Schweitzer Fachinformationen
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Ein leises »Wow« entfuhr Adina, als sie die Lobby des Hotels »Chemnitzer Hof«1 betrat. Gerade noch so leise, dass es der Portier nicht hören konnte. »Was für ein Auftrag! Ich bin doch nur zum Glück auf der Welt«, dachte sie sich und ging nach rechts an die Rezeption. Zum Auftakt ihres Erkundungstrips ins Erzgebirge wollte sie es ein wenig mondän. Ihre Reisekasse ließ den Aufenthalt im besten Haus am Platz locker zu. Draußen im Gebirge konnte sie dann ein bisschen sparen. »Wahnsinn. Das Haus kannte schon meine Urgroßmutter Adina, deren Name ich trage«, setzte sie ihre Gedanken bis zur Ankunft am holzgetäfelten Empfangstresen fort. Der Portier begrüßte sie mit einem freundlichen »Guten Tag, was kann ich für Sie tun?« »Einen wunderschönen guten Tag. Mein Name ist Adina Pfefferkorn, ich hatte ein Einbettzimmer reserviert.« Es dauerte nicht lange, bis Adina die Formalitäten erledigt und ihr Zimmer bezogen hatte. Bevor sie sich für die nächsten Tage häuslich einrichtete, raffte sie die Gardine zurück und blickte auf den Theaterplatz2 mit der St. Petrikirche, dem Opernhaus und dem König-Albert-Museum. Nach einem erneuten »Wow« wandte sie sich wieder dem Hotelzimmer zu, legte ihren Koffer auf das Bett, entnahm die Waschtasche und begab sich ins Bad.
Den Chemnitzer Hof hatte sie wegen ihrer Urgroßmutter ausgewählt. Wie oft mochte die Adina von damals hier entlanggegangen sein? War sie eine Theaterliebhaberin und Stammbesucherin des Opernhauses? Oder mochte sie eher die Ausstellungen im Museum am Theaterplatz mit den Städtischen Kunstsammlungen 3? Auf diese und andere Fragen hätte Adina nur zu gern Antworten gefunden. Doch sie schraubte ihre Erwartungen nicht sehr hoch. Zu wenig wusste sie über ihre Urgroßmutter. Während Adina das heiße Wasser über ihre müde Haut laufen ließ, kehrten ihre Gedanken zur Kunstsammlung zurück. Der gute Ruf des Hauses hatte sie sogar in Berlin ereilt. Und das wollte angesichts der übergroßen Fülle an Kunstausstellungen in der Bundeshauptstadt etwas heißen! Richtig beschäftigt mit dem Thema hatte sie sich jedoch erst, als sie den Auftrag für das neuartige Tourismusportal bekommen hatte. Der Trennung von Sascha und damit auch von ihrem Job waren mehrere Monate des Herumtingelns und Durchschlagens mit kleineren Aufträgen gefolgt, mehr schlecht als recht. Dann hatte ihre Freundin Mia sie auf ein Angebot der Firma eines Freundes aufmerksam gemacht. Zuerst hatte Adina die Beschreibung der Unternehmensphilosophie belustigt. »Storytelling« war das Zauberwort, das die Publikation dominierte. Als ob das etwas Neues wäre! Sie kannte es schon aus ihrer Studienzeit, in der sie sich mit Journalismus, Medienproduktion sowie Tourismus- und Eventmanagement beschäftigt hatte. Und in ihrem Job hatte sie auch nichts anderes gemacht. Sie wusste, dass man die Menschen am besten über ihre Vorstellungskraft und ihre Emotionen packen konnte. Jetzt, genau zehn Jahre später, hatte eine Marketingagentur diese Methode als Allheilmittel entdeckt. Das Berliner Unternehmen griff die Idee des Geschichtenerzählens auf. Es bedeutete, nicht mehr ein Hotel, ein Museum, eine Werkstatt, einen Wanderweg als Produkt zu bewerben, sondern Geschichten darüber zu erzählen, die neugierig machten. Adina wusste nicht mehr, an welcher Stelle des Prospektes es bei ihr gefunkt hatte. Noch am Abend schrieb sie ihre Bewerbung und eine Beispielgeschichte, schickte die Unterlagen per Mail und am kommenden Morgen zusätzlich per Post an die Agentur. Ein Anruf am Nachmittag zeigte ihr, dass sie sich das Papier hätte sparen können. Für die Einladung zum Vorstellungsgespräch hatte die E-Mail vollkommen ausgereicht. Ob Mia im Hintergrund ein bisschen an der Schraube gedreht hatte, wusste Adina bis heute nicht. Auch Freundinnen haben bisweilen Geheimnisse voreinander. Nach dem Gespräch hatte sie mit ihr auf den Großauftrag angestoßen. Adina konkurrierte mit einem Reisejournalisten aus Köln, der sich auf die alten Bundesländer stürzte. Sie sollte mit dem Erzgebirge beginnen und sich dann den Weg in weitere Regionen des Ostens bahnen.
