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Freiheit ist ein menschlicher Grundwert. Aber viele Freiheitsbefürworter fragen nur selten, was diese Idee eigentlich bedeutet. Freiheit für wen? Was geschieht, wenn die Freiheit einer Person auf Kosten derjenigen einer anderen geht? Der in Oxford lehrende Philosoph Isaiah Berlin1 brachte dies einmal folgendermaßen auf den Punkt: »Die Freiheit der Wölfe hat oftmals den Tod der Schafe bedeutet.«2
Wie können wir politische und wirtschaftliche Freiheit miteinander in Einklang bringen? Welche Bedeutung hat das Wahlrecht für jemanden, der Hunger leidet? Wie steht es mit der Freiheit, sein Potenzial auszuschöpfen, was vielleicht nur möglich ist, wenn wir die Reichen besteuern und ihnen die Freiheit nehmen, ihr Geld nach Belieben auszugeben?
Die politische Rechte in den Vereinigten Staaten hat sich vor einigen Jahrzehnten der Freiheitsrhetorik bemächtigt und sie für sich reklamiert, genauso wie sie Patriotismus und die amerikanische Flagge für sich reklamiert.3 Freiheit ist ein wichtiger Wert, der uns viel bedeutet und bedeuten sollte, aber er ist komplexer und vielschichtiger als die Idee, auf die sich die Rechte beruft. Die gegenwärtige konservative Interpretation des Freiheitsbegriffs ist oberflächlich, irreführend und ideologisch motiviert. Die Rechte spielt sich als Verteidigerin der Freiheit auf. Ich werde zeigen, dass ihre Deutung dieses Begriffs und die Art und Weise, wie sie ihn in praktische Politik umsetzt, zum entgegengesetzten Ergebnis - einer massiven Einschränkung der Freiheiten der meisten Bürger - führten.
Die Gleichsetzung von freien Märkten mit wirtschaftlicher Freiheit und von wirtschaftlicher Freiheit mit politischer Freiheit veranschaulicht in plastischer Weise diese Schwächen. Einige Zitate führender Republikaner vermitteln einen Eindruck von dem, was ich meine. Als die US-Wirtschaft im Jahr 2008 nach jahrzehntelanger Finanzmarktderegulierung am Rande eines Kollapses stand und die Regierung im Begriff war, das größte staatliche Rettungspaket für die Privatwirtschaft in der Weltgeschichte zu schnüren, formulierte George W. Bush, der zur Zeit der Finanzkrise US-Präsident war, das, worum es ging, folgendermaßen:
Zwar sind Reformen im Finanzsektor unabdingbar, die langfristige Lösung für die gegenwärtigen Probleme besteht jedoch in nachhaltigem Wirtschaftswachstum. Und der sicherste Weg zu diesem Wachstum sind freie Märkte und freie Menschen.4
Vor Bush hatte Ronald Reagan, dessen Präsidentschaft von 1981 bis 1989 weithin als ein Wendepunkt hin zu einer rechtsgerichteten Politik und ein lautstarkes Bekenntnis zu freien Märkten angesehen wurde, eine Gesetzesinitiative zur Gewährleistung wirtschaftlicher Grundrechte ins Leben gerufen.5 Er bedauerte, dass die US-Verfassung nicht so weit gegangen war, diese Rechte zu verbürgen, und sich stattdessen auf politische Rechte konzentriert hatte. Er erklärte:
Untrennbar verknüpft mit diesen politischen Freiheiten ist die Sicherung wirtschaftlicher Freiheiten. (.) Während die US-amerikanische Verfassung unsere politischen Freiheiten sehr ausführlich darlegt, sind diese wirtschaftlichen Freiheiten ein integraler Bestandteil davon. (.) Es gibt vier wirtschaftliche Grundfreiheiten. Sie verknüpfen die Lebensgestaltung untrennbar mit der Idee der Freiheit; sie befähigen den Einzelnen, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, und sie machen Selbstbestimmung und persönliche Unabhängigkeit zu einem Teil der amerikanischen Lebensweise.6
Diese vier Freiheiten sind: erstens, die Freiheit zu arbeiten, zweitens, die Freiheit, die Früchte seiner Arbeit zu genießen, drittens, die Freiheit, Eigentum zu besitzen und darüber zu verfügen, und viertens, die Freiheit, an einem freien Markt teilzunehmen - nach Belieben Verträge über Güter und Dienstleistungen abzuschließen und sein Potenzial voll auszuschöpfen, ohne staatliche Beschränkungen der Selbstentfaltung, wirtschaftlicher Unabhängigkeit und Wachstumschancen (Hervorhebung durch den Verfasser).
