Schweitzer Fachinformationen
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"Wir haben auf euer Kommen gewartet."
Erste Maßnahmen
Keine Fraternisierung
"Jeder freundliche deutsche Zivilist ist ein getarnter Soldat des Hasses, bewaffnet mit der inneren Überzeugung, dass die Deutschen noch immer überlegen sind, dass es eines Tages ihre Bestimmung sein wird, dich zu vernichten. Ihr Hass und ihr Zorn und ihre Überzeugung stecken ihnen tief im Blut. Ein Lächeln ist ihre Waffe, um dich zu entwaffnen. Fraternisiere nicht! - Im Herzen, mit Leib und Seele ist jeder Deutsche Hitler. Hitler ist der Mann, der den Glauben der Deutschen verkörpert. Schließ keine Freundschaft mit Hitler! Fraternisiere nicht!"
So und ähnlich lauteten die über 70 Radiospots, die in den ersten Wochen vor und nach dem 8. Mai 1945, dem Tag der Kapitulation, von den amerikanischen Soldatensendern ausgestrahlt wurden. Sie waren, wie Klaus-Dietmar Henke in seiner Arbeit über die amerikanische Besetzung Deutschlands 1995 geschrieben hat,
"Teil einer virtuosen Propagandakampagne, die den Soldaten den Sinn des Fraternisierungsverbots klarmachen sollte. Ebenso wurden suggestive Filme eingesetzt, regelmäßige Schulungsveranstaltungen abgehalten, in großer Anzahl Plakate mit der Ermahnung 'Don't fraternize' angeschlagen; in der Soldatenpresse erschienen flott geschriebene Belehrungsartikel."
Die einfachen Soldaten aber verhielten sich nicht befehlsgemäß. Dem G.I. war es so in Fleisch und Blut übergegangen, Süßigkeiten an Kinder zu verteilen, dass dies beinahe zu einer Reflexbewegung wurde.
Auf der anderen Seite verhielten sich auch die deutschen Zivilisten nicht mehr befehlsgemäß und waren überhaupt nicht so, wie sie in den Radiospots beschrieben worden waren. Diese Erfahrung machten die Männer der Task Force von Oberstleutnant William B. Lovelady, die kurz vor drei Uhr am Nachmittag des 12. September 1944 mit ihren Sherman-Panzern als Erste die Reichsgrenze überschritten und in die Ortschaft Roetgen rollten. Sie waren auf manche Überraschung gefasst, aber dass sie mit heißem Kaffee und Blumen begrüßt würden, damit hatten sie nicht gerechnet. "Wir haben auf euer Kommen gewartet. Mir hat dieser Krieg nichts gebracht als ein zerbombtes Haus in Aachen. Wir Deutschen haben genug von diesem Krieg", bekannte ein Dorfbewohner. Die Times überschrieb die Reportage über den historischen Augenblick in Roetgen mit der Schlagzeile "Deutsche heißen Invasoren willkommen" und gab damit eine erste beruhigende Antwort auf die Frage, die sich die Weltöffentlichkeit in jenen Wochen stellte, nämlich: "Wie werden sich die Deutschen in der Niederlage verhalten?" Einstweilen konnte nur darüber spekuliert werden, ob die freundlichen Gesten der Bürger von Roetgen typisch für die Haltung der Zivilbevölkerung im besetzten Deutschland werden sollten. Schon bald wusste man, dass sie es waren. Amerikaner und Briten machten darüber hinaus die erstaunliche Erfahrung, dass das Nazi-Regime offensichtlich ohne Nazis ausgekommen war - wollte man den Deutschen glauben (was viele allerdings nicht taten).
Von Roetgen im September 1944 bis zur Kapitulation im Mai 1945 und zum Abzug der Amerikaner aus Sachsen und Thüringen aus der für die Sowjets vorgesehenen Zone (in die sie bis zur Kapitulation vorgestoßen waren) in der ersten Juliwoche 1945 war es ein weiter Weg, aber die Amerikaner schienen gut vorbereitet zu sein für das, was kommen würde. Am 26. April 1945 hatte der Kongress die Direktive der amerikanischen Stabschefs an den Oberbefehlshaber der US-Besatzungstruppen in Deutschland verabschiedet. In dieser Direktive JCS 1067 hatte es zu den grundlegenden Zielen der Militärregierung in Deutschland geheißen:
"Es muss den Deutschen klargemacht werden, dass Deutschlands rücksichtslose Kriegsführung und der fanatische Widerstand der Nazis die deutsche Wirtschaft zerstört und Chaos und Leiden unvermeidlich gemacht haben und dass sie nicht der Verantwortung für das entgehen können, was sie selbst auf sich geladen haben.
Deutschland wird nicht besetzt zum Zwecke seiner Befreiung, sondern als besiegter Feindstaat. [.] Das Hauptziel der Alliierten ist es, Deutschland daran zu hindern, je wieder eine Bedrohung des Weltfriedens zu werden."
