Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Das Pflegeheim Nebelfenn liegt in Skredsby, einer kleinen Gemeinde an der schwedischen Westküste, wo die Touristen, die im Sommer unterwegs nach Marstrand sind, nur selten Station machen.
Der eingeschossige Backsteinbau wurde am Stadtrand errichtet, noch hinter dem Fußballplatz, am Fuß des bewaldeten Berges. Es ist ein kompaktes, rein funktionales Gebäude mit quadratischer Grundfläche und ohne jeden Schnörkel. Zum Eingang führt eine breite Treppe, flankiert von Rollstuhlrampen. Tagsüber öffnen sich die Türen automatisch, wenn man sich ihnen nähert. Der PVC-Boden im Eingangsbereich ist grün gesprenkelt, damit Flecken und abgenutzte Stellen so wenig wie möglich auffallen.
Es ist eine kleine Einrichtung. Vier Flure rahmen das Atrium, den Gemeinschaftsbereich, ein. Unter den gemeinsam genutzten Räumen gibt es für die Bewohner auch kleinere Aufenthaltsräume. Die neuen Tapeten haben altmodische Motive, die Sitzgarnituren Kunststoffbezüge.
Das Licht der Neonröhren spiegelt sich im Bodenbelag, und an den Wänden befinden sich Handläufe. Sie sind pastellgrün, was beruhigend wirken soll, der Haut aber einen fahlen Ton verleiht. Jeder Flur bildet eine eigene Station mit je acht Wohneinheiten. Sie sind klein und lassen nur wenige Möglichkeiten offen, sie zu möblieren. Zu jedem Apartment gehört ein Badezimmer, eine eigene Küche ist jedoch nicht inbegriffen, und damit auch keine Herdplatten, die versehentlich angeschaltet bleiben können. Die Fenster lassen sich nur einen Spaltbreit öffnen. Man kann die Tür zwar von innen abschließen, wenn man das möchte, aber das Personal hat einen Generalschlüssel und kann jederzeit hinein. Auf den Stationen B und C, die zum Wald hinausgehen, sind die Wohnungen mit Balkonen ausgestattet. Sie sind mit Maschendraht verkleidet, damit niemand auf diesem Weg abhandenkommen kann. Wenn man nachts aufzustehen pflegt oder schon einmal aus dem Bett gefallen ist, gibt es einen Bewegungsmelder und ein Bettgitter, um zu verhindern, dass sich dergleichen wiederholt.
Die neuen Betreiber des Heimes wollen das Personal dazu bewegen, die Bewohner »Kunden« zu nennen, obwohl sie ihren Aufenthaltsort selten selbst gewählt haben. In den siebziger Jahren, als das Heim erbaut wurde, waren die Kunden noch jünger und gesünder. Heute muss man schon mehr Gebrechen aufweisen, um hier einen Platz zu bekommen. Es heißt, dass es besser für einen wäre, so lange wie möglich in seiner vertrauten Umgebung zu leben. Wenn man einen Platz im Nebelfenn angeboten bekommt, haben die Angehörigen nur eine Woche Zeit, um zuzusagen oder abzulehnen. Es muss schnell gehen, damit dem Heim keine finanziellen Einbußen wegen unbelegter Apartments entstehen. Die Warteliste ist lang.
Britt-Marie aus Zimmer D6 ist erst kürzlich verstorben. Sie hatte aufgehört, zu essen und zu trinken. War immer häufiger eingenickt, hat viel geschlafen. Ist allmählich weggedämmert. Für depressive alte Menschen nichts Ungewöhnliches. Als Todesursache steht »Magersucht« in ihrem Totenschein.
Das Nebelfenn ist ein Ort, an dem der Tod stets allgegenwärtig ist. Dies hier ist die letzte Haltestelle. Was jedem bekannt ist, auch wenn niemand darüber redet: Hier werden nur selten lebensverlängernde Maßnahmen ergriffen.
