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Wie von LaClair angekündigt, erschien die Pressemitteilung des LAPD gleich früh am nächsten Morgen. Sie löste in Emma eine neue Welle der Trauer aus, die aber irgendwie anders war als die Trauer der letzten Monate. Emma war nicht nur traurig, sie hatte es vor allem satt, traurig zu sein.
Sie merkte, dass Jill sich Sorgen machte, denn bevor sie zur Arbeit fuhr, stellte sie eine große Tasse Kaffee und Emmas Lieblingssandwich aus der Bäckerei bei ihnen um die Ecke auf den Tisch. Emma nahm es mit in ihr Zimmer, kroch wieder ins Bett (das immer noch nicht frisch bezogen war) und nahm einen Bissen. Den sie allerdings kaum hinunterbrachte. Jills Sorge um ihr Wohlergehen freute sie und war ihr gleichzeitig unangenehm, weil sie sich schämte, ihre Freundin so sehr zu brauchen. Jill kümmerte sich gern um ihre Liebsten, Emma wollte diese Großzügigkeit allerdings nicht ausnutzen. An Tagen wie diesen wünschte sie sich noch mehr als sonst, eine Familie zu haben, Angehörige, mit denen sie die Trauer teilen konnte.
Als Maggies und Emmas Mutter vor fast neun Jahren an Bauchspeicheldrüsenkrebs erkrankt war, hielten die Schwestern zusammen. Nachdem sich der Gesundheitszustand ihrer Mutter verschlechterte und sie ihre Arbeit aufgeben musste, ging alles so schnell. Als sie dadurch keine Krankenversicherung mehr hatte, übernahmen Emma und Maggie ihre Pflege.
Eines Abends schlief ihre Mutter gerade - mit den angestrengten, flachen Atemzügen einer Sterbenden -, und Maggie schlug vor, einen Film anzuschauen, um mal etwas anderes zu tun, als ihrer Mutter die Windeln zu wechseln, sie mit Kartoffelbrei zu füttern oder ihre Morphiumpumpe einzustellen. Nebeneinander lagen sie auf Maggies Bett, das noch aus dem gemeinsamen Kinderzimmer stammte, und streamten Ein Zwilling kommt selten allein auf Maggies Laptop.
»Wir werden wieder zu Kindern«, sagte Emma.
»Kann schon sein«, gab Maggie zu. »Aber unter den Umständen finde ich das okay.«
Während sie Lindsay Lohan bei ihrem geheimen Handschlag mit dem Butler zusahen, spielte Maggie mit Emmas Haaren. »Kannst du sie mir flechten?«, fragte Emma. Damals trug sie die Haare noch lang und hatte sie seit gut einer Woche nicht mehr gewaschen.
»Klar«, sagte Maggie. Sie gab den Laptop an Emma weiter, die ihn neben das Bett auf den Boden stellte. Schweigend saßen sie da, während Maggie ihrer Schwester die verfilzten Haare bürstete, sie in der Mitte teilte und zu zwei strammen Zöpfen flocht. Diese Zöpfe behielt Emma, bis ihre Mutter ein paar Tage später starb und Maggie sie zwang, sich endlich die Haare zu waschen.
Damals war sie zum ersten Mal in schwärzeste Depressionen abgestürzt, und es hatte ihr einen Schock versetzt. Sie hatte keine Kraft gehabt, sich anzuziehen, zu essen, zu duschen. Maggie als ältere Schwester kümmerte sich um alles, organisierte die Beerdigung und legte Emma die Kleidung dafür heraus. Sie war liebevoll und beschützend, aber nicht bevormundend. Sie mailte Emmas Dozenten und bat um verlängerte Abgabefristen. Sie entschied, wo sie ihre Mutter beerdigen würden und was auf dem Grabstein stehen sollte. Sie fuhr die Sachen ihrer Mutter zur Heilsarmee. Emma fühlte sich an die achte Klasse erinnert, als sie eine Pink Lady in Grease gespielt und zwei Abende vor dem Aufführungswochenende schreckliches Lampenfieber entwickelt hatte. Maggie, die da in der zehnten Klasse gewesen war, hatte jeden Abend in der ersten Reihe gesessen, Emmas Texte lautlos mitgesprochen und ihr damit Kraft gegeben.
Maggie war in allen wichtigen Belangen die Starke, sodass Emma zusammenbrechen konnte. Und wenn Emma ehrlich zu sich war, dann fühlte sich das auch irgendwie gut an. Vielleicht nicht direkt gut, aber zumindest richtig. Sie hatte sich ihrer Trauer völlig ergeben und war danach innerlich leer und leicht gewesen. Jetzt nach Maggies Tod war sie ganz allein auf der Welt. Keine Eltern, keine Großeltern, keine Geschwister. Niemand. Nur noch sie. Sie und Jill. Und jetzt musste sie die Starke in ihrem jämmerlichen Leben sein.
Maggie und Emma waren in Kansas aufgewachsen, etwa eine Stunde von Topeka entfernt, in einer kleinen Siedlung am Rand der »Stadt«. Es war eine kleine Gemeinde, die hauptsächlich aus Farmen bestand, einem Postamt, einem Dollarstore und einem kleinen Lebensmittelladen. Ihre Mutter Melinda arbeitete als Anwaltsgehilfin und war alleinerziehend. Melinda war als Erste in ihrer Familie aufs College gegangen und hatte mit einem Vollstipendium an der Kansas State University studiert. Nach dem Abschluss und bis zu ihrer Krebsdiagnose pendelte sie jeden Tag eine Stunde zu einer Anwaltskanzlei in Topeka. Ihren Vater hatten die Mädchen nie gekannt, und Melinda erzählte auch nicht viel. Sie wussten nur, dass er drogenabhängig und lange genug mit ihrer Mutter zusammen gewesen war, um sie zweimal zu schwängern. Emma hatte keine Erinnerungen an ihn, und auch Maggie wusste nicht mehr viel. Das Thema war für ihre Mutter tabu. Irgendwann hatten sie das Interesse an ihm verloren. Als Emma dreizehn und Maggie fünfzehn war, rief die Polizei von Tallahassee an und informierte ihre Mutter, dass er an einer Überdosis gestorben sei. Die Beerdigung fand im Norden von Florida statt, und sie nahmen nicht daran teil. Sie hätten sowieso kein Geld für die Flüge gehabt.
