Schweitzer Fachinformationen
Wenn es um professionelles Wissen geht, ist Schweitzer Fachinformationen wegweisend. Kunden aus Recht und Beratung sowie Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und Bibliotheken erhalten komplette Lösungen zum Beschaffen, Verwalten und Nutzen von digitalen und gedruckten Medien.
Die Kriegsjahre waren auch für den Schärengarten nicht leicht. Der Dampfschiffverkehr wurde nahezu eingestellt, und die Sommergäste aus der Großstadt blieben aus.
Viele der Insulaner waren auf die Einkünfte aus der Zimmervermietung angewiesen, und Witwe Wass sah von Woche zu Woche besorgter aus. Keiner fragte mehr nach ihrem Barschfrikassee oder ihrem Kalbsbraten mit Gurke, aber sie hatte in diesen Jahren des Mangels auch nur selten etwas anzubieten.
Es war schwierig zu erfahren, was in der Welt vor sich ging, und der Nachrichtenmangel gab Anlass für allerhand Gerüchte. Einmal behauptete einer der alten Dörfler mit Nachdruck, ein Friedensschluss stehe unmittelbar bevor, mit der Folge, dass die Russen den Stockholmer Schärengarten übernehmen würden. Die Sorge, dass er recht haben könnte, ließ das Lächeln auf den Gesichtern gefrieren, obwohl eigentlich niemand den Spekulationen des Alten so recht traute.
Gottfrid hatte sich an die Stille in seinem Haus gewöhnt.
Vendela kam ihren Pflichten notdürftig nach und kümmerte sich um den Jungen. Sie hielt das Haus einigermaßen sauber und sorgte dafür, dass seine Uniformen gewaschen und gestärkt waren. Thorwald schrie nicht mehr vor Hunger, und seine Sachen waren weder zerrissen noch schmutzig.
Seinen Dienst beim Zollamt versah Gottfrid außerordentlich korrekt. Abend für Abend blieb er bis weit nach Dienstschluss, um sich zu versichern, dass alle Angaben ins Hauptbuch eingetragen worden waren. Jede Zollkontrolle musste sorgfältig durchgeführt werden, ganz gleich, wie viele Schiffe im Hafen lagen. In seinem Dienstzimmer hielt Gottfrid Stifte und Papier in militärischer Ordnung. An seiner Pflichterfüllung gab es nichts auszusetzen, im Gegenteil. Er wurde von seinen Vorgesetzten belobigt.
Aber mit Thorwald kam er nicht zurecht.
Er war ohne Zweifel sein Sohn, zumindest erkannte er gewisse Ähnlichkeiten bei sich und dem Jungen. Sie hatten das gleiche blonde, widerspenstige Haar und die gleichen tief liegenden Augen, die wachsam in die Welt schauten.
Aber er empfand nichts für seinen Sprössling.
Die Sorge und Bitterkeit über die Verwandlung, die seine Ehefrau an den Tag legte, überschatteten alles. Insgeheim gab Gottfrid seinem Sohn die Schuld an Vendelas Veränderung. Vor der Geburt des Jungen hatte er so große Hoffnungen gehabt. Aber sein Traum von einer glücklichen Familie war nur ein Traum geblieben. Weder seine Frau noch sein Sohn erfüllten seine hohen Erwartungen.
Thorwald war ein scheuer Junge, der seinem Vater aus dem Weg ging. Er blieb allein für sich in der Küche und beschäftigte sich mit seinen Spielsachen, meist Stöckchen und Tannenzapfen, die er im Wald gefunden hatte. Er war ganz vernarrt in ein Rindenboot, das er von seinem Großvater bekommen hatte. Der Großvater und er waren eines schönen Sommertages in den Wald gegangen und hatten nach einem schönen Stück Baumrinde gesucht. Dann hatte der Großvater sich in die Sonne gesetzt und das Boot aufgetakelt.
Die Schwiegereltern kamen hin und wieder zu Besuch, aber nicht sehr oft, und wenn, dann blieben sie nur kurze Zeit. Das Leben auf Möja ließ nicht zu, dass sie länger abwesend waren; das Vieh musste versorgt und das Heu eingebracht werden, da blieb nicht viel Zeit übrig für Ausflüge zu ihrer unglücklichen Tochter auf Sandhamn. Außerdem hatten sie fünf weitere Kinder, von denen drei noch auf Möja lebten.
