II.
Inhaltsverzeichnis Der Wagen hielt vor dem Portal des Westend- Theaters, das verlassen, im Sommerschlafe, dalag.
Nur ein Trupp Mimen stand am Eingang. Herren mit kleinem Ferienschnurrbart und einzelne Damen. Neugierig musterten sie Valeska, die aus der klapperigen Droschke - in ihrer Unerfahrenheit hatte sie natürlich eine zweiter Klasse genommen - herausstieg und sich von dem Portier den Weg in das Direktionsbureau zeigen ließ.
In dem Vorzimmer, in das man sie führte, saßen bereits wartend zwei Damen und erwiderten stumm ihren Gruß.
Offenbar auch Schauspielerinnen. Die eine eine junge, bildhübsche Blondine mit keckem Stumpfnäschen und großen Kinderaugen. Die andere älter, unscheinbar gekleidet. Ihr scharfgeschnittenes, unter der Schminke verwelktes Gesicht trug einen müden, leidenden Ausdruck. Sie mußte einmal sehr schön gewesen sein.
Komische Alte oder so was, jedenfalls ungefährlich. Hingegen die andere ... Valeska schaute vom Fenster, wo sie stand, verstohlen auf die Blondine, die ihren Blick ruhig aushielt.
Die beiden schönen Mädchen sahen sich schweigend und feindselig an. Eintönig tickte die Uhr. Sonst regte sich nichts in dem Gemach.
Endlos langsam verstrich die Zeit. Viertelstunde auf Viertelstunde. Valeska glaubte vor Ungeduld zu vergehen. Endlich hielt sie es nicht mehr aus.
»Wo nur der Direktor bleiben mag!« sagte sie zu der Blondine.
»Max Bucher ist drinnen bei ihm,« erwiderte die, »es ist wegen des neuen Stücks. Da hat er für uns Neuengagierte keine Zeit!«
Valeska hatte eine dumpfe Erinnerung, als habe sie irgendwo den Namen Bucher gelesen. Genau wußte sie es nicht. Es war ja jetzt auch gleich.
»Sie sind auch neu engagiert?« fragte sie harmlos.
»Ja ... ich komme vom Lobensteiner Stadt-Theater. Hochmann sah mich da als Iza im >Fall Clémenceau< und ...«
»So ...mich auch ...«, sagte die Elten scharf, »in Bergheim ...«
»Auch als Iza?«
»Ja. Ich habe ihm sehr gefallen!«
Also zwei Rivalinnen des Rollenfaches! Die Damen verstummten. Die Blondine sah neidisch auf die Elten, und die wieder dachte bei sich: hübsch mag die Kröte schon ausgesehen haben ... als Page und dann ... vor allem in der Atelierszene ...
Die blasse Dame im Hintergrund seufzte und sah auf die Uhr. Immer mehr machte sich der schwüle Augusttag im Zimmer geltend.
Da rauschte es im Vorflur wie von leichtem Schleppenfegen. Line schlanke, hochgewachsene Dame zu Anfang der Dreißiger, mit interessantem, aber keineswegs schönem Gesicht, schritt, ohne nach rechts und links zu sehen, quer durch das Zimmer und öffnete die Tür zum Allerheiligsten.
»Morgen, Direktor!« sagte sie beim Eintreten nachlässig, dann, in höflicherem Tone: »Guten Morgen, Herr Bucher!«
Damit schloß sich die Tür. Man hörte nur noch undeutliches Stimmengewirr und Gelächter.
Das mußte etwas Besonderes sein!
Valeska sah sich fragend nach den andern um.
»Die Dobschütz!« sagte die Dame im Hintergrund mit müder Stimme.
Die Dobschütz! ... Also das war hier offenbar ein großes Tier! Die Elten und die Blondine trafen sich in einem ängstlichen Blick nach der Tür, wo jene verschwunden.
Wieder verstrich eine Weile in stummem Antichambrieren. Da ging die Tür wieder auf, die Dobschütz kam zurück, neben ihr ein dicker, mittelgroßer Herr in den Sechzigern, einen Zwicker auf der Nase und mit einer mächtigen Glatze.
»Lassen Sie sich von dem Alten nicht bange machen, Herr Bucher,« sagte die Dobschütz im Vorübergehen, »die große Szene wird gespielt, wie ich es will und wie Sie's geschrieben haben! Ich garantiere Ihnen ... der dritte Akt steht wie 'ne Mauer!«
Damit war sie hinaus. Ihr Begleiter mit flüchtiger Verbeugung gegen die Damen hinterher.
Der Theatersekretär hatte inzwischen deren Karten dem Direktor hineingetragen und kam wieder zurück.
»Der Herr Direktor bedauert,« sagte er zu der blassen Dame, »für seriöse und komische Alte ist keine Verwendung mehr. Alles komplett. Eine Empfehlung an Herrn Hassel!« - Dann zu der Blondine: »Bitte, gehen Sie nur hinein!«
Die blasse Dame stieß einen müden Seufzer aus, erhob sich und verließ, ohne ein Wort zu sprechen, den Raum.
»Die hätten Sie Ende der sechziger Jahre hier sehen sollen,« sagte der Sekretär zu Valeska, »eben in diesem Theater ... Wir haben noch die alten Kassenbücher ... Jedesmal ausverkauftes Haus, wenn sie auftrat ... und jetzt ...« Er zuckte mitleidig die Achseln. »Du lieber Gott, ja ... es ist nichts und wird nichts mehr mit ihr ... sie kann einen wirklich dauern!«
Ein Frösteln überlief Valeska.