Jetzt wartet in Zimmer D6 eine neue Möblierung: eine kleine Esszimmergarnitur, ein Schreibtisch, ein Sessel. Fotografien an den Wänden. Ein neues Heim im Heim. Nur das Bett ist Eigentum der Einrichtung. Nachdem Britt-Marie darin starb, ist es desinfiziert und neu bezogen worden.
Im Personalraum auf Station D sitzt Johanna und checkt die Nachrichten auf ihrem Handy. Mit leerem Blick starrt sie auf das Display. Nichts Neues. So früh am Morgen ist noch keiner online. Ab und zu schielt sie durch die Glasscheibe in den Gemeinschaftsbereich, in den durch das Glasdach Sonnenlicht scheint. Bald hat sie Dienstschluss. Sie bereut, sich diesen Sommerjob gesucht zu haben, hasst die Nachtschichten, hasst es, wenn Petrus in der D2 oder Dagmar in der D8 wach werden und sie sich allein um sie kümmern muss. Aber das Schlimmste ist die Angst, dass jemand von den Alten sterben könnte, während sie allein auf Station ist.
Johanna fährt zusammen, als sie hört, wie auf dem Gang eine Tür geöffnet wird. Schnell steht sie auf. Blickt hinaus. Endlich. Da kommt Nina, ihre Ablösung. Wie immer ist sie früh dran. Nina, die immer länger bleibt, als sie muss, die zusätzliche Schichten übernimmt und, wenn sie sonst nichts zu tun hat, mit den Alten Zimtschnecken backt. Nina, die nie etwas über ihr Leben außerhalb des Heims erzählt. Ob sie überhaupt eines hat? Es fällt schwer, sie sich in Alltagskleidung, ohne den hellblauen Kittel und die weiten Hosen vorzustellen. Nina scheint der Typ zu sein, der sich mit Kernseife wäscht, denkt Johanna. Ist porentief rein. Hat kurzgeschnittene Nägel und einen praktischen Kurzhaarschnitt. Riecht völlig neutral.
»Wie ist es gelaufen?«, fragt Nina, und Johanna zuckt mit den Schultern, erwidert: »Nichts Besonderes«, und reicht ihr die Pflegedokumentationsmappe, in der sie vermerkt hat, was in der Nacht alles geschehen ist. »Dann geh ich jetzt«, sagt sie.
Nina blickt Johanna nach, sieht, wie ihr Pferdeschwanz hin- und herschwingt. Dann schaltet sie die Kaffeemaschine im Personalraum ein, wischt die Arbeitsplatten und den Esstisch ab.
Sucdi, die heute zusammen mit Nina die Frühschicht übernimmt, läuft auf der Treppe ihrem Mann Faisal über den Weg. Gerade hat sie sich im Umkleideraum im Keller die Arbeitskleidung angezogen. Er wiederum hat soeben seine Nachtschicht auf Station B beendet. Er ist müde und unter Zeitdruck: Ihre älteste gemeinsame Tochter kümmert sich gerade um die kleinen Geschwister, und er möchte so schnell wie möglich nach Hause. Sucdi drückt ihm schnell einen Kuss auf die Wange, bevor sie Station D betritt. Lehnt dankend den Kaffee ab, den Nina ihr anbietet. Gemeinsam studieren sie die Berichte, während Nina ihre Tasse leert. Dann beginnen sie mit den morgendlichen Routinen.
Sie betreten eine Wohnung nach der anderen auf Gang D. Streichen den Bewohnern sanft über die Stirn. Wechseln Windeln. Waschen die alten Leiber mit Seife, warmem Wasser und Waschlappen. Cremen sie mit Urea ein. Verabreichen Medikamente, oral, anal und vaginal. Beruhigungspillen und Abführmittel. Schmerztabletten und Blutverdünner. Den alten Menschen wird beim Anziehen geholfen und dabei, ihre Dritten einzusetzen. Haare werden wieder an die richtige Stelle gekämmt.