Einmal hatte der Schwiegervater Gottfrid beiseitegenommen und unbeholfen versucht, mit ihm zu reden.
»Sie war schon als kleines Mädchen nicht besonders fröhlich«, sagte der Schwiegervater und hantierte mit seiner Pfeife. Die Schwielen an den groben Händen leuchteten weiß. »Manchmal hat sie wochenlang geweint, wegen nichts. Mutter meinte, wir sollten sie lassen. Das vergeht von allein, hat sie immer gesagt.« Er stopfte noch etwas mehr Tabak in den Pfeifenkopf. »Du wirst sehen, das gibt sich mit der Zeit.«
Er saugte an seiner Pfeife und schüttelte den Kopf.
»Keins der anderen Kinder ist wie Vendela. Aber sie war ja so hübsch und wir waren sicher, dass schon alles ins Lot kommt. Vor allem, als sie ins heiratsfähige Alter kam und dich kennenlernte. Eine Hausfrau hat ja keine Zeit für solche Sperenzchen.«
Sorge stand in seinen Augen, die von tiefen Runzeln umrahmt waren. Der Schwiegervater war knapp fünfzig, aber er hätte genauso gut fünfundsechzig sein können.
Gottfrid schwieg.
Es gab eben nichts zu sagen. Vendela bewegte sich wie ein Schatten durchs Haus. Meistens wich sie seinem Blick aus. Das junge, hübsche Mädchen, in das er sich beim Mittsommertanz verliebt hatte, gab es nicht mehr.
Die langen blonden Locken hatte sie im Nacken zu einem strammen Knoten zusammengefasst, sodass die Haare wie angekleistert am Schädel lagen. Es enthüllte unbarmherzig, wie dünn die Haare nach der Schwangerschaft geworden waren. Sie sah immer noch aus, als erwartete sie ein Kind, ihr Bauch war aufgebläht und die Brüste hingen schwer herab. Die hübschen Gesichtszüge waren zerflossen.
Gottfrid empfand Abscheu, wenn er sah, wie sie angeschaukelt kam. Warum riss sie sich nicht zusammen? Warum musste ausgerechnet er das Pech haben, an eine unbrauchbare Ehefrau zu geraten?
Wenn er sich ihr im Dunkel der Nacht näherte, fügte sie sich. Ohne einen Laut, ohne eine Bewegung. Er gewöhnte sich daran, sich zu holen, was er brauchte. Hinterher weinte sie, aber auch daran gewöhnte er sich. Sie weinte ja ohnehin so oft.
Eines Tages kam Gottfrid ungewohnt spät von der Arbeit heim. Es waren viele Dinge zu regeln gewesen. Der Krieg brachte es mit sich, dass immer wieder neue Anweisungen aus der Hauptstadt kamen, und diesmal war ein langes Schreiben mit neuen Dienstvorschriften eingetroffen.
Sein Vorgesetzter war nervös geworden, da schon Wochen seit dem Erlass der neuen Vorschriften vergangen waren. Sie hatten versäumt, sich nach den Neuerungen zu richten. Zwar nur deshalb, weil sie nichts davon gewusst hatten, aber solche Entschuldigungen wurden von der Obrigkeit nur selten gebilligt.
Gottfrid war müde, als er die Tür öffnete. Aber nicht so müde, dass ihm entgangen wäre, wie der Sohn beim Klang seiner Schritte hastig in der Kammer verschwand.
»Thorwald«, rief er. »Willst du deinen Vater nicht begrüßen?«
Der Junge näherte sich vorsichtig. Er blieb immer noch meist für sich und suchte nur selten die Gesellschaft seines Vaters. Am liebsten versteckte er sich hinter dem Rock der Mutter.
Das Benehmen seines Sohnes ärgerte Gottfrid.
Sein Erstgeborener sollte kein Muttersöhnchen werden. So etwas würde er nicht dulden. Als er selbst in diesem Alter gewesen war, hatte sich schon die Krankheit bei seinem Vater bemerkbar gemacht, und Gottfrid hatte bei der Hausarbeit helfen müssen.
