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Im Höchhus
Das trauliche Bild
Zuerst das Bild des Malers Burkhard Mangold. Er muss es wohl, während im Ausland der Zweite Weltkrieg tobte, ziemlich genau um den Zeitpunkt meines Geburtstages herum (11. November 1940) gemalt haben. Herr Mangold war der liebe Mann mit dem freundlichen Gesicht und Opapas eigentlich einzig wirklich echter und ungefähr gleichaltriger Freund, was mir erst im fortgeschrittenen Enkelalter bewusst wurde. Offensichtlich gemäss Bild wurde ich nicht nur in eine Familienidylle hineingeboren, sondern in einer einigermassen solchen Umgebung verbrachte ich auch meine Kindheit. Ein zünftiger Buchschreiber von heute wäre von Berufs wegen verpflichtet, einen derart herben Schicksalsschlag bitter zu beklagen. Da ich kein zünftiger Buchschreiber bin, hadere ich nicht.
Das Bild entstand in der Wohnstube vom Höchhus in Wolfenschiessen. Zu sehen ist darauf natürlich zuerst einmal der damals 56-jährige Opapa (Emanuel 7.), beginnend vom Kopf her abwärts mit vollem grauweissem Haar, Zwicker, Krawattenknopf mit Perle, Gilet, Zigarre, Buch, Siegelring mit Familienwappen am linken kleinen Finger und gerade noch ein bisschen mehr abwärts zuletzt die goldene Uhrenkette, welche unsichtbar an einer geheimnisvollen goldenen Taschenuhr mit Stoppmechanismus im Gilettäschchen endet, angeblich eine Zauberuhr, deren Funktion mir Opapa auf flehentliche Bitten hin mit immer noch abenteuerlicheren Erklärungen und damit immer noch geheimnisvoller machte.
Weiter geht's im Bild links herum mit den vier Kindern, die bezogen auf mich waren: Tante Esthi (Esther Ita) mit Handorgel, sitzend auf einer anmutig geschnitzten Stabelle mit den Initialen BM (Burkhard Mangold). Dann der Aktivdienst leistende Papi in Hauptmannsuniform (mein Vater bzw. Emanuel 8. Rudolf), der als Pfarrer Feldprediger war und deshalb nie auch nur an einem einzigen Tag eine Offiziersschule besuchen musste, worauf mich Mami später etwas boshaft hinwies und damit meinen Vater ein klein wenig kränkte. Es folgt der hinteren Reihe den Butzenscheiben entlang der Soldat Onkel Dieti, (Ernst Dietegen), der mein Götti war und welchem ich angeblich wie gespeut geglichen haben soll, dann die stickende Tante Muggi (Rosmarie), dann mit Spielzeug der erste Enkel (Hans Emanuel 9.) bzw. mein Bruder Eichhorn oder Eichi, dann Omama mit den schweren roten Haaren. Dann die Schwiegertochter bzw. meine Mutter, für alle Cousinen und Cousins die berühmte Tante Vreni. Das leicht rosige Etwas auf ihrem Schoss schliesslich ist der Enkel Nummer zwei und als solcher also ich.
Die Sommerresidenz
Das Höchhus war sozusagen die Sommerresidenz eines Dichterfürsten. Opapa hat mit Erfolg alles daran gesetzt, sich als solchen fühlen und geben zu können. Er hat in seinen besten Jahren tatsächlich als Dichterfürst gegolten, oder sagen wir, emel irgendwie so etwas in dieser Richtung. Das zeigt sich schon darin, dass er sich nicht wie Hermann Hesse einfach ein trauliches Haus irgendwo im schönen Tessin gepostet und zur Sommerresidenz gemacht hat. Zu diesem Behuf kam für ihn nur das schwer geschichtsträchtige Höchhus am regnerischen Schattenhang im bergbäuerlich tief katholisch-nidwaldischen Wolfenschiessen in Frage. Das Höchhus hat er, so ist mir, in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts gekauft. Damals war Opapa bereits Vater von vier Kindern. Er lebte in der Historie. Sie war seine Leidenschaft. Davon zeugen seine Bücher, was da vor allem die gesammelten Werke sind, bestehend aus zwölf in gediegenem Leinen gebundenen Bänden, erschienen im Verlag Huber & Co. Aktiengesellschaft Frauenfeld. Einer dieser Bände heisst «ZWINGLI» und ist wie andere auch ein historischer Roman. Das Werk also, welches seinem lieben Grosssohn Hans Emanuel 9. Stickelberger «vom Verfasser» gewidmet wurde. Nun aber drohte Zwingli, von mir verbrannt zu werden. Siehe oben «Die Widmung».
Der Aufstieg zum Türmchen
Das Höchhus ist ein heute fast halbes Jahrtausend altes damaliges Herrschaftshaus aus Holz, zuoberst vervollständigt mit einem markanten Türmchen samt Glocke. Diese musste von mir als Noch-Knäblein ab und zu dringend wieder einmal geläutet werden, was für mich so etwas wie eine Reise in den Himmel unter Inkaufnahme gewaltiger Abenteuer war. Anfänglich wagte ich diese hausinterne Erkundungstour nur in Begleitung Erwachsener und nur mit Picknicksäcklein zwecks Stärkung während der gebotenen Zwischenhalte.
