Wilde Pläne
Maya
Das ist deine Chance!!!
Bist du zwischen 18 und 29, Single, aufgeschlossen und hast gerne Spaß?
Dann bewirb dich bei XXL-Media-Entertainment für unsere neue Show »Traummann gesucht« bzw. »Traumfrau gesucht« für den Urlaub deines Lebens!
Wir drehen in der Karibik!!!
»Ja, und .?« Maya hob den Blick von dem bunt bedruckten Blatt Papier zum Gesicht ihrer besten Freundin Marie-Jasmin, genannt Jasmin.
»Na, steht doch hier! Das ist unsere Chance!«
Maya las den Text erneut. Der Sinn von Jasmins Aussage erschloss sich ihr trotzdem nicht. Ihre Freundin arbeitete seit einigen Monaten für XXL-Media-Entertainment, aber bei einem Fernsehmagazin für Promi-News. »Macht eure Redaktion diese Show?«
»Nein. Hab's nur durch Zufall gesehen.« Jasmin strich das Blatt Papier auf ihrem Sofa glatt, auf dem sie beide saßen. Im Gegensatz zu Maya wohnte sie noch bei ihren Eltern, die das Dachgeschoss für sie ausgebaut hatten. Hier trafen sie sich seit über zehn Jahren, seit sie in der Schule in die gleiche Klasse gekommen und beste Freundinnen geworden waren.
Sie sahen sich sogar fast zum Verwechseln ähnlich, obwohl sie aus völlig unterschiedlichen Familien kamen. Beide waren Anfang zwanzig, sportlich, schlank, etwa gleich groß und hatten lange dunkle Haare.
Sie interessierten sich auch beide für Medien und beide hatten sie, nachdem Maya sich auf Bitten ihrer Mutter nicht für Journalismus eingeschrieben hatte, an der Hochschule für Medien in Köln studiert. Mit diesem Studium konnte sie später immer noch in eine journalistische Richtung gehen. Für Maya war diese Rücksichtnahme auf ihre Familie selbstverständlich, auch wenn viele ihrer Freunde so etwas nicht verstanden. Ihr Vater war Journalist gewesen, zu einer Zeit und in einem Land, in dem freie Meinungsäußerungen lebensgefährlich sein konnten. Maya hatte früh gelernt, sich zurückzuhalten. Nur mit Jasmin hatte sie manchmal über ihre Vergangenheit gesprochen, und warum in ihrer Familie der Zusammenhalt so wichtig war.
Inzwischen lebte sie in Deutschland, beherrschte die Sprache wie ihre Muttersprache, hatte einen deutschen Pass und genoss die Freiheit, die sie hier hatte. Aber es gab Grenzen.
Jasmin hatte nach dem Bachelor direkt angefangen, für einen Privatsender zu arbeiten. Zwar hangelte sie sich von einem schlecht bezahlten befristeten Vertrag zum nächsten, aber da ihre Eltern sie weiterhin finanziell unterstützten, störte sie das nicht weiter. Durch ihren Job lernte sie viele bekannte Menschen kennen und genoss ein Stück vom Glamourleben.
Maya hingegen hatte entschieden, weiter zu studieren. Sie war gerade auf der Suche nach einem Thema für ihre Masterarbeit. Einem Thema, das ihre Professorin interessieren, sie beruflich weiterbringen und ihre Mutter nicht aufregen würde. Die Quadratur des Kreises.
Sie wandte sich wieder ihrer besten Freundin zu. »Du verschweigst mir doch irgendwas, oder?«
»Nein, wieso?« Jasmin versuchte, unschuldig zu gucken, gab aber schnell auf. »Also schön. Im Sender reden alle von dieser tollen neuen Show, deshalb habe ich Sandra, die zuständige Redakteurin, bequatscht, dass ich zum Casting gehen kann.«
Das war eine von Jasmins Stärken: Leute so lange zu bequatschen, bis sie genervt zustimmten, selbst wenn sie nicht wollten. Auch Maya hatte diese Erfahrung ein paar Mal machen müssen.
Sie schob das Blatt auf Jasmins Sofaseite zurück. »Du bist verrückt. Ist das überhaupt erlaubt, dass sich Interne als Kandidaten bewerben?«
»Mir doch egal.« Jasmin grinste. »Hey, da kommst du zwei Wochen umsonst in die Karibik und wirst berühmt!«
»Ich ganz sicher nicht«, stellte Maya klar. »Ich bin schüchtern, ich bin kamerascheu und meine Eltern würden mich niemals mitmachen lassen. Außerdem weißt du ganz genau, dass ich lieber hinter als vor der Kamera arbeiten möchte.«
»So schüchtern bist du auch wieder nicht. Immerhin weiß ich, wie du dir dein Studium verdienst.«
Maya wurde rot. Sie hatte zunächst in einer Bar gearbeitet, um sich das Geld für eine Sprecherausbildung zu verdienen. Doch es war schwer gewesen, gut bezahlte Sprecherjobs zu finden. Bis - ja, bis man sie gefragt hatte, ob sie sich vorstellen könnte, ausländische Pornos zu synchronisieren.
