10. Kapitel.
Wie groß das kleine Verdienst war, welches in jenem Acte der Wohltätigkeit gegen die Hebamme lag, oder wer den Hauptanspruch darauf machen konnte, scheint auf den ersten Anblick nicht von wesentlicher Bedeutung für diese Geschichte. So viel ist aber gewiß, daß der guten Frau Pfarrerin damals alles Verdienst beigemessen wurde; und doch kann ich, so wahr ich lebe, nicht umhin zu glauben, daß auch der Pfarrer selbst, obschon er nicht das Glück hatte, zuerst auf die Sache verfallen zu sein, doch dadurch, daß er sobald ihm der Plan vorgelegt wurde, von Herzen zustimmte, und ebenso von Herzen gern sein Geld dazu beitrug, um jenen ausführbar zu machen, einigen Anspruch darauf machen konnte, ja doch ihm eine volle Hälfte der Ehre gebührte.
Die Welt war damals geneigt, die Sache anders anzusehen.
Legen Sie einmal das Buch weg und ich gebe Ihnen einen halben Tag, um das Rätsel dieser Anschauung zu lösen. Aber Sie bringen es nicht heraus.
So erfahren Sie denn, daß der Pfarrer, mit dem wir zu tun haben, etwa 5 Jahre vor Anstellung der Hebamme, worüber Sie einen so umständlichen Bericht erhalten haben, sich durch eine Handlung, welche die Würde, die er seiner Person, seinem Stand und seinem Amte schuldig war, verletzte, zum Gespräch der ganzen Gegend gemacht hatte. Er erschien nämlich plötzlich auf einem magern, elenden, eselähnlichen Rosse, das ein Pfund fünfzehn Schillinge wert sein mochte, einem Roß, das um meine Beschreibung abzukürzen ein Zwillingsbruder des Rosinante war, in so weit Ähnlichkeit eine solche Verwandtschaft herstellen kann, denn es kam der Beschreibung des letzteren in jeder Beziehung auf ein Haar breit nahe, mit alleiniger Ausnahme, daß ich mich nicht erinnere, ob Rosinante ebenfalls kurzatmig war; und daß Rosinante, wie die meisten spanischen Pferde, ob sie nun dick oder dürr sind, das Glück haben, ohne Zweifel in jeder Beziehung ein Roß war.
Ich weiß sehr wohl, daß das Roß jenes Helden von keuscher Aufführung war, was einen Grund zu der gegenteiligen Vermutung hätte abgeben können; aber es ist zugleich ebenfalls sicher, daß Rosinante's Enthaltsamkeit - wie dies aus dem Abenteuer mit den Fuhrleuten hervorgeht - keineswegs einem körperlichen Gebrechen oder einer ähnlichen Ursache, sondern seinem Temperament und dem geordneten Laufe seines Blutes entsprang. - Und gestatten Sie mir hier die Bemerkung, Madame, daß es eine große Portion sehr guter Keuschheit auf der Welt gibt, zu deren Gunsten sich absolut nichts weiter anführen ließe.
Sei dem wie dem sei, da es meine Absicht ist, einer jeden Persönlichkeit, die ich auf der Bühne dieses dramatischen Werkes erscheinen lasse, volle Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, so durfte ich diesen Unterschied zu Gunsten von D. Quijote's Pferd nicht unterdrücken; in jeder anderen Beziehung aber war, wie gesagt, des Pfarrers Roß sein alter Ego, es war eine so dürre, so schmale, und so armselige Mähre, daß die Demut selbst es hätte besteigen können.
Nach der Ansicht mancher Leute von schwachem Urteil wäre es großenteils bei dem Pfarrer gestanden, der Figur seines Rößleins etwas aufzuhelfen, denn er war im Besitz eines sehr schönen, halbaufgebauschten Sattels, der am Sitz mit grünem Plüsch abgenäht und mit einer doppelten Reihe von silbernen Stiften beschlagen war, wozu noch ein nobles Paar glänzender Messingbügel und eine sehr anständige Unterlagsdecke von superfeinem grauem Tuch mit einer Einfassung von schwarzer Stickerei kam, die in dicke, schwarze, seidene Franzen, mit Goldfäden durchwirkt, verlief. Dies Alles nebst einem mit erhabener Arbeit geschmücktem und in jeder Beziehung wohl verziertem Zaume hatte er sich auf der stolzen Höhe seines Lebens angeschafft. Da er aber nicht die Absicht hatte, sein Tier durch diesen Trödel lächerlich zu machen, hatte er ihn hinter der Türe seines Studirzimmers aufgehängt, und sich dafür einen solchen Zaum und Sattel angeschafft, wie er gerade zu der Figur und dem Werte eines solchen Gaules paßte.
