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Die ursprüngliche englische Ausgabe von Wetter, Viren und Wahrscheinlichkeit (Do Dice Play God?) erschien vor Beginn der COVID-19-Pandemie; darum wurde dieses aktuelle und wichtige Beispiel für Ungewissheit und ihre Berechnung auf globaler Ebene nicht erwähnt - ich hole das in diesem Vorwort nach, das während der Pandemie selbst verfasst wurde.
Die Pandemie illustriert sehr deutlich einige Schlüsselelemente, die den heutigen Umgang mit Ungewissheit kennzeichnen. Zunächst sollte man anführen, dass das Ausmaß, in dem ein solches Ereignis «vorhersehbar» ist, davon abhängt, was man vorhersagen will. Die Ärzteschaft und die wichtigsten internationalen medizinischen Institutionen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben seit Jahren gewarnt, eine große und globale Pandemie sei unausweichlich und dass Regierungen in aller Welt sich darauf vorbereiten sollten. Die Logik dahinter ist leicht nachvollziehbar. Ständig entwickeln sich neue Viren. Störungen der natürlichen Umwelt, die in großem Maßstab stattfinden, können dazu führen, dass einige Viren von Tieren auf Menschen überspringen, und das geschieht dann auch. Durch den weltweiten Reiseverkehr, vor allem den Flugverkehr, kann sich eine neue Infektionskrankheit innerhalb weniger Wochen über den ganzen Globus verbreiten. Unser Lebensstil schafft ideale Bedingungen für die Entwicklung und die weltweite Verbreitung neuer Krankheitserreger.
Niemand indessen konnte vorhersagen, wann eine Pandemie ausbrechen würde und welche Form sie annehmen würde. Viele Regierungen erstellten Pläne, um mit einer Influenza-Pandemie fertigzuwerden; nur wenige zogen die Möglichkeit einer Coronavirus-Pandemie in Betracht, obgleich die WHO ausdrücklich vor einer solchen Möglichkeit gewarnt hatte.
Der nächste Punkt ist, dass wir inzwischen über Instrumente zur Untersuchung und Bekämpfung von Epidemien und Pandemien verfügen. Viele dieser Werkzeuge verdanken wir Fortschritten in Biologie, Medizin und Ingenieurswissenschaften; die erstaunlich rasche Entwicklung und Herstellung von Impfstoffen gegen COVID-19 ist ein gutes Beispiel dafür. Da es in diesem Buch um Mathematik geht, will ich mich auf eine Auswahl der mathematischen Instrumente beschränken, die uns inzwischen zur Verfügung stehen.
Die Auswirkungen einer Infektionskrankheit hängen von vielen Faktoren ab: wie ansteckend sie ist, wie lange die Inkubationszeit dauert, ob schon offensichtliche Symptome auftreten, bevor die Erkrankung ansteckend wird oder erst danach, und wie stark sie die menschliche Gesundheit gefährdet. Keines dieser Merkmale ist in dem Sinne vorhersagbar, dass wir es im Vorhinein bestimmen können. Aber sobald sich die Krankheit manifestiert und wir immer mehr Informationen erhalten, kann die medizinische Gemeinschaft wissenschaftliche Methoden einsetzen, um sie besser zu verstehen, und mathematische Methoden verwenden, um zu prognostizieren, wo und wann die Krankheit sich ausbreiten wird. Auch wenn solche Prognosen nicht perfekt sind, so sind sie doch ausreichend präzise, um der Politik als Leitfaden zu dienen, und die Bandbreite wahrscheinlicher Fehler lässt sich einschätzen.
Dazu werden verschiedene mathematische Methoden eingesetzt. Mithilfe der Statistik lässt sich die Wahrscheinlichkeit abschätzen, mit der sich Menschen anstecken oder an der Infektion sterben; ebenso, in welcher Weise bestimmte Interventionen die Ausbreitung der Krankheit beeinflussen. Die medizinische Statistik ist heutzutage hoch entwickelt: Siehe dazu auch Kapitel 12.
Ein weiterer Ansatz ist die Modellierung, bei der Wissenschaftler ein «mathematisches Modell» entwickeln. In diesem Zusammenhang meint der Begriff «Modell» nicht irgendetwas, das man aus Kunststoffteilen baut, zum Beispiel ein Modellflugzeug. Vielmehr bezieht er sich auf ein mathematisches System, das Schlüsselelemente der Infektion enthält, gewöhnlich als ein System von Gleichungen. Diese Gleichungen fassen grundlegende Merkmale der Krankheit zusammen, und die Lösungen der Gleichungen lassen uns verstehen, wie sich die Krankheit entwickelt und ausbreitet. Bis zu einem gewissen Grad erlauben uns diese Lösungen auch Vorhersagen, wie dies geschieht und welche Auswirkungen verschiedene Strategien (wie das Tragen von Masken oder Impfungen) vermutlich haben werden.
Mit modernen Computern ist es relativ einfach, die betreffenden Gleichungen zu lösen, es sei denn, das Modell ist extrem komplex. Der schwierige Schritt besteht darin, Modelle zu entwickeln, die so einfach sind, dass sie sich berechnen lassen, aber dennoch so realistisch bleiben, dass sie die Wirklichkeit recht präzise abbilden. Albert Einstein wird der Satz zugeschrieben, man sollte die Dinge so einfach wie möglich ausdrücken, aber nicht einfacher. Es ist die alte Zwickmühle mit der Landkarte und dem Gelände. Wenn die Karte zu simpel ist, bildet sie die Realität nicht ab, doch wenn sie allzu komplex ist, wird sie nutzlos. Wenn die Karte identisch mit dem Gelände ist, stellt sie ein perfektes Modell dar, aber dann braucht man sie nicht. Irgendwo in der Mitte findet sich der ideale Punkt, an dem die Karte einfängt, was für den beabsichtigten Zweck wichtig ist, ohne die Dinge durch Hinzunahme unwichtiger Faktoren allzu sehr zu komplizieren.
