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Meine Kritik der EZB beruht auf der Überzeugung, dass es ohne Geldsouveränität keine substanzielle Demokratie geben kann. Eine These, die auf wenig Zustimmung hoffen darf, da die Lehrbuchökonomik die Marktwirtschaft als einen für alle vorteilhaften Gütertausch bewertet und das liberale Demokratiekonzept dem Staat lediglich die Rolle eines ordnungspolitischen Rahmensetzers zuerkennt.
Diese liberalen Dogmen sollen in 2.1 als empirisch und normativ ungeeignet kritisiert werden. Die Wirtschaft, so meine Gegenthese, ist essenziell eine Geldwirtschaft, in deren Zentrum Unternehmen mit Gewinnerzielungsabsicht stehen. Der Finanzsektor ist daher integraler Bestandteil einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung, der sich aber zunehmend für die Realwirtschaft als destabilisierend erwiesen hat.
In 2.2 soll gezeigt werden, warum das liberale Demokratiekonzept die Meinung stützt, eine politisch unabhängige Zentralbank werfe keine Fragen nach ihrer demokratischen Legitimität auf. Als Alternative zur »Liberalen Demokratie« wird das Konzept der »Sozialen Demokratie« vorgestellt, in deren Mittelpunkt dem Staat als Repräsentant seiner Bürger die Aufgabe zukommt, Marktmechanismen im Sinne Polanyis institutionell einzubetten.
In 2. 3 soll schließlich der Begriff der Geldsouveränität näher bestimmt werden, um daran anschließend die wirtschaftlichen Steuerungskompetenzen eines solchen Staates mit denen eines nicht-geldsouveränen Staates zu vergleichen. Daraus wird der Schluss gezogen, dass ein Staat, der nicht über das Geldschöpfungsmonopol verfügt, kapitalistische Wirkmechanismen nicht im Interesse des Demos institutionell wirksam einbetten kann.
Die hegemoniale »Theorie der Wirtschaft« hat Geld zu einem reinen Oberflächenphänomen erklärt, das für ein Verständnis der Funktionsweise des Kapitalismus keine bedeutsame Rolle spielt. Nach dieser Theorie ist der Kapitalismus im Kern eine Marktwirtschaft, in der Menschen Güter untereinander tauschen, um so auf ein höheres Nutzenniveau zu gelangen.
Dieses Bild widerspricht so offensichtlich der Wirtschaftswirklichkeit, dass Carl Menger - einer der Begründer einer solchen »Nutzentauschökonomik« - sich genötigt sah, eine Erklärung dafür anzubieten. So gestand er zu, Menschen würden in der Regel nicht direkt Güter tauschen, sondern dabei einen Tauschvermittler verwenden. Aufgrund der Schwierigkeiten, Tauschpartner zu finden, die über die jeweils gewünschten Güter verfügten, seien in einem langen evolutionären Prozess die »marktgängigsten Waren zu allgemein gebräuchlichen Tauschmitteln« geworden:
»[D]as ist zu Waren wurden, welche nicht nur von vielen, sondern schließlich von allen wirtschaftlichen Individuen im Austausche gegen die zu Markte gebrachten (minder absatzfähigen!) Güter, und zwar von vornherein in der Absicht angenommen wurden, dieselben weiter zu vertauschen.«22
Diese Güter (in der Vergangenheit Gold oder Silber) nenne man »Geld«. Zeichengeld, ob nun in Form von Geldscheinen oder Giroguthaben, ist nun aber keine Ware. Das wird von Mainstreamökonomen zwar zugestanden, aber behauptet, dass Geld den Nutzen von Waren »repräsentiere«. Geld ist nach diesem Verständnis so etwas wie ein Bezugsschein auf Waren. Ergo, so schon der klassische politische Ökonom John Stuart Mill:
»Es kann, kurz gesagt, in der Wirtschaft der Gesellschaft kein unbedeutenderes Ding geben als Geld [.]«.23
Für Frank Hahn, der sich um die Entwicklung einer nutzenbasierten Ökonomik besonders verdient gemacht hat, ist die Aussage Mills evident wahr. Handlungsakteure seien nun einmal nur an Dingen interessiert, die für sie einen Nutzen haben. Sie entschieden sich daher niemals auf Basis monetärer Größen für oder gegen bestimmte Handlungsalternativen.24
Geld sei ein die Funktionsweise der Marktwirtschaft verhüllender Schleier. Aufgabe der Ökonomik sei es daher, so schreiben Paul Samuelson und William Nordhaus in einem der populärsten Volkswirtschaftslehrbücher, hinter den Geldschleier zu schauen. Lüfte man ihn, stießen »wir selbst bei den am höchsten entwickelten Industriegesellschaften auf Formen des Handels zwischen Einzelpersonen und Ländern, bei denen es sich letztlich um Tauschgeschäfte zwischen mehreren Beteiligten handelt«.25
Vertreter der Mainstreamökonomik bestreiten selbstverständlich nicht, dass es auf der Beobachtungsebene monetäre Tatsachen gibt. Davon aber müsse man auf der theoretischen Ebene abstrahieren. Es gelte, so erklärte beispielsweise bereits Knut Wicksell in einer einflussreichen Abhandlung Anfang des 20. Jahrhunderts, sich einen Kredit und seine Rückzahlung wie folgt vorstellen:
