Schweitzer Fachinformationen
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Ich bin allein. Die Wahrheit dieses Satzes spüre ich, als ich mit schnittig hochgeklapptem Verdeck auf den Highway 1 gleite, wo über den Standstreifen Bäume blühen und vorne sich die Berge der mittleren Küste Kaliforniens erheben. In traumhaften Landschaften wird die Einsamkeit intensiver, das ist mir schon öfter aufgefallen. Vielleicht liegt es nur daran, dass kein anderer die Aussicht mit einem genießt. Keine Ahnung.
Ich schalte das Radio ein. Robert Plant jammert vom Land aus Eis und Schnee.
Obwohl mein Mietwagen locker auf der Überholspur Kilometer fressen könnte, lenke ich ihn nach rechts und lasse es, auf allen Seiten vom Wind umspült, ruhig angehen. Eine bequeme Art zu reisen, viel angenehmer als das, was ich im letzten Jahrzehnt in Europa auf diesen zugigen, überfüllten Straßen erlebt habe, wo die Leute ihre Autos schräg über dem Gehsteig und der Fahrbahn abstellen und nur ein Profi ohne Blechschaden vorbeikommt. Außerdem sind auf dieser Strecke kalifornische Fahrer unterwegs - locker, ohne Eile, ganz anders als die Europäer, die einem mit lächerlichem Machogehabe in ihren winzigen Autos auf die Pelle rücken. Ein entspanntes Fahren, das auf ein entspanntes Leben schließen lässt. Allmählich verstehe ich, warum Celia sich hierher zurückgezogen hat.
So ähnlich hat es auch Vick formuliert in seinem Büro im vierten Stock der Botschaft hoch über der Boltzmanngasse. »Sie ist weg. Und sie ist glücklich. Du verschwendest deine Zeit.«
Was sollte ich darauf antworten? »Ich weiß, Vick. Immerhin hat sie zwei Kinder.«
»Nichts weißt du. Ich glaube, du stehst immer noch auf diese Frau.« Vick hat Celia nie so richtig verziehen, dass sie die Station so schnell verlassen hat, und aus diesem Grund spricht er ihren Namen ungern aus.
»Wir sind immer noch Freunde«, sagte ich.
Vick lachte. Hinter ihm füllte der strahlende österreichische Himmel das Fenster. Ein tief fliegendes Flugzeug strebte zum Flughafen Wien-Schwechat, durch dessen Korridore ich am nächsten Morgen mit meiner Umhängetasche schlendern sollte, um wieder einmal festzustellen, mit welcher Gründlichkeit die Österreicher jede Spur des Traumas von 2006 beseitigt hatten. »Nein.« Vick schüttelte den Kopf. »Ihr seid keine Freunde. So funktionieren Trennungen nicht. Und sie wird genauso leicht wie ich erkennen, dass du immer noch total in sie verknallt bist. Nach fünf Jahren Ehe mit Kindern bist du sicher der letzte Mensch, den sie sehen möchte.«
»Bei deinen romantischen Beziehungen ist wohl so einiges schiefgelaufen, Vick.«
Das brachte ihn wenigstens zum Lächeln. »Schicken wir doch einfach Mack. Du gibst ihm die Fragen, und er bringt dir die Antworten auf dem Servierteller. Du musst das nicht machen.«
»Mack erkennt nicht, wenn sie lügt.«
»Er versteht was von seiner Arbeit.«
»Aber er kennt sie nicht.«
»Du auch nicht. Nicht mehr.«
Darauf fiel mir keine Entgegnung ein. Ich konnte ihm nicht verraten, warum ich selber fliegen musste, aber ich hätte wenigstens einen passenden Spruch parat haben müssen, ein vernünftiges, unwiderlegbares Argument. Dass ich mir nichts überlegt hatte, beweist, wie sehr meine Fähigkeiten nachgelassen haben.
»Sie wird sich mit einem Kontaktverbot vor dir schützen.«
»Das ist doch lächerlich.«
»Ich an ihrer Stelle würde es so machen.«
Wir schwiegen eine Weile. Das Flugzeug war verschwunden. Dann sprach ich weiter. »Hör zu, eigentlich ist es bloß ein Vorwand, um ein paar Tage aus dem Keller rauszukommen. Ein Besuch bei einer alten Freundin. Ich stelle ihr ein paar Fragen nach Frankler, und Uncle Sam zahlt das Abendessen.«
»Und dann schließt du das Ganze ab? Frankler, meine ich.« Das war der Name der Untersuchung, die mich seit fast zwei Monaten unten im Keller festhielt.
Wie so oft in unseren gemeinsamen Jahren log ich Vick an. »Die Sache ist heikel. Es geht darum, dass wir uns absichern. Und da dürfen keine Lücken bleiben.«
»Aber du hast keinen Verdächtigen? Keine stichhaltigen Beweise für ein Fehlverhalten?«
»Nur das Wort eines Mannes.«
»Das Wort eines Terroristen.«
Ich zuckte die Achseln.
»Und bald danach ist er in einem Eimer Wasser ertrunken«, sagte Vick. »Mit einem Zeugenauftritt von ihm ist also wohl kaum zu rechnen.«
»Stimmt.«
»Dann zieh einen Schlussstrich. Damit wir 2006 als Pech abhaken können.« Er war noch mehr als ich darauf aus, die Sache zu beenden.