Vendela stand am Herd und wandte ihnen den Rücken zu. Sie hatte kaum aufgeblickt, als Gottfrid zur Tür hereinkam.
Gottfrid gab seiner Stimme einen weicheren Klang.
»Komm zu Vater«, lockte er und ging ein paar Schritte auf den Jungen zu. Da krachte etwas unter seinem Stiefel. Er blickte zu Boden und sah, dass er das Rindenboot zertreten hatte, mit dem sein Sohn so gern spielte.
Als er aufsah, begegnete er Thorwalds verzweifeltem Blick. Das kleine Kindergesicht war zu einem Ausdruck erstarrt, als wäre gerade ein entsetzliches Unglück passiert.
Das Rindenboot war in mehrere Teile zerbrochen. Es war unrettbar zerstört, der Mast war weg und die Rinde zersplittert. Gottfrid schob die Teile mit dem Fuß zusammen und warf das Wrack in den Abfalleimer.
Der Junge hatte immer noch keinen Ton von sich gegeben, aber seine Unterlippe zitterte krampfhaft. An den hellen Augenwimpern hingen große Tränen.
»Wir bauen dir ein anderes Boot«, sagte Gottfrid, um das Malheur zu überspielen. »Oder wir bitten Großvater, dass er dir ein neues macht, wenn er uns das nächste Mal besucht.«
Thorwald sagte immer noch nichts, aber die Tränen flossen jetzt unaufhaltsam, und er bebte am ganzen Körper.
Das Weinen war von derselben Art wie Vendelas, ein lautloses, verängstigtes Heulen, das Gottfrid nur schwer ertrug.
»Hör auf jetzt. Wegen so was muss man nicht traurig sein.«
Mit ärgerlicher Miene wandte Gottfrid sich ab und zog die Uniformjacke aus. Minutenlang war er damit beschäftigt, das schmucke Jackett ordentlich aufzuhängen, dann blickte er wieder seinen Sohn an.
Thorwald hatte sich nicht von der Stelle gerührt und starrte seinen Vater an, als wäre er der Leibhaftige selbst. Der Hass in seinen Augen weckte Gottfrids Wut. Es war, als würde man ein Zündholz in einen Heuhaufen werfen.
»Schluss jetzt, Junge!«, brüllte er und schlug mit der Faust auf den Tisch.
Vendela erstarrte am Herd, und Thorwald holte tief Luft, als versuchte er wirklich, sich zu beruhigen. Ein Zittern lief durch seinen Körper, aber dann begannen die Tränen wieder zu fließen. Sie strömten ihm aus den Augen und der Rotz hing ihm in Fäden aus der Nase.
Gottfrid kochte vor Zorn. Er war müde und hungrig. Es war ein anstrengender Tag gewesen, und er hatte nicht vor, derartige Dummheiten zu dulden.
»Du hörst jetzt sofort auf, hast du mich verstanden!«
Gottfrid hob warnend die Hand, eine Geste, die Vendela inzwischen wohlvertraut war. Meistens genügte sie schon, damit sie sich fügte und tat, was er wollte. Er war ein Mann, der seine Drohungen auch wahr machte.
Dennoch zögerte sie. Gottfrid hatte noch nie die Hand gegen seinen Sohn erhoben. Aber Thorwalds Bockigkeit musste ihm ausgetrieben werden. Ein Junge in seinem Alter durfte nicht heulen wie ein Mädchen. Es ging schließlich nur...
Dateiformat: ePUBKopierschutz: Wasserzeichen-DRM (Digital Rights Management)
Systemvoraussetzungen:
Das Dateiformat ePUB ist sehr gut für Romane und Sachbücher geeignet - also für „fließenden” Text ohne komplexes Layout. Bei E-Readern oder Smartphones passt sich der Zeilen- und Seitenumbruch automatisch den kleinen Displays an. Mit Wasserzeichen-DRM wird hier ein „weicher” Kopierschutz verwendet. Daher ist technisch zwar alles möglich – sogar eine unzulässige Weitergabe. Aber an sichtbaren und unsichtbaren Stellen wird der Käufer des E-Books als Wasserzeichen hinterlegt, sodass im Falle eines Missbrauchs die Spur zurückverfolgt werden kann.
Weitere Informationen finden Sie in unserer E-Book Hilfe.