzahl. Die Alleszahl. Eigentlich. Und mit einem Mal erschien es ihr unmöglich, eine Rose abzuschneiden und in einer Vase auf den Couchtisch zu stellen. Die helle Wunde des Abschneidens. In ihr. Sie hätte weinen mögen.
Sie kicherte aber. Sie stand kichernd in der Mitte des Zimmers. Der Mann an der Tür. Von dem sie nun das Meiste wusste, aber nicht, wie er genannt werden sollte. Nach dem allem. Sie hatte einen Josef an der Tür, der nicht gehen wollte. Den Raum nicht verlassen. Aber er hätte eine braune Kutte anhaben müssen und über das Kind gebeugt stehen. Das Kind doch noch in der Krippe. Kinder doch immer in der Krippe und allen Schutzes.
Und schlief das Kind noch. Sie musste sich verbieten, in die Richtung des Sofas zu schauen. Der Mann aus dem Hause Davids durfte das Kind nicht entdecken. Er schon gar nicht. Das Kind musste das unentdeckte Kind bleiben. Sie musste wieder kichern. Die Angst vor der Entdeckung. Kribbelnde, brodelnde Angst im Bauch zwang sie zu kichern. Sie maskierte das Kichern. Hüstelte. Leise. Sie musste gegen das Kichern anatmen. Sie kannte das. Dann wurde aus dem Kichern ein Hüsteln. Wenn sie danach gefragt wurde, passierte es immer. Ganz von selbst. Sie war eine Kichermaschine.
Der Mann ging dann aber doch. Sie musste nicht weiterhüsteln.
Das mit den Stimmen. Wenn sie es genau überlegte, dann war es nur die vom Schreber. Eine nur. Der Herr Deleuze und der Herr Guattari. Sie benutzten die Stimme vom Herrn Schreber. Alles, was sie sagen wollten, ließen sie sich von der Stimme Schrebers bestätigen. Die Stimme vom Schreber war aber lange vor deren beider Stimmen zu hören gewesen. Die Stimme vom Herrn Schreber der rote Faden. Die eigentliche Stimme. Und deshalb war es wahrscheinlich, dass es die Stimme vom Schreber gewesen war, die da aus dem Buch aufgesprungen war.
Sie war im Liegestuhl gelegen. Die Hotelgäste rund um den Swimmingpool. Die meisten in Badeanzügen. Nur ein Mann wie sie. Angezogen. Mit einem Buch. Lesend.
Die Badeanzüge. Dick. Die meisten dick. Eine Frau war ungeheuer dick. Ihr roter Badeanzug in den Fettfalten der Brust und der Oberschenkel verschwindend. Der rote Badeanzug. Er war wohl als schlankmachend angepriesen gewesen. Und es war auch so. Da, wo der Badeanzug die Frau bedeckte. Da war das Fett weggepresst. Eingehalten. Und quoll erst wieder unter den Rändern des Badeanzugs hervor. Sie hätte dem Badeanzug zurufen wollen, er mache seine Sache gut. Die Haut aber. Das Fett trieb die Haut nach außen. Wolkig. Wolkend. Es warf sich in Pölsterchen auf. Das Fett. Presste sich in weiße Pölsterchen. Packte die Frau von innen. Trieb sie nach außen hinaus.
Die Frau war dann in den Pool gestiegen. Es hatte lange gedauert, und sie hatte längst wieder zu lesen begonnen, als sie das Plätschern hörte, wie die Frau sich endlich von dem Metallleiterchen ins Wasser plumpsen hatte lassen können. Beim Hinschauen. Am anderen Ende des Pools. Eine andere Frau stieg gerade aus dem Wasser. Sie hielt sich am Geländer des Einstiegs fest und zog sich hinauf. Das Wasser rauschend an ihr hinunter. Glitt an ihr ab. Sie schaute ihren Mann im Liegestuhl an. Hielt sich in seinem Blick. Lächelte. Siegesgewiss. Sie entstieg dem Wasser in dieses triumphale Lächeln hinein. Ging zu dem Mann. Küsste ihn. Schüttelte ihre nassen Haare über ihm. Lachte. Dann wickelte sie sich in ein weißes Badetuch. Das Hotellogo auf ihrem Rücken, und ging davon. Der Mann folgte ihr.
