Schweitzer Fachinformationen
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Am Montagmorgen taumelte Maisie aus wilden Träumen in das beunruhigende Dunkel der frühmorgendlichen Dämmerung. Beklommenheit kroch an ihren Armen und Schulterblättern hinab und nagelte sie an dem schmiedeeisernen Bettgestell fest. Die kurzen, verzweifelten Atemzüge, die sie in ihre Lunge presste, hämmerten in ihren Ohren und kamen ihr so laut vor, als müssten sie die anderen Untermieterinnen aus dem Schlaf reißen. Mit Ausnahme von Lola, die nicht einmal aufwachen würde, sollte ein Doppeldeckerflugzeug ins Haus krachen.
Maisie krabbelte aus dem Bett und wünschte sich nichts sehnlicher, als Pantoffeln und einen Morgenmantel zu besitzen. Stattdessen schlang sie sich die dünne, ausgefranste Bettdecke wie ein römischer Senator um den Körper und schlich auf Zehenspitzen über den ebenso dünnen Flickenteppich zum Fenster. Alles in Mrs Crewes Haus war verschlissen und dünn, wenn auch makellos sauber. Einschließlich Maisie.
Der Ausblick war zu dieser Tageszeit vorteilhafter, da alles in Schatten gehüllt war. Dieser Teil Londons beharrte darauf, dass er die Heimat der ehrbaren, arbeitenden Armen war, kein Slum, doch die Reihen an identischen, schmuddeligen viktorianischen Wohnhäusern, an die sich die Menschen mit allem, was sie hatten, festkrallten, waren nicht der Stoff für Postkartenmotive.
Sie waren eher etwas für den Einband eines Groschenromans.
Maisie zog die Knie an die Brust und beobachtete, wie der Himmel sich langsam verfärbte, während sie wartete und sich fragte, was der Tag wohl für sie bereithielt.
Im Krankenhaus hatte Maisie bei Männern, deren Augenlicht von Giftgas zerstört worden war, Verbände gewechselt. Sie hatte Wunden an Armstümpfen verbunden, die in keine Hände mehr übergingen. Sie war mit Blut, Erbrochenem und Tränen besudelt worden. Und nichts von alledem hatte sie auch nur im Geringsten auf die Strenge der BBC vorbereitet.
Miss Shields bedachte sie mit einem einzigen kritischen Blick, offensichtlich ungehalten, dass sie immer noch wie eine Gefährtin von Oliver Twist aussah, winkte sie jedoch zu ihrem Arbeitsplatz, einem beengten Kabuff mit einer Schreibmaschine und einem Haken für ihren Mantel und Hut. Es gab keinen Drehstuhl, nur ein grauenvolles Etwas mit spindeldürren Beinen und gerader Rückenlehne, aber gesessen wurde ohnehin nicht. Rusty wurde herbeizitiert, um mit ihr einen »Rundgang« durch das Gebäude zu machen. Er kam seiner Aufgabe im Laufschritt nach, und Maisie folgte seinem feuerroten Kopf, während sie versuchte, etwas von ihrer Umgebung in sich aufzunehmen.
»Das is' der Schulfunk, Miss. Die senden speziell für Klassenzimmer. Und dort drüben is' der Hörfunk und die Musikabteilung, da machen sie Hörspiele. Einige von denen sind auch ganz lustig, Miss, wirklich, manchmal. Es gibt einen Regieraum im Kellergeschoss. Da sind unglaubliche Maschinen drinnen, aber die Ingenieure und Mr Eckersley, der dort das Sagen hat, die mögen es nich', wenn jemand bei ihnen die Nase reinsteckt oder Fragen stellt.«
Weiter und immer weiter führte sie sein lebhaftes Geschnatter durch L-förmige Korridore, so schnell, dass ein Ort, sobald er genannt war, gleich schon wieder in einem Durcheinander aus Silben verloren ging. Das Wartezimmer der Künstler, der Tonraum, das Büro von diesem Mann und jenem, die Dingsda-Abteilung, das Büro von Wem-auch-Immer, das Schreibbüro, der Raum, wo Sprecher ihre Abendanzüge aufbewahrten, die sie trugen, wenn sie auf Sendung waren - das Tempo wurde gerade einmal so weit gedrosselt, dass Maisie vor Entzücken wie verzaubert war -, dann ging es auch schon wieder weiter. Das labyrinthartige Gebäude schien im Innern viel größer zu sein, als es von der Straße aus den Anschein erweckt hatte. Das einzige Zimmer, dessen Lage sie sich sogleich einprägte, war die Cafeteria, von der ein verlockender Geruch nach gebuttertem Toast ausging.
Überall in Savoy Hill war dieser herrliche - erschreckende - Lärm und diese Hektik und das Durcheinander und die Menschen, die sich gewiss in ihrer Bedeutsamkeit und ihrem Ruhm sonnten. Alles war von einer berauschenden Wolke umgeben. Die Akzente, die Gespräche, die Geschwindigkeit. Trotz der unterschiedlichen Altersstufen haftete jedem Einzelnen das Glühen der Jugend an, das Maisie selbst mit ihren dreiundzwanzig Jahren nicht vergönnt war.
Rusty spuckte sie bei Miss Shields wieder aus, die einen Mount-Everest-hohen Stapel Unterlagen auf Maisies Schreibtisch ablud - »abtippen und abheften und sich mit den Abläufen vertraut machen« - und ihr befahl, das Wochenprogramm des Senders und Mr Reiths randvollen Terminkalender zu lesen und auswendig zu lernen, in einem Tonfall, der nahelegte, dass sie im Anschluss unter Androhung drakonischer Strafen abgefragt werden würde.