Dann wurde gesagt, wie das erreicht werden sollte: Ausschaltung des Nazismus und des Militarismus, sofortige Verhaftung der Kriegsverbrecher zum Zwecke der Bestrafung, industrielle Abrüstung und Entmilitarisierung, Reparationen, Wirtschaftskontrollen, keine politischen Tätigkeiten irgendwelcher Art ohne Genehmigung, Entnazifizierung und Umerziehung.
Etwa 20 Proklamationen, Gesetze, Verordnungen, Befehle etc. schufen nun die Grundlage für die amerikanische Besatzungspolitik, die ähnlich auch bei Briten und Franzosen gehandhabt wurde. Nur von wenigen dieser Bestimmungen war die Masse der Bevölkerung betroffen. Die wichtigste war die Proklamation Nr. 1 des Obersten Befehlshabers der alliierten Expeditionsstreitkräfte, General Dwight D. Eisenhower, "An das deutsche Volk". Darin hieß es in beiden Sprachen: "Wir kommen als Sieger, nicht als Unterdrücker - We come as conquerors, not as oppressors." Der deutsche Militarismus und Nationalsozialismus würden "vernichtet werden, Verbrecher ihrer gerechten Strafe zugeführt", hieß es weiter. Eisenhower übernahm damit die "höchste gesetzgebende, rechtsprechende und vollziehende Machtbefugnis" und delegierte sie an die Organe der Militärregierung. Die Übertretung von Gesetzen der Besatzungsmacht wurde mit schweren Strafen bedroht, alle deutschen "Gerichte, Unterrichts- und Erziehungsanstalten" wurden für geschlossen erklärt, alle Beamten und Angestellten in Behörden und wichtigen Betrieben "verpflichtet", auf ihren Posten zu bleiben und sich der Militärregierung zur Verfügung zu stellen.
Das Gesetz Nr. 1 hob eine Anzahl von Gesetzen aus der NS-Zeit auf und verbot generell die "Auslegung oder Anwendung deutschen Rechts nach nationalsozialistischen Lehren". Gesetz Nr. 2 suspendierte die Tätigkeit der Organe der Rechtspflege und enthielt Bestimmungen über das deutsche Gerichtswesen und die alliierten Interventionsbefugnisse. Ferner wurden Gesetze über die Auflösung der NSDAP, über die Einführung einer "alliierten Militärmark" als Zahlungsmittel, über die Kontrolle der deutschen Grenze und die Blockade und Kontrolle gewisser Vermögen (Gesetz Nr. 52) öffentlich ausgehängt.
In der Verordnung Nr. 1 waren 20 mit Todesstrafe bedrohte Tatbestände aufgeführt sowie viele weitere Vergehen gegen das Kriegsrecht genannt, die von den Gerichten der Militärregierung geahndet werden konnten; Verordnung Nr. 2 enthielt Bestimmungen über die alliierte Militärgerichtsbarkeit. Eine Reihe sogenannter "Notices" forderte die deutsche Bevölkerung zur Ablieferung von Waffen, Munition, Funkgeräten und Brieftauben (!) auf.
Die stärkste unmittelbare Auswirkung auf die Zivilbevölkerung hatten zwei kurze "Notices". Sie legten als militärische Sicherheitsmaßnahme die Sperrstunden (curfew) und die Reisebeschränkungen (travel restrictions), also die Beschränkungen betreffend Aufenthalt außerhalb des Hauses und des Verkehrs auf wenige Kilometer im Umkreis des Wohnortes, fest. Beide Bestimmungen variierten von Ort zu Ort erheblich, griffen in den ersten Wochen der Besetzung aber überall tief in den Lebensrhythmus der Bevölkerung ein. Unter anderem verurteilten sie die Menschen zu Untätigkeit. So hieß es etwa in einem Bericht über die Bewohner des nur wenige Kilometer nördlich von Aachen gelegenen Bergbaustädtchens Kohlscheid, sie führten eine "eintönige und freudlose" Existenz:
"Wenn sie keine Sondererlaubnis haben, auch zu anderen Zeiten zur Arbeit zu gehen oder von der Arbeit zu kommen, müssen sie von 4 Uhr nachmittags bis 9 Uhr am nächsten Morgen in ihren Wohnungen bleiben. Zuhause haben sie keinen Strom und folglich kein Radio." (Henke)
So wie in Kohlscheid erging es den meisten anderen Deutschen. Für die amerikanischen G.I.s galt das Fraternisierungsverbot. Jeglicher Kontakt zur deutschen Zivilbevölkerung, Kinder ausdrücklich eingeschlossen, war verboten. Eisenhower machte klar, worum es ging. Diesmal müssten die Deutschen eines genau lernen:
"Ihre Unterstützung und Duldung militaristischer Führer, ihre Akzeptierung und Förderung von Rassenhass und Verfolgungen und ihre Aggression in Europa haben sie in eine totale Niederlage geführt und die anderen Völker der Welt dazu gebracht, sie mit Misstrauen zu betrachten."
Non-Fraternization war genau definiert: "Das Vermeiden des Umgangs mit den Deutschen auf freundlichem, vertrautem oder intimem Fuße, ob einzeln oder in Gruppen, ob offiziell oder...
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