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Im August 1914 waren auch Berthas Brüder Balthasar, Philip, Georg und Jakob bei den Truppen, die singend in die Schlacht zogen. Die Wohnung war mit einem Schlag groß und leer geworden. Kein Streiten und kein Lachen erfüllte sie mehr.
Bertha vermisste alle ihre Brüder, am meisten jedoch Jakob. Er war ein lustiger Geselle, immer saß ihm der Schalk im Nacken. Wenn er seinen hochgezwirbelten Schnurrbart hüpfen ließ, brachte er Bertha stets zum Lachen. Seine geliebte Mundharmonika konnte er blitzschnell aus der Hosentasche zaubern und eine Melodie zum Besten geben. Im Gegensatz zu seinen Brüdern wäre er lieber zu Hause geblieben, statt in den Krieg zu ziehen.
Bertha dachte auch oft an ihre Schwester Marie, die vor Kurzem Albert Schieberlé, einen Franzosen, geheiratet hatte und mit ihm nach Straßburg gezogen war. Sie würden sich nun nur noch selten sehen, die Entfernung war groß. Sicher lagen hundert Kilometer zwischen ihnen.
Außerdem verstand Marie sich nicht gut mit dem Vater. Er grollte ihr immer noch, weil sie den "Schieberlé", wie er seinen Schwiegersohn abfällig nannte, gegen seinen Willen heiratete. Und jetzt, wo der Krieg einen tiefen Graben zwischen Deutschland und Frankreich zog, würde Marie überhaupt noch die Möglichkeit haben zu kommen? Bertha bewunderte ihre große Schwester, die stets das machte, was ihr gefiel und immer schick angezogen war. Keine von den Geschwistern hatte eine so lustige Stupsnase, übersät mit Sommersprossen, wie Marie. Mit ihren graugrünen Augen konnte sie so vernichtend schauen, dass keiner ihr zu nahe kam.
Auch Katharina lebte nicht mehr zu Hause. Sie hatte einen Mann gefunden und wohnte mit ihm am Waldrand am Ende des Dorfes. Doch es verging kein Tag, an dem sie nicht auf einen Sprung vorbeikam, um nach dem Rechten zu sehen. Noch immer glaubte Katharina, die Mutter ersetzen zu müssen. Wenn sie sich von ihrem Zuhause fortstahl, musste sie dafür eine Zeit abwarten, in der ihr Mann abwesend war, so dass er es nicht bemerkte. Wenn er mitbekam, dass sie ihrem Vater und Bertha half, schimpfte er sie aus: "Kümmere dich um deinen eigenen Haushalt und unseren kleinen August. Dein Vater und deine Schwester sollen sehen, wie sie zurechtkommen."
Katharina war noch immer ein verhuschtes Wesen und ließ sich von ihrem Mann drangsalieren. Stoisch, ohne zu klagen, ließ sie seine Schikanen über sich ergehen. Ängstlich war sie darauf bedacht, ihrem Mann alles recht zu machen und ihm das Essen pünktlich auf den Tisch zu bringen. Obwohl sie erst fünfundzwanzig Jahre alt war, sah sie müde und abgekämpft aus.
Bertha liebte ihre Schwester, konnte aber nicht viel mit ihr anfangen; sie war ihr zu ernst und schweigsam. Sie war zu jung um zu begreifen, dass Katharina sich aufopferte und Mutterstelle an ihr vertrat. Marie war ihr lieber. Mit der konnte Bertha lachen und erzählen.
Frieda, die zierlichste - und inzwischen quirligste - der vier Mädchen, war nur selten zu Hause. Schon seit drei Jahren war sie in einem Apothekerhaushalt in Pirmasens in Stellung. Ab und an durfte sie für ein Wochenende nach Hilst zu ihren Liebsten fahren. Frieda fand ihre große Liebe im Nachbarort Eppenbrunn. Sie war überglücklich, als der Geliebte um ihre Hand anhielt und sie sich verlobten, bevor auch er Soldat wurde.
Nur Pirmin und Bertha waren noch zu Hause. Pirmin, von Bertha vergöttert, war ein schmächtiger Bengel mit dunklem Lockenschopf. Mit seinen fünfzehn Jahren war er zu jung, um in den Krieg zu ziehen.
Aus einem Stückchen Holz schnitzte er die schönsten Figuren und die Geschichten, die er dazu erfand, ließen sie bei ihm sitzen und staunend zuhören. Vor ihren Augen entstanden Königreiche, die von Zwergen bevölkert waren, Wälder, in denen Elfen mit vielen zahmen Tieren zusammenlebten und Engel, die auf einem Regenbogen zur Erde rutschten. Des Nachts erschienen all die Märchenwesen in ihren Träumen.
Wenn Pirmin mit seiner glockenklaren Stimme sang, ließ sogar der Vater für eine Weile die Hände im Schoß ruhen. Auf Berthas jungen Schultern lastete die Hausarbeit, so dass der Zehnjährigen oft die Zeit fehlte, mit ihrem Bruder zusammenzusitzen; meist blieben dafür nur die Abendstunden.
In dem Dörfchen Hilst schaute die Armut aus jedem Fenster. Noch immer mussten die Frauen alles benötigte Wasser von den vier Dorfbrunnen nach Hause schleppen, da eine Wasserleitung und die Kanalisation fehlten.
