Schweitzer Fachinformationen
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Teresa saß auf dem Wagen des Händlers Kaspar Eggli und reckte ihr Gesicht in die milde Oktobersonne. Sie mochte es, auf dem mit allerlei Tand beladenen Wagen mitzufahren. Eggli war ein kleiner, untersetzter Mann mit großen braunen Augen und Halbglatze, die er unter einer braunen Wollmütze versteckte. Mit der Haarfülle ist der Herrgott bei mir geizig gewesen, hatte er einmal augenzwinkernd zu Teresa gesagt, während sie ihm dabei geholfen hatte, seine Glaswaren, Unmengen von Tongeschirr, Honiggläser, Kerzen und viele bunte Perlenketten auf seinem Wagen zu verstauen. Seit dem Sommer war er Witwer, doch von seiner verstorbenen Frau, die Teresa nicht mehr kennengelernt hatte, sprach er nur selten. Eines Morgens hatte sie tot neben ihm im Bett gelegen. Er war fest davon überzeugt, dass die Hitze seine Frau umgebracht hatte, denn besonders im Sommer war sie oftmals schwach auf den Beinen gewesen. Still war sie gegangen, genau so, wie sie im Leben gewesen war. Eine zarte, kinderlos gebliebene Person. Teresa hatte aus seinen wenigen Worten die Traurigkeit herausgehört. Er musste seine Frau wirklich geliebt haben.
Neben Kaspars Wagen lief Teresas Bruder Rupert, mit ernster Miene, seine Kraxe voller Holzspielzeug auf dem Rücken. Sie wusste, dass er es nicht gern sah, wenn sie bei Kaspar Eggli mitfuhr. Nicht, weil er Kaspar Eggli nicht mochte, sondern weil es Gerede geben würde, denn es schickte sich nicht für ein junges Mädchen, auf dem Wagen eines alten Witwers mitzufahren. Einige der Händler wurden von ihren Frauen begleitet - geschwätzige alte Hennen -, die den ganzen Tag nichts Besseres zu tun hatten, als sich das Maul über andere zu zerreißen. Besonders die Frau des Lederers, Mechthild, war für ihr Schandmaul bekannt. Teresa war den Weibern von Anfang an ein Dorn im Auge. Wenn es nach den Frauen gegangen wäre, hätten sich der junge Bursche und das vorlaute Mädchen aus Berchtesgaden niemals der Gruppe anschließen dürfen. Kaspar winkte Rupert zu sich her.
»Wir erreichen bald die Herberge Vendelsberg. Dort werden wir eine längere Rast einlegen, denn die Pferde brauchen Ruhe. Hast du nicht gesagt, dass euch beiden das Geld ausgeht? Etwa eine Stunde Fußweg von hier entfernt liegt Waldkirchen, ein großer Ort, wo ein befreundeter Händler von mir ein Kontor leitet. Ich könnte mir gut vorstellen, dass er an deinem Spielzeug Gefallen findet.«
Rupert wollte etwas erwidern, doch Teresa war schneller.
»Das hört sich gut an. Bestimmt können wir dort einige Sachen verkaufen, nicht wahr, Rupert?«
Ruperts Miene verfinsterte sich, und Teresa zog den Kopf ein. Sie hatte ihm mal wieder vorgegriffen, und das mochte er gar nicht. Kaspar reagierte nicht auf Teresas Worte, was Rupert ein wenig besänftigte.
»Ist vielleicht keine schlechte Idee«, erwiderte Rupert. »Bevor wir den Nachmittag in der Herberge vertrödeln. Ein paar Kreuzer könnten wir gut gebrauchen.«
»Dann werde ich dir nachher erklären, wo du das Kontor in Waldkirchen findest«, antwortete Kaspar. »Wenn du dem Händler sagst, dass ich dich schicke, empfängt er dich bestimmt.«
Rupert nickte. Von vorn erklang der Ruf, dass die Herberge in Sicht kam.