Maisie begann zu lesen, und ihre Lippen verzogen sich zu einem Grinsen. Fast ihre gesamte Kindheit hatte sie lesend in fensterlosen Ecken verbracht. Jetzt würde sie dafür sogar bezahlt werden.
»Miss Musgrave!«
Das Grinsen schwand aus ihrem Gesicht, und Maisie hastete zu ihrer Vorgesetzten. Mit einem Bleistift zeigte Miss Shields auf einen Stuhl und begann, ein Memo zu diktieren. Es verstand sich von selbst, dass Maisie ihren eigenen Stenoblock und Stift zückte.
Miss Shields machte in ihrem erbarmungslosen Diktat keine einzige Pause, nicht einmal, als ein dürrer, pickliger junger Mann mit einem schiefen Grinsen einen Korb hereinrollte, der unter der Last von Briefumschlägen zusammenzubrechen drohte. Er platzierte einen schwankenden Turm Briefe im drahtgeflochtenen Ablagefach auf Miss Shields' Schreibtisch, nickte ihr dann höflich zu und drehte sich um, ohne sich auch nur im Geringsten daran zu stören, keinerlei Beachtung erfahren zu haben. Bei Maisies Anblick jedoch sah er fragend zu Miss Shields, die sich räuspernd an ihn wandte: »Gibt es etwas, Alfred?«
»Nein, Miss, das wäre alles fürs Erste«, sagte er. »Viel Glück«, flüsterte er Maisie zu, während er den Korb nach draußen manövrierte.
»Und das geht an alle Mitarbeiter der technischen Abteilung«, endete Miss Shields mit einem Fingerschnipsen. »Lesen Sie den letzten Satz bitte noch einmal vor.«
Maisies Blick huschte von den glitzernden Augen zu ihrer Kurzschrift.
»>Ich erwarte, dass Ihnen in Zukunft dank dieser Investition nicht mehr so viele technische Fehler unterlaufen werden und ich dies dem Rundfunkrat zusichern kann.<«
»Ja.« Miss Shields nickte, während sich ein leicht enttäuschtes Runzeln auf ihrer Stirn bildete. Maisie fragte sich, um welche technischen Fehler es sich wohl handelte - der Rundfunk war so neu, wie konnte es da Fehler geben? Oder vielleicht war es genau anders herum und es strotzte nur so vor Problemen?
Miss Shields winkte Maisie zum Ablagefach für die Post.
»Wir nehmen es sehr genau, was unsere Korrespondenz betrifft. Alles wird abgestempelt und ordentlich datiert.« Sie drückte Maisie einen großen Stempel in die Hand. Das Wort »EINGEGANGEN« war dort in hübschen Großbuchstaben zu lesen, und darunter gab es winzige Rädchen, um das Datum einzustellen. »Dieser ist für Ihren Schreibtisch.« Als wäre er ein Preis. »Geben Sie jeden Morgen unverzüglich nach Ihrer Ankunft das richtige Datum ein.« Ihr Tonfall deutete an, dass ein Versäumnis ihrerseits in einer Apokalypse enden würde, die selbst den Untergang von Pompeji in den Schatten stellte.
Unter Miss Shields' Blicken drehte Maisie behutsam die Rädchen auf den »29. Nov. 1926<«. Ein bedeutsamer Tag.
Miss Shields fuhr mit ihrer Belehrung fort.
»Wenn Sie sicher sind, dass ein Brief gelesen worden ist, ziehen Sie eine Bleistiftlinie am Rand. Und das sehr ordentlich.« Eine gehobene Augenbraue schien Maisies Fähigkeit zur Ordentlichkeit anzuzweifeln. »Nun, dann legen Sie mal los und kümmern sich darum, dass das Memo unverzüglich getippt wird.«
Maisie nahm die Post und trug sie zu ihrem kleinen Schreibtisch. Sie war nicht sicher, was sie als Erstes tun sollte, auch wenn die Schreibmaschine, eine funkelnde schwarze Underwood mit eleganten abgerundeten Tasten, eine verführerische Verlockung darstellte. Es ist, wie Miss Jenkins im Sekretärinnenkolleg gesagt hatte. Frag niemanden nach seiner Meinung oder bitte jemanden um Hilfe. Finde einfach einen Weg, alles sofort zu erledigen.
Am späten Vormittag, als sie in eine kurze Teepause geschickt wurde, war Maisie bereits erschöpft. Vielleicht hatten all jene, die fürchteten, das Radio könnte die Menschheit in Roboter verwandeln, nicht ganz unrecht - die Mitarbeiter der BBC schienen geradezu an die Übertragungskabel angeschlossen zu sein und genauso heiß zu laufen, ohne auch nur ein einziges Mal Atem zu holen.
»Aber hallo, New York!«
Maisies Wirbelsäule drückte sich durch, und eine unheilvolle Röte kroch ihr über Hals und Wangen. Höchstwahrscheinlich war es das Privileg der Oberschicht, dachte Maisie, die Gesichtsfarbe kontrollieren zu können. Zumindest schien ihnen nie etwas peinlich zu sein.
Mr Underwood (Augen, Grinsen, Sommersprossen) schwang ein Bein über einen Stuhl und setzte sich ihr gegenüber.
»Die alte Streitaxt hat Sie eingestellt? Sehr schön. Sie müssen gut sein. Vielleicht probieren sie auch nur eine gewisse Pluralisierung?«
Er schien zu scherzen, und Maisie riskierte ein Lächeln.
»Cyril Underwood«, verkündete er und streckte die Hand auf eine Art aus, wie es nur Menschen können, die eine solche Geste schon mit der Muttermilch aufgesogen haben. »Ja, wie die Schreibmaschine, aber nicht unser Zweig...
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