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Gemäß jener Zählung, die wir vor 2006 Geborenen noch in der Schule gelernt haben, müsste ein neuer Planet in unserem Sonnensystem der zehnte sein. Ein »X« könnte man so gesehen als die entsprechende römische Ziffer betrachten, als mathematische Variable oder einfach als gutaussehenden Platzhalter für etwas Unbekanntes.
Dass sich die Bezeichnung Planet Neun durchgesetzt hat, hängt unmittelbar mit einem der beiden Wissenschaftler zusammen, die ihn postulieren.
Der US-amerikanische Astronom Michael (Mike) E. Brown nämlich hat seinen umstrittenen Ruf als »Plutokiller« inzwischen zu einer Art Markenzeichen gemacht. Er twittert unter diesem Namen (mit @ davor), und im Jahr 2010 erschien sein Buch How I Killed Pluto and Why it Had it Coming.1
Was war passiert?
Um die Zusammenhänge zu verstehen, muss man ein wenig in der Geschichte zurückgehen. Am 18. Februar 1930 entdeckte Browns Landsmann Clyde Tombaugh - ein Bauernsohn aus Illinois, der sich Geometrie und Trigonometrie selbst beigebracht und ein eigenes Teleskop gebaut hatte - den neunten Planeten unseres Sonnensystems. Er arbeitete am Lowell-Observatorium in Arizona, dessen Namensgeber die Sternwarte anno 1894 gegründet hatte, um damit einen von ihm als »Planet X« bezeichneten Himmelskörper aufzuspüren, welcher seiner Ansicht nach irgendwo jenseits des Neptun kreiste, des damals äußersten bekannten Planeten.
So weit, so scheinbar kompliziert; es wird später noch davon die Rede sein.
Percival Lowell erlebte den Fund nicht mehr, er verstarb 1916. Doch die Erwartungen der Astronomen waren hochgesteckt. Der Unbekannte wäre womöglich größer als Jupiter2, hieß es.
Nun, man muss den Wissenschaftlern zugute halten, dass sie die Maße der äußeren Planeten nicht genau kannten. »Damals«, also vor gerade einmal neunzig Jahren; ein Wimpernschlag in der Geschichte der Himmelsbeobachtung. Jedenfalls wurde der neu Entdeckte mit Schlagzeilen gefeiert, die sich nicht sonderlich von den Sensationsmeldungen heutiger Zeit unterscheiden.
Bei aller Begeisterung fiel aber doch auf, dass Pluto - benannt nach dem römischen Gott der Unterwelt - durch ein Teleskop betrachtet reichlich mager aussah. (Tatsächlich ist er um ein Drittel kleiner als der Erdmond.) Aber man wollte sich die Freude nicht verderben lassen; eine der fantasievollsten Theorien lautete, er bestünde aus einem Urankern3, umhüllt von einem Ozean aus flüssigem Sauerstoff. Der würde das Licht beugen und ließe den Riesen daher optisch klein wirken.
Nichts davon stimmt, aber das störte die Allgemeinheit im Endeffekt kaum. Wer macht sich schon viele Gedanken über die Zusammensetzung oder die reale Größe eines Himmelskörpers, dessen Namen er auswendig lernen muss? Um eine annähernde Vorstellung von den Relationen zu bekommen, kann man sich die Erde als Marille4 vorstellen; Jupiter hätte dann die Dimensionen eines Kürbisses, und Pluto wäre eine Erbse.
Im Laufe der Jahrzehnte fand man immer mehr Unterschiede zu den altbekannten Planeten. So ist etwa der Orbit des Pluto um 17 Grad gekippt; alle anderen kreisen mit wesentlich geringeren Abweichungen entlang ein und derselben Ebene um die Sonne. Außerdem ist die Plutobahn deutlich langgezogener (elliptischer), und kreuzt jene des Neptun: Manchmal befindet sich der Außenseiter näher am Zentralstern als unser fernster Eisriese.
2003 fand der künftige Plutokiller Mike Brown ein Objekt mit ähnlicher Masse, das ebenfalls weit draußen auf einer exzentrischen Bahn unterwegs ist. Sedna5 konnte auch auf älteren Aufnahmen identifiziert werden, wodurch sich ihr Kurs ziemlich genau bestimmen ließ. Browns partner in crime, wie er ihn selbst gern nennt, ist seitdem der Russe Konstantin Batygin; sie arbeiten beide am Caltech6 und veröffentlichten später gemeinsam den Artikel, der Planet Neun auf die Agenden der internationalen Astronomengemeinschaft brachte.
2005 folgte die nächste Entdeckung in jener Region. Das Objekt schien größer als Pluto zu sein und wurde eine Zeit lang unter den Astronomen als »Planet Zehn« gehandelt; auch hier fanden sich ältere Fotos, die sogar bis in das Jahr 1954 zurückdatierten. Passenderweise benannte man den Fund nach Eris, der griechischen Göttin des Streits.