Man kann sich leicht vorstellen, daß der so ausgerüstete Pfarrer bei seinen verschiedenen Umritten in seinem Sprengel, und bei dem benachbarten Adel Allerlei zu hören und zu sehen bekam, was seine Philosophie rostfrei erhielt. Er konnte in der Tat in kein Dorf reiten, ohne sofort die Aufmerksamkeit von Alt und Jung zu erregen. Die Arbeit stand still wo er vorüber kam, der Eimer blieb mitten über dem Brunnen hängen, das Spinnrädchen vergaß sich zu drehen, sogar das Grübchen- und das Anwerfspiel der Kinder erlitt eine Unterbrechung, solange er in Sicht war; und da seine Vorwärtsbewegung keine der schnellsten war, so hatte er in der Regel vollauf Zeit, um seine Betrachtungen anzustellen, das Seufzen der ernsten Leute und das Lachen der Munteren anzuhören, was er in aller Seelenruhe hinnahm. Sein Charakter war von der Art, daß er einen Spaß von Herzen liebte, und da er wohl sah, welche lächerliche Figur er machte, so pflegte er zu sagen, er könne Anderen nicht böse sein, daß sie ihn in einem Licht erblickten, in welchem er sich selbst so sehr schaue. Gegenüber von seinen Freunden aber, welche wußten, daß Liebe zum Geld nicht seine Schwäche war, und die sich daher um so weniger ein Gewissen daraus machten, über diese sonderbare Laune sich lustig zu machen, zog er es vor, - statt ihnen den wahren Grund davon anzugeben, in das Gelächter über sich selbst mit einzustimmen, und da er selbst keine Unze Fleisch auf den Knochen hatte und eine ganz ebenso schmächtige Figur besaß wie sein Tier, so pflegte er bisweilen hervorzuheben, daß das Roß gerade so gut sei als der Reiter es verdiene; sie seien gewissermaßen wie die Centauren eigentlich aus einem einzigen Stücke. Ein ander Mal, wenn er in einer anderen Stimmung und nicht aufgelegt war einen schlechten Witz zu machen, pflegte er zu sagen, er laboriere an der galoppierenden Schwindsucht, und setzte dann sehr ernst hinzu, er könne den Anblick eines fetten Pferdes nicht ohne Herzweh und ohne eine merkliche Herabstimmung seines Pulses ertragen; er habe deshalb das magere Pferd gewählt, nicht nur um seine Gemütsruhe nicht zu verlieren, sondern auch um stets guter Laune zu sein.
Er gab überhaupt im Laufe der Zeit wohl fünfzig launige und passende Gründe an, warum er lieber eine sanftmütige Mähre von kurzatmigem Gaul als ein feuriges Pferd reite; auf jenem könne er ganz mechanisch sitzen und in aller Gemütsruhe de vanitate mundi et fuga saeculi nachdenken, gerade wie wenn er einen Todtenkopf vor sich hätte; wenn er so langsam dahin reite, könne er seine Zeit zu allen möglichen geistigen Übungen benutzen, und zwar ebenso gut wie in seinem Studirzimmer, er könne dabei einen Beweis in seiner Predigt ebenso ruhig herstellen wie ein Loch in seinen Hosen; ein scharfer Trab und eine gemächliche Beweisführung seien zwei Bewegungen, die sich ebenso wenig mit einander vertrugen wie Witz und Urteilskraft. Auf seinem Gaule aber könne er Alles vereinigen und mit einander aussöhnen; da könne er seine Rede zurecht legen, und auch seinen Husten, und wenn die Natur zum Schlafen dränge, so könne er auch das zu Wege bringen. Kurz der Pfarrer pflegte bei solchen Anlässen alle möglichen Gründe anzuführen, nur den wahren nicht; und mit dem hielt er nur deshalb zurück, weil er glaubte, dieser Grund mache ihm Ehre, also lediglich aus Zartgefühl.
Die Sache war aber folgende: In seinen ersten Amtsjahren, um die Zeit, da er den flotten Sattel und Zaum kaufte, war er aus Eitelkeit oder nennen Sie es wie Sie wollen, gerade in das entgegengesetzte Extrem verfallen. Damals ging das Gerede in der Gegend, wo er wohnte, er liebe ein gutes Pferd, und gewöhnlich hatte er auch das beste im ganzen Kirchspiel im Stalle stehen, das immer bereit war gesattelt zu werden. Da nun die nächste Hebamme wie gesagt, wenigstens 7 Meilen weit von dem Dorfe wohnte und der Boden erbärmlich war, so kam es, daß fast keine Woche verging, daß nicht irgend eine flehentliche Bitte um sein Pferd an den armen Pfarrer erging; und da er kein hartherziger Mann und jeder Fall dringender und bedenklicher war als der letzte, so konnte er es nicht übers Herz bringen sein Tier abzuschlagen, so sehr er es auch liebte; das Ende vom Liede war dann in der Regel, daß sein Pferd entweder die Eisen verloren hatte oder spatlahm wurde, oder einen Hornspalt bekommen hatte, oder war es zitterig, oder kurzatmig geworden, oder war ihm sonst etwas zugestoßen, was ihm vom Fleische half; so daß er alle 9-10 Monate einen schlechten Gaul abschaffen und einen neuen guten dafür anschaffen mußte.
Wie hoch sich der Verlust communibus annis bei einem solchen Handel belaufen mußte, überlasse ich einer Spezialjury von Leidensgefährten zu bestimmen. Wie es damit aber auch sein mochte, der Biedermann ertrug die Sache manches Jährchen ohne ein Wort zu sagen, bis er es endlich nach einer wiederholten Reihe von Unfällen jener Art für durchaus notwendig fand, die Sache einer näheren Betrachtung zu unterziehen; und nachdem er Alles wohl erwogen und bei sich zusammen addiert hatte, fand er es nicht nur außer allem Verhältniß mit seinen übrigen Ausgaben, sondern der Artikel fiel an und für sich selbst so ins Gewicht, daß er ihn außer Stand setzte, irgend welche andere Handlung der Wohltätigkeit in seinem Sprengel zu üben; ja mit der Hälfte der so weg galoppierten Summe, hätte er zehen Mal mehr Gutes tun können. Was aber bei ihm noch schwerer wog als alle anderen Betrachtungen zusammen, war der Umstand, daß auf diese Art all seine Mildtätigkeit dem Einen besonderen Kanal...