Zu diesem Zeitpunkt hatte sie gerade einmal einen Freund gehabt, mit dem außer ein bisschen Rumgeknutsche nicht viel gelaufen war. Entsprechend hatte der Job sie anfangs zutiefst schockiert. Aber er war lehrreich gewesen, und mit ihrer dunklen, rauchigen Stimme, die auf viele Männer unglaublich sexy zu wirken schien, hatte sie viel Geld verdient. Geld, mit dem sie ihr Studium und ihr kleines WG-Zimmer finanzierte, und gelegentlich das Taschengeld ihrer jüngeren Schwester aufbesserte. BAföG hatte sie nicht beantragen wollen. Ihre Familie hatte ihren Stolz, und auch Maya war stolz darauf, sich im Leben alles selbst zu erarbeiten. Manchmal hasste sie die Oberflächlichkeit, die sie - gerade im Medienbereich - umgab, obwohl sie selbst Teil der Branche war.
Von ihrem Sprecherjob hatte sie ihren Eltern selbstverständlich nicht erzählen können. Die waren alles andere als freizügig aufgewachsen, obwohl sie zur intellektuellen Mittelschicht gehört hatten. Ihre Mutter war ausgebildete Ärztin, aber als sie in Deutschland ankamen, war sie so traumatisiert gewesen, dass sie beruflich nicht hatte Fuß fassen können.
Also blieb Maya als einziges Ventil zum Reden Jasmin, die zu diesem Zeitpunkt schon viel erfahrener war und meinte, dass auch Pornosynchronisation letztendlich nur ein Job war.
Dieses Vertrauen schien sich gerade zu rächen. »Nicht alle können gut verdienende Eltern haben«, antwortete sie etwas schärfer als beabsichtigt. Ihr Vater arbeitete bei einem Autozulieferer, der gerade Kurzarbeit angeordnet hatte.
»Ach, komm, war doch nicht so gemeint.« Jasmin legte den Arm um sie. »Du bist eine tolle Frau, und du bist so hübsch. Ich kann echt nicht verstehen, warum du nicht an jeder Hand zehn Verehrer hast.«
Da sie sich so ähnlich sahen, war das Kompliment wahrscheinlich mehr für sie selbst gedacht als für Maya. »Danke, aber ich bin auch alleine glücklich. Außerdem habe ich gar keine Zeit für einen Freund.«
Jasmin wedelte erneut mit dem Blatt. »Über diese Show wirst du bekannt. Selbst, wenn es mit dem Traummann nicht klappt, gibt es danach jede Menge andere Männer, die dich daten wollen.«
»Ehrlich, Jasmin, du kannst doch nicht ernsthaft über so etwas nachdenken! All die kamerageilen Tussis, die in diesen Casting-Shows um Aufmerksamkeit buhlen und danach wieder in der Versenkung verschwinden. Früher fandest du das auch peinlich. Willst du jetzt etwa zu denen gehören?«
»Diesmal ist es anders. Die Redakteurin sagte, sie wollen was mit Anspruch machen.«
»Jasmin, nach dem, was ich über XXL-Media gehört habe, suchen die magersüchtige Models, die sich anzicken, damit die Show Quote macht. So etwas wollen die Leute sehen. Keinen normalen Mann und keine normale Frau, die sich ganz unspektakulär verlieben.«
Doch Jasmin hörte gar nicht richtig zu. »Angeblich völlig anders als die anderen Bachelor-Formate. Kürzer und knackiger. Das Filmen zieht sich nur über zwei Wochen hin. Ob der Traummann wohl Millionär ist?«
»Ganz bestimmt nicht. Warum sollte sich so jemand für solch ein Format hergeben?«
Jasmin zog die Nase kraus. »Ist doch egal. Ich will bekannt werden und meine eigene Sendung bekommen. Über so eine Show erreiche ich viel mehr Aufmerksamkeit, als wenn ich jahrelang als kleine Assistentin in irgendwelchen Redaktionen rumjobbe.«
Maya schüttelte sich. »Du siehst doch, wo das hinführt. Ins Dschungelcamp. Igitt.«
»Aber diese Sendungen haben traumhafte Einschaltquoten. Danach kennt dich jeder.«
»Glaub mir, durch so eine Show willst du nicht bekannt werden. Daran nehmen bestimmt nur hohlköpfige Model-Typen teil. Das ist nichts für uns.«
Sandra
Was für eine Chance - und was für ein Risiko!
Hauptredakteurin bei der neuen Show, mit welcher der Sender zeigen wollte, dass er auch innovative Formate beherrschte. Zwei Wochen in der Karibik, in der sie die Verantwortung für zwanzig Kandidatinnen hatte und mitentscheiden sollte, welche Szenen später gesendet würden. Diese Show war die Chance, auf die sie seit Jahren gewartet hatte - und der Stolperstein, der ihre Karriere beenden konnte, bevor sie überhaupt richtig begonnen hatte.
Denn natürlich hatte der Sender nur ein kleines Budget zur Verfügung gestellt, so dass lediglich zwei Redaktionsteams eingeplant waren. Die zweite Redakteurin würde gleichzeitig als Moderatorin fungieren. Es durfte wirklich nichts schief gehen. Spielraum für Improvisationen war nicht eingeplant.
Das größte Risiko aber saß hinter der Tür vor ihr. Rudolf Müller, genannt Richie Valentino. Ein Relikt aus der Zeit, als sie noch als Titten-und-Ärsche-Sender verschrien waren. Die Zeiten hatten sich geändert, Richie war geblieben. Guckte den ganzen Tag über Internetpornos, wie jeder hier im Sender wusste, aber niemand anzusprechen wagte, und erzählte jedem von den guten alten Zeiten. Sprich: wo man seine Praktikantinnen noch lüstern ansehen konnte, ohne gleich eine Klage wegen sexueller Belästigung am Hals zu haben. Zeiten, als...