Im August 2006 ging dann der denkwürdige Auftritt Browns anlässlich der 26. Generalversammlung der Internationalen Astronomischen Union (IAU) in Prag über die Bühne. Dieses Konsortium tritt - in unterschiedlicher Zusammensetzung; derzeit sind über 13.700 Mitglieder aus 103 Nationen beteiligt - seit 1919 alljährlich zusammen und ist unter anderem für die Benennung von Himmelskörpern in den Schulbüchern zuständig.
Dass ein Wunsch nach Neudefinition auf der Tagesordnung stand, war insofern nichts Spektakuläres, als Astronomen regelmäßig ihre Meinung ändern, um mit der Entwicklung Schritt zu halten.
Nach der Entdeckung des Uranus 1781 durch Wilhelm Herschel hatten sich im folgenden 19. Jahrhundert die Funde gehäuft. Erst kamen Ceres, Pallas, Juno, Vesta und Astraea dazu (alle im Bereich zwischen Mars und Jupiter); dann spürte Johann Gottfried Galle auch noch den Neptun auf, und die Zahl der Planeten war auf 13 gestiegen. Schließlich sah man sich zum Aufräumen gezwungen. Nur der Neptun durfte als Achter bleiben.
Bezogen auf die jüngste Zeit war auch das Anliegen des Sedna-Entdeckers nicht neu. Schon 1998 hatte der britische Astronom Brian Marsden vorgeschlagen, Pluto eine Art Doppelstatus als Planet und Asteroid zu verleihen; es war schließlich damit zu rechnen, dass mit zunehmender Präzision der Teleskope immer mehr Objekte ähnlicher Größe gefunden würden, und dann könnte die Gesamtzahl unserer Planeten erneut aus dem Ruder laufen.
War der Brite noch gescheitert, hörte man dem US-Amerikaner nun aufmerksamer zu. Vielleicht lag es auch an seiner Eloquenz - in Internetvideos kann man sich von seinem Rednertalent überzeugen. Die versammelten Gelehrten einigten sich erstaunlich rasch darauf, eine neue Kategorie namens »Zwergplanet« (dwarf planet) einzuführen.
Nur, was sollte die Kleinwüchsigen genau von ihren Kollegen unterscheiden? Der Durchmesser allein schien kein ausreichendes Argument zu sein, schließlich ist auch die Masse im Spiel, und beides lässt sich bei den sogenannten transneptunischen Objekten oft sehr lange nicht genau feststellen. Form und Neigung der Bahn wiederum hätten schwierige Definitionen erfordert: Ab wann wäre eine Abweichung vom Durchschnitt als »zu groß« zu definieren?
Bisher war für einen Kandidaten - neben der grundsätzlichen Voraussetzung, dass er um die Sonne kreist - unter anderem das hydrostatische Gleichgewicht ausschlaggebend gewesen. Der Terminus bedeutet, dass das Objekt aufgrund seiner Masse Kugelform7 angenommen hat und nicht aussieht wie eine verwachsene Kartoffel (was bei Asteroiden und Kometen üblicherweise zutrifft).
Das spitzfindige Kriterium, welches man sich daher einfallen ließ, lautet: Er muss zusätzlich seine Bahn bereinigt haben, also alle anderen Objekte entlang seines Orbits entweder akkretiert (»geschluckt«) oder via Gravitation hinausgeworfen haben.
Damit war der Pluto aus dem Rennen, weil auf seiner Bahn noch jede Menge anderer Objekte unterwegs sind, und unser Sonnensystem war um einen Planeten ärmer. Die Eselsbrücke heißt seitdem »Mein Vater Erklärt Mir Jeden Sonntag Unseren Nachthimmel«.
Die Proteste ließen nicht lange auf sich warten.
Der Senat des US-Bundesstaates Illinois - der Heimat des Pluto-Entdeckers Tombaugh - erklärte hochoffiziell, den alten Neunten weiterhin als Planeten zu betrachten. Der NASA-Administrator Jim Bridenstine schloss sich dem ebenso an wie der renommierte Planetenwissenschaftler Alan Stern. Ersterem kann man aber zu Recht astronomische Ahnungslosigkeit und politisches Kalkül unterstellen, und Stern leitet die Mission New Horizons: Die teure Raumsonde war erst ein halbes Jahr zuvor Richtung Pluto gestartet.
Gegen die Entscheidung der IAU lässt sich dennoch manches einwenden. Was heißt »Bereinigung seiner Bahn« bei einem Himmelskörper, der, wie oben erwähnt, den Neptunorbit kreuzt - wer ist denn da wofür zuständig? Außerdem klingt diese Bedingung ziemlich unfair für ein Objekt, das so weit außen kreist: Die Bahn des Pluto ist vierzig Mal so lang wie jene der Erde, er braucht fast 250 Jahre für eine Tour. Und was ist mit den sogenannten Trojanern8? Außer Merkur und Saturn hat jeder Planet solche herumschwirrenden Begleiter, ohne dass deswegen sein Status in Frage gestellt würde.
Zu guter Letzt wird seitens der Pluto-Fans argumentiert, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung (gegen Ende der Tagung) viele Wissenschaftler bereits nach Hause gefahren waren und gar nicht mit abstimmen konnten.
Die Diskussion ist noch lange...
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