In der D1 jammert Wiborg im Schlaf, als sie ihr Zimmer betreten. Sie umklammert ihr Therapiestofftier, eine Plüschkatze mit einer Heizschlange unter dem Fell aus Polyester.
Wiborg erkennt sie nicht wieder. »Warum werde ich nicht von meiner Mama geweckt?«, fragt sie und sieht Sucdi beunruhigt an. »Hat sie dich aus Afrika mitgebracht?«
Wiborg hört nicht auf zu starren, während Nina und Sucdi ihr die Windel abnehmen. Ihr Stuhl ist pechschwarz von den Eisentabletten. Nina und Sucdi säubern sie sorgfältig und versorgen sie mit einer frischen Vorlage und einer Netzhose, die alle alten Menschen im Nebelfenn tragen.
»Wo ist meine Mama?«, fragt Wiborg erneut. »Ich will meine Mama anrufen.«
Sie streckt sich nach dem Telefon, und es gelingt ihr, den Hörer von der Gabel zu nehmen, aber Sucdi und Nina können Wiborg überreden, noch mit dem Anruf zu warten. Die Nummer, die Wiborg wählen will, ist schon lange abgeschaltet, und die alte Dame ist jedes Mal aufs Neue stark beunruhigt, wenn sich niemand meldet.
Sucdi hilft Petrus in Apartment D2 bei der Rasur. Sie gebraucht einen Rasierapparat statt eines Nassrasierers, um ihn nicht zu verletzen, falls er sie angreift. Als Nina neben seinem Bett in die Hocke geht und den Beutel seines Katheters leert, achtet sie sorgfältig darauf, sich ja außer Reichweite seiner flinken, zupackenden Hände zu halten. Dann misst sie seinen Blutzucker.
In Zimmer D3 öffnet Edit ihre Augen, sobald Nina und Sucdi hereinkommen. »Guten Tag«, begrüßt sie sie schlaftrunken. »Mein Name ist Edit Andersson, ich bin Sekretärin von Direktor Palm.«
Nina und Sucdi nicken wie immer.
Edit blinzelt. »Guten Tag. Mein Name ist Edit Andersson, ich bin Sekretärin von Direktor Palm.«
Nina und Sucdi streifen sich neue Handschuhe über und sind Edit behilflich, während diese sie aufs Neue darüber in Kenntnis setzt, wen sie vor sich haben.
Bodil in der D4 sieht sie aus zusammengekniffenen Augen schelmisch an, als sie ihr Nachthemd hochstreifen und ihr die Windel wechseln. »Raten Sie mal, wie alt ich bin?«
Und obwohl Nina die Antwort sehr gut kennt - Bodil ist über neunzig -, erwidert sie: »Siebzig vielleicht?«, und Bodil lächelt zufrieden. »Das sagen alle, niemand will mir mein wahres Alter glauben. Man sagt, dass ich immer noch eine richtige Schönheit bin.«
Nina und Sucdi beteuern, dass sie das auch finden.
Heute ist Lillemor aus der D5 mit Duschen dran. Sucdi und Nina helfen ihr ins Badezimmer. Ziehen sie aus. Die Netzhose hat ein kariertes Muster auf ihrem üppigen Bauch hinterlassen. Nina und Sucdi schwitzen in ihren Gummistiefeln, Plastikschürzen und Handschuhen, aber Lillemor ist zumindest duldsam. Vorsichtig senken sie ihren Hintern auf den Duschstuhl hinab. Duschen Lillemor mit schwachem Strahl ab, nachdem sie die Temperatur gebilligt hat. Nina hebt Lillemors schwere Brüste an, um die Hautfalte darunter zu säubern.
Lillemor sieht auf und sagt: »Die Sehnsucht nach unserem Herrgott ist groß,...
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