Schweitzer Fachinformationen
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Los Angeles verkörpert den bürgerlichen Traum vom guten Leben in einer gezähmten Wildnis. Gedacht als Gegenmodel zu den Molochen an der Ostküste oder in Europa. Der Traum vom eigenen Häuschen, in einer Straße, in der alle den gleichen Traum teilen. So kommt es, dass es Gegenden gibt, in denen ein Haus wie das andere aussieht. Kurz gemähte Wiesen, ein Baum vor dem Haus, meist zwei Autostellplätze. Für uns ist das ein Albtraum - wobei man im Kopf behalten sollte, dass die Menschen in den Staaten etwas ganz anderes suchen, um sich wohl und geborgen zu fühlen.
Ich möchte Ihnen an dieser Stelle die wunderbare »Gebrauchsanweisung für Amerika« von Paul Watzlawick empfehlen, in der es heißt:
»Vom Kindergarten an wird dem Amerikaner eingeprägt, dass er Teil einer Gruppe ist und dass die Werte, das Verhalten und das Wohl der Gruppe maßgebend sind. Andersdenken ist verwerflich, Anderssein erst recht. (?.) Während es für den Europäer eine Beleidigung ist, ein Dutzendmensch genannt zu werden, hat der Amerikaner eine große Angst davor, von der Gruppennorm abzuweichen. Anderssein bedeutet Ausstoßung aus der Gruppe, bedeutet Ächtung. Daher vermutlich seine Abneigung dagegen, allein im Restaurant zu sitzen, denn dies bedeutet, dass ihn niemand liebt.«
Wenn jemand also aus der Wiese vor seinem Haus lieber einen wilden Garten machen möchte, ist das selbstverständlich erlaubt, aber in der Regel bevorzugt man eine Nachbarschaft, von der man weiß, dass man mit den Anwohnern dort ähnliche Neigungen teilt. Wenn jemand beispielsweise den Traum vom Einzelgängerdasein träumt, dann zieht es ihn vermutlich eher in eine Gegend mit verworrenen Straßen und versteckten Häusern, dorthin, wo die anderen Einzelgänger wohnen, zum Beispiel in die Gebiete um den Coldwater Canyon herum. Man erwirbt nicht einfach nur eine Immobilie, sondern einen Lebensentwurf, der an das Haus gekoppelt ist. Man kauft nicht nur das Haus, sondern eine spezifische Lebensqualität, einen Style. Man leistet sich ein Leben, das man leben möchte, und wenn sich der Wunsch ändert, dann zieht man eben um und kleidet sich in ein anderes Konzept. Man springt in eine vorgefertigte Form. Genau so ist Los Angeles entstanden.
Manche sagen, L.?A. sei um das Auto herum gebaut. Manche gehen noch weiter und behaupten, die Stadt sei um Parkplätze gebaut. Eines ist offensichtlich: Urbanes Leben, wie wir es kennen, mit einem gewachsenen Kiez, mit Spaziergängen von Café zu Café und Bürgersteigbekanntschaften, ist schwer zu finden. Geht man in bestimmten Gegenden zu Fuß, halten die Autos an, und man wird gefragt, ob alles in Ordnung sei, ob man Hilfe brauche. Selbst in einer Shoppingmeile wie der Melrose Avenue halten, wenn man die Absicht signalisiert, fern einer Fußgängerampel den Autofluss zu durchqueren, auf allen Spuren die Fahrzeuge an, als würde ein verwirrter Hirsch am Fahrbahnrand stehen. Eine Stadt, in der nichts ohne das Auto geht, ist für uns kaum vorstellbar. Die Zeitung oder eben mal ein paar Brötchen holen kann man nicht. Es sei denn, man wohnt in den »Städtchen in der Stadt«, in Venice oder Silver Lake, aber dazu später mehr.
Wieso ist diese Stadt so flächig? Es gibt eigentlich keinen Rand. Los Angeles lässt sich schwer eingrenzen, definieren. Und warum redet man überhaupt von einer Stadt und nicht von einer Region mit verschiedenen Kernen, wie das zum Beispiel im Ruhrgebiet der Fall ist? Vielleicht ist es sinnvoll, einen Moment zu schauen, wo diese Stadt eigentlich herkommt.
Die Entstehungsgeschichte von Los Angeles ist untrennbar mit Verkehr und Transport verknüpft, und ebenso ist es die Form der Stadt.
Keiner Kreuzung von Handelsrouten, fruchtbarem Grund oder bestimmten Bodenschätzen, wie etwa dem Gold im Raum um San Francisco, ist die Entstehung der Großstadt Los Angeles zu verdanken, sondern dem Geschäftssinn einiger weniger. Was benötige ich, um dieses trostlose Land gewinnversprechend an den Mann zu bringen? Ganz einfach: Wasser, die Anbindung an den Rest der Welt und einen Mythos. Ich erinnere an das Eingangszitat aus »L.?A. Confidential«: »Das Land des ewigen Frühlings, das Land, wo die Orangenhaine blühen?.«
Ein Transportsystem war bereits vorhanden, bevor die Siedler Los Angeles überhaupt erreichten. Denn das Hauptanliegen der schwerreichen Großgrundbesitzer war: Wie bekommen wir Landkäufer und Pächter in dieses oder jenes entlegene Gebiet? Und so verlegte man schließlich die ersten Schienenstränge. Denn wo man Wasser hinleitet, wird es irgendwann grün, und wo man einen Bahnhof baut, da steigen irgendwann auch die ersten Menschen aus dem Zug. Erst gab es den Verkehr, dann seine Nutzer.