Adina rubbelte mit dem flauschigen Baumwollhandtuch ihre Schultern ab und arbeitete sich nach unten vor. Dabei ließ sie die Vorarbeiten für das Projekt noch einmal vor ihrem geistigen Auge Revue passieren. Die Unterschrift unter ihrem Vertrag war noch nicht getrocknet, da hatte sie schon einen Blog eröffnet, indem sie sich und ihre Pläne vorstellte. Danach hagelte es Nachrichten mit Vorschlägen und Geheimtipps. Sie hatte sich schon beim Durcharbeiten in das Erzgebirge verliebt. Und in Julian, aber das war eine andere Geschichte. Ein Stich ließ sie zusammenzucken. Die kurze, aber heftige Affäre hatte sie noch nicht wirklich verarbeitet. Da war sie bei ihrem Auftrag deutlich erfolgreicher, denn sie hatte sich mit vollem Enthusiasmus in die Arbeit gestürzt, Informationen gesammelt, gesichtet, Vorrecherchen betrieben. Schon wieder zuckte sie zusammen, denn Julian war bei einigen Kurztrips dabei gewesen. Diesmal begab sie sich allein auf Reisen. Ein Schleier legte sich über ihre Augen. »Dumme Kuh, du kannst nicht mit und nicht ohne. Der nächste wird nur noch ambulant aufgenommen, nicht mehr stationär«, legte sie fest. Das Gefühl von Einsamkeit und Verlassensein war das Letzte, was sie jetzt brauchte. »Auf ins Chemnitzer Nachtleben«, befahl sie sich.
Adina hatte nach dem Einchecken im Hotel einen Blick auf die Abendkarte des Restaurants geworfen. Ihr waren locker vier oder fünf Gerichte aufgefallen, die sie reizten. Sie beschloss jedoch, die Entscheidung auf den nächsten Abend zu vertagen und zuerst das »Schalom« 4 zu erkunden. Ihre Wahl fiel auf einen engen Rock zum blau-weiß gemusterten Oberteil. Sie schminkte sich sorgfältig. Nach ein paar am Hals verteilten Spritzern aus dem Euphoria-Flakon warf sie ihren Mantel über, zog die Zimmertür ins Schloss, fuhr mit dem Lift in die Lobby und verließ das Haus. Adina lief in Richtung Zentralhaltestelle, um von dort aus zur Heinrich-Zille-Straße zu gelangen. An einer der Haltestellen wartete eine Gruppe von Frauen auf einen Bus, der gerade um die Ecke bog. Kinder mit großen Sporttaschen stiegen aus und berichteten euphorisch vom Sieg über die »Lappen«, mit denen vermutlich die gegnerische Mannschaft im Fußball gemeint war. Die Fanklamotten vom Chemnitzer Fußballclub legten den Schluss nahe. Adina bewegte sich weiter in Richtung Dunkelheit. Schnell musste sie feststellen, dass am unteren Ende des Busbahnhofes Zäune den Weg versperrten. Sie drehte um und bog in die Georgstraße ein. Der Weg führte sie über den Brühl, auf dem leer stehende Gebäude mit zur Sanierung eingerüsteten oder schon sanierten Häusern wechselten. Da Adina nicht genau wusste, welche Querstraße sie benutzen musste, schaltete sie die Navigation auf ihrem Smartphone ein. »Mist, zu weit«, knurrte sie, doch da stand sie