1. Kapitel
Der sonntägliche Gottesdienst in der Pfarrkirche zu Malta ist beendet, der Geistliche hat sein »Ite missa est« gesprochen. Mit den verrauschenden Orgeltönen strömen auch die Gläubigen durch das hohe Portal ins Freie und betreten den Friedhof, der sich eng in den Schutz der Kirche schmiegt. Blumen in verwirrender Buntheit und immergrüne Sträucher und Ranken geben diesem Garten der Ruhe ein freundliches Gepräge.
Die Menschen stehen noch lange in kleinen Gruppen beisammen, sie haben sich allerlei zu erzählen; denn außer an Sonntagen treffen sie einander kaum. Ihre Höfe liegen zum Teil hoch oben auf dem Maltaberg, und das erklärt auch, warum sie Haus und Feld an Wochentagen nur selten verlassen können, es sei denn, dass einer nach der Tauernstadt Gmünd muss, um als Graf-Lodronscher Urbarsuntertan der Grundherrschaft zu zinsen. Und dabei trifft es sich manchmal, dass er auf den Schüttböden des Pflegeamtes mit einem Nachbarn zusammenkommt. Bei solcher Fahrt lenkt er dann sein Ochsengespann den dachsteilen Berg hinunter über Gestein und Felsentrümmer, die überall auf dem Wege liegen, als wären sie von der Faust eines Gottes dorthin geschleudert worden.
Eine schlanke, hochgewachsene Mädchengestalt, deren ausdrucksvolles Gesicht schon fraulich reif erscheint, wendet ihre Schritte dem Beinhaus zu, dessen meterdickes, graues Gemäuer kalte Schatten in die Sommerwärme des Friedhofes wirft. Der hohen Gestalt zur Seite geht ein Dirndlein mit pausbäckigen Wangen, halb noch Jungfrau, halb schon ahnendes Weib. Es streckt den Zeigefinger aus und deutet hinunter über die gequaderten Steinstufen, die in das Beinhaus führen; dorthin, wo die Überreste der schon lange Dahingeschiedenen bleichen.
»Auf die unterste Stufe habe ich den Korb mit den Blumenstöcklein hingestellt, Eva. Ich dachte mir, da unten ist's kühl, da welken sie nicht, ehe wir sie auf die Gräber pflanzen.«
Eva Faschaunerin nickt nur. Sie geht die hohen Stufen hinab und holt den weidengeflochtenen Korb, worin die Rosmarin- und Nelkenstöcklein stehen. Die beiden Mädchen raffen ihre blauen Hausleinenkittel, die mit weißem, zartem Blätterwerk gemustert sind, zusammen und schreiten durch die Reihen der vielen Gräber auf eine Gruppe schmiedeeiserner Kreuze zu, die alle den Namen »Faschauner« tragen. Sie lockern die hart gewordene Erde der Grabhügel ein wenig auf und setzen die Blumen in die Krume. Nachdem diese Arbeit getan ist, nimmt Eva das Fichtenzweiglein, das zu Füßen der Kreuze im Weihwasserkessel liegt, besprengt zuerst das Grab der Mutter und dann der Reihe nach auch alle anderen Gräber. Bei dieser andächtigen Handlung wird sie auf einmal von ihrer Begleiterin am Ärmel gezupft.
»Schau, Eva, dort an der Friedhofsmauer steht der junge Hörlbauer. Schon eine Weile schaut er zu dir herüber.«
Das Gesicht der Faschaunerin wird um einen Ton röter.
»Du redest ohne Sinn, Liesl«, rügt sie das Mädchen. »Wird wohl noch ein jeder schauen dürfen, wohin er mag. Warum soll's der Hörlbauer anders halten?«
Die Zurechtgewiesene wird unsicher. »Ich mein' nur, er hat so lang' herübergeschaut, als möcht' er gradwegs zu dir kommen«, stammelt sie.
»Du musst dich geirrt haben; schau, er redet doch mit dem Meisterbauern«, antwortet die Faschaunerin trocken.
Das kann die Liesl nun nicht in Abrede stellen, und so schweigt sie. Sie ordnet noch schnell die Erde um die gepflanzten Blumenstöcke, nimmt den Korb und verlässt an der Seite der Faschaunerin den Friedhof.
Als die Mädchen an den beiden Männern vorübergehen, ruft ihnen der Hörl einen freundlichen Gruß zu und fragt sie, wie es ihnen denn allzeit gehe, droben auf dem Faschaun. Eva verhält ein wenig den Schritt und sieht dem Fragesteller in das heiter lächelnde Gesicht, zu dessen gebräunter Haut der dunkle Schwalbenfrack mit der farbigen Weste gut passt. Nach einigen scherzenden Worten aber verlassen die Mädchen den Kirchplatz wieder und wenden sich dem Weg zu, der in steilem Anstieg über den Maltaberg auf das Hochplateau des Faschaun hinanführt.
»Ein schönes Weib, die Faschaunertochter«, bemerkt der Meisterbauer, der zugleich Dorfrichter ist.
»Hm .«, macht der Hörl und schweigt.
»Wenn man nur wüsste, warum sie nicht heiratet«, setzt der Meisterbauer hartnäckig das Gespräch fort.
Der Hörl zupft an seinem Bart und schweigt noch immer. Erst als ihn der Dorfrichter fragend anblickt, antwortet er versonnen: »Es wird halt der Richtige noch nicht gekommen sein.«
Der Meisterbauer macht eine abfällige Handbewegung. »Was heißt, der Richtige? Der Richtige für eine Bauerntochter ist allemal der, dem ein ordentlicher Besitz ein ordentliches Ansehen gibt. Ich bitt dich, Jakob, der Reiter auf dem Landfraß und der Wenzel in der Gamschitz, sind das vielleicht keine angesehenen Männer? Aber die Faschaunertochter hat nein gesagt. Es traut sich ja kaum noch einer, um sie zu werben!