Ging der Sonntag zur Neige, graute es Bertha schon vor dem Morgen, denn dann war Waschtag - der mühsamste Tag der Woche. Gleich nach der Schule musste sie eimerweise Wasser vom Dellbrunnen herbeischleppen, um einen großen Waschkessel damit zu füllen. Dort gab sie die Weißwäsche und gehobelte Kernseife hinein und brachte die Wäsche auf dem Herd zum Kochen. In der Küche war es dann auch im tiefsten Winter heiß und feucht wie an einem schwülen Sommertag.
Nachdem der Vater ihr dabei geholfen hatte, den Bottich mit der kochenden Wäsche vom Herd zu nehmen und die Lauge mit der Wäsche abgekühlt war, ging es ans Rubbeln und Auswringen. Schürzen, Socken und Arbeitskleidung kamen nun in die Lauge, die sie mit einem Wäschestampfer bearbeitete. Um die Wäsche sauber zu bekommen, musste sie die einzelnen Stücke auf dem Waschbrett rubbeln und oft noch die Wurzelbürste zu Hilfe nehmen. Ihre Hände waren schrumpelig und aufgeweicht, manches Mal riss die Haut über den Knöcheln vom vielen Reiben. Schweiß rann ihr in Strömen übers Gesicht. Der Dunst und der Geruch nach Pottasche und Seife erschwerten ihr das Atmen. Sie glaubte, tausend Nadeln in ihren Knien zu spüren, die sie piksten, vom langen Knien auf den Steinplatten. Morgen würde es ihr schwerfallen, aufrecht zu gehen, weil der Rücken schmerzte. Am liebsten mochte sie dann gar nicht aus den Federn steigen. So war das immer nach dem Waschtag.
In der Schule war es ihr unmöglich, dem Unterricht zu folgen, weil ihr vor Müdigkeit die Augen zufielen. Einmal hatte der Lehrer ihr deswegen eine schallende Ohrfeige verpasst, woraufhin ihr tagelang das Ohr wehtat. Doch davon durfte sie ihrem Vater nichts erzählen, denn der würde sagen: "Wirst sie schon verdient haben." Sie seufzte und schüttelte die Gedanken aus ihrem Kopf. "Hör auf zu trödeln", ermahnte sie sich.
Widerwillig stemmte sie sich vom Stuhl hoch und machte sich wieder an die Arbeit. Um die Seife auszuspülen, musste sie einige Male zum Brunnen laufen, denn die nasse Wäsche war zu schwer, um sie auf einmal zu tragen. Aber das Gröbste hatte sie geschafft und die angenehmste Zeit vom ganzen Waschtag lag vor ihr.
Am Brunnen traf sie immer Frauen und Mädchen, die dieselbe Arbeit verrichteten, und dabei wurde meist erzählt und gelacht. Nur wenn die Tage kürzer wurden und die Kälte sich durch die Kleider fraß wie ein hungriges Tier und die Hände gefühllos wurden, da sah jede zu, dass sie schnell wieder nach Hause kam.
Zurück in der kleinen Wohnung, klammerte Bertha die Wäsche an die quer durch den Raum gespannten Seile, so dass bald kein Durchkommen mehr möglich war. Sie freute sich immer, wenn das Wetter es erlaubte, die Wäschestücke im Hof auf die Leine zu hängen, wo sie im Wind flattern konnten. Mit Stolz besah sie sich dann ihr Werk.
Von den grenznahen Dörfern Eppenbrunn, Kröppen, Schweix, Trulben und Hilst war letzteres das ärmste der sogenannten "Hackmesserseite". Der Name entstand, weil einst im Jahr 1792 die Bürger dieser Gemeinden in Paris darum baten, in die französische Republik aufgenommen zu werden und dies auch bewilligt bekamen. Freiheitsanhänger aus der lothringischen Garnisonstadt Bitsch schenkten zu dem Anlass ihren pfälzischen Gesinnungsbrüdern eine Guillotine; fleißig nutzten diese das Instrument für Hinrichtungen.
Mit der Niederlage und Abdankung Napoleons im Jahr 1815 endete die Zugehörigkeit zu Frankreich. Die Bezeichnung "Hackmesserseite" blieb im Gedenken an die Opfer erhalten.
Schon im ersten Kriegswinter hatten die Bürger in Hilst Mühe, genügend Nahrung auf den Tisch zu bringen. Sie empfanden die an den Häuserwänden befestigten Plakate mit dem Aufruf, nichts zu vergeuden, als blanken Hohn. Kartoffelschalen und Gemüseabfälle sollten sie sammeln und dem Vieh verfüttern. Auch sei es ratsam, die Kartoffeln mit der Schale zu kochen und überhaupt mit Lebensmitteln sparsam umzugehen. Das Papier, auf dem dies gedruckt war, hätte man sich sparen können, da dies ohnehin schon alle taten.
Bereits 1915 gehörte stundenlanges Anstehen für Lebensmittelkarten zum Alltag und der Schwarzhandel blühte. Mit ängstlichem Blick verfolgten die Bewohner den Postboten, wenn er durch den kleinen Ort ging. Erleichtert atmeten sie auf, wenn er keinen Brief für sie in seiner Tasche hatte, denn nur selten stand Erfreuliches darin zu lesen. Eine Glocke aus Angst und Sorge um die Söhne und Väter hing über dem...
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