bereits auf der Müllerstraße. Sie sah sich einer Gruppe junger Männer gegenüber, die sich nicht für sie zu interessieren schienen. Was sie gerade trieben, konnte sie wegen der Entfernung und der etwas spärlichen Beleuchtung in diesem Bereich nicht erkennen. Adina blickte auf ihre Navi-App und vernahm die Stimme der Frau, die sie Uschi nannte. »Drehen Sie wenn möglich um«, forderte diese mit Vehemenz. Es blieb ihr nichts anderes übrig als bis zur Elisenstraße zurückzugehen und die nächste Querstraße zu nehmen. Von dort aus sah sie das jüdische Restaurant bereits. Durch die Scheiben erblickte sie das bunte Wandbild mit einer siebenarmigen Menora, prallen Früchten sowie Abbildungen von markanten Gebäuden in Jerusalem und Chemnitz. Dass die Stadt auf der rechten Seite Chemnitz war, erkannte sie am Karl-Marx-Monument 5.
Während Adina das Restaurant betrat, machte sie, was sie immer machte, wenn sie allein eine Gastwirtschaft besuchte: Sie blickte kurz, aber zielgerichtet in die Runde, um den für sie angenehmsten Platz zu finden. Die Tische vor dem Wandbild waren reserviert. In der hinteren Ecke saß ein Mann, der ziemlich finster vor sich hin blickte. »Einladend sieht das nicht gerade aus. Er will bestimmt den Tisch für sich alleine beanspruchen«, dachte Adina und machte erst gar keine Anstalten, ihn nach einem freien Platz zu fragen. Sie wandte sich nach rechts und gewahrte einen freundlich lächelnden Mann hinter dem Tresen. »Schalom«, hauchte sie ihm entgegen. »Darf ich hier Platz nehmen?« »Schalom! Natürlich. Suchen Sie sich einen Stuhl aus, es sind genügend da«, antwortete der Herr im schwarz-weißen Outfit. Dass er eine Kippa trug, sah sie erst jetzt. Es machte ihn doppelt sympathisch. Adina mochte Menschen, die zu ihrer Weltanschauung standen, auch wenn sie in bestimmten Kreisen damit aneckten oder sich gar Anfeindungen aussetzten. Hier schien die Welt jedoch in Ordnung zu sein. Zumindest glaubte das Adina zu diesem Zeitpunkt noch. Koscheres Bier hatte sie noch nie getrunken, deshalb bestellte sie zum Essen eine Flasche Simcha aus der Hartmannsdorfer Brauerei. Dazu las sie in der Karte einen kleinen Text über die Braukunst im Allgemeinen und über die besonderen Anforderungen an ein Bier, das jüdischen Speisegesetzen genügte. Adina wählte Falafel und Hummus als Vorspeise sowie Latkes mit Gemüse als Hauptgang. »Sicher ist dann noch Platz für gebackene Apfelspalten auf Zimtjoghurt«, ergänzte sie die Bestellung. Danach nahm sie den ersten Schluck Simcha und wischte sich den Schaum von den Lippen. Die Zeit bis zum Eintreffen der Vorspeise nutzte sie für ein wenig Smalltalk mit dem Kippa-Mann, der sich ihr dabei als Hausherr vorstellte. Sie erfuhr etwas zur Geschichte des...
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