»Ich finde raus, ob Celia noch was hinzuzufügen hat, und wenn ich zurückkomme, grabe ich noch eine Woche weiter, okay? Dann ist Schluss.«
»Du frisst unser Budget auf.«
»Wirklich, Vick? Ich laufe den ganzen Tag bloß im Keller rum und ziehe alte Akten raus.«
»Du fliegst auch.«
»Zweimal. In acht Wochen habe ich zwei Reisen gemacht, um mit alten Hasen zu reden. Bill Compton und Gene Wilcox. Das ist wohl kaum übertrieben.«
Zögernd schaute er mich mit seinen trägen Augen an. »Hast du schon mal darüber nachgedacht, was du tun würdest, wenn du wirklich jemanden überführen könntest?«
Ich hatte kaum über etwas anderes nachgedacht. Doch das band ich ihm nicht auf die Nase. »Warum erklärst du es mir nicht?«
Vick seufzte. Seit Beginn meines österreichischen Jahrzehnts habe ich die Erfahrung gemacht, dass er seufzt, so wie andere mit den Fingern knacken oder Kette rauchen. »Du weißt, wie so was läuft, Henry. Eine peinliche Anklageerhebung können wir uns nicht leisten, und auf einen Gefangenenaustausch mit den Dschihadisten werden wir uns sicher auch nicht einlassen. Im Idealfall hätte ich es gern so, dass nicht einmal Langley davon erfährt.«
»Du möchtest also, dass ich den Verräter liquidiere.«
Er legte die Stirn in Falten. »Ich glaube nicht, dass ich etwas Derartiges geäußert habe.«
Einen Moment lang starrten wir uns an. Schließlich sagte ich: »Dann hoffen wir mal, dass ich niemanden zur Verantwortung ziehen muss.«
Erneut seufzte er und schaute auf meine Hände. Ich verstaute sie hastig in den Taschen. »Was meint Daniels?«, fragte er.
Larry Daniels war derjenige, der die Theorie aufgebracht hatte. Vor zwei Monaten war er von Langley hergeflogen, um sich mit Vick über neue Informationen zu unterhalten. Diese stammten von einem Gefangenen in Guantánamo, einem gewissen Ilyas Shishani, der bei einem Kommandounternehmen in Afghanistan aufgegriffen worden war. Neben vielen anderen Details verriet er den Vernehmern auch, dass der Anschlag am Wiener Flughafen von einem Informanten in der US-Botschaft unterstützt worden war. Wir waren damals alle vor Ort: Vick, ich, Celia, Gene und Celias Chef Bill. Nachdem er Larrys Bericht gehört hatte, bat mich Vick, die Leitung der Untersuchung mit dem Decknamen Frankler zu übernehmen.
»Larry ist achtundzwanzig.« Es war nicht das erste Mal, dass ich Vick an diesen Umstand erinnerte. »Er bauscht die Desinformation eines Terroristen zu einem Spionagefall auf. Außerdem macht sich so was auch nicht schlecht im Lebenslauf.«
»Warum begraben wir die Sache dann nicht gleich? Sicher, Daniels wäre stocksauer, aber seine Vorgesetzten hätten bestimmt nichts dagegen, ihm einen kleinen Dämpfer zu verpassen, wenn sie dadurch einen Skandal vermeiden können.«
Mit diesem Gedanken spielte ich schon seit zwei Monaten. Ich mochte Larry Daniels nicht, und den meisten, die ihm bei einem seiner gelegentlichen Auftritte in Wien begegneten, ging es genauso. Mit seinem öligen Haar und der hohen Krächzstimme wirkte er wie ein Juckpulver auf andere. Dabei strahlte er die Überzeugung aus, dass er besser als jeder andere im Raum wusste, was los war. Doch er war auch intelligent, und wenn ich Frankler einfach begrub, war damit zu rechnen, dass er die Sache wieder ausbuddelte und Stunk machte. Wichtiger noch, er würde mir die Untersuchung abnehmen, und das durfte ich unter keinen Umständen zulassen.
»Was glaubst du«, sagte ich, »wie wir dastehen, wenn Daniels in Langley Krach schlägt? Ich muss das jetzt durchziehen. Wenn wir nicht mit Celia reden, bleibt ein klaffendes Loch. Ein Loch, in dem wir vielleicht beide landen. Und dann könnte es schwer werden, wieder rauszukommen.«
Wieder ein Seufzen. »Sieh einfach zu, dass du es schnell beendest, okay? Morgen warten genügend Sorgen auf uns, da brauchen wir uns nicht auch noch mit den Problemen von gestern rumschlagen. Behalt das bitte im Auge, wenn du deine Freundin belästigst.«
Ich war Vick schon voraus, und auch jetzt, als ich im dichter werdenden Verkehr vom Gas gehe und auf die Schilder starre, kreisen meine Gedanken darum, wie ich die Untersuchung abschließen kann. Dabei spukt mir immer wieder Celias Bild durch den Kopf. Und die Frage, was sie sich von dem Treffen erwartet. Schwelgen in alten Erinnerungen, eine offizielle Besprechung oder . etwas Interessanteres?
Der Sprecher im Radio erzählt mir, dass er gleich die Treppe zum Himmel hochsteigt, und ich bin erstaunt, dass die DJs in den drei Jahrzehnten, seit ich als Schüler vor meinem alten Transistorgerät saß, keinen besseren Spruch gefunden haben, um ihrer Begeisterung für Led Zeppelin Ausdruck zu verleihen. Für die nächste Stunde kündigt er einen »Beatles-Block« an und fordert die Zuhörer auf, ja nicht das Donnerstagsdoppel mit zwei Stunden Classic Rock zu vergessen.
Hat das kommerzielle Radio wirklich 1982 seinen kreativen Höhepunkt erreicht? Ich schalte aus.
Links von mir ist eine Highschool, rechts weist ein Schild zwischen die Alleebäume der Ocean Avenue, die sich bergab zur Küste...
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