»Kredit >in natura< als Borg, um dann Löhne. Grundrenten u. s. f. gleichfalls in natura zu zahlen und am Ende der Produktion aus seinen fertigen Erzeugnissen direkt oder nach Tausch gegen andere Güter [.] die empfangenen Naturdarlehen zurückzuerstatten«.26
Dem Begründer des Monetarismus, dem US-Amerikaner Milton Friedman kann man sicherlich nicht vorwerfen, dass er Geld für ein Verständnis der Funktionsweise moderner Volkswirtschaften keine Bedeutung beigemessen hat. Aber auch er ist der Meinung, dass für eine grundsätzliche Analyse einer modernen Marktwirtschaft von Geld abgesehen werden kann.27
Der Finanzmarkt wird im Rahmen einer solchen Marktwirtschaft lediglich als ein Versicherungsinstrument für alle zukünftigen Eventualitäten verstanden, das die Realwirtschaft stabilisiert.28 Finanzmärkte gelten dabei als idealtypische Märkte. Die Finanzkrise, wie Eugene Fama mit seiner mit dem Wirtschaftsnobelpreis ausgezeichneten »Kapitalmarkteffizienztheorie« bewiesen hat, hätte es daher eigentlich nicht geben dürfen.29
Grund genug, nach einer alternativen Ökonomik Ausschau zu halten, die schon auf der konzeptuellen Ebene Geld als ein essenzielles Element bei ihrer Theoriebildung berücksichtigt. Eine solche Ökonomik ist der »Postkeynesianismus«, der an die Arbeiten nicht nur von John Maynard Keynes, sondern auch von u. a. Joan Robinson, Abba Lerner, Michal Kalecki und Hyman Minsky anschließt.30
Deren Forschungsprogramm ist mit dem der Mainstreamökonomik inkommensurabel. Karl Marx hat im Kapital die differentia specifica zwischen diesen beiden Forschungsprogrammen mit den Kürzeln »W-G-W« und »G-W-G<« auf den Punkt gebracht.31 In der Mainstreamökonomik ist Geld Mittel zum Zweck des Warentausches. Im Postkeynesianismus ist die Warenproduktion Mittel zum Zweck, aus Geld mehr Geld zu machen. Der Erwerb von Gütern im Kapitalismus erfolgt nach Meinung von Postkeynesianern also keineswegs über einen Gütertausch mithilfe eines neutralen Tauschvermittlers namens Geld (W-G-W). Vielmehr ist Geld die sine qua non einer Produktion von Gütern durch Unternehmen, die nicht tauschen, sondern Waren mithilfe von Geld produzieren und für Geld verkaufen, um damit Geldgewinne zu realisieren (G-W-G').
Die Existenz von Unternehmen - also Betrieben, die auf monetäre Gewinne zielen - wird von der Mainstreamökonomik als Epiphänomen abgetan. Sie sind für sie keine Akteure, sondern lediglich Instrumente, um »Transaktionskosten« zu reduzieren.32 Ihre Existenz ändert nichts daran, dass Menschen wie eh und je wertmäßig äquivalente Waren tauschen, bis sich ein Nutzengleichgewicht einstellt.
Womit, so Eske Bockelmann, der »Geldwert« als das »Gleiche in unterschiedlichen Waren« behauptet wird. Eine Aussage, die den »wahren Sachverhalt schlicht auf den Kopf« stelle:
»Wert ist nicht Urgrund und Ursprung des Geldes. Wert hat umgekehrt seinen Urgrund und Ursprung im Geld«.33 »Wenn wir also heute Wert in den Waren sehen und voraussetzen, tun wir das, obwohl er nicht in ihnen liegt. Wir setzen Wert zu Unrecht in den Dingen voraus [.].«34
Um diesen Fehler zu vermeiden, sollte man streng genommen nicht vom »Wert« einer Ware, sondern von ihrem »Preis« sprechen. Unternehmen zielen nicht auf möglichst hohe Nutzenwerte, sondern auf möglichst hohe Preisunterschiede zwischen den Kaufpreisen der Produktionsfaktoren auf der einen und den Verkaufspreisen der damit produzierten Waren auf der anderen Seite. Unternehmen unterscheiden sich daher in ihren Handlungsmotiven fundamental von Menschen aus Fleisch und Blut, wie von Keynes wie folgt festgehalten wird:
»Ein Unternehmer ist nicht an der Menge des Produkts interessiert, sondern an der Menge des Geldes, die auf seinen Anteil fällt. Er wird seine Produktion erhöhen, wenn er dadurch eine Steigerung seines Geldgewinns erwartet, auch wenn dieser Gewinn eine geringere Produktmenge darstellt als zuvor [.].«35
Im Kapitalismus wird also nicht getauscht, sondern für Waren mit Geld bezahlt. Eine »Tauschwirtschaft« unterscheidet sich essenziell von einer »Zahlwirtschaft« darin, dass einer Zahlung mit Geld immer die Etablierung einer Geldschuld zwischen mindestens zwei Wirtschaftssubjekten vorausgeht. Der Abschluss eines Kaufvertrags ist ein für den Kapitalismus charakteristisches Beispiel der...
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