Während die amerikanischen Siedler, die sich Ende des 18. Jahrhunderts gegen die britische Krone auflehnten, sich den Slogan »Besteuerung ohne Repräsentation ist Tyrannei« zu eigen machten, scheinen ihre Nachfahren im 21. Jahrhundert zu dem Schluss gekommen zu sein, dass Besteuerung mit Repräsentation ebenfalls Tyrannei ist. Ron Paul, ein altgedienter Republikaner aus Texas, der im Jahr 1988 von der Libertären Partei als Kandidat für das Amt des US-Präsidenten aufgestellt wurde, drückte es unverblümt aus: »Wir müssen einsehen: Je mehr der Staat ausgibt, umso mehr Freiheit geht verloren.«7
Rick Santorum, von 1995 bis 2007 republikanischer Senator, der sich 2012 um die republikanische Präsidentschaftskandidatur bewarb und um ein Haar aufgestellt worden wäre, formulierte es andersherum: »Je weniger Geld wir wegnehmen, umso mehr Freiheit haben Sie.«8
Und Ted Cruz, der republikanische Senator aus Texas und ehemalige Präsidentschaftskandidat von 2016, benannte jene Teile des Regierungsapparats, die seines Erachtens die Freiheit der Bürger am stärksten beeinträchtigten:
»Ich habe die Five for Freedom [»Fünf zur Stärkung der Freiheit«] identifiziert: Während meines ersten Jahres als Präsident werde ich mich dafür einsetzen, die Bundessteuerbehörde, das Bildungsministerium, das Energieministerium, das Handelsministerium und das Ministerium für Wohnungsbau und Stadtentwicklung abzuschaffen.«9
Diese Freiheitskonzeptionen stehen in deutlichem Gegensatz zu den Idealen, die Präsident Franklin D. Roosevelt formulierte, als er am 6. Januar 1941 in seiner Rede zur Lage der Nation im Kongress eine Freiheitsvision entwarf, welche über die traditionellen Bürgerrechte hinausging, die er in seiner Rede über die »Vier Freiheiten« nur auf die ersten beiden beschränkte:
Die erste ist die Freiheit der Rede und des Ausdrucks - überall auf der Welt. Die zweite ist die Freiheit jeder Person, Gott auf ihre Weise zu verehren - überall auf der Welt.
In der Erkenntnis, dass diese beiden Freiheiten nicht ausreichten, fügte er zwei weitere hinzu. Die Menschen bräuchten
(.) Freiheit von Not - was, weltweit gesehen, wirtschaftliche Vereinbarungen bedeutet, die jeder Nation gesunde, friedliche Lebensverhältnisse für ihre Einwohner gewähren - überall auf der Welt.
Und sie bräuchten auch
(.) Freiheit von Furcht. Diese bedeutet, weltweit gesehen, eine globale Abrüstung, so gründlich und so lange durchgeführt, bis kein Staat mehr in der Lage sein wird, einen Nachbarn mit Waffengewalt anzugreifen - überall auf der Welt.
Ein Mensch, der extreme Not oder Furcht erlebt, ist nicht frei. Ebenso wenig wie jemand, dessen Fähigkeit, ein erfülltes Leben zu führen und sein Potenzial voll auszuschöpfen, eingeschränkt ist, weil er in Armut hineingeboren wurde. Als ich in Gary im Bundesstaat Indiana, der einst florierenden Stahlstadt am Südufer des Michigansees, aufwuchs, sah ich mit eigenen Augen, dass es Afroamerikanern, die im Zuge der Great Migration vor der Unterdrückung in den Südstaaten geflohen waren, und Kindern vieler Einwanderer, die aus Europa gekommen waren, um in den hiesigen Stahlwerken zu arbeiten, an wirtschaftlicher Freiheit fehlte. Mehrere meiner ehemaligen Klassenkameraden erzählten mir 2015 bei unserem Highschool-Treffen nach 55 Jahren von ihren Lebenserfahrungen. Nach ihrem Abschluss hatten sie in dem Stahlwerk arbeiten wollen, wie es schon ihre Väter getan hatten. Aber nach einer weiteren Wirtschaftskrise hatten sie keine andere Wahl gehabt - keine Freiheit -, als zum Militär zu gehen. Und nach dem Ende ihres Dienstes im Vietnamkrieg hatten sie abermals nur wenige Möglichkeiten gehabt, zumindest ihrer eigenen Einschätzung nach. Die Deindustrialisierung vernichtete Arbeitsplätze im verarbeitenden Gewerbe, sodass hauptsächlich Stellen für sie übrig blieben, bei denen sie von ihrer militärischen Ausbildung profitierten, wie etwa bei der Polizei.
Sowohl als Entscheidungsträger in Washington als auch als Berater und Kommentator wirtschaftlicher Ereignisse sah ich Freiheit in einem anderen Licht als Bush, Reagan und andere Vertreter der Rechten. Von Reagan bis Clinton haben US-Präsidenten die Freiheit der Banken erweitert. Finanzmarktderegulierung und -liberalisierung bedeutete, den Banken zu erlauben zu tun, was sie wollten.10 Schon das Wort »Liberalisierung« impliziert »Befreiung«. Die Banken nutzten diese neue Freiheit auf eine Weise, die ihren Gewinn steigerte, aber enorme Risiken für die Gesellschaft mit sich brachte. Im Zuge der Finanzkrise von 2008 entdeckten wir dann die Kosten. Viele Amerikaner verloren ihre Freiheit von Furcht und Not, als sich immer deutlicher abzeichnete, dass Millionen von Arbeitnehmern und Rentnern ihre Arbeitsplätze und Immobilien verlieren würden. Wir als Gesellschaft verloren unsere Freiheit - wir hatten keine andere Wahl, als das Geld der Steuerzahler auszugeben, um die Banken zu retten. Andernfalls wäre das gesamte Finanzsystem - und die Wirtschaft -...
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