Einige Zeit später stand Teresa vor einem der wenigen Stadttore Waldkirchens. Sie war umgeben von Säumern, Wein- und Tuchhändlern, armseligen Glasträgern, Landsknechten, einem Bauern mit einer Herde Ochsen und den berüchtigten ungarischen Sauschneidern, die erbärmlich stanken. Teresa wich vor einem der Männer zurück, reckte sich und suchte die Menge nach ihrem Bruder ab. Wie er es mit seiner Kraxe voller Holzspielzeug auf dem Rücken so schnell zwischen den vielen Leuten hindurch geschafft hatte, war ihr ein Rätsel. Natürlich hatte er es abgelehnt, sie nach Waldkirchen mitzunehmen, war sogar laut geworden, als sie nicht zu betteln aufgehört hatte. Trotzdem war sie ihm den ganzen Weg nachgelaufen, obwohl er sie mehrmals zum Umkehren aufgefordert hatte. Jetzt war er endgültig verschwunden, und Teresa war hoffnungslos in der bunten Menge steckengeblieben. Sie schob sich an der Herde Ochsen und einer Gruppe Frauen vorbei, die mit Äpfeln gefüllte Huckelkiepen auf dem Rücken trugen. So schnell würde er ihr nicht entkommen. Doch auf der anderen Seite des Stadttors geriet sie in eine Gruppe böhmischer Säumer, die sie aufhielten. Die Männer trugen die für Säumer typischen Gewänder, weiße oder rote Leinenhemden mit grünen oder blauen Filzüberwürfen darüber, einen Strick als Gürtel und braune Hosen aus Wildleder. Einer von ihnen hielt Teresa lachend am Arm fest.
»Seht nur, Männer, ein hübsches Küken habe ich gefunden, das ganz allein zu sein scheint.« Er grinste breit.
»Lass mich los«, schimpfte Teresa. Sie wollte sich losreißen, aber der Bursche hielt ihr Handgelenk fest. Er sprach mit böhmischem Akzent, sein Atem roch nach Pfeifentabak und Wein. Teresa spuckte ihm wütend ins Gesicht.
»Eher ein zickiges Hühnchen, Jiri«, sagte ein anderer, ebenfalls mit böhmischem Akzent, und zeigte beim Lachen seine fauligen Zähne.
»Lasst mich los. Rupert, so hör mich doch! Rupert!«, rief Teresa laut.
»Sie ruft nach ihrem Gatten«, sagte ein weiterer Bursche, der strohblondes Haar und helle blaue Augen hatte. Hätte er nicht so hämisch gegrinst, Teresa hätte ihn beinahe hübsch gefunden. Sein Gesichtsausdruck wurde gehässig, er machte einen Schritt auf sie zu.
»Ist dir dein Ehegatte abhandengekommen, mein Täubchen?« Er drehte sich zu seinen Kameraden um. »Was machen wir denn jetzt mit dem hübschen Mädchen? Allein können wir es schlecht zurücklassen. Oder was meint ihr?«
»Lasst sie gehen«, erklang plötzlich eine tiefe Stimme. »Am helllichten Tag ein Mädchen belästigen, euch werde ich Beine machen.«
Teresa wandte den Kopf. Ein Bär von einem Mann schob sich durch die Menge. Er hatte dunkles Haar, einen Vollbart, starke Oberarme und war braungebrannt. Die ersten Leute blieben neugierig stehen. Hilfesuchend schaute sich Teresa um, doch ihr Bruder war weit und breit nicht zu sehen. Der dunkelhaarige Mann trat näher an den Böhmen heran.