Und diese Vorgehensweise prägt bis heute das eigentümliche Nichtstadt-Bild von Los Angeles. Noch immer werden an den ausfransenden Rändern der Stadt neue Superdörfer gebaut. In einem Immobilienwerbetext von 2011 heißt es: »Get from your home to L.?A. in 20 minutes or less. L.?A. is closer than you think. Introducing a great new home community designed to get you to L.?A. in no time. Metrolink Express to downtown in 20 minutes.« Von der eigenen Haustür nach L.?A. in zwanzig Minuten oder weniger. Die neue schöne Wohnsiedlung, die dafür entworfen wurde, dass man in null Komma nichts in der Stadt ist. Diese Werbung unterscheidet sich kaum von den Kampagnen, die um 1910 entworfen wurden. Es wird mit der Eisenbahn geworben, mit Transport, Geschwindigkeit, der Verknüpfung des Landlebens mit den Annehmlichkeiten der Stadt.
Phineas Banning, der »Vater des Hafens von Los Angeles«, der nach massivem Landkauf die Bucht südlich von Wilmington zu einem Tiefsee-Hafen ausbaute, ließ eine Bahnverbindung vom Hafen in die Nähe von Downtown Los Angeles bauen. Es war die erste Eisenbahn Süd-Kaliforniens. Downtown war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts tatsächlich kurz so etwas wie ein Stadtzentrum, schließlich zog es den nicht abreißenden Strom von Neuankömmlingen aber doch mehr in die Peripherie. Es waren Farmer aus den dünn besiedelten Gebieten des Mittelwestens, die auf der Suche nach fruchtbarem Land waren und sich nur wenig für das Stadtleben interessierten. Großgrundbesitzer wie C.?H. Howland oder Henry E. Huntington bauten Bahnlinien weit in das unkultivierte Land hinein, sorgten für Strom- und Wasseranschlüsse und konnten sich so des Kaufinteresses der Farmer sicher sein. Gewiefte Makler arbeiteten eng mit den Landverteilungsunternehmen zusammen, und mithilfe des schnell ausgebauten Schienennetzes wurde jede neue Welle von Neuankömmlingen in vorgefertigte Bahnen geleitet.
Die fünf 1874/75 fertiggestellten Hauptlinien der Bahn von Downtown in Richtung San Fernando, San Bernadino, Anaheim, Wilmington und Santa Monica bildeten das Skelett für das schnelle Wachstum der Stadt. Bis heute hat sich daran nur insofern etwas geändert, dass jede dieser fünf Bahnlinien durch Highways ersetzt worden ist. Wie die Lebensadern in einem Blatt, so hat L.?A. die Form angenommen, die von den Großgrundbesitzern und später der Southern Pacific Railroad (SP) vorgegeben wurde.
Die Anbindung an das Streckennetz der SP war 1897 für die Stadt ein ebenso lebenswichtiger Einschnitt wie zuvor der Bau des Tiefseehafens und die spätere Fertigstellung des Los Angeles-Aquädukts, durch das Wasser vom Owens River in die Stadt geleitet werden konnte. Die Bahnverbindung nach San Francisco bedeutete einen transkontinentalen Anschluss, ohne den Los Angeles zur Bedeutungslosigkeit verdorrt wäre. Kurz nach Eröffnung des Streckennetzes schluckte die SP alle bislang existierenden Eisenbahngesellschaften und sicherte sich somit eine Monopolstellung. Auch die von Henry E. Huntington gegründete Pacific Electric Railway mit ihren berühmten roten Straßenbahnwagen, die auf einem fast tausend Meilen umfassenden Schienennetz durch Los Angeles fuhren, wurde 1910 von der SP aufgekauft. (Sehr sehenswert in diesem Zusammenhang ist »Um Himmels willen« von 1926 mit Harold Lloyd in der Hauptrolle und einer Verfolgungsjagd in einem Doppeldeckerbus durch den atemberaubenden Verkehr von Downtown.) Das Straßenbahn- und Eisenbahnnetz in und um Los Angeles war eines der modernsten und dichtesten Verkehrsnetze der Welt, wovon allerdings heute nichts mehr zu sehen ist. Wie konnte dies geschehen? Welche Umstände führten zu dieser Omnipräsenz des Autos?
Die Pacific Electric Railway konnte weder die Geschwindigkeit und Flexibilität noch den Komfort des Autos bieten. 1915 fuhren um die 55?000 Fahrzeuge durch die Region, 1920 waren es bereits über 600?000 - Zahlen, anhand derer man einen vagen Eindruck von der damaligen Bevölkerungs- und Verkehrsexplosion bekommt. Die Vorteile des neuen Gefährts waren zu offensichtlich. Das Auto fuhr überall gut, solange die Bodenfläche nur halbwegs fest und flach war (der Sunset Boulevard beispielsweise war noch eine Sandpiste, aber das genügte). Man war unabhängig von Fahrplänen, verzichtete auf festgelegte Routen. Infolge der Massenproduktion wurde das Automobil erschwinglich, weshalb nun auch Mittelstandsfamilien Zugang zu Stränden, Bergen oder der Wüste hatten. Als 1927 die Fabriken von Henry Ford nach Los Angeles umsiedelten und andere Autobauer wie Chrysler und General Motors folgten, zog dies eine neue Welle von Arbeitern in die Region. Eine komplett neue Infrastruktur entstand mit Werken von Standard Oil, Firestone, Phillips Petroleum und anderen.
Und trotzdem ist der Erfolg des Autos noch...
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