»Sie wird einmal den heiraten, den sie gern hat, Meisterbauer, mag er auch weniger besitzen als der Reiter und der Wenzel.«
Der Ältere hebt lebhaft den Kopf. »Woher weißt du denn das, Jakob?«
Der Hörlbauer rückt seinen Hut etwas tiefer in die Stirn, und lächelt als wüsste er es und wolle es nur nicht sagen. Ohne Übergang kommt er auf etwas anderes zu reden, und der Meisterbauer fühlt, dass seine Neugierde hier nichts ergründen kann.
Indessen steigen die beiden Mädchen mit gleichmäßigen Schritten den Berg hinauf. Heiß brennt die Mittagssonne auf ihren Rücken. Die Liesl streicht mit ihrer farbigen Schürze kühlend über die erhitzten Wangen.
»Die Leut' da unten in Malta, die haben es gut«, stellt sie schwer atmend fest. »Die können sich schon zum Essen setzen, und wir haben noch den weiten Weg auf den Faschaun vor uns.«
»Gott, wegen dem Essen! Ein paar Stunden früher oder später, was liegt schon dran!«
Die Faschaunerin schiebt die blühenden, schön geformten Lippen übereinander, gleichsam als wolle sie damit zeigen, wie gleichgültig ihr derlei ist.
Dann wendet sie sich ihrer Base zu und fragt mit glänzenden Augen: »Und ist's nicht tausendmal schöner da heroben als unten im Tal?«
»Du möchtest wohl nie in Malta wohnen?«, fragt die Jüngere dagegen.
Hinter der glatten Stirn der Faschaunerin arbeiten die Gedanken. Sie wendet sich um und schaut sinnenden Auges auf den Ort hinunter. Der schlanke Kirchturm grüßt herauf, und gleich daneben blinken die Fensterscheiben des herrschaftlichen Schlosses Kronegg in der Sonne. Doch weder die Kirche noch das stolze Schloss vermögen Eva zu fesseln. Ihr Blick sucht unter den zahlreichen Bauerngehöften und bleibt dann an einem alten, niedrigen Hause haften, das, ein paar Minuten von Schloss und Kirche entfernt, am Ende des Dorfes liegt. Es ist die Hube des jungen Hörlbauern, des Jakob Kary.
»Ob ich da unten leben möchte? Vielleicht! Vielleicht dann, wenn ich einen find', den ich von Herzen gern hab'. Ja - ich glaub' schon.«
Mit einer raschen Bewegung wendet sie sich wieder dem Weg zu, und der kleinen Liesl ist es, als bereue die große Eva ihre soeben gesagten Worte. Gleichmäßig und ohne zu sprechen, steigen die Mädchen bergan. Jetzt holen sie andere Kirchenbesucher ein, grüßen und plaudern, fragen nach dem Fortgang der Feldarbeit, nach den an die Grundherrschaft geleisteten Abgaben und nach der Gesundheit der Alten, für deren vergehende Kraft der Weg ins Dorf schon zu beschwerlich ist. Dann verlieren sie sich, einer nach dem anderen, unter den Haustoren ihrer hochgelegenen Huben, nur Eva und Liesl wandern noch weiter. Denn höher als alle Höfe auf dem Maltaberg liegt das Haus am Faschaun.
Seit dem Tode der Mutter ist Eva Bäuerin auf dem Berghof. Sie ist die Seele des Hauses und macht ihre Sache so gut, dass der Bauer zeitweise ganz vergisst, dass er das Weib im Hause verloren hat. Eine Schwester ist noch da, das Agathle. Es ist die späte Frucht aus der Ehe der Faschaunerleute, ja es könnte mit seinen dreizehn Jahren beinahe Evas Tochter sein, zählt doch die Faschaunerin schon siebenundzwanzig. Der Bauer ist ein alter Mann, der sich erst in späten Jahren verheiratete. So lang, bis das Agathle zur Bäuerin heranwächst, kann er nicht mehr hausen, und darum ist es ihm lieb, dass Eva vom Heiraten nichts wissen mag. Wie sähe es wohl auf dem Faschaun aus, wenn die Tochter aus dem Hause ginge? Einheiraten, denkt der Bauer nicht selten, einheiraten könnte schon einer zur Eva, wenn er auch den Hof nicht sofort übergeben wollte. Ein paar Jahre, zwei oder drei, möchte er die Zügel schon noch in den Händen behalten. Schon dem Agathle zuliebe; das Mädchen soll keinem Schwiegersohn zur Last fallen.
Aber sonderbarerweise will Eva auch von einer Einheirat nichts wissen. Es kommt dem Alten manchmal vor, als warte die Tochter auf irgendeine Entscheidung. Aber wenn er dann einmal nachfragt, vorsichtig, wie man es bei Eva machen muss, kann er doch nichts erfahren. In ihrer zurückhaltenden Art lässt sich auf keine Erklärung ein, obgleich sie dem Vater in inniger Liebe zugetan ist.
Die hagere Berglergestalt des Bauern hält sich im Gehen leicht vornübergeneigt, als trüge er eine Last auf den Schultern. Der Faschauner hatte in seinem Bauerndasein allzeit hart gearbeitet. Immer hatte er das Schwerste selbst anpacken müssen, hat kaum die Dienstleute auf dem Hof gehabt, die zur Bearbeitung der weit verstreuten Felder notwendig waren. Das junge Volk geht ja nie gern in die Bergeinsamkeit, mag sie auch noch so weit und gottesherrlich übers Land hinausschauen; die Burschen empfinden an den Abenden...