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Kritische Theorie und Feminismus - unter diesem Titel wird aus soziologischer, philosophischer und psychoanalytischer Perspektive das Spannungsverhältnis zwischen zwei Theorieparadigmen beleuchtet, die beide für Emanzipation einstehen. Die Beiträge, u. a. von Regina Becker-Schmidt, Seyla Benhabib, Nancy Fraser, Rahel Jaeggi, Sarah Speck und Barbara Umrath, beschäftigen sich mit Fragen von Subjektivität und Identität, Ideologie und Diskriminierung sowie von Arbeit und Körper. Sie knüpfen zum einen an vergangene Debatten an und beleuchten zum anderen neue Aspekte einer feministischen kritischen Theorie.
11Karin Stögner
Kritische Theorie und Feminismus in Verbindung zu denken, hat seit der zweiten Welle der Frauenbewegung und dem Aufkommen der Neuen Linken in der zweiten Hälfte des 20.Jahrhunderts Tradition und nahm in der Folge je nach Kontext unterschiedliche Formen an. Während die feministische Theorie in Deutschland eher an die erste Generation der Kritischen Theorie anknüpfte und sich an deren zentralen Überlegungen abarbeitete, setzte die feministische Auseinandersetzung in den USA in erster Linie an der zweiten Generation, insbesondere am Werk von Jürgen Habermas an.
In jedem Fall ist das Verhältnis zwischen Kritischer Theorie und Feminismus spannungsvoll und wird entsprechend unterschiedlich beurteilt: Einerseits wird der Kritischen Theorie eine gewisse Geschlechtsblindheit, ein Wiederholen von männlichen Stereotypen und Ignorieren der Lebensrealität von Frauen angelastet;[1] andererseits wird die Leerstelle Geschlechterverhältnisse eher der vorherrschenden Rezeption der älteren Kritischen Theorie als dieser selbst diagnostiziert;[2] und schließlich wird insbesondere auf die Leerstelle Kritische Theorie in solchen Richtungen feministischer Theorie fokussiert, denen attestiert wird, gesellschaftskritische Impulse aufgegeben zu haben.[3] In diesem Spannungsfeld setzt der vorliegende 12Band mit dem Ziel an, Kritische Theorie und Feminismus in einer Konstellation zu begreifen und ihrem inneren Zusammenhang nachzuspüren. Wenngleich sich die Autor:innen in diesem Band unterschiedlichen Spektren der feministischen Theorie zurechnen sowie unterschiedliche Ansätze der Rezeption Kritischer Theorie haben, besteht ein Grundkonsens der vorliegenden Beiträge darin, die gegenseitige Durchdringung von Kritischer Theorie und Feminismus weitertreiben zu wollen. Feministische Theoreme werden dabei nicht von außen der Kritischen Theorie beigemengt oder aufgedrückt, sondern in dieser selbst aufgespürt und expliziert.
Kritische Theorie ist indes kein homogenes und fixiertes Theoriegebäude, sondern selbst ein historisch offener und im Wandel begriffener Prozess, der sich an gesellschaftlichen Problemkonstellationen und Fragestellungen bildet, die ihrerseits in gewandelten Formen und historisch veränderten Kontexten wiederkehren: Fragen der Kritik der politischen Ökonomie, der Vernunft- und Subjektkritik, der Herrschaftskritik, der Kritik der Identitätslogik und des Verhältnisses von Gesellschaft und Individuum sowie Fragen nach der geschichtlichen Einbettung dieser Gegenstände. Wenngleich die Themen Feminismus und Frauenbewegung in den Schriften der ersten Generation der Kritischen Theorie kaum eine Rolle spielten, wurde die Bedeutung der bürgerlichen Familie für die Autoritätsverhältnisse des 20.Jahrhunderts klar erkannt. In den Studien über Autorität und Familie in den frühen 1930er Jahren wurde die Dialektik der Geschlechterverhältnisse herausgearbeitet und aufgezeigt, dass die Befreiung der Frau aus der Enge der bürgerlichen Familienverhältnisse und das Ende der väterlichen Autorität nicht zwingend in einen allgemeinen Zugewinn an Freiheit mündeten, sondern im Gegenteil auf gesellschaftlicher Ebene für eine Verschärfung von Autorität im Nationalsozialismus nutzbar gemacht werden konnten.[4] In den großangelegten empirischen Studien zur Authoritarian Personality, durchgeführt in den 13USA in den 1940er Jahren, verwies Else Frenkel-Brunswik darauf, welch enorme Bedeutung der Sexualität und der heteronormativen Geschlechterbinarität in der Formung des autoritären Charakters zukommt.[5] In der Dialektik der Aufklärung schließlich wird an zentralen Stellen die Zivilisationskritik als Kritik der Geschlechterverhältnisse vorgebracht.[6] So tauchen die Geschlechterverhältnisse und die Konstruktion von Geschlecht in zahlreichen Schriften der ersten Generation der Frankfurter Schule immer wieder auf und fungieren als Aufhänger für die Darstellung des größeren geschichtlichen und gesellschaftlichen Zusammenhangs, es kommt jedoch nicht zu einer systematischen Auseinandersetzung mit den Geschlechterverhältnissen.[7]