Solche Modelle zu entwickeln, erfordert viel Erfahrung, Fachwissen und eine ganze Menge an Versuch und Irrtum. Nichtmathematiker lassen sich zudem nur allzu leicht von der Komplexität des Modells und all den seltsamen Symbolen beeindrucken, in denen es sich ausdrückt, während sie sich doch darauf konzentrieren sollten, ob es einigermaßen präzise Vorhersagen über das erlaubt, was man wissen möchte.
Mathematische Modelle der Ausbreitung einer Krankheit lassen sich in zwei Haupttypen unterteilen. Ich will mit «klassischen» epidemiologischen Modellen beginnen. Sie arbeiten mit Quantitäten, die über die gesamte Population einer Stadt oder eines Landes gemittelt werden und faktisch davon ausgehen, dass jedermann in etwa demselben Infektionsniveau ausgesetzt ist und in etwa dasselbe Infektionsrisiko trägt. Hier kommt der häufig verwendete «R-Wert» - die mittlere Infektionsrate - ins Spiel. Weitere mathematische Fachbegriffe werden ebenso häufig verwendet, aber nicht immer erklärt; daher will ich versuchen, einen kurzen Überblick über die wichtigsten Begriffe zu geben, auf die Sie vielleicht schon gestoßen sind.
In der Frühphase einer Epidemie, wenn sich die Krankheit in einer Bevölkerung ohne angeborene Immunität ausbreitet, wächst die Zahl der Infizierten «exponentiell». Das heißt, dass sich die Zahl der Infizierten im Verlauf einer festgelegten Zeitspanne um einen konstanten Betrag vervielfacht. Beispielsweise kann sie sich jede Woche verdoppeln oder alle drei Tage mit 1,1 multipliziert werden. Exponentielles Wachstum finden die meisten von uns nicht intuitiv eingängig, denn es fängt langsam an und scheint zunächst keine große Gefahr darzustellen, um dann plötzlich geradewegs zu explodieren. Eine alte Legende, die aus dem Jahr 1256 n.Chr., wenn nicht gar aus noch früherer Zeit stammt, veranschaulicht dies. Der Erfinder des Schachspiels wird vom König aufgefordert, sich eine Belohnung zu wünschen. Er bittet um ein Reiskorn auf dem ersten Schachfeld, zwei Reiskörner auf dem zweiten, vier auf dem dritten und so weiter, also jedes Mal eine Verdopplung, bis alle Felder belegt sind. Der König lacht: nur ein paar Körner auf jedem Feld! Schließlich kommen nach dem sechsten Feld erst 63 Körner zusammen! Dann rechnet sein Schatzmeister ein wenig genauer nach und stellt fest, dass die Gesamtmenge an Reis all das, was das Land produzieren kann, weit übersteigt. Am Ende würden sich auf dem Schachbrett 18446744073709551615 Reiskörner türmen. Mit modernen Anbaumethoden würde es mehr als tausend Jahre dauern und den ganzen Planeten brauchen, um so viel Reis zu produzieren.
Ähnlich gibt es ein weitverbreitetes Partyspiel, bei dem ein großes Blatt Papier, zum Beispiel ein Zeitungsblatt, wiederholt auf die Hälfte gefaltet wird. Hier verdoppelt sich die Dicke mit jedem Falten. Anfangs geht das leicht, doch bald erreicht die Dicke einige Millimeter. Zugleich halbiert sich die Papierfläche mit jedem Mal weiter. Bald hält man eine kleine, dicke Masse Papier in der Hand, die zu steif ist, um sie weiterzufalten. In der Praxis sind in der Regel sieben Faltungen alles, was man schafft.
Etwa so verhält es sich bei COVID-19 - anfangs jedenfalls. Der berühmte R-Wert gibt an, wie viele weitere Menschen ein Infizierter im Mittel ansteckt. Beim ursprünglichen Virenstamm blieben Infizierte rund 8-9 Tage lang ansteckend; um die Dinge zu vereinfachen, sagen wir eine Woche. Angenommen, der R-Wert beträgt 1,1. Nach einer Woche hat jeder Infizierte im Durchschnitt 1,1 neue Infektionen verursacht. Eine Woche später beträgt die Zahl 1,1 × 1,1 = 1,21 - immer noch wenig. In den folgenden Wochen wächst diese Zahl auf 1,33, dann 1,46, dann 1,61. Nach acht Wochen liegt die Zahl knapp über 2. Noch immer scheint alles unter Kontrolle. Aber beachten Sie: Nun sind wir an derselben Stelle wie bei der Legende von dem Schachspiel und den Reiskörnern, denn die Zahl verdoppelt sich alle acht Wochen. Ist der R-Wert größer, steigen die Zahlen rascher an, und das Wachstum beschleunigt sich. Ist er kleiner, dauert es länger. Ist R gleich 1, bleibt die Zahl der Infizierten konstant; ist R kleiner als 1, sinkt sie.
Zu Beginn der COVID-19-Pandemie erlaubte die britische Regierung Passagieren aus Ländern,...
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