Das war auch ihr Schicksal in zehn, fünfzehn Jahren, wenn sie nicht klug und tätig war!
Da kam die Blondine zurück, etwas mißvergnügt und niedergeschlagen, wie es schien, und empfahl sich mit freundlicher Kopfneigung Valeska und dem Sekretär.
»Na ... bitte ... nur 'rein, Fräulein!«
Valeska trat in das Direktionszimmer, wo Herr Hochmann hinter einem großen, mit Schriftstücken bedeckten Tische saß.
»Guten Morgen!« sagte er zerstreut und reichte ihr über den Tisch seine kleine fleischige Hand. »Nun, wie steht's, Fräulein ... Fräulein ...« Er warf einen Blick auf ein vor ihm liegendes Blatt. »Richtig, Fräulein Elten von Bergheim ... na, wie steht's ... haben Sie sich denn den Sprachfehler jetzt abgewöhnt? ... Oder war das eine andere?« unterbrach er sich, als er Valeskas erstauntes Gesicht sah. »Sie sind doch Fräulein Elten ...?«
»Das bin ich«, sagte die hübsche Schauspielerin pikiert. »Sie sahen mich doch in Bergheim, Herr Direktor ...«
»Als Iza ... natürlich ... und engagierte Sie ... erinnere mich, mein Fräulein, erinnere mich ... habe soviel im Kopf ...«, setzte er etwas gereizt hinzu. »Wir bringen gleich zur Eröffnung der Saison eine große Novität ... das Neueste von Max Bucher ... Sie begreifen, daß ich darüber manches andere vergesse.«
Max Bucher!
Valeska kannte nichts von ihm, aber sie wußte, daß der löbliche Bergheimer Magistrat auf Zucht und Sitte im Theater hielt und »denen Histrionen«, wie es im preußischen Zensuredikt heißt, so manche gefährliche Neuheit vorenthielt. Dazu gehörten wahrscheinlich auch die Werke des berühmten Bucher.
Sie schwieg also in ehrfurchtsvoller Teilnahme.
»Ja ... wie war mir denn?« sagte der Direktor und hielt sinnend die Hand gegen die kahle, schweißperlende Stirn. »Ich hatte Ihnen doch eine Rolle darin zugeteilt ... he ... Herr Rüsemer ...«, rief er dann, erhob sich und öffnete die Tür. »Herr Rüsemer ... bitte ... bleiben Sie sitzen, Fräulein ... Herr Rüsemer, haben Sie die Rollen zu >Ellinor< bei der Hand? Ja? Dann geben Sie, bitte, dem Fräulein die Rieke ...«
Ein freudiger Schreck durchzuckte Valeska bei der Kunde, daß sie in wenigen Wochen eine Rolle kreieren werde. »Rieke« .... was mochte das wohl sein? Wahrscheinlich eines der modernen Hinterhausstücke. Einerlei ... ihre »Alma« konnte sich schon sehen lassen ...
Da gab ihr der Sekretär das dünne blaue Heft.
»Ellinor«, Schauspiel in 4 Akten von Max Bucher, stand oben auf der ersten Quartseite.
Und rechts unten: »Rieke, Dienstmagd. ½ Bogen.«
Ein halber Bogen nur! Entsetzt schlug sie das Blatt um und las.
Erster Akt.
Erste Szene.
Rieke
(tritt von links ein, mit dummdreistem Lächeln).
Madame ... der Herr Baron is draußen!
Ellinor.
... und außerdem hab' ich Kopfweh ...
Rieke.
... da soll ick ihm nich 'rinlassen?
Ellinor.
... also meinetwegen ... ich lasse bitten ...
Rieke.
Is jut! (Ab links.)
Das war der erste Akt!
Im zweiten Akt hatte sie die siebente Szene. Zu sprechen war da überhaupt nichts. Sie trug nur Tee herein, reichte ihn herum und ging wieder.
Der dritte Akt brachte ihr vor der großen Schlußszene ein kurzes Auftreten:
Rieke
(rasch von links).
Madame ... eben kommt der jnädige Herr ...
Adalbert.
Mut, Ellinor!
Rieke (für sich).
Na ... nu wird's jut! (Ab links.)
Im vierten Akt ging sie überhaupt leer aus.
Das war die »Rolle«.
»Was haben Sie denn?« sagte Hochmann, den die Debatte mit Bucher und der Dobschütz offenbar nervös erregt hatte. »Was machen Sie denn für ein Gesicht?«
»Die Rolle ist so klein ...« erwiderte Valeska stotternd ... »und ...«
»Ja ... soll ich Ihnen zu Ehren die >Maria Stuart< spielen ... oder was wünschen Sie sonst ...«
»... und ... und ich kann gar nicht berlinerisch sprechen«, fuhr sie mit dem Mut der Verzweiflung fort.
»Ach was ... wo sind Sie geboren? ... in Eisenach? Nun also ... wer von nördlich des Mains ist, spielt die norddeutschen Dialektepisoden, wer südlich, die süddeutschen! Das ist doch ganz einfach!«
»Ja aber ... ich habe doch in Bergheim ....«
» Was haben Sie in Bergheim?« Der Bühnenleiter zog eine Schublade auf und holte nach kurzem Suchen einen bedruckten Bogen hervor. »Ist das Ihr Kontrakt oder nicht ...?«
Allerdings ... das war ihr Kontrakt, eine endlose Reihe enggedruckter Paragraphen mit all den unwürdigen Bestimmungen, die diese Sklavenformulare enthalten. Sehr genau war darin festgesetzt, daß sie an das »Westend-Theater« als Schauspielerin...