Öffentlich sprach Maggie nie über ihre Vergangenheit, das wenige Geld und die toten Eltern. Sie sagte zu Emma, bei LoveShack hätte sie das Image des netten Mädchens von nebenan, und auch wenn sie es mit der tragischen Geschichte ihrer Eltern gut und gern auf das Cover von People hätte schaffen können, machte sie die schweren Zeiten und Tragödien ihres Lebens nie zum Thema. Sogar in der Berichterstattung über ihren Tod wurde die Vergangenheit nur am Rande erwähnt. In ihrem Wikipedia-Eintrag war es im Absatz »Kindheit« in zwei Zeilen vermerkt; von den Jahren voller Entbehrungen und all den Anstrengungen, etwas anderes als das langweilige hübsche Blondchen aus Kansas zu sein, war dort nichts zu lesen.
Tatsächlich hatten Maggie und Emma ihre Kindheit geliebt. Sie hatten es geliebt, allein mit ihrer Mutter zu sein und ihre volle Aufmerksamkeit zu erhalten. Ja, sie waren aus der Arbeiterklasse, aber es hatte ihnen an nichts gefehlt. Und es war immer klar, dass sie aufs College gehen würden, um danach gute Jobs zu bekommen. Emma war eine sehr gute Schülerin und erhielt ein Stipendium. Auch wenn sie nach dem College nicht viel Geld verdiente, konnte sie ihrer Mutter immer etwas für die laufenden Kosten schicken. Nachdem Maggie zum Star geworden war, hatten die Lathrop-Schwestern gedacht, sie hätten es zu etwas gebracht. Jetzt erschien es Emma nur noch lächerlich, dass ihr das alles irgendwann einmal wichtig gewesen war.
Emma zwang sich, ein Viertel des Sandwiches zu essen, wovon ihr aber nur übel wurde. Es war Zeit für ihre »Maggie-Recherchen« - eine Stunde, die sie sich jeden Morgen zugestand, in der sie das Internet nach Verschwörungsmythen und vielleicht nützlichen Informationen zum Mord an Maggie durchforstete. Es verschaffte ihr ein krankes Gefühl der Befriedigung, Maggies Namen in Google einzutippen. Die erste Suchanfrage war natürlich die beste. Bei der ersten Suche erschien noch alles möglich. Vielleicht würde sie den Mord an Maggie ja durch Googeln aufklären. Doch während sie von einer Social-Media-Plattform zur nächsten wechselte und immer wieder die Seiten aktualisierte, fühlte sie sich zunehmend leer und lethargisch.
So konnte sie gut und gern den ganzen Tag weitermachen, weshalb Jill vorgeschlagen hatte, das Detektivspielen im Internet auf ein gesünderes zeitliches Maß zu begrenzen. Doch das war gar nicht so leicht umzusetzen.
An diesem Morgen ging es überall um die Ankündigung des LAPD, Maggies Fall zu den Akten zu legen. Der Mord an Maggie hatte, wenig überraschend, großes Medieninteresse hervorgerufen - schließlich war sie berühmt und hübsch gewesen und hatte Millionen Fans gehabt. Reddit und TikTok waren voller Verschwörungsmythen, hauptsächlich zu Lucía und Javier, und nach jeder größeren Neuigkeit zu dem Fall wurde im Netz fieberhaft darüber diskutiert. Gelegentlich parkten danach Paparazzi vor Theos neuer Wohnung und hofften auf einen Kommentar.
Vor ihrem Tod hatte Maggie hauptsächlich im Homeoffice gearbeitet und das Haus voll gestylt nur für Influencer-Veranstaltungen und geplante Besuche im japanischen Nobelrestaurant Nobu oder einem der schicken Erewhon-Supermärkte verlassen. Sie hasste es, von Paparazzi umringt zu sein, was aber oft passierte, nachdem ihre Videos mit Theo bekannt geworden waren. Durch diese geplanten Auftritte konnte sie der Presse zu ihren Bedingungen entgegentreten. Ihr Team informierte die Fotografen im Vorfeld über Ort und Uhrzeit, und im Gegenzug ließen diese sie bei Zahnarztbesuchen oder Essen mit der Familie in Ruhe. Doch normalerweise ließ Maggie ihre Schwester von einem Fahrer abholen und nach Calabasas bringen, einem Villenvorort im Norden von Malibu, wo sie und Theo sich anderthalb Jahre nach dem Start von LoveShack ein Haus gekauft hatten. Dort saßen sie dann im Garten, unterhielten sich und aßen alles, was Maggies Koch ihnen zubereitet hatte. Allerdings waren sie dort nie allein. Immer waren diverse Angestellte um sie herum, und Theo war ebenfalls oft zu Hause. Seit LoveShack war Maggies Kalender prall mit Terminen gefüllt, die von den Menschen um sie herum und ihrem Leben als Influencerin vorgegeben wurden: Stunden, in denen Videos gedreht wurden, Fitness mit dem Personal Trainer, Styling für Events, Telefonkonferenzen mit Werbepartnern. Auch wenn sie zum ersten Mal seit Kansas in derselben Stadt lebten, sahen sie sich seit...
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