Da hatten die Stimmenstimmen schon gesprochen gehabt. Und es war sofort klar gewesen, dass es um Aufgaben ging. Im Buch stand zwar geschrieben, dass Mamapapa nicht mehr existierten. Und das taten sie tatsächlich nicht. Ihre Eltern waren viele Jahre schon tot und begraben. In dem Buch. Die zwei in dem Buch. Die, die gelebt hatten, als sie das Buch schrieben und also in dem Buch lebten. Diese Männer wollten, Mamapapa wäre nur eine Erfindung wiederum vom Herrn Freud. Eine Fiktion von Freud. Eine Wunschtäuschung. Der verfehlte Auftrag.
Im Grund. Es hatte alles mit dem Ring zu tun gehabt. Mit dem Verschwinden des Rings. Dem Verlust. Der Ring war nicht da. Sie hatte ihn zu all den Dingen gelegt gehabt,
Sie hielt inne. Leon. Doch wieder. Nach der Nacht. Aber da erst zum Vorschein gekommen. Schon gewachsen bis dahin. Es war. Ganz kurz. Sie war ihm gut. Sie war ihm gut gewesen. Er solle nicht sterben, war ihr eingefallen. So. Nebenbei. Sie hatte ihn vom Tod freigesprochen. Freisprechen wollen. So nebenbei war ihr das durch den Kopf gegangen. Das war auch egoistisch. Und ohnehin sehr flüchtig. Beim Nachsehen. Wie er vor dem Lift gewartet hatte. Draußen vor ihrer Tür vor dem Lift stehend. Auf den Lift wartend. Danach. Wie er wieder voll angezogen in die Welt hinaus und gerade noch nur seine Haut an ihrer gewesen. Sie hatte die Tür schon hinter ihm geschlossen gehabt. Sie hatte aber durch den Spion in der Tür geschaut. Ihm nachgeschaut, und da war dieser Gedanke gewesen. Ein Hauch. Und wahrscheinlich der Wunsch, ihn wiederzusehen. Das schlug nun alles gegen sie zurück. Und nein. Sie war kein Opfer. Es war alles viel schwieriger in diesem Tanz um Nähe. Wehrte sie sich nur gegen diese Anpassungsleistungen an die ihr vorgeschriebene Subalternität und ging damit schwanger. War mit Subalternität schwanger gemacht. Und nicht einmal von ihm. Von den Umständen.
Wieder. Sie schaute hinaus. Wie sie alle im Unglück gehalten wurden. Wie sie alle vor sich hin. Wie jede Person so tapfer am Überleben bastelte. Wie es keine Möglichkeit gab, sich ein Glück zu verschaffen, ohne nicht andere Personen ins Unglück zu bringen. Aber sie musste achtgeben. Sie schaute den Studentinnen drüben in den Silver Towers beim Diskutieren zu. Eine heftige Diskussion. Zwei junge Frauen waren aufgestanden. Ein junger Mann warf sich auf eines der Sofas und lag da, als posiere er als pin-up. Die jungen Frauen gingen weg. Kamen zurück. Andere gesellten sich zur Gruppe.
Sie musste achtgeben. Beim letzten Konzert in Wien. Am Tag vor der Abreise. Brahms. In diesem so wolkigen Schicksalsschwelgen des 19. Jahrhunderts. In diesem Auftrag, ins Tragische gehen zu müssen. Unverwandt in die längst geahnte Tragödie. Sie hätte fast die Besinnung verloren. Diese Musik hatte das 20. Jahrhundert vorausgesagt. Wolkig. Ungenau. Ästhetisierend. Aber vorausgesagt, wie die Herden ins Unglück getrieben werden würden. Die schöne Form das nicht erkennbar gelassen. Die schöne Form Erkenntnis unerkennbar gemacht. Weil diese Musik das 20. Jahrhundert nur voraussagen hatte können. Nicht verhindern. Und die Schrecken. In dieser Musik. Dieses schöne Hin auf die Schrecken zu. Und alle. Alle dahin geschoben wurden. Sie hatte sich umgeschaut in dem Konzert. Im Konzerthaus. Kulisse des Bürgerlichen. Alle rund um sie. Konzentriert. Hingerissen. Der kleine Dirigent die vollendete Darstellung der Musik. Hübsch. Zart. Graziös. Unmännlich sylphidisch. Ihr aber. Ihr war alles auseinandergerutscht, und die Vorstellung, mitten in dieses Auseinander zu fallen. In dieses...
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