»Lasst das Mädchen los und verschwindet. Gesindel wie euch können wir hier nicht gebrauchen.«
»Gesindel nennst du uns«, antwortete der blonde Böhme und richtete sich zu voller Größe auf. »Uns, die tapferen Burschen, die das Weiße Gold nach Böhmen bringen.«
Der bärtige Mann machte einen Schritt auf den Blonden zu. »Tapfere Männer, dass ich nicht lache. Was hat euch das Mädel getan, dass ihr es so unflätig behandelt?«
Er griff nach Teresas Arm und wollte sie zu sich ziehen, aber der Säumer ließ sie nicht los. »Verschwinde. Es ist unsere Sache, mit welchen Weibern wir es haben.« Er spuckte vor dem Hünen auf den Boden.
»Du elender, respektloser Bursche, dir werde ich es zeigen.« Der Hüne machte einen schnellen Schritt auf den Säumer zu, umfasste mit seinen riesigen Pranken seinen Hals und begann ihn zu würgen. Überrascht ließ der Säumer Teresa los. Weitere Männer mischten sich ein.
Teresa wurde zur Seite geschubst und fiel zu Boden. Um sie herum sah sie nur noch Stiefel und Hosenbeine, lautes Gebrüll drang an ihr Ohr. Neben ihr zog ein Bursche seinen Dolch aus dem Gürtel. Erschrocken riss sie die Augen auf und versuchte, auf allen vieren der Menge zu entkommen. Einige Male trat irgendjemand gegen ihre Beine, ein harter Schlag traf sie am Kopf, ihre Haube ging verloren, und ihr Zopf löste sich. Da drang plötzlich die Stimme ihres Bruders an ihr Ohr, und sie spürte seine Hände, die sich um ihre Taille legten. »Komm schnell, lass uns verschwinden.«
Gemeinsam flohen sie vor dem Pöbel über den Marktplatz und suchten in einer engen Gasse Schutz.
Nach Luft japsend, ließ sich Teresa gegen eine Hauswand sinken. Nach einer Weile wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht und richtete ihr Haar. »Die Haube ist weg«, sagte sie, während sie ihren Zopf neu flocht.
Ihr Bruder stand neben ihr. Eine der Holzfiguren, ein kleines Pferdchen, war zu Boden gefallen. Teresa bückte sich und hob es auf.
»Wärst du nur bei den anderen geblieben, dann wäre das alles nicht passiert«, rügte Rupert sie.
»Um mich zu langweilen, während du dich über den Tisch ziehen lässt?« Teresas Ton klang vorwurfsvoll.
»Nein, damit du in Sicherheit bist. Du siehst doch, was passiert ist.«
»Wärst du bei mir geblieben, hätten mich die Männer erst gar nicht angefasst«, antwortete Teresa schnippisch und verschränkte die Arme vor der Brust. Rupert seufzte. Sie hatte recht. Er hätte besser auf sie achtgeben müssen. Er war seit dem Tod ihrer Eltern das Familienoberhaupt, derjenige, der den Ton angab. Jedenfalls sollte das so sein, aber die Wirklichkeit sah anders aus. Teresa hatte wie schon so oft ihren Willen durchgesetzt.
»Nimmst du mich jetzt mit?«, fragte sie.
»Ich kann ja doch nicht verhindern, dass du mir nachläufst«, antwortete er resigniert. Wieder einmal hatte sie gewonnen. »Aber ich rede, und du hältst dich zurück.« Er hob mahnend den Zeigefinger.
Über Teresas Lippen huschte ein Lächeln. »Versprochen, ich werde ganz still sein. Eine Unterstützung im Hintergrund, mehr nicht.« Sie hängte sich bei ihm ein, und die beiden verließen die Gasse. Auf dem Marktplatz wurden sie von der warmen Oktobersonne empfangen. Der Tumult am Stadttor hatte sich aufgelöst. Die böhmischen Säumer waren genauso verschwunden wie der dunkelhaarige Hüne. Teresas Stimmung besserte sich. Sie summte eine Melodie und atmete tief den Duft von frisch gebackenem Brot ein, während sie an Marktständen und dem Stadtbrunnen vorbeiliefen. Rupert...
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