Zuerst also links die Aussentreppe hinauf, dann hörbar den Riegel schiebend hinein in den nachtdunkeln Höchhusgang, vorbei an den Wohnstuben und der gigantischen Küche mit den mächtigen Holzöfen, wo Gisa kochte und die Mädchen dirigierte, jetzt die Treppe hinauf zum oberen Durchgang im ersten Stock, vorbei am Bade-, Himmelbett-, Kinder- und Opapa-Arbeitszimmer mit den Büchern, alles nach seinen Zigarren, nach vierhundertjährigem Holz und etwas Feuchtigkeit riechend, denn eben, in Wolfenschiessen landregnet's oft, sehr oft, das heisst: grosso modo eigentlich immer; nur zeitweilig unterbrochen von Wolkenbrüchen. Doch Regen hin oder her. Wer im Höchhus auch nur eine einzige Nacht bei offenem und immer ein ganz klein wenig klirrenden Butzenscheiben-Fensterchen durchschläft, nimmt die Gerüche, das Klirren der Butzen und das unaufhörliche Rauschen des ganz nahe im Tal unten fliessenden Schlaf und Trost bringenden Aabaches für die Ewigkeit mit nach Hause.
Dann geht's scharf eng rechts ein unfallträchtig steil-enges Treppchen hinauf, vorbei am Gästezimmer für Einsiedler, direkt hinein in den hoch gewölbten Rittersaal mit den Wappenscheiben und den in den Ecken rostenden, allerdings unechten Morgensternen und Hellebarden. Türe hinter dem Rücken zu, es hallt feierlich und ungewollt flüsterst du nur noch. Zugegeben, im fortgeschrittenen Kindesalter entwürdigten Seppli Christen und ich den Rittersaal hin und wieder, indem wir als geschichtsbewusste Knaben darin Schlacht bei Sempach spielten, was örtlich und atmosphärisch nahelag, zumal uns Hellebarden und Morgensterne zur freien Verfügung standen.
«Rittersaal» ist übrigens nicht eine grossväterlich eitle Erfindung, sondern der Raum war das immer schon, das heisst schon ab 1586, in welchem Jahr der Staatsmann, Gegenreformator und Ritter Melchior Lussy das Höchhus baute; für die Nidwaldner das Hechhuis, wobei ein echter Ritter schon von Amtes wegen verpflichtet ist, in einem Haus mit Rittersaal zu wohnen.
Weiter geht die Reise nach oben, wo wir nach Verlassen des Rittersaals ins finstere Reich der Fledermäuse aufsteigen. Jetzt wird's echt gruselig unheimlich. Der Schutz der begleitenden Erwachsenen, in welchen ich mich von Aufstiegsbeginn an begeben habe, wird definitiv sinnvoll, und bald traue ich meinen sich angstvoll ans Dunkel gewöhnenden Augen nicht. Hart über mir pfeil-, ja lichtgeschwind schwarze Fluggerätchen, totenstill mit- und gegeneinander hin und her und her und hin, ab und auf und auf und ab, alle notabene ohne Taschenlämpchen und doch, nie auch nur eine einzige Kollision. Ohne verlässliche Verkehrsregelung eigentlich unmöglich so etwas. Dabei hatte ich, daran erinnere ich mich noch sehr genau, weniger Angst vor als vielmehr Mitleid mit den wahrhaftig flatterhaften kleinen Ungetümen. Ich war überzeugt, dass deren unablässiges Hin-und-her-Schiessen nur so etwas wie Langeweile oder Verzweiflung in der Gefangenschaft sein konnte, ähnlich wie bei den in Käfigen hin und her tigernden Tigern. Man müsse die nach so langer Zeit in Dunkelheit zweifellos nach Sonne dürstenden Tierchen nur frische Luft und Licht schnappen und fliegen lassen. Dann sei es mit ihrem tristen Dasein vorbei. Ich habe mich später belehren lassen, dass von einer solchen Methode aus tierschützerischen Gründen besser abzusehen sei. Sie von einem lustigeren Leben zu überzeugen bringe nichts.
Nachdem sich die Ängstlichkeit gemässigt hat und du nur noch wegen jeder zweiten Fledermaus erschrickst, erkennst du plötzlich doch noch so etwas wie einen lichten Spalt. An diesen tappst du herzklopfend heran und siehe, oder richtiger fühle da, eine Türe. Wir öffnen sie nicht. Ich verrate nur, dass sich dahinter das letzte Gästezimmer verbirgt, reserviert für Gespenster- und Vampirforscher, welche weder je aufs WC noch sich waschen müssen.
Nochmals zusammenreissen und du mühst dich tapfer auf etwas eindeutig Holztreppenartigem nochmals hoch, nochmals Blick gegen oben und es wird endlich z'grächtem Licht. Jetzt schöpfst du Kraft und Hoffnung, dass doch noch alles gut wird. Und wirklich, du stehst direkt unter dem Türmchen. Es gilt nur noch, zum letzten Mal, Achtung Vorsicht, das Leiterchen von brüchiger Sprosse zu brüchiger Sprosse emporzuhangeln, schaust geblendeten Auges hinab ins jetzt weit darunter liegende Engelbergertal und es überkommt dich eine wärmende Stölzi, nämlich den berühmten Sieg über deinen inneren Schweinehund errungen zu haben. He ja, du hast das Höchhus bis zum Gipfel erklommen, welches Ereignis du nicht für dich allein behältst, sondern du ziehst am vor dir...
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