Wenngleich also Kritische Theorie nicht explizit feministisch genannt werden kann, ist sie doch Impulsgeberin für feministische Theorien, seien es materialistische, dekonstruktivistische, normative oder queere und intersektionale Richtungen. In unterschiedlichem Ausmaß greifen sie Momente der Kritischen Theorie auf, arbeiten sich daran ab oder verwerfen sie zur Gänze. Als Anknüpfungs- und Abgrenzungspunkt feministischer Theorien gegenüber der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule ist das Festhalten an einem Gesellschaftsbegriff, der das Ganze zu denken vermag, und die gesellschaftskritische Perspektive, deren Fluchtpunkt Emanzipation bleibt, ebenso zu nennen wie die bestimmte Negation des falschen Allgemeinen. Diese öffnet die Perspektive auf einen Universalismus, der am Partikularen ansetzt und die gesellschaftliche und historische Situiertheit von Kritik als Ausgangspunkt für Erkenntniskritik nimmt.
Der vorliegende Band versucht, die Konturen einer aktuellen und zukünftigen feministischen Kritischen Theorie zu erarbeiten und widmet sich der feministischen Auseinandersetzung mit der Kritischen Theorie über vier Themenschwerpunkte. In einem ein14führenden Kapitel wird neben der vorliegenden Einleitung ein Text von Gudrun-Axeli Knapp wiederabgedruckt, in dem sie das Verhältnis der Kritischen Theorie zum Feminismus rekonstruiert: Auch wenn für die Überlegungen der älteren Kritischen Theorie der Bereich der privaten Reproduktion und die sich hier abspielenden gesellschaftlichen Grundkonflikte durchaus zentral seien, würden die angestellten Beobachtungen nicht zu einer Theorie des Geschlechterverhältnisses zusammengeführt. Dennoch kann feministische Theorie, wie Knapp aufzeigt, an zentralen Ansätzen und analytischen Modellen der Kritischen Theorie anknüpfen.
Nach diesen in die Thematik einleitenden Beiträgen stehen im zweiten Kapitel Überlegungen zu einer feministischen Ideologiekritik und Fragen eines feministischen Universalismus im Zentrum. Im dritten Kapitel werden kritisch-feministische Perspektiven auf Produktion und Reproduktion erarbeitet, die auch um Fragen der Emanzipation kreisen. Im vierten Kapitel stehen die komplexen Verhältnisse zwischen Identität, Subjektivität und Differenz im Fokus. Den Abschluss bilden im fünften Kapitel psychoanalytische Perspektiven auf Vergeschlechtlichung und Herrschaft.
Eine Methode der Kritischen Theorie ist Ideologiekritik im Sinn einer Herrschaftskritik, die jene Mechanismen der Naturalisierung von Gesellschaftlichem sowie der Universalisierung von Partikularem offenlegt, die zu einer »Verselbstverständlichung«[8] des Gegebenen beitragen. Es ist eine Kritik gesellschaftlich geprägter Bewusstseinsstrukturen im modernen Subjekt, die Einsichten in die objektiven Strukturen der Gesellschaft verstellen. Als immanente Kritik macht solche Ideologiekritik innere Widersprüche des Gegenstandes ausfindig, die als gesellschaftlich vermittelte insofern notwendig sind, als sie eine widersprüchliche Realität widerspiegeln. Das setzt einen Begriff von Gesellschaft als sozialem Strukturzusammenhang voraus, der weder die Summe der Einzelteile noch lediglich die Vorstellung eines transpersonalen Ganzen meint, son15dern im Sinn eines umfassenden Verhältnisbegriffs imstande ist, »die Verweisungszusammenhänge zu erfassen, die zwischen verschiedenen Ebenen sozialen Funktionierens und Zusammenlebens existieren, so widersprüchlich sie auch sein mögen«.[9] Ideologie wird nicht ins Subjekt verlegt, sondern Subjektivität selbst in den Verweisungszusammenhängen zwischen Individuen und Gesellschaft situiert. War der Ideologiebegriff bei Marx noch an...
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